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Kapitel 9

 

Frohes neues Jahr

Teil 1

 

 

 

Die Woche bis Silvester war für alle außer mich mehr mit Stress verbunden als die bisherige Zeit in unserem neuen Heim, denn natürlich wollte Orlando nicht nur ein guter Gastgeber sein, nein. Wie immer musste er noch eine Schippe draufpacken und organisierte im letzten Moment noch einen DJ und einen Cocktailmixer, sowie einen Koch, der für uns ein leckeres BBQ zaubern würde. Ich sollte einfach nur darauf achten, dass er keinen Denkfehler beging. Außerdem sollte ich am Tag vor Silvester dann zusammen mit Janine und Seth in den New World Markt direkt neben den Studios gehen, um den Einkauf für den Abend zu erledigen, was darin endete, dass wir jeweils einen Einkaufswagen vor uns herschoben, der bis oben hin bepackt war.

 

„Mom, wer soll denn das alles essen?“, fragte Seth etwas erstaunt als wir endlich an der Kasse standen und eine Verkäuferin für uns extra eine weitere Kasse öffnete, damit wir die anderen Kunden nicht beim Einkauf behinderten.

 

„Dein Vater sagte, dass Peter noch einige der neuen Schauspieler einladen wollte, zum kennenlernen sozusagen“, erklärte ich kurz, während wir die Sachen aus dem Einkaufswagen luden. Ich beugte mich gerade etwas weiter über den Wagen, da spürte ich ein ziemlich unangenehmes Ziehen in meinem Bauch und hielt einen Moment inne. Natürlich merkten das auch Janine und Seth und wuselten direkt um mich herum und während Janine schon versuchte, eine Sitzmöglichkeit für mich zu organisieren, verging der Schmerz auch schon wieder.

 

„Keine Angst, das war nur eine Senkwehe… Ich hatte die letzten Tage immer mal wieder eine, aber das ist normal. Bei Maria hatte ich die schon 4 Wochen vor der Geburt“, erklärte ich Seth, der etwas beunruhigt neben mir stand. Sicherlich fühlte er sich damit überfordert, wenn seine Mutter hier und jetzt seine Geschwister zur Welt bringen würde. Aber glücklicherweise würde das nicht der Fall sein. Wenn es so ablief wie bei Maria, dann würde ich den Kaiserschnitttermin in einer Woche auf jeden Fall wahrnehmen können.

 

Dennoch ließen sich weder Janine noch Seth davon abbringen, sofort Orlando und Viggo anzurufen, damit sie uns halfen, auch wenn ich immer wieder darauf bestand, dass es mir gut ging. Ich wusste, sobald Orlando hörte, dass ich Wehen gehabt hatte, egal ob Senkwehe oder nicht, würde er förmlich im Dreieck springen. Und das tat er auch. Das bedeutete, dass Orlando und Viggo innerhalb von kürzester Zeit vor dem Supermarkt standen. Mein Mann lud mich direkt in sein Auto ein, um mit mir nach Hause zu fahren, während Viggo mit Seth und Janine den Einkauf erledigte. Als sie dann eine geschlagene halbe Stunde nach uns nach Hause kamen, versuchte ich immer noch Orlando davon zu überzeugen, dass alles wieder in Ordnung war und wir nicht ins Krankenhaus fahren mussten. Im Gegenteil, Senkwehen waren gut, denn das bedeutete, dass mein Bauch etwas nach unten wanderte und ich so wieder besser atmen und essen konnte. Ich fühlte mich also insgesamt viel besser.

 

„Bist du dir sicher, dass wir die Party morgen Abend hier machen sollen?“, fragte Orlando eine weitere halbe Stunde später, als ich dann wieder von der Liege aufstand, um Janine und Seth dabei zu helfen, alle Einkäufe auszupacken. Ich rollte nur mit den Augen und erwiderte mit dem wohl überall bekannten Spruch, dass ich schwanger, nicht todkrank war, auch wenn mein Mann das anders sah.

 

„Außerdem gibt es für mich doch sowieso kaum etwas zu tun“, bemerkte ich etwas missmutig. Wäre ich nicht schwanger gewesen, hätte ich wahrscheinlich das Ruder, was die Gestaltung dieser Feier anging, in meine eigene Hand genommen, anstatt es meinem Mann zu überlassen, immerhin war ich besser in der Planung und er in der Ausführung. Glücklicherweise schien Janine ein ähnliches organisatorisches Talent zu haben wie ich und sie schaffte es, die Fehler, die Orlando aufgrund seiner Unwissenheit und manchmal ziemlich oberflächlichen Art gemacht hatte, auszubügeln. Sie war so gut darin, dass Orlando noch nicht einmal auffiel, dass Janine ihm mehrmals den Hintern gerettet hatte, und das, während sie sich auch noch um Maria und Seth kümmerte und den beiden etwas kochte.

