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Kapitel 3

 

Besichtigung

 

 

 

Etwas schwerfällig drehte ich mich im Bett um. Ich hatte meine Augen noch nicht geöffnet, denn um ehrlich zu sein hoffte ich, dass Orlando sich dem kläglichen Quengeln unserer Tochter annehmen würde, sodass ich noch etwas schlafen konnte, aber natürlich war das nicht sein Plan gewesen. Anstatt die Kleine einfach in ihrem Bett zu beruhigen, nahm er sie lieber mit in unser Bett. Als hätten wir nicht schon genug Kinder in unserem Bett liegen… Meiner Meinung nach reichten im Moment auch die beiden, die sich noch in meinem Bauch befanden, vollkommen, um mich so einzuengen, dass ich das Gefühl hatte, entweder selbst hinauszufallen oder zumindest Orlando bei jeder kleinen Bewegung aus dem Bett zu werfen.

„Mommy“, sagte sie. Neben Daddy und Ses, was für Seth stand, war Mommy das einzige Wort, das sie im Kontext schon richtig einsetzten konnte. Für andere Sachen hatte sie ihre eigenen Wörter oder Gesten entwickelt, auf die wir mittlerweile wie dressierte Hunde reagierten. Wie sie auf mache davon gekommen war, wussten wir immer noch nicht. Wenn sie Hunger hatte, dann brachte sie mittlerweile ein gequengeltes „Mena“ heraus und wenn sie morgens ihr Fläschchen mit Milch haben wollte, was wir ihr immer noch dazu gaben, dann verlangte sie danach mit einem „Hete“.

Jetzt fand sie es jedoch anscheinend lustig einfach nur leicht auf meinem Bauch herumzudrücken und dabei ihre ungeborenen Geschwister zu wecken. Also blieb mir keine andere Wahl mehr als dann doch endlich meine Augen aufzumachen und mich hinzusetzen.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, begrüßte mich Orlando mit einem breiten Grinsen und folgte seinem allmorgendlichen Ritual, indem er erst mich küsste und dann zweimal meinen Bauch. Natürlich wollte auch unsere Tochter dann einen Kuss und streckte ihre kleinen Ärmchen nach ihrem Daddy aus.

„Habt ihr drei gut geschlafen?“, fragte Orlando mich dann, nachdem Maria sich wieder meinem Bauch zugewandt hatte. Ich seufzte nur. Von Schlafen war schon seit einigen Wochen keine Rede mehr. Es schien mir beinahe so, als würden die beiden Kleinen absichtlich schlafen, wenn ich wach war, um sich dann, wenn ich schlafen wollte, gegenseitig zu ärgern. Manchmal merkte ich förmlich, wie sie sich gegenseitig schlugen oder traten. Dann spürte ich erst auf der einen Seite etwas und dann kurz danach auf der anderen. Manchmal benahmen sich die beiden so schlimm, dass ich mitten in der Nacht erst einmal aufstehen musste, um einige Schritte auf und ab zu gehen, bis die beiden sich wieder beruhigt hatten. Ich hoffe wirklich inständig, dass es keine zwei Jungs werden würden, wahrscheinlich würden sie sich in einigen Jahren die Köpfe gegenseitig abreißen.

„Wir werden uns um eine Nanny kümmern müssen“, warf ich dann in den Raum, während Orlando und ich uns langsam anzogen. Er lächelte mich nur mit diesem Lächeln an, dass mir sagen sollte, dass ich mir darum keine Sorgen zu machen brauchte. „Was hast du vor?“, fragte ich daher nur und sein Lächeln wurde wieder breiter.

„Schon mal was von Au-Pair gehört?“, fragte er und ich nickte zögerlich. Sicherlich hatte ich schon mal etwas davon gehört. Es waren junge Mädchen aus einem anderen Land, die auf die Kinder ihrer Gastfamilien aufpassten.

„Ja, habe ich. Es gibt nur ein Problem bei der Sache“, sagte ich und ließ eine kleine dramatische Pause bevor ich den Satz beendete. „In dem Haus, das wir uns nachher ansehen wollen, gibt es nur 3 Schlafzimmer.“ Orlando sah mich erst einen Moment fragend an, als verstünde er nicht, was ich meinte, daher fügte ich noch hinzu: „Du kannst nicht von Seth erwarten, dass er mit seinen 3 Geschwistern in einem Zimmer wohnt.“ Das schien Orlandos Euphorie dann doch etwas zu bremsen und das Grinsen in seinem Gesicht verschwand. Wahrscheinlich hatte er nicht daran gedacht, dass ein Au-Pair auch bei uns schlafen müsste.

