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Kapitel 2

 

Erinnerungen

 

 

 

Immer noch etwas schwach auf dem Magen saß ich in der Ankunftshalle des wellingtoner Flughafens. Orlando hatte mich, zusammen mit unserer Tochter, dort „geparkt“, während er und Seth sich an die schwere Aufgabe machten, in den Mengen der mit uns gereisten Passagiere unsere Koffer zu ergattern. Da war es ziemlich praktisch schwanger zu sein, denn diesen Teil des Fliegens hatte ich immer noch am wenigsten gemocht. So konnte ich mich einfach hinsetzten und warten, bis die Koffer mir gebracht wurden.

 

„Es hat auch einen Vorteil, schwanger zu sein, was?“, fragte eine junge Frau, während sie sich neben mich setzte, auch sie war schwanger. Ich lächelte sie kurz an und wir beiden atmeten gleichzeitig etwas angestrengt aus. „Wie weit sind sie?“ Sie zeigte auf meinen Bauch.

 

„34. Woche“ Dann sah ich ihren erstaunten Blick und fügte direkt hinzu, dass es Zwillinge waren. Sie war in der 36. Woche und es war ihr erstes Kind. Ich merkte ihr an, dass sie wegen der Geburt ziemlich aufgeregt war, doch was sollte ich ihr schon sagen? Die Geburt meiner kleinen Tochter war wirklich nichts, an das ich mich gerne erinnerte, und ich war froh, dass wir uns schon ziemlich früh für einen Kaiserschnitt bei unseren beiden entschieden hatten.  Den Termin im wellingtoner Krankenhaus hatten wir auch bereits gemacht und so konnte ich mit 90%iger Sicherheit sagen, dass unsere beiden Kinder am 6. Januar 2011 zur Welt kommen würden. Somit würden sie zwar keine 40 Wochen in mir bleiben, aber mein Frauenarzt hatte mich beruhigt, in dem er mir sagte, dass die meisten Zwillinge früher als geplant auf die Welt kamen, und dass dieser Termin genau der richtige sein würde.

 

„Warum sind Sie so spät noch mit dem Flugzeug geflogen?“, fragte ich dann aus purer Neugierde und ich merkte, dass sie das anscheinend schon ein paar Mal gefragt worden war.

 

„Mein Mann hat einen neuen Job angenommen. Er fängt Anfang Januar an und wir wollten nicht mit einem Säugling hierher fliegen“, erklärte sie und ich nickte nur verstehend. Bei uns war es ja eigentlich nicht anders, nur dass ich wahrscheinlich früher arbeiten würde als Orlando selbst. Wahrscheinlich würde er sich in den ersten Monaten mehr um unsere Kinder kümmern als ich.

 

„Bei uns ist es ähnlich“, sagte ich nur knapp, dann kam auch schon Seth zu mir gerannt, um mir mitzuteilen, dass Orlando bereits mit den Koffern auf uns wartete. Ich verabschiedete mich von der Frau und wünschte ihr viel Glück für die Geburt, was sie erwiderte, und folgte meinem Sohn dann mit Maria in ihrem Kinderwagen.

 

Als wir aus der Ankunftshalle kamen, merkte ich direkt, dass wir wieder in Neuseeland und nicht in LA waren. Das lag nicht nur an den Temperaturen, die hier noch ein bisschen höher waren als in Nordamerika, sondern auch daran, dass hier keine Paparazzi auf uns warteten. Einzelne Besucher des Flughafens zückten natürlich ihre Handys, aber niemand bedrängte uns wie wir es bereits aus unserer Heimatstadt schon gewohnt waren.  Niemand stellte seltsame Fragen, die man einfach nur mit „Kein Kommentar“ beantworten konnten, und niemand hielt uns seine Kamera direkt unter die Nase.

 

„Ich liebe die Kiwis“, hörte ich Orlando leise und vergnügt murmeln und ich stimmte ihm einfach zu, während wir nach meinem Bruder Ausschau hielten, der uns hier am Flughafen hatte abholen wollen. Ich war gespannt auf ihn, denn ich hatte ihn mittlerweile seit etwas mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen. Er hatte uns in LA mit seiner Familie besucht, als Maria und ich nach ihrer Geburt aus dem Krankenhaus gekommen waren. Seitdem hatten wir es nicht mehr geschafft uns zu sehen.

