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Kapitel 6

 

Christmas Dinner

 

 

 

Etwas erschöpft musste ich aufstöhnen, als ich mich an Orlandos Arm aus unserem neuen Sofa zog. Von dem Besuch des Innenarchitekten bis zur Ankunft unserer neuen Möbel hatte es gerade einmal eine Woche gedauert und wir alle waren ziemlich erstaunt gewesen, dass eine so schnelle Lieferung überhaupt möglich war.

 

„Manchmal ist es gut, einen bekannten Namen zu haben“, hatte der Innenarchitekt kommentiert, während die Möbelmonteure im Schweiße ihres Angesichts all unsere Möbel in nur zwei Tagen aufgebaut hatten. Alles, was wir hatten selbst tun müssen, waren unsere Sachen aus den Kartons zu räumen. Für den ansprechenden Dekorationsmix aus Modern und Alt hatte der Innenarchitekt gesorgt und ich war mir sicher, dass einige seiner jungen Mitarbeiterinnen durch viele Läden gegangen waren, um das zu finden, was nun in unseren Vitrinen und Regalen stand.

 

Aber, und das war für mich die Hauptsache, es machte unser neues Heim wohnlicher und gemütlicher und da ich die Dekoration sehr genau mit dem Innenarchitekten abgesprochen hatte, gab es dem Haus unsere ganz persönliche Note. Nachdem ich die letzten Kartons endlich von ihren Inhalten befreit hatte, hatte ich mich doch etwas erschöpft auf unser neues Sofa geschmissen und meine Füße hochgelegt. Gespannt hatte ich meinen Mann vom Sofa aus beobachtet, wie er den künstlichen Weihnachtsbaum, den er noch auf die Schnelle hatte besorgen können, aufbaute und schmückte.

 

„Wie wäre es mir etwas Kunstschnee?“, hatte er mich nach einiger Zeit gefragt und hielt eine Spraydose in der Hand. Ich hatte nur den Kopf geschüttelt. Mit einem kleinen Kind, das überall dranging, war solches chemische Zeug sicherlich nicht das Beste und ich kannte meine überaus neugierige Tochter. Leider musste ich zugeben, dass sie mir selbst als Kind sehr ähnlich war. Umso glücklicher war ich, dass wir sie vor einer Stunde endlich, nach einem regelrechten Schreiwettbewerb, zu einem Mittagsschlaf hatten überreden können.   

 

„Wir haben gleich halb acht. Wir sollten uns fertig machen“, unterbrach Orlando meine Gedanken und ich sah ihn nickend an. Er hatte Recht. Wenn wir um kurz vor neun bei Peter sein wollten, und das mit Kind und Kegel, dann würden wir uns langsam fertig machen müssen. Kinder, das war wahrscheinlich jedem bewusst, der welche hatte, raubten einem die Zeit, vor allem wenn es darum ging sich anzuziehen und wegzugehen. Maria war im Moment nicht so glücklich auf dem Rücken zu liegen und angezogen zu werden und Seth trödelte einfach nur gerne.

 

„Seth, wie sieht es aus, bist du soweit?“, rief ich die Treppe hinauf.  Seitdem auch seine Sachen aus L.A. angekommen waren und er sie mit seinem Vater und Janine zusammen nach oben in sein neues Zimmer getragen hatte, hatte ich von ihm nichts mehr gehört. Ich hoffte wirklich, dass er in der Zeit, die er gehabt hatte, wirklich die Kartons ausgeräumt hatte, und dass er nicht einfach nur seinen Computer gezielt herausgesucht und aufgebaut hatte und nun wieder davor saß.

 

Als er mir nicht antwortete ahnte ich schon, dass ich wohl oder übel in den sauren Apfel würde beißen müssen und die Treppe nach oben in Angriff nehmen musste.  Ich war froh, dass der Treppenaufgang einen Handlauf hatte. Es war zwar nicht viel, aber ich merkte die 15 Kilo schon deutlich, die meine beiden Kinder mich schwerer machten, und auch ihre mittlerweile ziemlich ungünstige Lage machte die Sache mit den Treppen nicht leichter.

