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Kapitel 11

 

Zwei kleine Wunder

 

 

 

 

 

Alles war still in meinem Krankenzimmer und im ersten Moment genoss ich diese Ruhe, doch dann flogen meine Augenlieder auf. Es war still! Es war zu still! Ich blickte mich sofort um. Wo waren meine Babys? Ihr Bett war leer und kalt, sie waren also schon länger weg. Erst, nachdem der erste Schreckmoment vorbei war, bemerkte ich, dass auch Orlando nicht mehr da war. Sicherlich hatte er die beiden.

Jetzt, da die beiden nicht in meiner Nähe waren, fühlte ich mich seltsam. Irgendwie leer. Ich hatte mich in den letzten Monaten an das Gefühl der beiden in meinem Bauch gewöhnt und jetzt waren sie plötzlich weg. Bis auf die ausgedehnte Haut, der noch etwas dickere Bauch, was aber kein Vergleich mehr zu vorher war, und etwas mehr Hüftspeck war kaum noch etwas von meiner Schwangerschaft zu sehen, zumindest nicht von hier. Ich konnte wieder normal atmen und ich merkte, dass auch mein Magen wieder in der richtigen Position lag. Doch auch wenn nun nichts mehr meine Blase einengte merkte ich, dass ich auf Toilette musste, und in gewisser Weise fürchtete ich mich davor.

Ich hatte mitbekommen, wie während der Geburt von Tari mein Damm zumindest teilweise gerissen war und wie sie ihn wieder hatten nähen müssen. Wahrscheinlich würde jeder Schritt wehtun und auch alles andere würde furchtbar brennen. Aber ich würde nicht darum herum kommen. Egal, was ich tun würde, irgendwann musste ich auf Toilette, und sicherlich konnte ich damit nicht warten, bis alles wieder verheilt war.

Also biss ich in den sauren Apfel und versuchte langsam aus meinem Bett aufzustehen. Dabei versuchte ich die etwas blutige Unterlage zu übersehen, die man mir nach der Geburt untergelegt hatte. Ich hasste Blut, zumindest wenn es echt und mein eigenes war. Schon der Weg zur Toilette war schmerzhaft und mein Gang erinnerte wahrscheinlich eher an einen Cowboy, der sich in die Hose gemacht hatte, als an eine Frau, aber anders funktionierte es nicht. Innerlich verfluchte ich mich, dass ich nicht doch noch eine Damm-Massage gemacht hatte. Ich war so davon überzeugt gewesen, dass meine beiden Kinder schon auf den Kaiserschnitt-Termin warten würden, dass ich überhaupt nicht daran gedacht hatte.

Als ich einige Minuten später wieder von der Toilette kam,  saß Orlando auch wieder in meinem Zimmer und die beiden Kleinen lagen in ihrem Bettchen. Doch sie quengelten etwas, auch wenn das noch mehr ein Quietschen als ein Schreien war. Besonders Tari schien die richtig hohen Töne zu beherrschen.

„Sie haben auch bei mir schon gesucht“, kommentierte Orlando belustigt, als ich mich vorsichtig auf mein Bett setzte und Tari auf den Arm nahm. Sie war die Kleinere der beiden und sicherlich brauchte sie etwas mehr Milch als ihr Bruder. Doch leider merkte ich direkt, dass sich rein gar nichts bewegte. Tari sog ein paar Mal, doch kein bisschen Milch kam.  Also riefen wir die Hebamme. Sie kam direkt und untersuchte meine Brust und versuchte es dann mit einem Abpumpgerät. Doch auch das hatte keinen Erfolg.

„Der Milcheinschuss scheint bei dir noch nicht begonnen zu haben.“ Ich sah sie verwundert an. Bei Maria hatte ich diese Probleme nicht gehabt. Als sie das erste Mal geschrien hatte, hatte man sie mir an die Brust gelegt und auch, wenn nicht so viel herausgekommen war, es war zumindest genug gewesen, um den ersten Hunger zu stillen. Danach hatte ich beinahe zu viel Milch gehabt und wir hatten einen Teil davon unbenutzt abpumpen müssen. „Keine Sorge, das kommt schon mal vor. Die beiden sind ja auch etwas früh dran. Wir geben den beiden jetzt erst einmal ein Fläschchen mit Milchpulver und in ein oder zwei Tagen wirst du die beiden stillen können.“ Beruhigend legte sie mir eine Hand auf die Schulter.

„Ich habe auch noch eure Geburtsblätter.“ Sie war leicht über das kleine Bettchen gebeugt und strich Ramesi zärtlich über das kleine Köpfchen. Dann kramte sie in ihrer riesigen Kitteltasche herum und zog zwei Blatt Papier heraus. „Die beiden haben sich ganz schön angestrengt, etwas Besonderes zu sein“, kommentierte sie, als sie uns die beiden Schriftstücke übergab.