„Aber ich habe schon alles fest gemacht, sie kommt Anfang Januar zu uns.“ Es tat mir beinahe leid seine Freude so zu dämpfen, andererseits hatte er es nicht anders verdient, weil er diese Sache, die eigentlich ziemlich wichtig war, nicht mit mir abgesprochen hatte. Ich merkte, wie für einen Moment leichte Wut in mir aufkochte. So eine Entscheidung war wirklich wichtig, und er hatte sie einfach ohne mich getroffen, hatte sich einfach entschieden, ohne meine Meinung in Betracht zu ziehen. Dann war ich aber nachsichtig. Immerhin hatte er sich mit der Sache anscheinend auch ins eigene Fleisch geschnitten. Stattdessen sagte ich ihm einfach, dass wir uns dann halt nach einem anderen Haus umsehen mussten, und er nickte und nahm das Telefon in die Hand, um dem Verkäufer Bescheid zu sagen.

„Nein, leider hat es ein Schlafzimmer zu wenig“, sagte Orlando und er hörte sich wirklich niedergeschlagen an. „Mindestens 4, wenn nicht sogar 5." Dann sagte er einige Minuten gar nichts mehr und ich vermutete, dass er entweder zuhörte, oder der Makler ihn gebeten hatte kurz in der Leitung zu bleiben. Sicherlich wollte er sich die Chance auf ein gute Geschäft nicht entgehen lassen. „Ja, ich bin noch dran. Tatsächlich?“ Er sah mich mit einem breiten Grinsen an und ich ahnte, dass der Makler etwas gefunden hatte, was zu unseren Kriterien passte. „12 Uhr heute Vormittag, einverstanden. Vielen Dank!“, sagte Orlando dann und legte wieder auf. Seine Mundwinkel waren mittlerweile bei seinen Ohren angekommen.

„Wo müssen wir hin?“, fragte ich also nur und er winkte mit einem „Lass dich überraschen“ ab. Ich beließ es dabei und gönnte Orlando seinen Spaß, aber wenn wir um 12 Uhr dort sein sollten, dann mussten wir langsam nach unten gehen, wo Eileen und Hirchop sicherlich schon mit einem wunderbaren Frühstück auf uns warteten.

Jetzt, wo ich ans Essen dachte, stieg der Heißhunger wieder in mir auf, der mich schon während der Schwangerschaft mit Maria einige Kilo mehr gekostet hatte. Nach der Schwangerschaft hatte ich ganze 10 Kilo mehr gewogen als vorher und hatte sie nur mit viel Mühe und Not wieder herunter bekommen. Mein eigentlich viel zu guter Stoffwechsel war durch die Schwangerschaft eindeutig in Mitleidenschaft gezogen worden und ich konnte mittlerweile nicht mehr einfach so in mich hinein futtern wie ich wollte. Ich musste zwar nicht krampfhaft Kalorien zählen, damit ich nicht zunahm, und ich konnte mir auch schon mal eine Fast-Food-Woche leisten, aber wenn ich es übertrieb, zeigte sich dies auf der Waage, was vor der Schwangerschaft mit Maria nie der Fall gewesen war.

Ich erinnerte mich noch gut an die neidvollen Blicke einiger Frauen, wenn sie mir beim Essen zugesehen hatten und ich ohne wirklich viel Sport zu treiben kaum Fett angesetzt hatte. Andererseits war mein Gewicht auch nie sonderlich gesund gewesen. Eine kleine Krankheit und ich sah direkt aus als sei ich magersüchtig. Einmal hatte ich deswegen sogar in den Klatschblättern L.A.'s gestanden. Wenn man einige Gramm zu viel hatte konnte der Körper davon in schweren Zeiten zehren, wenn man aber nichts hatte, dann zehrte der Körper an seiner Substanz.

Damals hatte ich einige Wochen an einer ziemlich unangenehmen Magenschleimhautentzündung gelitten und nur sehr wenig gegessen. Als ich dann eines nachmittags mit Seth in einem Café gesessen hatte und die Paparazzi mich erkannten, war uns nur noch die Möglichkeit geblieben zu flüchten, denn die Fragen nach einer Magersucht und ob die daher rühre, dass ich nicht mit dem Status meines Mannes klarkam, machten mich schier wahnsinnig.