 

Oben angekommen musste ich erst einmal einen Moment stehen bleiben und ein seltsames Ziehen machte sich in meinem Bauch bemerkbar. Für einen Moment etwas beunruhigt stand ich auf dem Treppenabsatz und hielt meinen Bauch, schon erwartend, dass ich gleich eine warme Flüssigkeit meine Beine hinablaufen spüren würde.

 

„Nicht jetzt, ihr beiden! Das kann ich wirklich gerade nicht gebrauchen“, flüsterte ich an meinen Bauch gewandt und schnaufte einmal tief durch. Zu meiner Erleichterung kam kein weiterer Schmerz und auch die Kleinen schienen mehr oder weniger ruhig zu bleiben. Wahrscheinlich hatte ich mich nur falsch bewegt. Als ich dann in Seth‘ Zimmer eintrat, war ich durchaus überrascht. Er hatte tatsächlich alle Kartons ausgepackt und dazu sah es hier auch noch richtig ordentlich aus.

 

„Wie lange hat Janine hierfür gebraucht?“, fragte ich mit misstrauischer Stimme. Ich kannte meinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass er niemals alleine so ordentlich war. Janine, die ihr Zimmer als erste fertig gehabt hatte, da sie nicht viel aus Deutschland mitgebracht hatte, nahm ihre Aufgabe als eine Art Kindermädchen sehr ernst. Sie hatte sogar darauf bestanden, dass ich, solange ich schwanger war, nicht kochen musste. Das würde sie machen, und wenn ich irgendwie Hilfe bei anderen Sachen brauchte und Orlando gerade nicht in der Nähe war, griff Janine mir auch dabei unter die Arme. Alles in allem konnte ich sagen, dass ich froh war sie hier zu haben.

 

 „Ich habe ihm nur etwas geholfen“, hörte ich auf einmal die Stimme der jungen Frau aus einer unersichtlichen Ecke des Zimmers, direkt hinter dem großen Kleiderschrank. Sie hängte gerade noch die letzten Klamotten von Seth auf die Stange. „Das Meiste hatte er schon fertig, als ich gekommen bin, um ihn an euer Abendessen zu erinnern“, sagte Janine grinsend und Seth stand mit vor der Brust verschränkten Armen auf. Ich wusste, dass er eine Entschuldigung von ihm erwartete. Ich sah ihn jedoch nur an und begründete mein Misstrauen mit der jahrelangen Erfahrung, die ich mit seinem Aufräumverhalten hatte. Was das anging, war er ohne jede Frage der Sohn seines Vaters.

 

„Und du bist sicher, dass du nicht mitkommen möchtest, Janine?“, hakte ich noch mal bei ihr nach.

 

„Nein, ich denke nicht“, lachte sie. „Ich habe gerade langsam verkraftet, dass Orlando Bloom mein Gastvater ist. Jetzt auch noch Peter Jackson und Richard Taylor zu begegnen… Ich glaube, das würde ich nicht überstehen.“

 

Auch ich musste lachen. Ich konnte mich ja teilweise in sie hinein versetzen. Ich erinnerte mich noch daran, wie ich das erste Mal auf Personen wie Sir Ian McKellan oder Sir Christopher Lee getroffen war. Selbst bei Elijah hatte ich damals erst einmal schlucken müssen.  Für Janine musste es noch etwas extremer sein, immerhin hatte sich um Peter und Richard unter den Herr-der-Ringe-Kennern ein regelrechter Hype gebildet. Sie verehrten die beiden wie man vor Jahrhunderten einen Helden verehrt hatte.

 

„Du hast noch 10 Minuten Zeit, es dir anders zu überlegen. Besser du bringst es jetzt hinter dich und triffst sie alle in kleinen Etappen als irgendwann alle auf einmal, denn das wird in den nächsten 2 Jahren sicherlich passieren.“ Ich zwinkerte ihr kurz zu und ging dann in Marias Zimmer, um sie zu wecken und dann umzuziehen. Immerhin wollte ich Janine die Chance geben, sich vielleicht doch noch umzuentscheiden.