Ich heiße Ramesi Jonathan Bloom
Ich bin geboren am 31.12.2010 um 23:45 Uhr
Mein Geburtsort ist Wellington
Ich bin 42 cm groß
Mein Kopfumfang beträgt 30.5 cm
Mein Geburtsgewicht beträgt 2534 g
Meine Hebamme heißt Sonia


Ich heißte Tari Maymunah Bloom
Ich bin geboren am 01.01.2011 um 0:30 Uhr
Mein Geburtsort ist Wellington
Ich bin 39 cm groß
Mein Kopfumfang beträgt 29 cm
Mein Geburtsgewicht beträgt 2334 g
Meine Hebamme heißt Sonia


„Jetzt müssen wir zwei Geburtstage hintereinander feiern“, lachte Orlando leicht und auch ich starrte nur auf die beiden Daten. Es war schon seltsam. Zwillinge, die verschiedene Geburtsdaten hatten, waren schon komisch, aber dass sie nun auch in unterschiedlichen Jahren geboren waren, das passierte wahrscheinlich kaum.

Nachdem ich dann mein Frühstück bekommen hatte und auch die beiden Kleinen wieder schliefen, klopfte es an meine Zimmertüre. Es war Viggo und er hatte meine anderen beiden Kinder mitgebracht. Ich war so froh die beiden zu sehen. Viggo setzte Maria zu mir aufs Bett, von wo aus sie einen guten Blick auf ihre beiden neuen Geschwister hatte. Auch Seth setzte sich vorsichtig zu mir, doch ich sah, dass er weinte. Sofort legte ich meinen Arm um seine Schulter und zog ihn etwas weiter zu mir nach oben. „Was ist los, Liebling?“, fragte ich ihn und wischte ihm mit einem Finger die Tränen von den Wangen. Er sah mich nur mit verweinten Augen und rotem Gesicht an.

„Es ist wegen seiner Schwester“, sagte Viggo dann etwas leiser und ich verstand direkt. Seth war damals auch nicht alleine im Bauch seiner Mutter gewesen, er hatte eine Schwester gehabt. Die Geburt der beiden war jedoch um einiges schwieriger gewesen als die meiner beiden Zwillinge. Die Nabelschnur des kleinen Seth hatte sich während der Geburt um den Hals seiner Schwester gelegt und sie erstickt, bevor man etwas dagegen hatte unternehmen können.

„Liebling, niemand konnte etwas dagegen tun“, versuchte ich ihm aufzumuntern, doch wahrscheinlich würde das kaum etwas nützen. Seth wusste noch nicht einmal, was wirklich passiert war. Er wusste nur, dass sie eigentlich auch Zwillinge hätten sein sollen, dass dann aber etwas bei der Geburt schief gelaufen war. Dennoch fragte er sich wahrscheinlich oft, wie sein Leben gewesen wäre, hätte er noch eine Schwester gehabt.

Ich hatte mir diese Frage auch oft gestellt, doch aus einem anderen Grund als mein Sohn. Die Beziehung zwischen Orlando und Astrate war damals an dem Tod des kleinen Mädchens zerbrochen. Astrate hatte mit Seth nicht umgehen können, hatte ihm den vermeintlichen Mord an seiner Schwester nie verzeihen können. So war ich noch mehr in sein Leben und in das seines Vaters eingetreten. Ich hatte für den kleinen Jungen gesorgt, als sei er mein eigener Sohn gewesen, und das war er dann auch schnell geworden, zumindest in meinem Herzen. Wäre die kleine Isis damals am Leben geblieben, Astrate hätte es sicherlich geschafft, mich komplett aus Orlandos Leben auszuschließen, und damit wären unsere drei wundervollen Kinder nie geboren worden.

Als Seth immer noch nicht glücklicher wirkte, entschloss ich mich kurzer Hand ihm seinen kleinen Bruder in den Arm zulegen. „Du musst gut auf ihn aufpassen, Seth. Er wird einen großen Bruder brauchen“, flüsterte Orlando ihm stolz ins Ohr und Seth nickte etwas unsicher. Er hatte auch Maria schon oft im Arm gehalten, aber anscheinend war ein kleiner Bruder etwas ganz anderes für ihn. Dann holte ich auch Tari aus ihrem Bettchen, die sich anscheinend ohne ihren Bruder alleine fühlte und anfing zu schreien. Ich legte sie auf meinen Arm und zog Maria in meinen anderen. Auch sie würde einmal die große Schwester sein, auch wenn sie nicht so viel älter als ihre Schwester war wie Seth.

