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Kapitel 9

 

Urlaub am Filmset

 

 

 

„Hey, Te!“ Ich sah mich um, doch nirgendwo sah ich die dunkelbraunen Haare, die zu der Stimme passten. Ich war gerade noch bei Dominic, Lij, Billy, Sean und Maria im Trailer gewesen, hatte Dominic zum Geburtstag gratuliert und hatte zugesehen wie Maria den Jungs mühselig die Hobbitfüße anklebte. Sean hatte sich beschwert, dass sie mittlerweile schon ganze 34 Mal die Füße morgens angeklebt bekommen hatten, obwohl sie in den Szenen nicht zu sehen waren. Doch als die vier dann anfingen ihre Skriptkorrekturen durchzulesen, entschloss ich mich, besser draußen zu warten. Es war das erste Mal, dass ich sie wirklich auf dem Set während den Dreharbeiten besuchte und es war etwas Neues für mich. So viele Menschen wuselten herum, jeder von ihnen in totaler Hektik. Ich fragte mich, ob das normal war bis ich durch den Ruf nach mir abgelenkt wurde.

 

„Hier bin ich.“ Ich erschreckte mich, als plötzlich jemand hinter mir stand. Es war Viggo und ich war erstaunt. Ich musste zwei Mal blinzeln, bis ich in dem Mann, der vor mir stand, tatsächlich Viggo erkannte. Für mich was er vollkommen Aragorn, genauso wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte.

 

Anscheinend war mein Mund vor lauter Erstaunen aufgesprungen denn Viggo schloss ihn mit seiner Hand. „Es steht Euch nicht so dazustehen, Lady Teti“, sagte er geschwollen und ich musste lachen. Er war anscheinend voll in seiner Rolle. „Ich weiß, Herr Aragorn, aber Euer Antlitz hat mich fasziniert“, sagte ich ebenso geschwollen und auch Viggo musste lachen. Er erinnerte mich an meinen Bruder. Wenn er lachte bildeten sich dieselben Falten in seinem Gesicht wie in Hirchops. Dann stolperte Viggo plötzlich leicht nach vorne. Der Grund dafür war, dass er geschupst wurde.

 

Der Mann, der nun hinter ihm auftauchte, war auch im ersten Moment für mich unbekannt. Erst als er sich leicht vor mir verbeugte und sich als Legolas vorstellte, erkannte ich an seiner Stimme, dass es Orlando war. Wieder musste ich lachen. Anscheinend waren sie mehr Freunde als Arbeitskollegen und Männer würden immer kleine Jungs bleiben. Und da schubste man sich nun einmal herum.

 

Kurz nachdem er sich verbeugte, nahm Orlando meine Hand und küsste sie. Für einen kurzen Moment überlegte ich sie zurück zu ziehen, besonders als seine warmen Lippen meine Haut berührten und sie einen Schauer über meinen Rücken trieben. „Na, wenn ich das mal nicht deiner Freundin erzähle“, scherzte Viggo und ich wurde direkt wieder steifer. Irgendwie hatte ich das die letzten Tage verdrängt. Hatte verdrängt, dass Astrate Orlandos Freundin war. Die eine Frau in Wellington, die ich absolut nicht leiden konnte. Und als hätte sie gehört, dass ihr Name genannt wurde, klingelte auch schon Orlandos Handy und sie war am anderen Ende. Ich beobachtete Orlando einen Moment und irgendwie kam es mir so vor, als wäre ihm dieser Anruf unangenehm. Er schien sich nicht zu freuen, die Stimme seiner Freundin zu hören.

 

„Ist er immer so … komisch, wenn er mit ihr telefoniert?“, fragte ich Viggo etwas verwirrt. Er hatte es anscheinend gar nicht bemerkt und er sah Orlando an. „Na ja, er redet normalerweise nicht so leise, aber sonst.“ Viggo zuckte nur mit den Schultern. Anscheinend war ihm außer Orlandos Lautstärke nichts Ungewöhnliches aufgefallen und außerdem, was ging es mich schon an, wie Orlando mit seiner Freundin redete? Dann kam Peter Jackson lächelnd auf uns zu. Er schien sich zu freuen, dass ich auch hier war, obwohl er mich nur selten gesehen hatte.