„Meine Güte, hier ist ein Kind anwesend!“, hatte ich einigen besonders zudringlichen Fotografen entgegen geschrien, als sie uns zu nahe kamen und mich fragten, ob der Sex mit dem Sexiest Man Alive nicht mehr so zufriedenstellend war.

Danach hatte ich mich erst einmal einige Zeit kaum noch auf die Straße getraut und hatte unsere Haushälterin, die zwei Mal die Woche kam, gebeten unsere Einkäufe zu erledigen.

Je mehr ich nun über das Essen und seine Folgen nachdachte, desto mehr hatte ich das Gefühl, eine riesige Luftblase im Magen zu haben. Er fühlte sich so leer an, dass ich schon beinahe wusste, dass es nur mein Kopf war, denn so groß konnte mein Magen im Moment gar nicht mehr sein, immerhin war er durch die Zwillinge ziemlich komprimiert worden.

Als ich dann die Tür von unserem temporären Gästezimmer öffnete und mir der wohlige Geruch von frisch gebackenen Brötchen in die Nase stieg, merkte ich schon, wie mein Magen sich lauthals über die Leere in ihm beschwerte. Seth, der anscheinend schon eine Weile darauf gewartet hatte, dass wir aus unserem Zimmer kamen, gluckste nur leise.

„Guten Morgen, Familie Bloom!“, flötete Eileen uns entgegen, als wir die Treppen hinunter kamen. Ich setzte meine Tochter mit ihrer Flasche in einen der Kinderstühle neben ihre Cousine, die eher unmotiviert mit ihrem Essen spielte, als dass sie es wirklich aß. Seth war schon unten, da er sich ein Zimmer mit Brian teilte, während Maria noch in ihrem Reisebett bei uns im Zimmer schlief.

Auch Rian und Ben waren noch hier. Wahrscheinlich hatten sie in einer Pension in der Nähe übernachtet, waren aber von Hirchop und Eileen eingeladen worden hier zu frühstücken. Ich war froh darüber, denn so hatten wir noch etwas Zeit uns mit unseren alten Freunden, die schon abends wieder nach Australien zurückkehren würden, zu unterhalten. Bereits gestern hatte ich bemerkt, wie ich sie unbewusst vermisst hatte, wie sehr die Entfernung, die unsere Wohnorte trennte, uns hinderten, einander in regelmäßigen Abständen zu sehen.

Andererseits musste ich mir wahrscheinlich eingestehen, dass die Entfernung bei Rian nicht der einzige Grund gewesen war. Maria und das, was damals passiert war, hatte ich noch immer nicht komplett verarbeitet und ich hatte immer Angst gehabt, dass es wieder hochsteigen würde, sobald ich Rian sah. Diese Angst war aber vollkommen unbegründet gewesen. Ich hatte zwar an Maria gedacht und vielleicht für einen Bruchteil auch an das, was passiert war, aber im Großen und Ganzen hatte ich Rian als Rian gesehen, und wenn ich doch an Maria gedacht hatte, dann eher an die schönen Zeiten, die wir zusammen verbracht hatten.

„Wir haben gleich einen Termin mit einem Makler“, erklärte Orlando erfreut und mit vollem Mund, als wir uns alle am üppigen Frühstück bedient hatten, das Eileen vorbereitet hatte. Eines musste man ihr lassen: bei solchen Gelegenheiten ließ sie sich nicht lumpen. Auch wenn eigentlich ihr Mann der Koch war, wusste sie genau, wie sie ein gutes Frühstück servierte.

„Wo müssen wir eigentlich hin?“

„Nevay Road.“ Er hätte mir wahrscheinlich jeden Straßennamen in Miramar an den Kopf schmeißen können und ich hätte nicht wirklich gewusst ,wo sie sich auf der Halbinsel befand. „Das Haus lieg auf dem Hang und du kannst runter auf die Karaka Bay sehen“, erklärte Orlando dann als er sah, dass anscheinend niemand wusste, wo diese Straße sein sollte.

„Ich dachte, du wolltest direkt am Ufer wohnen?“, hakte ich nach, erinnerte ich mich doch daran, wie er in den letzten Wochen immer wieder darauf bestanden hatte. Er zuckte jedoch nur mit den Schultern, anscheinend hatte er jetzt auch begriffen, dass man nichts erzwingen konnte. Dann konzentrierte ich mich erst einmal auf mein Essen, denn die Nahrungsaufnahme kam mir im Moment als das Wichtigste meines Tagesablaufs vor. Alles andere konnte sich gut und gerne verschieben, oder ich konnte darauf warten, aber wenn ich Hunger hatte, dann hatte ich Hunger. Schon früher war ich leicht reizbar gewesen, wenn ich hungrig war. Und mittlerweile konnte man mir ein Schild um den Hals hängen, wie bei einem Gefahrenstofftank. Ein falscher Blick, eine falsche Berührung in so einem Moment, und ich explodierte.

