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Kapitel 10

 

Frohes neues Jahr

Teil 2

 

 

 

 

 

 

Mir war unglaublich heiß, der Schweiß rann mir in Strömen hinunter und an alles, was ich denken konnte, war der Schmerz, der mittlerweile in immer kürzeren Abständen wiederkam. Orlando und ich hatten uns geeinigt, dass er draußen wartete. Ich wollte beim besten Willen nicht, dass er so etwas wie bei Marias Geburt noch einmal mitbekommen musste. Er sollte einfach draußen warten und dann in einiger Zeit glücklich seine Kinder in den Arm nehmen können.

 

Einerseits war es schwer gewesen, ihn nach draußen zu schicken, denn das bedeutete, dass ich die Geburt alleine würde durchstehen müssen. Andererseits wusste ich, dass es besser so war für ihn und für mich. Durch die Angst in seinen Augen - und die konnte er vor mir wirklich nicht verbergen - würde ich mich ständig an das erinnert fühlen, was das letzte Mal in einem Kreissaal passiert war, und Angst was das letzte, was ich nun haben sollte.

 

Meine Panik war etwas gesunken, nachdem die Hebamme mir bei der letzten Untersuchung mitgeteilt hatte, dass alles ganz normal war und sowohl ich als auch meine Kinder wunderbar auf die Geburt vorbereitet waren. Ich hatte ihr während der Untersuchung ängstlich alles berichtet, was damals bei meinem ersten Kind schiefgelaufen war, und sie hatte sich rührend darum gekümmert, dass alles mehrmals geprüft wurde.

 

Ich kam mir hier viel besser aufgehoben vor als in dem Krankenhaus in L.A. Irgendwie war dort alles unpersönlicher gewesen. Ich hatte noch nicht einmal den Namen meiner Hebamme gekannt. Jetzt wusste ich, dass Sonia, so hieß nämlich die Hebamme, sich während der nächsten Zeit gut um mich und meine Kinder kümmern würde.

 

„Teti?“ Eine neue Stimme sprach mich an, aber ich war zu sehr auf die momentane Wehe konzentriert, als dass ich wirklich etwas hätte antworten können. Die Frau, die mich angesprochen hatte, stellte sich direkt als Dr. Kelsey vor und die Hebamme hatte sie anscheinend gerufen, weil man mit mir über eine PDA sprechen wollte. Ich hatte schon einiges über eine PDA gehört und die Stimmen mancher Frauen waren nicht wirklich ermutigend. Viele sprachen von Schmerzen und ich konnte es mir gut vorstellen, immerhin wurde die Narkose in das Rückenmark gespritzt. Der Weg, den die Spritze oder was auch immer bis dahin zurücklegen musste, war sicherlich nicht gerade angenehm.

 

Doch meine Angst vor der Geburt war stärker und da die Ärztin das merkte, entschied sie kurzerhand selbst, mir eine solche Spitze zu setzen. Einige Augenblicke später, ich war gerade wieder mit einer Wehe beschäftigt, drückte mich dann die Hebamme auf einmal nach unten, dass mein Rücken sich rund nach vorne bog. Dann spürte ich einen kurzen Stich. Ich hatte das Gefühl, jemand drückte auf meinem Rücken herum, aber ich spürte wirklich nur den Druck. Und dann durchzuckte ein kurzer Stromschlag meinen Körper. Ich erschreckte mich und krampfte leicht zusammen, aber da die Hebamme mich immer noch so bestimmt herunterdrückte, bewegte ich mich kein Stück.

 

„Okay, das hätten wir. Gleich müssten die Schmerzen besser werden“, sagte die Ärztin und legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter, während ihre Assistentin mir anscheinend irgendetwas wieder vom Rücken ablöste. Glücklicherweise hatte die Ärztin wirklich Recht. Die nächste Wehe war schon nicht mehr so schlimm und die danach war eher ein großer Druck, der sich in mir aufbaute. Trotzdem spürte ich immer noch etwas und ich konnte sogar aufstehen und etwas laufen. Ich ging noch einmal auf Toilette, immerhin wollte ich nicht gerade, dass mir während der Geburt ein Malheur passierte, und ich fühlte mich sogar so gut, dass ich am liebsten zu Orlando hinausgegangen wäre, um mit ihm zu reden, aber die Hebamme hielt mich davon ab.

 

„Ich werde ihn holen“, sagte sie nur und war für einen kurzen Augenblick verschwunden. Doch als sie wiederkam, kam auch Orlando mit und er sah deutlich erleichtert aus.

