top of page

Kapitel 4

 

Überraschung

 

 

 

Beinahe ungeduldig stand ich zusammen mit meinem Sohn in der Empfangshalle des Flughafens. Orlando und ich hatten entschieden, dass es wahrscheinlich besser war, wenn erst mal nur ich unser zukünftiges Au-pair kennen lernen würde, wenn sie nicht direkt auf den Hollywoodstar treffen würde, denn sie wusste gar nicht, für wen sie in Zukunft arbeiten würde. Ich konnte mir ihre Reaktion nur zu bildlich vorstellen, immerhin hatte ich schon oft genug gesehen, wie Frauen beinahe jeden Alters ausrasten konnten, wenn mein Mann in der Nähe war. Mehr als einmal war es passiert, dass die ein oder andere sogar ohnmächtig geworden war, wenn Orlando ihr ein Autogramm gegeben hatte oder sich sogar mir ihr hatte Fotografieren lassen. Wahrscheinlich wäre das bei unserem neuen Au-pair nicht anders, wenn Orlando anstatt mir hier stehen würde.

Aber ich war diejenige, die hier war und wartete, dass der Schriftzug hinter dem Symbol für den Singapur Airlines Flug SA 9021 endlich auf „gelandet“ sprang. Zwar war ein älterer Herr so freundlich gewesen und hatte mir seinen Sitz angeboten, aber es war trotzdem unangenehm hier auf den harten Stühlen des Flughafens zu sitzen. Andererseits konnte ich mich so davor drücken, unsere Sachen in unserem neuen Haus, zu dem wir seit wenigen Tagen den Schlüssel hatten, auszupacken. Dafür hatte sich Orlando die Hilfe von meinem Bruder geholt. Wahrscheinlich hätten sie mich sowieso nicht helfen lassen und so hatte ich wenigstens das Gefühl nicht vollkommen nutzlos zu sein. Schon in L.A. hatte Orlando mich förmlich in Watte gepackt und hatte mich kaum etwas selbst machen lassen, was anstrengender war als die Treppen hochzulaufen. Hier in Neuseeland und hochschwanger wunderte es mich, dass er mich tatsächlich nicht die Treppen hinauftrug.

„Mom, kommt das Au-pair aus Singapur?“, fragte Seth mit einem skeptischen Blick und ich musste lachen. Seth hatte Singapur noch nie gesehen, außer in einem Film seines Vaters, und dort war es nicht gerade so dargestellt worden, wie es jetzt war.

„Nein, Seth. Sie kommt aus Deutschland“, antwortete ich ihm, doch er sah mich noch skeptischer an. Ich wusste, wieso. In der Schule hatte man den Kindern nicht gerade viel Gutes über dieses Land beigebracht. Ich war, dank Orlandos sehr reiseintensivem Job, schon einige Male in Deutschland gewesen und nichts erinnerte dort an die schreckliche Vergangenheit. Im Gegenteil, der Großteil der Bevölkerung schien alles daran zu setzten, nicht mehr mit dieser Zeit und den Verbrechen des 2. Weltkriegs in Verbindung gebracht zu werden. Deswegen verstand ich es umso weniger, warum man den Schülern immer noch einbläute, dass „die Deutschen“ schlecht waren. Die Deutschen, die dieses Gräueltaten begangen hatten, gab es schon nicht mehr und die Generationen nach ihnen waren nicht dafür verantwortlich.

Ich erinnerte mich noch genau daran, wie Seth einmal zu mir gekommen war, nachdem wir auf einer Premiere in Deutschland gewesen waren, und mich gefragt hatte, ob ich irgendwo Hakenkreuze gesehen hatte. Sein Lehrer hätte ihm erzählt, dass sie teilweise noch dort hängen würden.

Ich war umgehend in die Schule gegangen und hatte mit dem Lehrer geredet, doch er war uneinsichtig. Seiner Meinung nach sollten die Deutschen für das, was sie gemacht hatten, büßen, denn sein Großvater war laut ihm in Auschwitz umgebracht worden. Sicherlich war das schlimm und so etwas durfte nicht ungestraft bleiben, aber man konnte doch niemanden für etwas verantwortlich machen, was passiert war, bevor er oder sie überhaupt geboren wurde.

„Ihr Name ist Janine und ich bin mir sicher, dass sie sehr nett ist“, versuchte ich auf Seth einzureden, doch er würde seine Zeit brauchen, um sich auf die ganze Sache einzulassen. „Und ich möchte nicht, dass du irgendeinen Unsinn sagst, den Mr. Lenstein euch beigebracht hat. Ist das klar?“

„Ja, Mom“, antwortet er dann nur noch mit gesengtem Kopf. Er kannte diese Stimme und wusste mittlerweile, dass ich in solchen Momenten keine Widerrede duldete. Seth war klug genug es dabei zu belassen, vor allem, weil auch er schon bemerkt hatte, dass ich, seit ich wieder schwanger war, etwas schneller reizbar war als es vielleicht normalerweise der Fall gewesen wäre.