 

Dann rief er alle zusammen und erklärte die Szene. Aragorn, Gimli und Legolas befanden sich zusammen mit den Menschen von Rohan auf der Flucht nach Helms Klamm und wurden dort von Wargen angegriffen und sollten kämpfen.

 

Peter hatte mich eingeladen direkt hinter ihm zu stehen, damit ich sah, was die Kameras aufnahmen. Gespannt blickte ich auf den kleinen, durch Tücher abgedunkelten Bildschirm und sah genau die Szene, die sich auch in ca. 20 Metern Entfernung abspielte. Doch dann passierte etwas, womit keiner gerechnet hatte. Das Pferd, auf dem Orlando und Brett Beatie, Gilmis Bodydouble, saßen, galoppierte mit solch einem Schwung an, dass Orlando glatt herunterfiel.

 

Das alleine wäre noch nicht schlimm gewesen, doch auch Brett, der sich an Orlando festgehalten hatte, fiel, und zwar direkt auf Orlando. Alle anderen Reiter kamen augenblicklich zum Stehen und die Mediziner, die immer bei solchen Szenen vor Ort waren, kamen angerannt. Auch Peter und ich sprangen auf und rannten zu Orlando. Ich befürchtete schon das Schlimmste. Ich befürchtete, dass der Sturz seine alte Verletzung wieder verschlimmert hatte. Ich hörte ihn vor Schmerz aufstöhnen, doch konnte ich nicht sehen, was war. Mein Herz schlug schneller. Ich machte mir Sorgen um ihn, war aber erleichtert, als die Sanitäter ihm vorsichtig auf die Beine halfen. Er konnte noch laufen und das war schon einmal gut. Ich konnte mir vorstellen, dass sich in seinem Kopf gerade ein Film abspielte, ein Film der Eventualitäten.

 

„Seine Rippe ist gebrochen“, sagte dann einer der Sanitäter zu Peter. Ich schloss für einen Moment meine Augen. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder bedrückt sein sollte. Natürlich hatte er schon Schlimmeres überstanden, aber gegen den Bruch einer Rippe konnte man nichts Großartiges tun. Man konnte nicht einfach, wie bei einem Arm oder den Beinen, einen Gips darumlegen damit es verheilte. Es musste von alleine heilen und es würde sicherlich noch sehr lange schmerzen.

 

Ich hatte mir glücklicherweise noch nie etwas gebrochen und dennoch konnte ich mir die Schmerzen sehr gut vorstellen. Es tat mir leid, dass Orlando das nun durchmachen musste. Brett, Gimlis Double, hatte sich bei dem Sturz das Knie verdreht, was sicherlich auch schmerzhaft war. Dementsprechend hatte Peter ein Problem. Sowohl Gimli, als auch Legolas würden wohl oder übel zumindest für diesen Drehtag ausfallen und würden auch an den folgenden Drehtagen nichts körperlich Anstrengendes mehr tun können.

 

Am Abend saßen Dominic und ich dann noch etwas mit Billy und Elijah zusammen um Dom’s Geburtstag wenigstens etwas zu Feiern. Natürlich erzählte ich den drein was ich gehört hatte und auch sie warem sehr betroffen und erkundigten sich sofort bei Orlando, wie es ihm ging. Die nächsten Tage ging es so weiter. Immer wieder fragten sie Orlando, ob es ihm schon besser ginge, doch er fing an zu jammern. Immer und immer wieder erwähnte er, dass er vom Pferd gefallen sei und sich dabei seine Rippe gebrochen hatte. Ebenso ließ er immer wieder verlauten, dass er das Gefühl habe, dass auch weitere Teile seines Körpers davon betroffen waren und nach einer Zeit begannen wir uns alle, in angemessenem Maße natürlich, über sein Jammern lustig zu machen. Aber zu seiner Verteidigung musste man erwähnen, dass Orlando, trotz des Jammerns und der Schmerzen, außer direkt nach dem Unfall, nicht einen Tag am Set fehlte und sogar sprang und rannte.