 

Bevor ich Hirchop allerdings sah, merkte ich, wie sich plötzlich etwas an mein Bein heftete.

 

„Auntie Teti!“ Ich brauchte gar nicht nach unten zu sehen, um zu bemerken, dass meine kleine Nichte da unten an mir hing. Lachend versuchte ich sie von meinem Bein zu schälen und ihr zu erklären, dass ich sie leider nicht auf den Arm nehmen konnte. Sie schmollte kurz, war aber dann damit beschäftigt, auch ihren Onkel zu begrüßen, der sie natürlich liebend gerne auf den Arm nahm und herumwirbelte. 

 

Wenn ich mir Orlando so ansah war es schon komisch, wenn ich an unsere Zeit hier vor 12 Jahren zurückdachte. Obwohl ich schon immer den liebevollen Menschen gesehen hatte, hätte die junge Teti sich wahrscheinlich so ein Bild  nie vorstellen können. Ich selbst hatte nie eine Tante oder einen Onkel gehabt und hatte mir daher nie erklären können, wie man zu seinen Nichten und Neffen eine ähnliche Bindung haben konnte, wie zu den eigenen Kindern. Seit ich jedoch selbst Tante geworden war, wusste ich es.

 

Schon zu Brian, Hirchops Sohn, hatte ich eine enge Bindung gehabt, obwohl wir uns nur selten gesehen hatten, und Seth und Maria hatten ebenfalls ein gutes Verhältnis zu ihrem Onkel. Und auch Eileen und Orlando, die ja eigentlich nur angeheiratet waren, waren nie so behandelt worden. Sie waren genauso Tante und Onkel wie Hirchop und ich.

 

„Wo ist denn dein Daddy?“, fragte ich dann meine Nichte, die es sich auf Orlandos Arm gemütlich gemacht hatte. Sie war erst drei, aber sie erinnerte mich schon so sehr an ihre Mutter, dass es beinahe erschreckend war. Die gelockten blonden Haare, die tiefen braunen Augen und natürlich ihre sehr aufgeweckte und quirlige Art. Amelia, oder Mia, wie sie alle nur riefen, konnte schlecht mehrere Minuten stillsitzen und seit sie die ersten Töne aus ihrem Mund bekommen hatte, quasselte sie beinahe unaufhörlich.

 

Mia zeigte in eine Richtung und dann sah ich meinen Bruder auch schon, wie er wild winkend auf uns zukam. Anscheinend waren Eileen und Brian zu Hause geblieben. Wahrscheinlich bereiteten sie noch alles für uns vor, immerhin hatte Hirchop uns bereits am Telefon ein großes Barbecue für unsere „Rückkehr nach Neuseeland“, wie er es nannte, versprochen.  Sicherlich war Eileen schon in Stress verfallen und wuselte nur noch hektisch im Restaurant herum, um alles so schnell wie möglich in den kleinen Garten hinterm Haus zu bringen, den sie und Hirchop endlich zu einem Biergarten umgebaut hatten.

 

Als wir Hirchop erreicht hatten, konnte er gar nichts sagen, sondern starrte mich nur an.

 

„Ich wusste, dass du schwanger bist, Te, aber dass du so schwanger bist… Orlando, wie hast du sie nur fliegen lassen können?“, fragte er gespielt besorgt und ich schlug ihm leicht auf die Schulter. Dann gab ich den Schlag weiter an Orlando, der eine abfällige Bemerkung über mein Temperament machte. Daraufhin schnappte er sich allerdings den Kinderwagen, in dem unsere Tochter seelenruhig schlief, und steuerte zielsicher die Tür nach draußen an. Doch ich kam nicht umhin sein ungläubiges Kopfschütteln zu sehen, wann immer er einen schnellen Blick nach hinten zu mir warf.

 

„Hir, wenn du jetzt nicht gleich damit aufhörst“, ich hielt meiner kleinen Nichte die Ohren zu, „ trete ich dir so in deine Eier, dass du die Glocken noch bis Ostern klingeln hörst“, drohte ich ihm an, als er selbst im Auto während der Fahrt nicht aufhörte, immer wieder über den Rückspiegel meinen Bauch zu begutachten. Ich sah seinen geschockten Blick im Spiegel und wusste, dass es wirkte. Ja, ich konnte immer noch die Teti sein, die ich als Teenager gewesen war, zumindest ein Teil von ihr war noch irgendwo in mir versteckt. Und wenn mein Bruder mich noch weiter reizte, dann würde er es zu spüren bekommen.