Ich konnte nicht leugnen, dass ich auch wegen den beiden Zwillingen in meinem Bauch etwas genervt war. Immerhin waren die beiden gerade wieder der Meinung sich in meinem Bauch streiten zu müssen, und das war immer unangenehm. Wahrscheinlich würden wir sie später einmal in getrennte Zimmer stecken müssen, damit sie sich nicht gegenseitig den Kopf abreißen würden. Als ich leicht zusammenzuckte, merkte ich, wie Seth‘ Miene sich veränderte. Er machte sich Sorgen um mich. Ich sah es ihm deutlich an, während ich versuchte, meinen ziemlich aktiven Bauch festzuhalten.

„Alles in Ordnung, Mom? Soll ich jemanden rufen?“, fragte er mich und ich hätte mich am liebsten etwas zu ihm herunter gebückt, aber das war schon seit einiger Zeit nicht mehr möglich, ohne dass ich das Gefühl hatte, jeden Moment zu platzen. Ich legte ihm also nur eine Hand auf die Schulter und schüttelte kurz den Kopf, während ich laut Luft ausstieß und mit der andere Hand über meinen Bauch strich. Die beiden Kleinen schienen sich immer noch nicht vertragen zu haben und da Seth‘ Besorgnis nicht abnahm, nahm ich einfach seine Hand und legte sie auf meinen Bauch.

Als ich mit Maria schwanger gewesen war, hatte ich das öfter mit ihm gemacht, und manchmal hatte er abends beim Fernsehen mit dem Kopf an meinem Bauch gelegen, nur um seine kleine Schwester spüren zu können. Mittlerweile hielt er sich wahrscheinlich schon zu alt dafür und hatte es nun kaum noch getan. Aber der kleine Junge war immer noch da, der Junge, der sich auf seine neuen Geschwister freute, und lächelte mich breit und mit neugierigen Augen an.

„Die beiden streiten sich gerne darum, wer mehr Platz haben darf. Meistens gewinnt vorne, aber manchmal hat auch hinten Glück¨, schmerzte ich und auch Seth lachte leicht. Ich war froh, als ich nun wieder auf die Anzeigetafel blickte und sah, dass der Flieger, mit dem unser neues Au-pair ankommen würde, bereits gelandet war. Es konnte also nicht mehr lange dauern, bis das unbekannte Mädchen auf der Suche nach dem Schild mit ihrem Namen uns finden würde. Ich bat Seth nun genau darauf zu achten, wann die Türen sich öffneten, damit er dann auch ja das Schild hochhalten konnte. Immerhin wollten wir ja nicht, dass sie dachte, niemand wäre gekommen, um sie abzuholen.

Nach einigen ziemlich zielstrebigen Geschäftsleuten, die anscheinend kein großes Gepäck bei sich trugen, und einigen anderen glücklichen Reisenden, die ihre Koffer als erste gefunden hatten, sahen wir dann in der Tür eine junge Frau, die den Beschreibungen der Agentur entsprach. Ungefähr 20 Jahre alt, langes dunkelbraunes Haar, eher blasses Gesicht und nicht sonderlich groß. Zu unserem großen Glück schien sie auch nach etwas zu suchen und Seth winkte nun etwas euphorischer mit dem Schild herum, das er in der Hand hielt. Dann kam sie tatsächlich auf uns zu.

„Hi. Mrs. Bloom?“, fragte sie etwas zögerlich und sah mich einen Moment beinahe erschrocken an. Ich war diesen Blick mittlerweile gewohnt und winkte nur lächelnd ab. „Keine Sorge, bald bin ich diese Kugel los.“

„Oh... Es tut mir leid, Ma‘am, ich... ich habe nur...“

„Ja, ich weiß. Mach dir keinen Kopf, mittlerweile bin ich das gewohnt. Da denkt man bei einem schon, man sähe aus wie ein Wal... Dabei weiß man erst, was ein Wal ist, wenn es zwei sind.“ Sie versuchte leicht zu lächeln, doch anscheinend wusste sie noch nicht so ganz, wie sie mit mir umgehen sollte. „Ich bin Teti und das ist mein Sohn Seth“, stellte ich die beiden einander vor und irgendwie war ich mir sicher, dass sie sich gut verstehen würden. Entgegen meiner anfänglichen Bedenken schien Seth nämlich begeistert von unserem Gast zu sein.