 

Jedem am Set war dieser Film unheimlich wichtig und jeder wollte sein Bestes geben. Und wenn das bedeutete, dass man mit einer gebrochenen Rippe wieder auf ein Pferd steigen oder rennen musste, dann ignorierte man auch gerne einmal den Rat eines Arztes.

 

Das beste Beispiel dafür war ein Drehtag, an dem Peter die Szene filmen wollte, in der Legolas, Gimli und Aragorn den Uruk-Hai hinterher jagen sollten. Das Problem in dieser Szene bestand darin, dass Orlandos Rippe immer noch nicht geheilt war. Auch Bretts Knie war noch nicht in Ordnung. Und in der Zwischenzeit hatte Viggo es ebenfalls geschafft, sich so zu verletzten, dass ein Lauf durch die Landschaft auch für ihn zur Tortur werden würde.

 

Er hatte sich am Tag zuvor bei einer Szene zwei Zehen gebrochen, sogar den Großen. Das Problem daran war, dass man sich beim Laufen genau auf diesem Zeh abrollte und dieser daher wahrscheinlich immer wieder höllische Schmerzen verursachte. Aber, professionell wie die drei waren, sah man ihnen die Schmerzen, während die Kamera lief, nicht an. Sie liefen und liefen, egal wie viele Male sie die Szene wiederholen sollten. Doch sobald sie das „Cut“ von Peter hörten, sackten sie in sich zusammen und hielten ihre schmerzenden Stellen. Alle drei taten mir leid, aber ich bewunderte sie auch. Ich war mir sicher, ich würde eine solche Stärke nicht aufbringen können. Ich würde sicherlich keinen Schritt mehr tun wenn ich mich verletzt hatte.

 

Schließlich befand ich mich zusammen mit allen anderen leider wieder auf dem Rückflug. Aber das gute war: bis einschließlich zum 17. Januar würden alle Ferien haben und diese Ferien würden die meisten von ihnen in Wellington verbringen. Ich würde also einige von meinen neu gewonnenen Freunden, denn das waren sie in den letzten 3 Wochen geworden, wiedertreffen.

 

Doch einige von ihnen traf ich früher als erwartet. Ich war gerade erst wieder richtig zu Hause angekommen, hatte meine Sachen zur Wäsche gebracht und meinen Eltern und Hirchop von meinem Urlaub erzählt, da öffnete sich auch schon die Tür zu unserem Restaurant und Viggo und Henry kamen herein. Ich musste sofort lachen, stand auf und umarmte Viggo freudig.

 

„Was machst du denn hier?“, fragte ich und sah Viggo kopfschüttelnd, aber mit einem Lächeln, an.

 

„Na ja, Henry hatte Hunger und da dachte ich: warum nicht eine Freundin besuchen, die zufälligerweise in einem Restaurant arbeitet.“ Ich musste lachen. Wahrscheinlich würde ich jeden Tag jemanden vom Set sehen, sobald Viggo überall herumerzählte, wo sich das Restaurant befand, und dass es hier sehr leckeres Essen gab.

 

„Viggo, das hier sind meine Eltern und mein Bruder Hirchop“, stellte ich meine Familie vor. Viggo gab meinem Bruder und meinem Vater die Hand und hauchte meiner Mutter einen Handkuss auf. Und er setzte sich mit Henry an den Tisch genau neben ihnen. Natürlich wuselten meine Eltern sofort herum, um ihren ersten Gast für den Tag zu bedienen. Vor allem auch weil sie wussten, dass er ein Schauspieler war. Doch es blieb nicht bei Viggo. Ich hatte ihm und Henry gerade seine Getränke gebracht, da kamen auch schon Dom, Billy und Lij herein. Allerdings musste ich gestehen, dass ich das bereits geahnt hatte. Ich wusste, dass Dom an diesem Abend kommen würde und Billy und Lij waren meistens, wo er war.