 

Außerdem ahnte ich, dass mein Sohn es sich sicher nicht nehmen lassen würde, seine Überredungskünste an ihr auszuprobieren, und ich wusste selbst, wie schwer es manchmal war, ihm einen Wunsch abzuschlagen. Wenn er einen mit seinen dunklen, großen Augen so ansah, dann wollte man ihn einfach nur in den Arm nehmen und knuddeln. Aber mittlerweile war er dafür schon zu alt und wehrte einen die meiste Zeit spielerisch pikiert ab.

 

„Alle bereit?“, fragte Orlando dann eine halbe Stunde später, als wir dann tatsächlich endlich fertig waren. Mit einem kleinen Kind und einer schwangeren Frau war es deutlich schwerer, pünktlich irgendwo zu sein als sonst. Als wir alle im Auto saßen, grinste ich über den Rückspiegel auf die Rückbank des Autos.

 

„Euer Sohn kann sehr überzeugend sein“, kommentierte Janine mit einem leicht resignierenden Seitenblick auf Seth, der neben ihr saß und zufrieden lächelte. „Außerdem werde ich sie ja früher oder später doch kennenlernen. Da bringe ich die Peinlichkeiten lieber direkt hinter mich und habe so mehr Zeit sie wieder gutzumachen“, erklärte Janine und brachte damit alle zum Lachen, wobei Maria nur lachte, weil wir anderen es taten.

 

Ich war froh, dass Janine mitkam. Nicht, weil ich so jemanden hatte, der immer ein Auge auf Maria und Seth warf, sondern einfach weil ich wollte, dass sie sich hier in Neuseeland wohlfühlte. Sie war weit von zu Hause entfernt und der Zeitunterschied machte es ihr beinahe unmöglich, mit ihrer Familie zu kommunizieren. Außerdem, wenn ich eines von Neuseeland gelernt hatte, dann, dass hier alle eine große fröhliche Familie waren. Das sollte auch Janine lernen.

 

„Nicht genug, dass ich am 24. Dezember nicht vor dem Weihnachtsbaum mit einer großen Tasse Kakao sitze und mich freue, dass es drinnen so viel wärmer ist als draußen, nein. Ich sitze in einem Auto, in dem die Klimaanlage voll aufgedreht ist, und fahre zu Peter Jackson, um zusammen mit ihm, Richard Taylor und Orlando Bloom an einem Weihnachtsdinner teilzunehmen“, fasste Janine ihre momentanen Gedanken zusammen.

 

„Glaub mir, vor einigen Monaten hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mich am 24. Dezember mit einem so riesigen Vorbau in einen Van quetsche und bei 30 Grad im Schatten auf dem Weg zu Peter bin.“ Ich klopfte einmal leicht auf meinen Bauch und wie als Antwort trat eines der beiden Babies zurück. Na super, ich hatte sie also nun doch aufgeweckt. Dann war die angenehmere Zeit des Tages jetzt erst einmal zu Ende.

 

„Werden denn noch andere da sein?“, fragte Janine dann und in ihrer Stimme schwang eindeutig die Nervosität mit. Orlando und ich zuckten jedoch nur mit den Schultern. Wir selbst wussten nur von Peter, Fran, Tania und Richard, aber ich vermutete, dass es dabei nicht bleiben würde. Dafür kannte ich Peter zu gut. Und diese Vorahnung wurde bestätigt, als ich in der Einfahrt einige Autos stehen sah.

 

„Vielleicht einige der neuen Darsteller“, vermutete ich und Janine wurde augenblicklich etwas steifer in ihrem Sitz. Die meisten von ihnen waren für den Rest der Welt noch eher unbekannte Schauspieler, aber uns allen war klar, dass das nur noch kurze Zeit halten würde. Spätestens wenn der erste Film in den Kinos lief, würde sich keiner von ihnen mehr vor den Reportern verstecken können.

 

Ich war froh, als ich endlich wieder auf dem Auto aussteigen konnte, doch am liebsten hätte ich den dicken Bauch drin gelassen. Peter hatte anscheinend schon hinter der Tür gelauert, denn ich hörte nur ein vergnügtes Kichern, als sich auf einmal die Eingangstür zu seinem Haus öffnete. „Hätte ich das gewusst, hätte ich den Eingang verbreitern lassen“, stichelte er, als er meinen Bauch begutachtete und mich vorsichtig umarmte. Was hätte ich auch anderes von ihm erwarten sollen?