„Mein Mann und meine Tochter sind in unserem neuen Haus. Wir haben es vorgestern erst gekauft und heute sind einige Sachen aus L.A. Angekommen, die wir nicht hatten dort lassen können. Im Moment schlafen wir noch auf Matratzen, aber morgen haben wir einen Termin mit einem Innenarchitekten. Da solltest du auch dabei sein, immerhin weißt du am besten, wie du dein Zimmer haben möchtest.“ Ich sah ihr das Erstaunen deutlich an und musste leicht darüber lächeln. Wahrscheinlich hatten nicht viele Au-pairs die Möglichkeit, sich ihre Zimmer selbst einzurichten. Aber ich war mir sicher, dass sie noch früh genug feststellen würde, dass dieser Au-pair-Job kein normaler werden würde.

„Ihr seid also gerade erst umgezogen? Von L.A. nach Neuseeland?“, fragte sie mich dann eindeutig neugierig, als sie ihre Koffer in den Kofferraum meines Wagens bugsierte und sich dann neben mich setzte. Ich wunderte mich, dass sie sich direkt auf die richtige Seite setzte, fuhr man doch in Deutschland eigentlich wie in Amerika im Rechtsverkehr.

„Nun ja, um ganz genau zu sein sind wir erst seit einigen Tagen im Land. Eigentlich leben wir in L.A., aber wir mussten aus beruflichen Gründen für die nächsten Monate nach Neuseeland“, erklärte ich ihr und Seth warf dann ein, dass er ja in Neuseeland geboren worden sei, sich aber nicht mehr daran erinnern könne, weil er schon sehr früh wieder nach England gebracht worden war. Sicherlich musste Janine das etwas verwirren, aber ich war mir sicher, dass sie unsere verworrene Familiengeschichte im Laufe der nächsten Monate beinahe genauso gut kennen würde wie wir selbst.

„Du kommst also aus Deutschland?“

„Seth...“, warnte ich ihn unnötigerweise. Denn wahrscheinlich war das Gespräch, das er führen wollte, ganz normal. Ich hielt es dennoch für besser ihn noch einmal an das zu erinnern, was ich ihm vor gerade einmal einer halben Stunde gesagt hatte. Manchmal hatte er nämlich ein ziemlich schwaches Gedächtnis, wenn es um Verbote ging.

„Kein Problem, Mrs. Bloom“, sagte Janine und ich sah sie durch den Rückspiegel lächeln. Wahrscheinlich hatte sie mit solchen Fragen schon gerechnet. „Ja, ich komme aus Deutschland. Was willst du wissen?“

„Gibt es Hitler immer noch?“

„Seth!“, schrie ich ihn beinahe an und blickte entschuldigend in den Rückspiegel. „Es tut mir wirklich sehr leid. Sein Lehrer in der Schule war sehr intolerant und engstirnig.“

„Ich hatte mich auf solche Fragen vorbereitet“, erklärte Janine dann nur und komischerweise verschwand ihr Lächeln dabei nicht. „Hitler gibt es schon seit Ende des 2. Weltkrieges nicht mehr, Seth. Er hat sich damals feige selbst getötet, um seiner gerechten Strafe zu entgehen. Heutzutage ist alles, was auch nur in entferntester Richtung gegen andere Völker geht, weitestgehend verboten und nicht gerne gesehen. Natürlich gibt es einige Unruhestifter, die immer noch meinen, dass Hitlers Weg der einzig Richtige war, aber die werden vom Rest abgestraft und ignoriert.“

Auch ich hörte den Erklärungen von Janine gerne zu. Ich mochte es, ihre Sicht der Dinge zu hören und war erstaunt darüber, dass sie seltsamerweise manchmal beinahe so klang, als wäre es ihr unangenehm in Deutschland geboren worden zu sein. Als ich sie darauf ansprach, erklärte sie mir, dass man in Deutschland nie vergaß, was Hitler und seine Anhänger im Namen des Deutschen Volkes angerichtet hatten, dass man immer noch mit der Schuld lebte, auch wenn selbst die eigenen Eltern zu dieser Zeit noch nicht einmal geboren waren.

Es tat mir leid meine Vermutungen bestätigt zu wissen, und vor allem tat es mir leid, weil damit das Selbstbewusstsein der Jugend gegenüber anderen Nationen geschmälert wurde. Ich erinnerte mich direkt wieder an Helga, ein kleines Mädchen, das, als ich noch in England in der Schule gewesen war, mit mir zusammen in den Unterricht gegangen war. Als sie zu uns gekommen war, hatte sie nur sehr kleinlaut und kaum hörbar erklärt, dass sie aus Deutschland kam, und die anderen Kinder hatten unfreundliche Gesten gemacht. Ich hatte mich ein kleines bisschen mit ihr angefreundet, bis sie und ihre Eltern dann wieder weggezogen waren, weil ihr Vater woanders einen Job angenommen hatte.