 

„Hey, Te! Lange nicht gesehen!“, bemerkte Lij, während ich zusammen mit Hirchop zwei Tische zusammenstellte, damit alle daran Platz hatten.

 

„Wo ist der Elb?“, fragte Viggo und Dom und Billy zuckten nur mit den Schultern.

 

„Ich glaube, er ist mit seiner Freundin unterwegs“, bemerkte Lij und ich verdrehte kaum merklich meine Augen. Natürlich, wo sollte Orlando auch sonst sein? Astrate… diese… Mir graute es schon davor, sie in einer Woche wieder in den Vorlesungen zu sehen. Vor allem weil nun mein Lieblingsthema anfangen würde: Ramses der Große.

 

Den Rest des Abends verbrachten wir damit, über die Zeit beim Dreh zu reden und immer wieder erzählten sie von Vorkommnissen, die ich nicht mitbekommen hatte. Auch wenn ich oft am Set gewesen war in den letzten drei Wochen, so hatte ich nicht bei jeder Szene dabei sein können, da sie von verschiedenen Einheiten manchmal gleichzeitig gedreht wurden. Während ich zum Beispiel am letzten Tag bei Dom, Billy, Orlando, Brett und Ian zugesehen hatte, während sie eine Szene in Rohan drehten, hatte sich Sean wohl einen sehr dicken Glassplitter in den Fuß gerammt und wir hatten davon nichts mitbekommen.

 

Irgendwie schien diese Zeit in Queenstown für das Cast eine Zeit der Verletzungen gewesen zu sein. Orlando und Brett hatten begonnen und langsam schienen die anderen zu folgen. Ich fürchtete schon, dass auch Dom irgendwann folgen würde und fragte mich selbst, ob ich genauso besorgt reagieren würde wie bei Orlando.

 

Bei Orlando war es aber auch etwas anderes gewesen. Bei ihm hatte ich direkt an seinen schlimmen Sturz denken müssen, bei dem er gerade einmal so mit dem Leben davongekommen war. Natürlich würde ich mir bei Dominic auch Sorgen machen, zumindest wollte ich es glauben.

 

Ich spürte tief in mir, dass sich etwas verändert hatte. Seit meinem ersten intensiven Traum über Ramses und Nefertari stellte ich mir immer wieder die Frage, ob es eine so tief greifende Liebe tatsächlich geben konnte. Und wenn es sie gab, dann war das zwischen Dom und mir nicht das, was ich mir für den Rest meines Lebens vorstellen konnte. Aber was, wenn es tatsächlich nur eine geträumte Verbindung war, wenn es so etwas im Leben nicht gab? Sollte ich dann eine harmonie- und respektvolle Beziehung beenden? Wegen einer Fantasie? Nein! Das konnte ich nicht. Ich liebte Dom, daran gab es keinen Zweifel. Ich fühlte mich bei ihm geborgen, er konnte mich wie kein anderer zum Lachen bringen und meine Familie liebte ihn genauso.

 

Eine Woche später war dann wieder die Uni angesagt. Doch ich fuhr diesmal nicht mit dem Bus. Dominic hatte darauf bestanden, mich mit seinem Auto dort hinzufahren. Anscheinend wollte er unbedingt einmal sehen wo ich studierte. „Und Orlandos Freundin studiert mit dir zusammen?“, fragte Dominic neugierig. Ich nickte nur. Ich sprach nicht gerne von Astrate und als Orlandos Freundin wollte ich sie mir beim besten Willen nicht vorstellen.

 

„Und versteht ihr euch gut? Ich meine, ihr hab doch die gleichen Wurzeln.“ Ich merkte gar nicht, wie schnell mein Kopf sich zu ihm drehte und ich ihn entgeistert ansah. „Ich mich mit ihr verstehen? Sie ist… sie ist… Ich kann gar nicht beschreiben, was ich von ihr halte“, sagte ich und Dominic sah mich etwas erstaunt an. „Was hat sie dir denn getan, dass du sie so … na ja nicht leiden kannst?“ Das nahm mir etwas den Wind aus den Segeln, denn ich musste selbst überlegen, was sie mir eigentlich getan hatte.