 

„Keine Angst, Hir, das sind ihre Hormone“, bemerkte Orlando lachend, als auch er das entsetzte Gesicht seines Schwagers sah.

 

„Pass bloß auf, dass ich den Grund für meine Hormone nicht auch noch mit klingenden Glocken bestrafe“, bemerkte ich bissig und Orlando verkniff sich das Lachen lieber. Seth hingegen, der solche Anspielungen noch sehr lustig fand, brach in brüllendes Gelächter aus und Mia tat es ihm gleich, auch wenn sie nicht wusste wieso.

 

„Was können die Kinder denn dafür?“, fragte Orlando und sein Grinsen wurde noch breiter. Er wusste wirklich, wie er mich reizen konnte. Nun fingen auf einmal auch er und mein Bruder an zu lachen und ich muss zugeben, dass ich mich etwas auf den Arm genommen fühlte. Andererseits hatten sie wahrscheinlich Recht, meine Hormone spielten verrückt, und die waren nicht das einzige. Wenn man noch nicht schwanger war, dann freute man sich noch darauf es irgendwann zu sein. Wenn man es aber war, und dann auch noch mit Zwillingen, dann wünschte man sich spätestens im 5. Monat schon, dass es endlich vorbei war. Mittlerweile war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich nur noch die Tage zählte.

 

Es war nicht nur der Bauch, der mich alleine schon dazu brachte, an einen gestrandeten Wal zu denken, wann immer ich mich in einem Spiegel sah. Es waren auch die Tritte meiner beiden Kinder. Am Anfang hatte ich mich noch gefreut, ihre leichten und sanften Bewegungen zu spüren, mittlerweile waren sie jedoch heftiger geworden und konnten schon ziemlich wehtun. Ebenso hatte die Übelkeit nicht, wie von manchen propagiert, nach 3 Monaten abgenommen, sondern mir war immer noch regelmäßig so übel, dass ich den halben Tag auf der Toilette verbrachte. Außerdem waren da noch die Hitzewallungen, die mich in den unmöglichsten Momenten überkamen, mein durch meine verkrümmte Haltung sehr verspannter Rücken und natürlich meine ziemlich schwache Blase.

 

„Habt ihr schon Namen für die beiden?“, fragte Hirchop dann, als sich alle wieder mehr oder weniger von ihren Lachkrämpfen erholt hatten.

 

„Nein, wir wissen ja noch nicht mal, ob es Jungen, Mädchen oder beides sind. Wir wissen nur, es sind keine eineiigen Zwillinge“, erklärte Orlando meinem Bruder die Situation und  er nickte nur, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. Es war seltsam, wieder durch diese Straßen zu fahren, in dem Wissen, dass ich diese Stadt wieder für einige Zeit meine Heimat nennen würde. Peter hatte schon angedeutet, dass die Dreharbeiten für den Hobbit nicht weniger Zeit in Anspruch nehmen würden als wie für den Herrn der Ringe, was wahrscheinlich auch daran lag, dass er alles in 3D filmen wollte, um auf dem neusten Stand der Dinge zu sein.

 

Nach einer halben Stunde Fahrt, in der sich schon wieder meine Blase zu Wort meldete, kamen wir dann endlich auf der kleinen Straße an, die ich 6 Jahre lang mein Zuhause genannt hatte. Es war seltsam, denn auch hier hatte sich einiges verändert. „Unser“ Restaurant, denn als dieses sah ich es immer noch,  war nicht mehr das einzige auf der Straße. Mittlerweile hatten sich noch zwei andere Restaurants hier angesiedelt und ich war froh, dass das unserem Restaurant nicht geschadet hatte. Sicherlich war einer der Gründe, dass manche Touristen hofften, hier zufällig auf Orlando zu stoßen, denn es hatte sich im Internet schon längst rumgesprochen, dass dieses Restaurant seinem Schwager gehörte.

 

Als wir durch die Tür eintraten, überwältigte mich direkt das Gefühl von Nostalgie. Irgendwie fühlte es sich an, als wäre keine Zeit vergangen, seitdem ich das letzte Mal hier gewesen war, oder zumindest das letzte Mal permanent hier gelebt hatte.