„Ihr müsst alle aufeinander aufpassen“, wiederholte ich Orlandos Worte. Wir hatten nun 4 Kinder. Der älteste war Seth mit 10, dann kam Maria mit 1 ½, gefolgt von unseren neusten Familienmitgliedern. Irgendwann, wenn sie älter waren und wir es aus egal welchen Gründen nicht mehr konnten, mussten die Vier sichergehen, dass es jedem von ihnen gut ging. Sie würden sich streiten und sie würden sich verwünschen, aber am Ende mussten sie immer wieder zueinander finden, einfach weil sie unsere Kinder waren.

„Die anderen haben gefragt, wann sie euch besuchen können“, unterbrach Viggo dann unsere kleine Familienzusammenführung. Er hatte die ganze Zeit einfach nur auf dem Stuhl in meinem Zimmer gesessen und uns angesehen.

„Sie können kommen, aber bitte einer nach dem andern“, sagte ich lachend und küsste Maria kurz auf die Stirn. Ich war wirklich glücklich, und wenn einige unser Glück mit uns teilen wollten, dann sollten sie ruhig kommen. Viggo nickte mir zu und nachdem er die Nachricht geschickt hatte, dass wir Besuch empfangen wollten, kam auch er an mein Bett heran und begrüßte die kleinen Neuankömmlinge. Es war immer wieder erstaunlich, Viggo im Umgang mit Kindern zu sehen. Wenn man ihn noch aus der Zeit der Dreharbeiten kannte, dann wusste man, dass Viggo schon einmal gerne etwas gröber war. Selbst mit Seth wurde er mittlerweile etwas heftiger. Aber hier, mit diesen kleinen zerbrechlichen Wesen, war er vollkommen anders. Schon bei Maria hatte ich manchmal das Gefühl gehabt, er sei vorsichtiger mit ihr umgegangen als ich selbst.

„Das habt ihr ziemlich gut hinbekommen“, kommentierte er unsere beiden Kinder, als er Tari wieder in das Bettchen legte und uns beide noch einmal umarmte. „Vor 10 Jahren… da hätte ich euch am liebsten genommen und windelweich geprügelt, weil ihr einfach so blind gewesen seid.“

„Verprügelt wird erst, wenn die Dreharbeiten fertig sind“, unterbrach dann eine bekannte, fröhliche Stimme den kleinen nostalgischen Moment. Ich war erstaunt, dafür, dass Viggo gerade erst geschrieben hatte, kamen die ersten schon ziemlich schnell. Peter zuckte allerdings nur grinsend mit den Schultern und meinte, er habe die Nachricht bekommen, als er sowieso schon in der Eingangshalle gewesen war. Auch Fran und Katie waren mitgekommen und die beiden hörten gar nicht mehr mit ihren Ahs und Ohs auf.

„Na dann haben wir ja bald zwei Statisten mehr in unserer kleinen Hobbitfamilie“, kommentierte Peter nur lachend und ich sah ihn entsetzt an. Meinte er das ernst? Wollte er meine beiden Kleinen schon in den Film miteinbeziehen? Ich wusste nicht, ob das so eine gute Idee war.

„Elbenfamilie, wenn ich bitten darf“, lenkte Orlando ein. Anscheinend war das das einzige, was ihn an Peters Aussage gestört hatte. Dann diskutierten die beiden Männer erst einmal, welche Familie es nun war. Ich bekam nur ab und zu etwas davon mit, aber meine Größe war definitiv auch ein Thema dabei. Ich beschäftigte mich unterdessen zusammen mit Fran und Katie lieber mit meinen Kindern, mit allen vieren. Viggo hatte angeboten, mit Maria und Seth in die Kantine zu gehen, aber das hatte ich nicht gewollt. Ich wollte die beiden einfach nicht ausgrenzen. Sie gehörten genauso zur Familie wie ihre Geschwister und ich wollte nicht, dass einer von ihnen sich weniger geliebt fühlte.

„So klein warst du, als ich dich das erste Mal gesehen habe“, erinnerte sich Katie dann, als sie Ramesi auf dem Arm hielt. Seth sah etwas peinlich berührt aus, als alle leise lachten. Dann kam die Frage, die ich sicherlich in nächster Zeit noch öfters würde beantworten müssen: „War die Geburt in Ordnung? Ist irgendwas schief gelaufen?“

„Nein. Alles soweit in Ordnung. Mein Damm ist gerissen, das ist etwas unangenehm, aber dank der PDA habe ich sonst kaum etwas gespürt.“ Fran nickte nur verstehend, während Katie schon beinahe etwas erleichtert aussah. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, als ich das erste Mal von einer Geburt gehört hatte. Ich hatte so viel Angst davor bekommen, dass ich tatsächlich überlegt hatte, niemals Kinder zu bekommen. Mittlerweile lachte ich darüber, denn selbst wenn ich Schmerzen gehabt hatte, um nichts in der Welt wollte ich den Moment missen, in dem ich meine Kinder das erste Mal in den Armen gehalten hatte.

 

 

 

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