 

„Richard und Jed warten in der Cafeteria“, teilte er mir mit, als er bei mir war. Und jetzt, mit einem etwas klareren Kopf, fiel mir auch wieder ein, wie ich überhaupt hierhergekommen war. Nicht Orlando war gefahren, nein. Er hatte im Wagen neben mir gesessen und meine Hand gehalten.  Aber wer war dann gefahren? Dann erinnerte ich mich wieder daran, wie ich raus auf die Terrasse gegangen war, wo Orlando mit Richard Armitage gestanden und damit der ganze Schlamassel erst begonnen hatte.

 

Er hatte Orlando davon abgehalten, selbst zu fahren, und war hinter das Lenkrad gestiegen. Doch dann hatte er bemerkt, dass er sich nicht gut genug auskannte und Orlando war zu sehr damit beschäftigt gewesen, mich zu beruhigen. Also hatte er jemanden der Anwesenden gefragt und Jed war einfach auf den Beifahrersitz gesprungen. Dann waren wir losgefahren. Das bedeutete also, dass wahrscheinlich gerade nicht nur Orlando darauf wartete, dass seine Kinder zur Welt kamen, sondern auch noch zwei zukünftige Zwerge.

 

„Sie sollen wieder nach Hause gehen“, sagte ich, während die Hebamme mich mit sanfter Gewalt zum Bett brachte. Laut ihr war nun die Zeit gekommen, da ich mich auf die ersten Presswehen vorbereiten musste, auch wenn ich dieses Mal nichts davon spürte.

 

„Sie wollen hier bleiben. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen wieder zur Party, aber sie wollen nicht“, erklärte Orlando und irgendwie fand ich das ziemlich rührend. Jed kannte ich nun schon eine Weile, auch wenn wir uns meistens nur sporadisch gesehen hatten. Aber Richard Armitage kannte ich kaum, wir hatten nur bei einer englischen Preisverleihung einmal an einem Tisch gesessen und einige Worte gewechselt. Dass er mich hergefahren hatte, war schon unglaublich nett von ihm gewesen. Dass er jetzt auch noch sichergehen wollte, dass alles in Ordnung war, war mehr, als ich erwarten konnte.

 

„Okay, Teti. Ich weiß, Sie spüren nichts, aber wenn ich Ihnen Bescheid sage, müssen sie pressen, okay?“, bat die Hebamme und ich nickte nur.

 

„Du solltest wieder zu den anderen gehen“, sagte ich zu Orlando, doch er schüttelte nur mit dem Kopf. „Bitte“, bat ich ihn nochmal und die Hebamme sah erst mich und dann Orlando an. Ich sah, dass sie kurz davor war, ihn rauszubringen, damit ich mich nicht weiter aufregte.

 

„Ich liebe dich“, sagte er und presste seine Lippen auf meine. Er schien zu verstehen und ich war dankbar, dass er meinen Wunsch respektierte. So würde er nicht nur eventuelle Komplikationen nicht mitbekommen, er konnte auch noch Jed und Richard etwas Gesellschaft leisten, die ja anscheinend auch draußen warteten.

 

Ich merkte, wie mir wieder der Schweiß die Stirn herunter lief. Selbst wenn ich den Schmerz nicht mehr spürte, war jede Wehe dennoch ziemlich anstrengend für meinen Körper. Sonia wischte mir in regelmäßigen Abständen mit einem kalten Tuch meine Stirn und mein restliches Gesicht ab und hielt meine Hand, während ich auf das Signal wartete, dass ich pressen musste.

 

Sie blickte gebannt auf den Wehenschreiber, der neben dem Bett stand, auf dem ich lag, und als die Zahlen dann endlich stiegen, nickte sie mir zu. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich schon bei Marias Geburt gelernt hatte. Ich musste wirklich versuchen, nicht in den Kopf, sondern in die Beine zu pressen, und vor allem musste ich an das Atmen denken. Ich merkte auf jeden Fall, dass ich seit der Geburt von Maria vieles dazu gelernt hatte. So wusste ich, dass mir nichts, was nun passieren würde, peinlich sein musste. Die Hebammen hatten schon einiges miterlebt und es war für alle Beteiligten besser, wenn ich wirklich presste und mich nicht zurückhielt aus Scham. Wenn der Kopf erst einmal draußen war, dann war es nur noch halb so schlimm.