 

Direkt stieg mir wieder der alte, vertraute Geruch in die Nase und ich wunderte mich schon fast, dass keine Gäste hier waren und meine Mutter nicht am Tresen stand und Getränke auschenkte. Ich musste lachen, als ich feststellte, dass Hirchop und Eileen noch nicht einmal die Möbel ausgetauscht hatten. Es waren immer noch dieselben Stühle, auf denen wir schon damals alle zusammen gesessen hatten. Um noch etwas in Erinnerungen zu schwelgen ging ich anstatt geradeaus, wo sich die Tür zum Hinterhof befand, nach links in einen weiteren Gästeraum. Wenn jemand eine kleine Party bei uns veranstalten wollte, dann hatten wir diesen Raum immer umgebaut, und ich erinnerte mich an meinen eigenen 20. Geburtstag hier. Eigentlich hatte ich damals mit einer Feier warten wollen, bis alle wieder einige Tage Pause hatten, einfach damit niemand an Schlafmangel oder Ähnlichem am Set zu leiden hatte.

 

Meine Freunde, allen voran mein Mann und Viggo, hatten sich diese Gelegenheit, eine Party zu schmeißen, jedoch nicht entgehen lassen und hatten diesen Raum vollkommen in einen Hobbit-Party-Raum umgestaltet. Obwohl alle geplant hatten, bereits ziemlich früh zu gehen, immerhin war am nächsten Tag ein neuer, anstrengender Drehtag für alle gewesen, waren die meisten bis mindestens 2 Uhr morgens geblieben. Verständlicherweise war danach am nächsten Morgen mit ihnen nicht besonders viel anzufangen gewesen.

 

Doch bevor ich noch mehr in Erinnerungen versinken konnte, bemerkte ich durch eine leichte Bewegung in meinem Bauch wieder, dass meine Blase ziemlich voll war und unbedingt geleert werden musste. Ich entschuldigte mich also und ließ Orlando, Hirchop und die Kinder schon einmal in den Garten gehen, während ich die Tür daneben nahm, um in den langen Gang zu kommen, in dem sich auch die Toiletten befanden.

 

Hier war der erste Raum in unserem Restaurant, an dem mir auffiel, dass sie etwas geändert hatten. Sie hatten die alten Trennwände durch eine normale Mauer ersetzt und Türen darin eingebaut. Auch die Waschbecken hatten sie verändert, denn es gab nun zwei. Das Eine war etwas größer als das Andere und hinter dem klappbaren Spiegel war eine Platte versteckt, die das Waschbecken, wenn man sie nach unten Klappte, zu einem Wickeltisch umfunktionierte. Ich war eindeutig beeindruckt. Auch die Fliesen auf dem Boden und an den Wänden hatten sie erneuert und das Badezimmer war nicht mehr eine Mischung aus Bahamabeige und dunklem Braun, sondern eher ein freundliches Weiß mit roten Akzenten, die die familiäre Atmosphäre, die hier herrschte, nur noch mehr unterstrichen.

 

„Ihr beide benehmt euch jetzt!“, warnte ich die beiden Kinder in meinem Bauch und als hätten sie mich gehört und auch verstanden, gaben sie auf einmal Ruhe. Vielleicht hatte ich ja Glück und sie würden jetzt erst einmal schlafen. Andererseits würde das bedeuten, dass sie spätestens heute Abend, wenn ich eigentlich schlafen wollte, wieder putzmunter waren und mich wach halten würden.

 

„Guck mal, wer da ist! Mommy!“, hörte ich auf einmal eine tiefe Männerstimme, als ich in den Garten hinterm Haus trat und ich erschreckte förmlich, als ich den Blondschopf sah, zu dem diese Stimme gehörte.

 

„Ben!“, rief ich erschrocken aus und versuchte so schnell wie mein Bauch es zuließ zu ihm zu gehen. Ihn hatte ich wirklich nicht hier erwartet. Seitdem er und Rian nach Australien gezogen waren hatte ich sie kaum noch gesehen oder gesprochen. Ich umarmte ihn lachend und er zeigte nur mit einem ungläubigen Blick auf meinen Bauch und schüttelte lachend den Kopf. Er wusste zwar, dass ich mittlerweile verheiratet war, aber wahrscheinlich hatte er noch die alte Teti im Kopf, mit der er zusammen im Restaurant gekellnert hatte.