 

„Meine Güte, ist das Seth? Junge, du bist wirklich groß geworden!“ Peter jubelte beinahe und brachte mich damit direkt wieder zum Lachen, auch wenn ich eigentlich eher beleidigt hatte spielen wollen, weil er mich auf meinen Bauch angesprochen hatte. Ich hatte vergessen, dass Peter Seth das letzte Mal bei unserer Hochzeit gesehen hatte, und die war mittlerweile auch schon einige Jahre her. Wenn wir uns einmal bei einer Premiere wiedergesehen hatten, dann war Seth meistens zu Hause gewesen. „Und diese kleine Dame muss dann also Maria sein“, begrüßte er auch unsere Tochter, die sich etwas unsicher an der Schulter ihres Daddys festhielt. Sie kannte Peter gar nicht und wahrscheinlich war ihr der zerzauste, kleine Mann etwas unheimlich.

 

„Du kannst aber kein Kind von den beiden sein, das wüsste ich.“ Peter stand mittlerweile vor Janine und hatte sie umarmt. Die Ärmste war etwas sprachlos, weil Peter so offen auf sie zuging und sie umarmt hatte, obwohl er sie gar nicht kannte. Ja, es gab noch so einiges, an das sie sich würde gewöhnen müssen, wenn sie die nächsten zwei Jahre als unser Au-pair überstehen wollte.

 

„Das ist Janine, unser Au-pair“, half ich der jungen Frau aus und sie hielt Peter nur eine zitternde Hand zum Gruß entgegen. „Ich denke, du hast sie etwas verschreckt“, erklärte ich lachend, als Janine zaghaft versuchte zu lächeln.

 

„Ach, Quatsch!“, behauptete Peter und ich konnte schwören, ein „Das kommt erst noch“ gehört zu haben, als er seinen Arm um die junge Frau legte und sie sanft durch die Diele in das Wohnzimmer seinen Hauses schob. Die Einrichtung hatte sich etwas verändert, seitdem ich das letzte mal hier gewesen war, aber größtenteils war alles noch so, wie ich es in Erinnerung hatte. Ich erinnerte mich auch an einige Abende, die wir hier verbracht hatten, oder besser gesagt im großzügigen Garten des Hauses. Damals hatte Richard noch nicht hinter denselben Mauern gewohnt wie Peter. eigentlich hatte es damals noch keine Mauern um dieses Haus gegeben und das Haus von Richard hatte noch gar nicht gestanden.

 

Als wir dann durch das Wohnzimmer in den gemeinsamen Garten der beiden Häuser gingen und ich einen Moment nicht aufpasste, weil ich alles genau betrachten wollte, lief ich regelrecht gegen Janine, die auf einmal zu einer Salzsäule erstarrt zu sein schien. Ich wollte gerade fragen, was denn los sei, da haute mich eine bekannte Stimme förmlich aus meinen Schuhen heraus.

 

„Hey Te! Wow, schiebst du eine Kugel vor dir her“, sprach’s und ich wurde direkt wild und dennoch vorsichtig umarmt. Ich fühlte mich so überrumpelt, dass ich eine winzige Sekunde brauchte, um sicher sagen zu können, wer mich gerade umarmte. Überrumpelt sah ich mich einen Moment in dem Pavillon um, den Peter und Richard anscheinend für ihre Gäste im Garten aufgebaut hatten, und ich konnte meinen Augen kaum trauen. Es waren eindeutig mehr Gäste hier, als ich hier erwartet hatte.

 

„Hey Billy! Was zum Teufel macht ihr hier?“, fragte ich ziemlich überrascht, als der Schotte mich wieder losließ.

 

„Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr dran?“, hörte ich die Stimme eines sehr guten Freundes hinter mir. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn etwas missmutig an.

 

„Du wusstest das hier?“, fragte ich den für sein Alter immer noch gutaussehenden Dänen. Doch er zuckte nur hämisch grinsend mit den Schultern. Viggo hatte das alles gewusst, hatte sich einen Flieger hierher gebucht und uns absolut gar nichts davon gesagt. Er hatte uns am Flughafen in L.A. verabschiedet, als würden wir uns jetzt eine lange Zeit nicht mehr sehen.