 

„Es ist ein Junge“, sagte die Hebamme als ich merkte, wie der Druck zwischen meinen Beinen einen Moment nachließ und wahrscheinlich mein kleiner Sohn endlich vollkommen geboren war. Ich stöhnte erleichtert auf, und ich konnte nicht anders, als mich etwas nach vorne zu beugen, damit ich meinen kleinen Sonnenschein sah. Leider hatte das zur Folge, dass ich einen kleinen stechenden Schmerz spürte.

 

„Der Damm ist gerissen“, informierte eine jüngere Hebamme, anscheinend noch in der Lehre, Sonia. Sie übergab unseren mittlerweile schreienden Sohn ihrer jüngeren Kollegin und kam direkt wieder zu mir.

 

„Das ist nicht weiter schlimm, Teti, damit wird Baby Nummer zwei viel schneller kommen“, ermutigte Sonia mich und lächelte mich noch einmal an. Es dauerte einige Zeit, bis auch Baby Nummer zwei, ein kleines wundervolles Mädchen, endlich das Licht der Welt erblickte. Ich war so voll mit Glückshormonen, als Sonia mir die zwei auf den Bauch legte, dass ich trotz nachlassender Narkose nicht merkte, wie die Assistenzärztin mit kleinen Stichen den Riss nähte. In diesem Moment konnte ich auch nicht darüber nachdenken, was für Folgen dieser Riss noch hinter sich ziehen würde. Ich konnte nur daran denken, dass ich zwei wundervolle, einzigartige kleine Menschen in den Armen hielt. Sonia schob mich zusammen mit den beiden Kleinen in eines der Stationszimmer und holte Orlando. Sicherlich wollte er uns jetzt keinen Augenblick mehr aus den Augen lassen.

 

„Sie sind wunderschön“, flüsterte Orlando mir zu und küsste erst mich, dann unsere beiden Kinder sanft auf die Stirn. Ich wusste, dass das nicht möglich war, aber ich bildete mir ein, dass unser kleiner Sohn seinen Daddy sogar angelächelt hatte.

 

„Haben Sie sich schon über Namen Gedanken gemacht?“, fragte die Hebamme uns dann und ich sah Orlando nur an. Eigentlich hatten wir uns keine Gedanken gemacht, immerhin hatten wir noch nicht einmal gewusst, dass es ein Mädchen und ein Junge werden würden. Wenn ich darüber nachgedacht hatte, dann hatte ich immer über zwei Mädchen oder zwei Jungs nachgedacht.

 

Eine Weile sagte niemand von uns etwas und die beiden Kleinen schienen nach der Anstrengung der Geburt ein Nickerchen zu machen. Wir sahen sie einfach nur an. „Was hältst du von Ramesi und Tari?“, fragte mich dann Orlando auf einmal und ich sah ihn verwundert an.

 

„Wir haben Seth, das klingt schon sehr ägyptisch. Und Marias Zweitname ist Isis, da sollten die beiden auch ägyptische Namen haben, meinst du nicht?“

 

„Einverstanden. Ramesi Jonathan Bloom und Tari Maymunah Bloom.” Jetzt war Orlando an der Reihe mich verwundert anzusehen. Er wusste, ich mochte meinen Zweitnamen eigentlich nicht und benutzte ihn nie. Ich zuckte nur mit den Schultern und begründete es damit, dass Tari Maymunah Bloom ziemlich bedrohlich wirken konnte, wenn man es sagte, weil man die Kleine vor irgendeinem Unsinn abbringen wollte.

 

„Mr. Bloom, Mrs. Bloom, hier sind zwei Herren, die sich erkundigen wollen, wie es Ihnen geht“, sagte die junge Hebamme etwas unsicher. Ich nickte ihr nur kurz zu, um zu signalisieren, dass wir bereit für unseren ersten Besuch waren. Und dann kamen auch schon ganz langsam und vorsichtig sowohl Jed als auch Richard Armitage in unser Zimmer. Jed war furchtbar vorsichtig und man sah ihm deutlich an, dass er versuchte seine Energie im Zaum zu halten.

 

„Das war wohl keine besonders gute Begrüßung“, sagte ich etwas peinlich berührt, als Jed für seinen zukünftigen Kollegen Platz machte. Vorsichtig setzte Richard sich neben mich auf das Bett und besah die beiden Wunder in meinem Arm. Vorsichtig strich er mit seinem Finger über die Wange des kleinen Engels und seine Hand sah im Gegensatz zu dem kleinen Köpfchen so riesig aus.