 

Auch ich musste zugeben, dass ich Ben vollkommen anders in Erinnerung hatte. Allerdings waren beinahe 10 Jahre eine verdammt lange Zeit und er hatte sich vom surfenden Sunnyboy in einen Ehemann und Vater verwandelt, wie er im Buche stand. Dem mittlerweile 6-jährigen Mädchen auf seinem Schoß sah man die Ähnlichkeit mit ihm und Rian eindeutig an. Sie hatte Rians dunkle Lockenpracht und die weichen Gesichtszüge geerbt, während mich Bens breites Lächeln und seine blauen Augen aus ihrem Gesicht förmlich anstrahlten.

 

„Hi, ich bin Teti“, stellte ich mich der Kleinen vor, aber da sie mich nicht kannte, war sie doch relativ schüchtern und versteckte sich in der Weste ihres Vaters.

 

„Hey, Maria, Teti ist eine Freundin. Du musst dich nicht verstecken“, sagte Ben und versuchte das Gesicht seiner Tochter aus der Weste herauszuholen. Ich stockte einen Moment wegen dem Namen der Kleinen, aber irgendwie war es auch verständlich.

 

„Mein kleine Tochter hier heißt auch Maria“, erklärte ich dem Mädchen und auf einmal sah sie mich überrascht an.

 

„Meine Tante hieß auch Maria. Mommy hat mich nach ihr benannt.“

 

„Ich weiß, ich habe meine Maria auch nach deiner Tante benannt“, erwiderte ich und versuchte mich leicht hinzuknien, was wegen meinem Bauch mittlerweile ziemlich schwer war. Die Kleine schien ganz fasziniert davon zu sein, dass ich ihre Tante kannte, immerhin kannte sie sie ja nicht. Sie fragte mich Vieles und ich antwortete ihr so ehrlich ich gegenüber einer 6-jährigen nur sein konnte.

 

Erst als ich meine Augen wieder von Ben und seiner kleinen Tochter abwendete, schaute ich mich im Hinterhofgarten um, in erster Linie, um Rian zu suchen, denn sie musste ja auch irgendwo sein, aber dann war ich einfach nur überwältigt. Der Garten, der mir früher immer so klein vorgekommen war, war eigentlich gar nicht so klein. Er war groß genug, dass eine Gesellschaft von 40 bis 50 Personen bequem Platz finden konnte. Das Efeu, das schon die Wände eingenommen hatte, bevor wir hier eingezogen waren, war verschwunden und gab den Blick auf die alte gemauerte Rückwand des Hauses preis. Der unebene Betonboden war einem regelrechten Kunstwerk aus verschiedenfarbigen, kleinen Steinen gewichen, die in der Mitte des Gartens durch den großen Kirschbaum einfassten, von dem Hirchop und ich uns immer Kirschen geklaut hatten.

 

In der anderen Ecke des Gartens standen dann Hirchop mit Orlando bereits am Grill und versuchten die Kohle noch ein bisschen mehr zu erhitzen.  Dann kamen auch schon Eileen und Rian aus einer Tür heraus, die vorher durch das Efeu anscheinend immer verdeckt gewesen war. Sie trugen Teller und Schüsseln heraus und begrüßten mich dann überschwänglich. Es war seltsam Rian wiederzusehen. Das letzte Mal hatte ich sie auf ihrer eigenen Hochzeit gesehen und wir hatten uns gemeinsam ein letztes Mal von ihrer Schwester verabschiedet. Mir war die Ähnlichkeit zwischen den beiden nie so sehr aufgefallen wie jetzt. Für einen kleinen Moment merkte ich, wie die Trauer über den Verlust meiner besten Freundin in mir aufstieg, wie ich mir vorstellte, wie Maria und Elijah nun hier zusammen mit uns säßen, mit ihrer kleinen Tochter. Aber daran durfte ich nicht denken.

 

„Es ist wirklich schön, euch mal wiederzusehen“, sagte Rian mit einem aufrichtigen Lächeln, als dann zu unserer Überraschung auch noch Will zu unserer kleinen Gruppe stieß. Begeistert stellte er mich seinem Mann vor, von dem ich zwar über Hirchop viel wusste, ihn aber noch nie selbst kennengelernt hatte.