 

Orlando dankte es ihm direkt mit einem etwas härteren Kopfstoß.

 

Maria wollte natürlich direkt auf den Arm ihres Lieblingspatenonkels und auch Seth war begeistert, vor allem, weil plötzlich auch Sean Astins Töchter an uns vorbeiliefen. Ein erneuter Blick in die Runde bestätigte mir, was ich von Anfang an vermutet hatte: die ganze Crew war da.

 

„Du siehst ziemlich… rund aus“, hörte ich dann eine weitere Stimme hinter mir und mir stiegen beinahe die Tränen in die Augen. Innerhalb weniger Augenblicke schossen mir so viele Bilder durch den Kopf, so viele Erinnerungen. Diesem Mann hatte ich es überhaupt zu verdanken, dass ich heute an diesem Punkt stand, denn ohne ihn hätte ich wahrscheinlich niemanden hier jemals kennengelernt. Diesmal war ich diejenige, die jemanden etwas stürmisch umarmte, und ich machte mir dabei keine Gedanken über meinen Bauch.

 

„Es ist schön dich wiederzusehen!“, freute ich mich und es war nicht gelogen. Wie lange hatte ich ihn jetzt nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen? Das musste mindestens 5 Jahre her sein.  Es war ein halbes Jahr nach dem Anlaufen von LOST gewesen und ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich ihn in den höchsten Tönen gelobt hatte für diese Rolle. Wie sehr ich mich gefreut hatte, dass er nach dem Herrn der Ringe endlich wieder einen Job bekommen hatte. Aber vor allem hatte ich mich gefreut, weil er endlich wieder glücklich gewesen war.

 

„Ich freue mich auch euch wiederzusehen. Du bist schon ziemlich weit, oder?“, fragte er und zeigte ebenfalls auf meinen Bauch. Ich streichelte peinlich berührt darüber.

 

„Die beiden haben noch 2 Wochen, dann werden sie geholt.“ Ich hatte absichtlich „die beiden“ gesagt, denn ich wollte Dominics Gesicht sehen, wenn er realisierte, dass ich Zwillinge bekommen würde. Und ich bekam meinen Spaß. Sein Mund klappte leicht auf, seine Augen drohten beinahe aus ihren Höhlen zu fallen und er starrte geradezu paralysiert auf meinen Bauch.

 

„Habt ihr schon Namen?“, fragte er dann, als er seine Sprache wiedergefunden hatte, doch man hörte deutlich, dass er einen Kloß im Hals hatte.

 

„Mom und Dad wollen nicht wissen, ob es Mädchen oder Jungen werden“, beschwerte sich Seth, der auf einmal neben uns stand. Und wieder war Dom etwas sprachlos. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Lil' Bloom, wie er Seth eben noch genannt hatte, schon 10 Jahre alt und nur einen Kopf kleiner war als ich.

 

„Man, bist du groß geworden“, sagte er erstaunt und wuselte meinem Sohn durch sein sowieso unbändiges Haar. Dann sah er mich wieder an und ich merkte, dass er in der Vergangenheit schwelgte. Wahrscheinlich dachte er über unsere gemeinsame Zeit nach und über die Monate danach, in denen es für ihn so schwer gewesen war loszulassen. Ich sah ihm die Frage an, die ihm auf den Lippen lag, die er aber nicht aussprechen wollte, daher nickte ich nur lächelnd und nahm seine Hände.

 

Ich war glücklich und wir beide wussten, dass wir es zusammen nie geworden wären, wenn ich damals nicht bemerkt hätte, dass meine Gefühle für ihn rein freundschaftlicher Natur waren. Ich wusste, dass er im Moment wieder alleine war, immerhin war es mittlerweile schon einige Zeit her, dass er sich von seiner Serien-Kollegin Evangeline getrennt hatte. Aber nichtsdestotrotz sah er glücklich aus.