 

Wenn sie weiterhin so souverän auf alles reagieren würde, was hier passierte, dann würde sie sich schneller hier einleben als ich anfangs vermutet hatte. Natürlich, ihre Fan-Girl-Attitüde mussten wir noch etwas herunterschrauben, aber andererseits würden ihr die Schauspieler, die nun im Film mitspielten, größtenteils unbekannt sein und sie würde es vielleicht einfacher haben, sie wie ganz normale Menschen zu behandeln. Selbst ich kannte die meisten von ihnen nicht und war gespannt, wie sich dieses Cast zusammentun würde, ob es eine genauso enge Bindung zueinander bekommen würde, wie es damals bei den Gefährten der Fall gewesen war.

 

Aber als dann Stephen Hunter als der erste Gast am nächsten Abend an unserer Tür klingelte und mich direkt so herzliche begrüßte, als würden wir uns bereits seit Jahren kennen, merkte ich, dass Peter wahrscheinlich immer die richtige Wahl treffen würde.

 

Stephen hatte von Peter eine falsche Zeit gesagt bekommen, oder hatte sie falsch verstanden, deswegen war ich auch noch nicht fertig, als er kam. Und Orlando setzte gerade noch den letzten Schliff an, deswegen bat ich Janine, sich um unseren Gast zu kümmern, sagte ihr aber nicht, dass er einer der neuen Schauspieler war. Sicherlich war es besser, wenn sie erst einmal unvoreingenommen war.

 

Als ich merkte, dass die beiden ziemlich ungezwungen miteinander redeten, machte ich mich auf den Weg ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen, denn ich wollte mich sicherlich nicht in dieser ausgeleierten Jogginghose und dem knappen T-Shirt zeigen, das ich im Moment noch trug. Leider hatte man, was Umstandsmode anging, aber auch keine große Auswahl, vor allem nicht in meiner Situation. Daher war das Beste, was ich finden konnte, eine Stretch-Jeans und ein etwas weiteres, längeres T-Shirt, das aber dennoch etwas stramm um meinen Bauch saß.

 

Als ich mich dann fertig gemacht hatte, löste ich Janine ab, die dann nach oben ging, um sich selbst und auch meine kleine Tochter vorzeigbar zu machen. Ich hätte Maria zwar gerne selbst angezogen, aber leider stand zwischen mir und diesem Wunsch die Treppe, die ich wahrscheinlich erst in 2 oder 3 Wochen wieder in Angriff nehmen konnte.

 

„Wie weit bist du denn schon?“, fragte Stephen, als Janine nach oben verschwunden war. Er und ich hatten uns direkt das „Du“ angeboten.

 

„36. Woche, nächste Woche werden sie allerdings geholt“, sagte ich und streichelte kurz über meinen Bauch. Dann unterhielten wir uns über den Job als Eltern, denn er und seine Frau hatten gerade erst eine Tochter bekommen, und ich sah ihm an, dass die sein ganzer Stolz war. Was ich natürlich verstehen konnte, immerhin ging es uns nicht anders.

 

Wenn man selbst Kinder hatte, waren diese die besten, hübschesten und wunderbarsten Kinder auf der ganzen Welt. Vor allem wenn sie noch klein genug waren, einen nicht durch irgendeinen Unfug, den sie anstellten, zu desillusionieren. Es gab nämlich eine Zeit, und die würde sicherlich auch Stephen erreichen, in der man sich fragte, was man bei der Erziehung nur falsch gemacht hatte oder was man anders machen musste, damit nicht alles aus dem Ruder lief. Spätestens in der Pubertät. Mir graute es jetzt schon vor dem Moment, in dem ich bemerken würde, dass es bei Seth tatsächlich soweit war.

 

„Janine hat mir erzählt, du warst beim Dreh vom Herr der Ringe auch schon dabei?“, fragte Stephen dann und ich meinte eine kleine Nervosität zu sehen, die aber wahrscheinlich eher daher rührte, dass er keine Ahnung hatte, was auf ihn zukommen würde, er es aber natürlich wissen wollte.