Glücklicherweise hatten das meine Männer in den letzten Monaten aber gelernt und mittlerweile kam es nur noch sehr selten so weit, dass ich tatsächlich explodierte. Außerdem waren wir bei meinem Bruder zu Gast, da wusste ich mich schon zusammenzureißen, Hormone hin oder her.

„Habt ihr euch mittlerweile für eine Schule entschieden?“, fragte Hirchop dann nachdem ich mein Brötchen gegessen hatte und abwesend an meinem Tee nippte.

„Ja. Wir werden ihn auf eine Intermediate schicken“, erklärte ich und sah Seth einen Moment an, damit er wusste, dass von ihm die Rede war. Andererseits, von wem hätte sonst die Rede sein sollen? Immerhin war Maria noch weit davon entfernt in eine Schule zu gehen. „Wir sind ja sowieso nur bis nächstes Jahr hier. Und dann kann er zu Hause auf die Highschool gehen“, erklärte ich und Hirchop nickte.

„Ich würde euch die EBIS empfehlen. Thomas hat seine Kinder auch dorthin geschickt, nachdem sie die Central verlassen haben“, merkte Eileen an und Hirchop nickte nur beipflichtend. Ich wusste zwar nicht, wo die EBIS war, aber wenn Eileens Bruder seine Kinder dort hingeschickt hatte, dann musste diese Schule tatsächlich einen guten Ruf haben. Ich notierte mir diesen Namen also gedanklich und nahm mir vor, am Abend im Internet nach dieser Schule zu suchen und sie zu kontaktieren.

Nachdem ich, nach einigem Protest von Eileen und Hirchop, den beiden noch beim Abräumen des Tisches geholfen hatte, packte Orlando den Kinderwaagen in unser gemietetes Auto und wir machten uns auf den Weg zur Miramar-Halbinsel. Es war eine relativ ruhige Fahrt und auf unserem Weg bemerkten wir, wie sehr diese Stadt sich in den letzten 10 Jahren doch verändert hatte. Als wir dann jedoch an den Stone Street Studios vorbeifuhren, wurde das Gefühl von Nostalgie in mir wach.

Ich war froh, dass Orlando etwas früher losgefahren war, so konnte ich ihn zumindest für einen Moment aufhalten. Wir stiegen aus dem Auto aus und wunderten uns nicht, dass der Parkplatz hinter der Schranke bereits ziemlich voll war. Sicherlich lief die Arbeit in einigen Departments schon auf Hochtouren und alles wartete nur darauf, dass die Preprep, die Vorbereitung, in die entscheidende Phase übergehen konnte. Ich fragte mich, ob Peter gerade irgendwo da drin herumwuselte, aber wir würden ihn schon früh genug treffen. Am Wochenende um genau zu sein. Da hatte er uns nämlich zu sich nach Hause eingeladen, um zusammen zu Abend zu essen.

„Komm, wir müssen weiter.“ Orlando schob mich zärtlich zurück zum Wagen und ich musste zugeben, wie schwer es war, jetzt nicht hinter diese Schranke zu gehen und mir alles wieder anzusehen. Ich merkte, dass einige Erinnerungen bereits verblasst waren, und ich wollte sie unbedingt auffrischen. Doch leider hatte Orlando Recht, wir mussten wirklich weiter, wenn wir uns dieses Haus auf der Nevay Road noch ansehen wollten.

Innerhalb von 4 Minuten bog Orlando dann auch schon auf die Nevay Road ab und ich war überrascht, als ich bei einem der ersten Häuser bereits einen winkenden Mann stehen sah, der anscheinend auf uns wartete. Direkt schoss mir der Gedanke in den Kopf, dass ich von hier aus später auch sicherlich mit dem Fahrrad in die Studios würde fahren können. Dadurch könnte ich etwas gegen die Pfunde tun, die ich mir sicherlich während dieser Schwangerschaft angefuttert hatte, und ich würde sogar noch etwas für die Umwelt tun. Orlando war von diese Idee natürlich nicht sonderlich begeistert. Es verwunderte mich immer wieder, dass er trotz seiner durchaus ansehnlichen Figur kaum etwas für sportliche Betätigungen übrig hatte. Er spielte mit Seth gerne Fußball oder Rugby, aber sonst? Wenn er einmal ins Fitnessstudio ging, dann nur, weil er es für seinen Job brauchte.