 

„Wo ist denn deine Tochter? Ich habe sie ja nur auf der Karte gesehen, die ihr geschickt habt“, lenkte er dann von dem unausgesprochenen Thema ab. Ich zeigte nur in Viggos Richtung und erklärte Dom, dass Maria nicht von Viggo wegzubekommen war, wenn er in der Gegend war. Doch als ich zu Viggo sah, hatte er Maria nicht auf dem Arm. Mein Mutterinstinkt schaltete sich sofort ein und ich merkte, wie mein Puls kurz in die Höhe schoss, bis ich meine Tochter auf dem Arm von Elijah wiedersah. Der war wie gebannt von der Kleinen und sah sie einfach nur an. Und meine Tochter? Obwohl ein mehr oder weniger fremder Mann - Maria hatte Elijah nur 2 oder drei Mal bisher gesehen - sie im Arm hielt, war sie so ruhig wie sonst selten. Normalerweise hätte sie laut angefangen zu weinen und nicht mehr aufgehört, bis entweder Orlando, Viggo oder ich sie wieder in den Arm nahmen.

 

„Sie scheint dich zu mögen, Lij“, sagte ich ihm leise, als er Maria gerade erzählte, dass sein Neffe Oliver genauso klein war wie sie. Elijah blickte wie aus einer Trance auf und sah mich sanft lächelnd an. Als er Anstalten machte, mir die Kleine zu übergeben, schüttelte ich nur mit dem Kopf. Er konnte sich ruhig noch etwas mit ihr beschäftigen, immerhin verstanden die beiden sich wirklich gut.

 

„Wie geht es dir?“, fragte ich ihn vorsichtig. Dominic hatte mir gerade noch erzählt, dass Elijah zwar weitermachte wie immer und schon die ein oder andere Frau gehabt hatte, aber keine war wirklich lange geblieben, weil er nicht aufhören konnte an Maria zu denken.

 

„Wir hätten vielleicht auch schon zwei Kinder“, gab er zu und ich sah den Schmerz in seinen großen blauen Augen als er mich so ansah. Er hatte Recht, wahrscheinlich hätten die beiden schon Kinder gehabt und ich wäre sicherlich die Patentante von jedem einzelnen geworden. Wahrscheinlich hätten Elijah und Maria in L.A. in unserer Nähe gewohnt und unsere Kinder wären zusammen aufgewachsen.

 

„Da bin ich mir ganz sicher“, antwortete ich ihm und legte ihm eine tröstende Hand auf die Schulter. Irgendwie ahnte ich, dass diese Frage auch verhindert hatte, dass wir Elijah in den letzten Jahren öfter gesehen hatten, immerhin wohnte er ebenfalls in L.A. „Du hast mir immer noch nicht verziehen, oder?“, fragte ich ihn als die Erkenntnis mich plötzlich überkam.

 

„Doch“, sagte er nur knapp und wandte seinen Blick wieder meiner Tochter zu. „Aber wenn ich eure glückliche Familie sehe, dann werde ich immer daran erinnert, was ich einmal in greifbarer Nähe hatte, bis es an einem einzigen Tag zerstört wurde. Und das nur, weil Orlandos Ex-Freundin ein Problem mit dir hatte“, stellte er fest und selbst wenn er es vielleicht nicht gewollt hatte, merkte ich den Stich in meinem Herz. Er hatte Recht. Auch wenn ich vielleicht nichts dafür konnte, meine beste Freundin, seine Verlobte, war ermordet worden, weil sie sich zwischen mich und die gekränkte Ex-Freundin meines Mannes geschmissen hatte.

 

Anscheinend bemerkte jemand unsere doch eher trübe Unterhaltung, denn nach wenigen Minuten wurden wir durch Billy und Viggo abgelenkt, die uns jeweils unauffällig voneinander wegzogen und uns anderweitig in ein Gespräch zu verwickeln versuchten.

 

„Euer Au-pair, sie ist schon etwas älter, oder?“, fragte Viggo und nickte mit dem Kopf in die Richtung, in der Janine etwas schüchtern in einer Ecke stand und so aussah, als wüsste sie nicht richtig, was sie hier sollte.