 

„Ja, wobei ich nicht die ganzen 18 Monate dabei war. Ich bin erst etwas später dazu gekommen.“

 

Stephen kam etwas näher, wahrscheinlich weil er nicht wollte, dass jemand von den mittlerweile eingetroffenen Gästen mitbekam, was er wissen wollte: „Ist es sehr anstrengend?“

 

„Peter wird uns gnadenlos durch Neuseeland scheuchen.“ Anscheinend hatte Stephen nicht ganz so leise gesprochen, wie er erhofft hatte, aber ich hatte im Gegenzug auch nicht bemerkt, dass jemand in unserer Nähe gestanden hatte. Doch die Stimme erkannte ich sofort und erwartete schon die niemals stillstehende Gestalt von Jed Brophy zu sehen.

 

„Hey Jed.“ Ich hatte beinahe Luftsprünge gemacht, als ich seinen Namen unter den Zwergendarstellern gesehen hatte, denn wenn es jemand verdient hatte, endlich einmal in einem großen Film eine gute Rolle zu bekommen, dann er. Bereits beim Herr der Ringe hatte er diverse Statistenrollen übernommen und auch das ein oder andere Mal unter einem der Orkkostüme gesteckt. Und das waren, wie ich bereits schon vor 10 Jahren erfahren hatte, nicht die einzigen Filme gewesen, bei denen er mit Peter gearbeitet hatte. In fast allen seinen Filmen hatte Jed eine Rolle gehabt, auch wenn es meistens nur Statisten waren. Jetzt hatte er endlich die Belohnung dafür bekommen und nicht nur in meinen Augen hatte er das absolut verdient.

 

„Stephen, das ist Jed“, stellte ich Jed vor, aber bevor ich noch etwas machen konnte, verbeugte sich Jed euphorisch mit einem „Nori, zu Euren Diensten!“.

 

„Bombur, zu Euren“, erwiderte Stephen und verbeugte sich ebenfalls. Die beiden Männer brachen in schallendes Gelächter aus und umarmten sich dann, als wären sie alte Freunde. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass sie sich das erste Mal wirklich sahen. Vielleicht hatten sie sich vorher schon das ein oder andere Mal gesehen, aber wirklich miteinander gesprochen hatten sie sicherlich noch nicht, und ich war mir ziemlich sicher, dass sie auch noch nicht zusammengearbeitet hatten.

 

„So können wir aber nicht joggen gehen“, bemerkte Jed dann, als er sich wieder an mich wandte, und zeigte auf meinen dicken Bauch. Nachdem ich ihn damals am Set kennengelernt hatte, war ich mit ihm immer mal wieder joggen gewesen. Ich, weil ich fit bleiben wollte, und Jed, weil er einfach zu viel Energie für einen einzelnen Menschen hatte Und das war anscheinend immer noch so, denn schon wieder konnte er nicht stillstehen. Daher war er auch derjenige, der sich als erster dazu herabließ, mit Seth draußen einige Bälle auf das Tor zu schießen, oder besser gesagt zu verhindern, dass Seth ein Tor schoss.

 

Während ich mich also weiter mit Stephen und einem mittlerweile angekommenen James Nesbitt, der sich mir nur als Jim vorgestellt hatte, unterhielt, beobachtete ich draußen, wie Seth manchmal mit mehr oder weniger großer Absicht mit voller Wucht Bälle direkt auf Jed schoss, oder es zumindest versuchte. Jeds unruhige Art ersparte ihm eindeutig einige schmerzhafte Begegnungen mit dem Ball und ich merkte immer wieder, wie auch Stephen und Jim zu ihm herübersahen und das ein oder andere Mal ziemlich schadenfroh lachten, als Jed einen Ball an einer unangenehmen Stelle abbekam.

 

Wir unterhielten uns einige Zeit über alles mögliche und ich merkte, wie gut sie doch tatsächlich zusammenpassten. Auch andere waren mittlerweile angekommen. So stand Viggo mit zwei jüngeren Männern zusammen, die ihrem Aussehen nach Fíli und Kíli darstellen würden, Robert und Aidan, wenn ich mich recht erinnerte. Wahrscheinlich hatten sie Viggo direkt erkannt und wollten diesen erfahrenen Künstler nach Tipps fragen.

 

Als ich dann den Raum nach meinem Mann absuchte, stand er draußen auf der Terrasse und unterhielt sich mit einem etwas größeren Mann, den ich aber nicht erkennen konnte, weil er mit dem Rücken zu mir stand. Als ich weiter in Orlandos Richtung ging, spürte ich dann wieder ein Ziehen, eine Senkwehe, ohne Frage, und blieb einen Moment stehen. Ich versuchte so unbekümmert wie möglich auszusehen, immerhin wollte ich nicht, dass irgendjemand in Panik geriet. Ich fühlte mich schon oft genug wie eine tickende Zeitbombe. Als der Schmerz dann vorbei war, ging ich weiter.