 

„Es war wahrscheinlich die eindrucksvollste Begrüßung, die ich je bekommen werde“, sagte er und ein leichtes Lächeln zierte sein Gesicht. Irgendetwas an Richard war seltsam, es war mir schon damals bei der Verleihung aufgefallen, aber jetzt, wo wir hier in kleinem Kreis saßen, - Oder war es vielleicht einfach meine Müdigkeit? – fiel es mir noch mehr auf. Er hatte etwas Bekanntes und Vertrautes an sich, das ich nur schwer erklären konnte.

 

Aber anscheinend war ich nicht die einzige mit diesem Gefühl. „Ich weiß, wir lassen unsere Kinder nicht taufen, aber was hältst du davon, dass Richard Taris und Jed Ramesis  Patenonkel werden?“, schlug Orlando auf einmal vor. Ich sah ihn verwundert an. Im ersten Moment stellte ich mir die Frage, ob das wirklich so eine gute Idee war, denn immerhin kannten wir Richard nicht gut genug. Und auch, wenn wir mit Jed schon etwas öfter Kontakt hatten, so gut wie zum Beispiel Viggo kannten wir ihn auch nicht. Andererseits würden wir die beiden in den nächsten Monaten sicherlich noch besser kennenlernen und da Peter sich eigentlich selten Leute aussuchte, die nicht zu seiner Crew passten, sah ich die beiden Männer, bald Zwerge, fragend an.

 

„Das wäre uns eine Ehre“, sagte Jed mit einem breiten Lächeln.

 

„Wir hatten übrigens keine richtige Zeit uns vorzustellen. Ich bin Richard“, sagte er und streckte mir seine große Hand entgegen. Ich musste leicht lachen, auch wenn es etwas unangenehm zog. Ich nahm seine Hand mit einem Finger, ich hatte ja immer noch die beiden Kleinen auf dem Arm, und stellte mich ihm als Teti vor. Dann versuchte ich mich ein klein bisschen aufzusetzen, gab Orlando dabei den kleinen Ramesi und legte Tari dann in die Arme ihres neuen Patenonkels. Orlando tat das Gleiche mit Ramesi, bat Jed jedoch vorher, auf dem Bett Platz zu nehmen.

 

„Das ist seit Sadwyn das erste Baby, das ich im Arm halte“, bemerkte Jed sichtlich berührt und auch Richard schien wie gebannt von der Tatsache, dass ein kleines Baby auf seinem Arm lag. Kurzerhand zückte ich mein Handy. Davon wollte ich ein Foto machen. Als ich das Display aktivierte, war ich jedoch geschockt. Es war schon 1 Uhr Nachts. Es war 2011 und ich hatte alles verpasst. Das Feuerwerk, die Feier. Andererseits hatte ich dafür endlich meine beiden Babys bei mir und alles war gut verlaufen. Das war mehr, als ich mir hatte wünschen können. Außerdem würden meine Kinder jetzt jeden Geburtstag richtig feiern können, denn Silvester war immer am gleichen Tag. Ich schoss ein kurzes Bild, auch wenn ich ahnte, dass es nicht die gewünschte Qualität hatte. Aber es würde reichen, vorerst. Es war das erste Bild, das ich nun von meinen beiden Engeln hatte.

 

„Wir werden euch jetzt mal in Ruhe lassen. Ich bin mir sicher, du bist ziemlich erschöpft“, bemerkte Richard und gab mir meine Tochter wieder. Ich legte sie dann behutsam in das kleine Beistelltbettchen, das man mir bereits dort hingestellt hatte. Ich wusste noch von Maria, dass man die Babys zum Schlafen in ihr Bettchen legen sollte, direkt von Anfang an. Nur so würden sie auch später lernen, dass man alleine schlafen musste. Doch ihr Glück war es, dass sie nicht alleine waren. Sie waren zu zweit und würden wahrscheinlich auch noch für eine lange Zeit zusammen in einem Bett schlafen.

 

„Ich werde allen bei euch zu Hause Bescheid geben, dass es euch gut geht“, versicherte Jed uns als er ging. Ich fragte mich, ob die Party immer noch im Gange war, oder ob Viggo sie vielleicht doch aufgelöst hatte, nachdem wir verschwunden waren. Als Orlando auch Ramesi in das kleine Bettchen neben seine Schwester gelegt hatte, setzte er sich zu mir aufs Bett. Ich sah deutlich seinen Stolz. Seine Brust schien etwas breiter zu sein und das Funkeln in den Augen hätte wahrscheinlich Hunderte von Lampen erleuchtet.

 

„Danke“, sagte er und küsste mich noch einmal auf die Stirn.

 

 

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