Das Fitnessstudio in L.A. war gerade einmal 10 Minuten weit weggewesen und Orlando hatte die Chance nicht genutzt und sich aufgewärmt, indem er mit dem Fahrrad dorthin gefahren war. Nein, er war immer mit dem Auto gefahren und hatte sich dann im Studio noch einmal 10 Minuten aufgewärmt.

„Herzlich Willkommen in der 12 Nevay Road“, begrüßte uns der Makler überschwänglich, als wir aus dem Auto stiegen. Als ich mich umdrehte und endlich das Haus sehen konnte, verschlug es mir direkt die Sprache. Eigentlich hatte ich ein typisches Küstenhaus der Neuseeländer erwartet, verwinkelt und mit vielen Stockwerken. Vor mir war aber ein Haus, was genauso gut nach Europa gepasst hätte. Es hatte nur zwei Stockwerke und bestand, bis auf die Garage, die etwas aus dem Rest des Hauses hervortrat, genau aus 4 Außenwänden. Der Vorgarten war mit vielen einheimischen Pflanzen bestückt und dahinter konnte man eine etwas höhere Steinmauer erkennen, die sicherlich den vorderen Teil des Gartens blicksicher machen sollte.  

Orlando und ich hatten früh darüber geredet, dass wir nicht unbegrenzt beobachtet werden wollten. Die Neuseeländer waren eigentlich recht tolerant, wenn es um die Privatsphäre von berühmteren Menschen ging, aber mittlerweile - und daran war Der Herr der Ringe sicherlich nicht ganz unschuldig - war Neuseeland, und besonders Wellington, ein Touristenmagnet geworden und sicherlich waren die nicht so rücksichtsvoll.

„Dieses Haus wurde im Jahr 2002 erbaut und hat seitdem 4 Besitzern zum Glück verholfen. 2 Mal wurde hier geheiratet und 4 Babies sind hier geboren worden. Die letzten Besitzer mussten beruflich nach Auckland ziehen und müssen das Haus schweren Herzens verlassen“, erklärte der Makler ziemlich gut gelaunt. Wahrscheinlich hatte er unsere Blicke gesehen und erhoffte sich schon die Zusage sicher zu haben. Langsam führte er uns durch den kleinen Gang, der zur Haustüre führte, und brauchte absichtlich etwas länger, bis er den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte. Anscheinend wollte er die Spannung steigern.

Hatte das Haus von außen noch wie ein typisch europäisches Haus ausgesehen, so wurde ich nun eines Besseren belehrt. Die Häuser, die ich aus Europa kannte, hatten ziemlich enge Gänge, die zu den einzelnen Zimmern führten, und die meisten „älteren“ Häuser hatten nur klar abgeschlossene Räume.

Hier war es etwas anderes. Der Eingangsbereich ging nahtlos in eine größere Diele über, die durch das Licht der großen Fensterfront im Wohnzimmer beleuchtet wurde. Direkt vom Eingang konnte man ins Wohnzimmer und durch die Fenster aufs Meer schauen. Was mir jedoch direkt auffiel, war, dass die Besitzer anscheinend schon in Auckland waren, denn hier waren keine Möbel mehr zu sehen. Das war nicht gerade schlecht, denn das bedeutete, dass wir hier schnell einziehen konnten, aber es erschwerte es mir auch, mir wirklich vorstellen zu können, wie es hier später aussehen könnte. Wenn die Zimmer so leer aussahen, erschienen sie meist kleiner oder größer als sie waren, immer abhängig von dem Licht und der Weise, wie die Wände und der Boden gestaltet waren.