„Und wo kommst du genau her? Also, so ungefähr, meine ich.“

„Na ja... Ich glaube, die nächste Stadt, die ihr kennen werdet, ist Düsseldorf. Oder Köln, aber das ist auch schon etwas weiter weg. Bis nach Düsseldorf fährt man über unsere Autobahn immer noch ungefähr eine halbe Stunde“, erklärte sie und irgendwie wollte ich nicht zugeben, dass ich keine der beiden Städte kannte. Ich nickte einfach nur und notierte mir innerlich, dass ich im Internet unbedingt herausfinden musste, wo diese Städte lagen und was es Interessantes über sie zu wissen gab.

„Hör zu, wahrscheinlich würdest du in wenigen Minuten gerne ausflippen“, fing ich an, als wir unserem neuen Zuhause langsam immer näher kamen, „aber dazu gibt es gar keinen Grund.“ Ich sah nach hinten in den Rückspiegel und sah Janines freundliches, aber leicht verwirrtes Lächeln. Natürlich wusste sie nicht, worüber ich sprach, aber ich kannte diese Situation mittlerweile nur zu gut. Die Situation, in der ein sogenannter „Ottonormalverbraucher“ auf meinen Mann traf und erkannte, dass es tatsächlich Orlando Bloom war.

Doch leider machte mir mein heißgeliebter Ehemann einen Strich durch die Rechnung. Wir waren gerade in Sichtweite des Hauses, da sah ich auch schon, wie Orlando mit unserer Tochter auf dem Arm vor der Einfahrt stand und auf uns wartete.

Ich sah praktisch in Zeitlupe, wie sich Janines Mundwinkel und damit ihr ganzer Gesichtsausdruck wandelten. „Da vorne… da ist… Oh mein Gott!“, rief sie mit vor den Mund gepresster Hand aus. Seth hörte ich im Rücksitz nur kichern. Wahrscheinlich war er genau deswegen mit mir gekommen, um diesen Moment mitzubekommen. Janine schien förmlich zu hyperventilieren und sah mich immer wieder geschockt an. Je näher wir kamen, desto überzeugter aber auch gleichzeitig panischer wurde ihr Gemurmel von „Das ist Orlando Bloom“.

„Tief durchatmen“, riet ich ihr nun auch leicht kichernd. Wenn ich es mir selbst eingestand, konnte ich sie schon verstehen. Immerhin hatte ich auch den ein oder anderen Schauspieler-Schwarm, bevor ich bemerkt hatte, dass sie genauso Menschen waren wie ich auch. Wahrscheinlich hätte ich vor 15 Jahren nicht anders reagiert.

„Da vorne steht Orlando Bloom, Legolas, Will Turner. Muss ich weiter aufzählen?“, fragte Janine vollkommen überwältigt.

„Nein, ich kenne seine Rollen, ziemlich gut“, entgegnete ich ihr immer noch grinsend. „Aber glaub mir, auch ein Elb kann nicht zaubern.“ Ich zwinkerte ihr zu, aber ich erwartete nicht, dass sie in ihrer momentanen Verfassung in der Lage war wirklich zu verstehen, was ich ihr sagen wollte. Sie blieb noch einen Moment sitzen, während Orlando schon ihren Koffer ins Haus brachte und Maria etwas schüchtern an meinem Bein hing und die unbekannte Frau in meinem Auto beäugte.

„Willkommen in unserem Heim, Janine“, sagte Orlando dann, als er wieder aus dem Haus kam und Janine sich endlich entschloss, doch noch aus meinem Auto auszusteigen. Sie sah aus, als würden sich ihre Beine jeden Augenblick in Flüssigkeit verwandeln und sie nicht mehr tragen. Und anscheinend war es ihr nicht möglich, ein anderes Gesicht zu machen als ein vollkommen erstauntes, als Orlandos Begrüßung ihren Kopf erreichte.

„D-danke“, war alles, was Janine stotternd herausbrachte, bevor sie sich fragend zu mir umdrehte. Ich sah die Frage direkt in ihrem Gesicht und nickte ihr nur lachend zu. Ja, ihr zukünftiger Gastvater war niemand anderes als der Schauspieler Orlando Bloom. Auch Orlando musste leicht lachen.

„Wie wäre es, wenn wir erst einmal rein gehen und ich dir einen Kaffee mache?“, fragte ich und versuchte wirklich angestrengt, mein Kichern zu unterdrücken als Janine nur nickte und ich sie förmlich ins Haus schieben musste.

 

 

bottom of page