 

„Na ja, zumindest ist sie älter als andere Au-pairs, aber das wollten wir auch so. Stell dir mal vor, eine Siebzehnjährige müsste sich um Seth kümmern“, erklärte ich Orlandos Gedankengang bei seiner Auswahl. „Außerdem wäre ein Teenager wahrscheinlich noch schlechter mit der Situation umgegangen, Orlando als Gastvater zu haben.“  Viggo nickte verstehend. Dann sah ich auch schon lachend, wie sich nun anscheinend Billy und Dom etwas für Janine ausgedacht hatten und die beiden sie in ihre Mitte nahmen, um sie zu entführen. Ich hoffte wirklich, dass sie Spaß hatte.

 

„Du hättest uns hiervor warnen sollen“, sagte ich dann gespielt vorwurfsvoll und erhob meinen Zeigefinger. Doch Viggo zuckte nur mit den Schultern.

 

„Als ihr euch nicht gemeldet habt, sagte Peter, wir überraschen euch. Er hatte sich schon gedacht, dass ihr unsere Abmachung im Stress einfach vergessen habt.“ Und dann fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Aber natürlich! Heute vor 10 Jahren hatten wir auch so ein Weihnachtsdinner gehabt, auch hier bei Peter. Und damals hatten wir uns geschworen, uns alle in 10 Jahren wieder hier zu einem solchen Dinner zu treffen.

 

„Oh man, ob man das zur Schwangerschaftsamnesie zählen kann?“, feixte ich und Viggo gluckste. Für mich war es sicherlich eine Ausrede, aber Orlando? So „mitschwanger“ er auch war, er hatte keine Ausrede dafür. Aber wahrscheinlich war ihm unsere Vergesslichkeit auch schon unter die Nase gerieben worden.

 

„Wie lange seid ihr alle noch in Neuseeland?", fragte ich später, als wir alle zusammen am Tisch saßen, und insgeheim hoffte ich, dass sie alle bis zum Ende der Dreharbeiten hier bleiben würden. Aber ich wusste selbst, dass das unmöglich war. Die meisten ihrer Charaktere waren zur Zeit des Hobbits noch nicht einmal geboren worden.

 

„Na ja“, mischte sich nun Elijah ein, der mit Maria auf dem Schoß neben mir saß, „wir sind jetzt noch bis Sylvester hier. Danach fliegen wir alle wieder nach Hause.“ Vorsichtig übergab er mir meine mittlerweile schlafende Tochter, was mich ziemlich überraschte. Irgendwann würde Elijah sicherlich ein guter Vater sein, denn Maria war bei so vielen Leuten nicht einfach zum Schlafen zu bringen. Und besonders dann nicht, wenn wir gemeinsam zu Abend aßen. Doch anscheinend hatte er es irgendwie geschafft.

 

„Scheinbar müssen wir nach Hause, Liebling“, sagte ich an Orlando gerichtet und legte mein Besteck zur Seite, womit ich gerade noch den Nachtisch gegessen hatte. Ich deutete mit einer kurzen Kopfbewegung auf das schlafende Kind in meinen Armen. Mein Mann sah sofort ein, dass es besser war zu gehen,  wenn die Kleine schlief. Ihr großer Bruder war da allerdings anderer Meinung. Er hatte sich zusammen mit den anderen Kindern nach dem Hauptgang verabschiedet und in Katies Zimmer verschanzt und keiner von ihnen hatte auch nur die geringste Lust die Tür zu öffnen. Erst nachdem wir Janine aus einem mehr oder weniger tiefgründigen Gespräch mit Dominic über Fußball geholt hatten und sie zu den Kindern ging, kam mein Sohn endlich zu uns und wir konnten fahren.

 

„Und, wie ich sehe, hast du dich zumindest etwas amüsiert, oder?“, fragte ich Janine, die mit einem breiten Lächeln auf dem Rücksitz saß. Sie hatte sich mit all unseren Freunden gut verstanden und nach einigen anfänglichen Fangirl-Momenten, in denen sie jedem einzelnen ihre Komplimente für die jeweiligen Filme gemacht hatte, die sie gedreht hatten, hatte sie alle wie normale Menschen behandelt. Sie nickte jedoch nur mit einem zufriedenen Seufzer. Wahrscheinlich realisierte sie gerade erst, dass soeben der Traum vieler Mädchen für sie in Erfüllung gegangen war.

 

 

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