Je weiter wir in das Haus hineingingen, desto überraschter war ich. Es war hell und freundlich und dazu auch noch relativ modern. Man musste hier eigentlich nichts renovieren, zumindest nicht auf den ersten Blick. Esszimmer und Küche lagen direkt neben dem Wohnzimmer  und mir fiel direkt die teilweise höhere Decke auf. Die Küche war anscheinend das einzige, was die Besitzer hier gelassen hatten. Als Mutter und Chefköchin dieser Familie sah ich mich dort natürlich direkt um. Auch wenn ich bald weniger Zeit zum Kochen haben würde, wollte ich dennoch wissen, wie diese Küche ausgestattet war. Sie enttäuschte mich nicht. Alle wichtigen Geräte waren vorhanden: eine Spülmaschine, ein Backofen, eine Mikrowelle, ein Kühlschrank mit separater Gefriereinheit, einen Müllzerkleinerer und sogar einen Dampfgarer gab es hier. Was ich sehr fortschrittlich und kindersicher fand, war der Herd. Es war ein Induktionsherd, was bedeutete, dass die Platten nicht heiß wurden, wenn eine Kinderhand darauf lag, selbst wenn sie eigentlich eingeschaltet waren. Ebenso hatte der Herd ein ausfahrbares, kleines Sicherheitsgitter, das Kinder daran hinderte, auf die Platten zu greifen.

„Und, was sagt die Frau des Hauses zur Küche?“, fragte der Makler, als er und Orlando, die sich zusammen das Esszimmer angesehen hatten, zu mir kamen.

„Wenn die Küche das hält, was sie verspricht“, sagte ich neutral bleibend. Ich wollte ihm ja nicht direkt zeigen, wie begeistert ich war. Vielleicht konnte man so noch etwas mit ihm verhandeln, aber das würde ich Orlando überlassen. Er war da sicherlich der Geschicktere von uns beiden. Dann zeigte uns der Makler das, was er persönlich als das Highlight anpries: die hintere Terrasse. Ich musste zugeben, sie war wunderschön. Was mich allerdings etwas störte, war die für meinen Geschmack zu kleine Rasenfläche. Hier würden Orlando und Seth kein Fußball spielen können. Doch der Makler konnte mich direkt beruhigen. Auf der anderen Seite des Hauses, hinter der Mauer des Vorgartens, versteckte sich tatsächlich noch ein Teil des Gartens und hier war zumindest ein Stück Rasen, das lang genug war, damit die beiden zumindest Torschüsse machen konnten. Auf eine der Mauern war sogar bereits ein kleines Tor gemalt worden. Anscheinend hatten auch andere Väter diese Sachen mit ihren Söhnen hier machen wollen.

„Die Schlafzimmer befinden sich alle oben?“, wollte Orlando dann wissen, als wir nun also, Wohnzimmer, Küche, Esszimmer und Garten gesehen hatten. Der Makler grinste verschmitzt und bat uns ihm zu folgen. Er ging beinahe bis zum Eingang wieder zurück und führte uns dann in ein weiteres Zimmer. Es war ziemlich groß und auch hier bestand die zum Meer führende Außenwand größtenteils aus Fenstern. An einer kürzeren Wand, genau gegenüber der Fensterfront, befanden sich zwei große Schiebetüren. Sicherlich war das ein Schlafzimmer und meine Hoffnung, dass sich hinter den Schiebetüren ein Wandschrank befand, wurde direkt bestätigt, und noch mehr. Der Wandschrank war nicht nur ein Wandschrank, es war ein begehbarer Kleiderschrank, von dem man in ein großzügiges Badezimmer kam, das nur von hier betreten werden konnte.

Wir würden also ein eigenes Badezimmer haben und es uns nicht mehr mit unseren Kindern teilen müssen. Es war seltsam, wie ich uns immer besser in diesem Haus sehen konnte, je mehr wir davon sahen. Wahrscheinlich war es der Nestbautrieb einer werdenden Mutter. Auch die obere Etage enttäuschte nicht und wir stellten fest, dass wir sogar einen Raum mehr hatten, als wir eigentlich brauchten. Doch damit würden wir mit der Zeit sicherlich etwas anzufangen wissen. Auch hier waren die zum Meer gelegenen Zimmer mit großen Fensterfronten versehen und Seth war so begeistert, dass er direkt eines dieser Zimmer als seines deklarierte.

„Ich lasse sie jetzt am besten einmal alleine. Ich würde sagen, wir treffen uns in einer halben Stunde vorne auf der Einfahrt wieder“, verabschiedete sich der Makler vorläufig und ließ uns alleine. Ich kam aber nicht umhin sein zufriedenes Gesicht zu sehen. Wahrscheinlich ahnte er schon, dass wir diese halbe Stunde nicht brauchten, um uns zu entscheiden. Wir hatten uns eigentlich schon entschieden. Ich wusste, dass Orlando genauso begeistert von dem Haus war wie ich und da es auch Seth zu gefallen schien, fiel es uns auch nicht schwer, dem Makler unsere Entscheidung mitzuteilen.

 

 

EG

OG

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