 

„Da ist sie ja!“, sagte Orlando dann erfreut, als er mich sah. „Teti, hier ist jemand, der dich unbedingt kennenlernen möchte.“

 

Doch bevor sich der Mann neben ihm vollkommen umgedreht hatte und ich auch nur in irgendeiner Weise darauf reagieren konnte, dass es Richard Armitage und damit der zukünftige Thorin war, stieß ich einen ziemlich unschönen Fluch aus und blickte erschrocken an mir hinunter. Meine Hose sah aus, als würde ich mich gerade einpinkeln, und neben meinen Füßen bildete sich eine immer größer werdende Pfütze.

 

„Orlando…“, sagte ich, doch der starrte nur gebannt auf diese Pfütze und schien zu versuchen sich klar zu machen, was das hieß. Seine beiden Kinder würden jetzt nicht mehr viel länger warten. Dann begannen auch schon die ersten Wehen und ich erinnerte mich wieder daran, warum ich bereits bei Maria darauf bestanden hatte, dass sie unser letztes Kind sein würde. Ich stöhnte leicht auf, als die erste richtige Wehe mich mit voller Wucht packte. Das durfte nicht sein. Die beiden sollten erst nächste Woche kommen, und zwar per Kaiserschnitt. Wir hatten alles auf diesen Termin angepasst.

 

Mein Adrenalinspiegel stieg rasant an. Ich bekam es nun wirklich mit der Angst zu tun. Nicht nur, weil ich an Marias Geburt denken musste und diese wirklich sehr schrecklich für mich gewesen war, oder auch, weil ich direkt zwei davon in meinem Bauch hatte und das alles nicht vorbei sein würde, nachdem ich ein Kind aus meinem Leib gepresst hatte, nein. Ich machte mir auch Sorgen, weil sie damit noch eine Woche früher dran waren als eigentlich geplant. Ich hatte Angst, dass das Risiko für die beiden zu groß sein würde.

 

„Ich denke, sie sollte ins Krankenhaus gebracht werden“, riss dann Richard uns alle aus unserer Trance. Einfach niemand hatte damit gerechnet, dass die Zwillinge sich ausgerechnet heute aussuchen würden, um geborgen zu werden. Als kurze Zeit später dann die nächste Wehe kam, schienen erst alle anderen Anwesenden zu merken, was hier los war, und wollten schon wieder gehen.

 

„Viggo, ihr feiert hier weiter“, pustete ich angestrengt heraus. „Orlando bringt mich ins Krankenhaus“, beschloss ich und ging, ohne noch auf etwas anderes zu achten, auf mehr oder weniger wackeligen Beinen in Richtung Auto. Erst auf halbem weg kam Janine angerannt, unsere immer bereitstehende Notfalltasche unter dem Arm, und half mir sicher einzusteigen.

 

Im Auto merkte ich dann, wie mir leicht übel wurde, und ich betete, dass ich mich nicht übergeben musste, bevor ich im Krankenhaus ankam. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich so auf den Kaiserschnitt versteift gewesen war, dass mir die normalen Anzeichen einer Geburt vollkommen entgangen waren. Die Senkwehen waren wahrscheinlich das Erste gewesen. Natürlich, ich hatte sie ziemlich früh bekommen, aber wenn man es richtig betrachtete, waren es auch zwei Kinder in meinem Bauch, da musste es anders sein als bei einem. Dann hatte mich den ganzen Tag dieser Durchfall geplagt. Mein Darm hatte sich für die Geburt entleert. Und dann hatte mich noch dieser übermäßige Durst geplagt, der Hunger war aber fast vollkommen ausgeblieben.

 

„Alles wird gut, Teti“, sagte auf einmal Orlando und ich war ziemlich überrascht, als er sich nicht auf den Fahrersitz, sondern neben mich setzte. Wer uns fahren würde, bekam ich dann vor lauter Aufregung und Angst gar nicht mehr richtig mit. Während wir zum Krankenhaus fuhren und meine Wehen immer stärker wurden, hoffte ich einfach nur, dass alles gut werden und meine Kinder und ich in wenigen Stunden erschöpft aber gesund in einem Raum schlafen würden.

 

 

 


Fortsetzung folgt …

 

 

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