 

„Ja, ist schon komisch. Wir sind alle älter“, kommentierte Will und sah sich in der Runde um. Und er hatte Recht. Wenn ich diese Runde nun mit unserer Runde von vor 10 oder 11 Jahren verglich, hatten wir alle nicht nur Familien sondern auch Falten dazugewonnen. Ich erinnerte mich noch an einige Freitage, die Will, Ben, Hirchop, Rian und ich zusammen im SF verbracht hatten. Alleine schon durch unsere Kinder würden wir es heute nicht mehr schaffen, so lange in einer Disco zu bleiben wie damals. Doch wenn ich an damals dachte, musste ich auch wieder daran denken, dass eine Person fehlte.

 

Orlando, der sich zusammen mit Eileen und Wills Mann an einen der Tische gesetzt hatte, schien meine veränderte Laune bemerkt zu haben und kam zu mir. Vorsichtig umarmte er mich von hinten und streichelte sanft über meinen Bauch. Er wusste, dass mich das immer wieder beruhigte, und ich war ihm dankbar dafür.

 

„Oh man, das Bild ist wirklich noch ziemlich ungewohnt“, seufzte Will mit einem schwachen Grinsen und leichten Falten auf seiner Stirn. Ich wusste, was er meinte. Als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, waren Orlando und ich nur gute Freunde gewesen, die sich nicht hatten eingestehen wollen, was sie füreinander fühlten. Und jetzt, jetzt standen wir hier und waren so vertraut miteinander.

 

„Wenn du bedenkst, dass die beiden schon eine Weile verheiratet sind, ist das eher niedlich“, bemerkte Rian an Will gewandt, aber der Blick, mit dem sie Ben ansah, sagte nichts Nettes. „Ich möchte mal wissen, wann du mich das letzte Mal so umarmt hast“, warf sie dann hinterher und Ben sah sie mit großen Augen an.

 

„Mach dir nichts draus, Mann. Das ist normal, wenn man mit den beiden unterwegs ist“, stand Hirchop Ben zur Seite. Ich wusste, dass er nicht die Tatsache meinte, dass wir uns abgesehen von einigen Sachen, immer noch verhielten wie frisch Verliebte. Er meinte eher die Tatsache, dass andere Paare neben uns meistens der Meinung waren, dass bei ihnen in der Beziehung irgendetwas schieflaufen würde. Oder zumindest die Frauen waren dieser Meinung.

 

Das lag aber größtenteils daran, dass Orlando in den ganzen Jahren, die wir nun verheiratet waren, mich nie für selbstverständlich nahm. Ich wusste nicht, wie er es machte, denn ich selbst konnte es um ehrlich zu sein nie und hatte oft ein schlechtes Gewissen deswegen. Jeden einzelnen Tag zeigte er mir, dass er mich liebte und respektierte, selbst wenn ich, vor allem im Moment, ihm gegenüber nicht immer bei bester Laune war.

 

„Peter Jackson hat also tatsächlich vor den Hobbit zu drehen?“, fragte Rian dann, als wir uns alle hinsetzten, um etwas zu essen, und sah mich und Orlando abwartend an. Ich sah ihr an, dass ihr die Frage bereits auf der Zunge lag, seit sie wusste, dass wir uns hier wiedersehen würden, aber bisher hatte sich für sie anscheinend noch nicht der richtige Zeitpunkt gezeigt, uns zu löchern – bis jetzt.

 

„Ja“, antwortete allerdings Orlando für mich und deutete mir an weiter zu essen. Manchmal machte mich seine Überführsorge richtig fuchsig. Sicherlich würde ich nicht verhungern, wenn ich einige Sekunden warten würde, bis ich mir die erste Gabel in den Mund stopfte. Anstatt etwas zu sagen sah ich ihn aber nur einen Moment etwas grimmig an, während er Rian davon erzählte, wie Peter ihn angerufen hatte. Natürlich ließ er dabei nicht die Geschichte aus, wie er davon abgehalten worden war, mir von seinem Telefonat mit Peter zu erzählen.

 

Hirchop kannte die Story zwar bereits, zog mich aber dennoch mit einer Frage auf. „Wer bist du und was hast du mit meiner Schwester gemacht?“ Ich machte nur eine abfällige Handbewegung und ignorierte die weiteren kleinen Sticheleien seinerseits. Der Rest des Abends verstrich eher ruhig. Jeder erzählte seine Erlebnisse aus den vergangenen Jahren. Doch bedingt durch den langen Flug und die Schwangerschaft merkte ich, wie mein Kopf langsam schwer wurde und meine Augen sich, nachdem ich mich an Orlandos Schulter angelehnt hatte, langsam schlossen und ich in einen ruhigen Schlaf driftete.

 

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