 

Bis jetzt hatten wir ja noch nicht mal mehr vernünftige Worte gewechselt, nur Blicke. Aber die hatten schon gereicht. Sie sagten mir alles, was ich wissen musste. Oder steigerte ich mich da in etwas hinein?

 

„Na ja... sie ist so arrogant und…. und tut etwas nur, wenn es zu ihrem Vorteil ist“, Sagte ich nun etwas leiser. Dominic sah mich an und zog eine Augenbraue hoch.

 

„Das ist alles?“, fragte er und begann zu lächeln.

 

Nun wurde ich sauer. War er etwa der Meinung, ich konnte Menschen nicht einschätzen? Dass ich vielleicht nur neidisch auf sie war? Sicherlich nicht! Ich hatte bis jetzt immer eine sehr gute Menschenkenntnis bewiesen und sie hatte mich noch nie getäuscht. Irgendetwas tief in mir drin sagte mir, dass ich Astrate gegenüber mehr als vorsichtig sein musste und deswegen hatte ich auch die Abneigung gegen sie. Es schmerzte mich, dass Dominic, der Mensch in dieser Welt, der wirklich hundertprozentig hinter mir stehen solle, mein Urteilsvermögen anzweifelte. Wütend und ohne ein weiteres Wort stieg ich aus seinem Auto aus und ging in die Uni. Ich hörte noch wie er mir hinterher rief, aber ich antwortete nicht.

 

Als ich wenige Minuten später zusammen mit Will vor dem Hörsaal stand, hatte ich mich wieder einigermaßen beruhigt und ich musste mir selbst eingestehen, dass ich womöglich etwas übertrieben hatte. Ich entschied mich, mich am Abend bei Dominic zu entschuldigen und ihm genauer zu erklären, was es mit meiner Abneigung gegen Astrate auf sich hatte. Doch meine Pläne wurden alle über den Haufen geworfen.

 

Kurz bevor wir alle in den Hörsaal gehen konnten, trat Astrate auf den Plan. Natürlich liefen ihre High Society-Freundinnen direkt zu ihr und man hörte nur noch ihr Gekicher. Doch dann sah und hörte ich etwas, das alles um mich herum verschwinden lies, so als wäre ich gerade in der Hölle gelandet. Astrate streichelte sich leicht über den Bauch und ich hörte kichernde Glückwünsche, die ihr entgegengebracht wurden. Ebenso erhob sie ihre linke Hand, an deren Ringfinger ein Ring mit Edelstein glitzerte.

 

Mein Herz setzte einige Momente aus. Sollte das bedeuten, dass Astrate schwanger war und Orlando ihr einen Antrag gemacht hatte? Aber woher wusste er, dass es sein Kind war? Woher wollte er wissen, dass Astrate es während seiner Abwesenheit nicht mit tausend anderen getan hatte? Und warum machte er ihr sofort einen Antrag?

 

Ich wusste nicht wieso, aber ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Ich lief, nein marschierte, zu ihr und riss sie von ihren Freundinnen weg. Sie wehrte sich nicht. „Glaub mir, wenn du mit Orlando irgendein Spielchen spielst…“

 

„Dann was? Was willst du bitte dagegen tun? Orlando hat mir schon erzählt, dass er dich kennen gelernt hat. Es wird ihm sicherlich nicht gefallen, wenn er hört, dass du mich attackiert hast…“, sagte sie mit einem hämischen Grinsen. Ich schnappte nach Luft. Hatte sie tatsächlich soeben zugegeben, dass sie nur ein Spiel spielte? Da war ich mir sicher, doch sie hatte Recht. Was sollte ich schon dagegen tun?

 

Gerade als ich etwas erwidern wollte zog mich Will schnell weg. „Lass mich los! Ich Regel das schon!“, fauchte ich ihn an, doch er lies mich nicht los. Er schien zu wissen, dass meine Wut sich eigentlich nicht gegen ihn, sondern gegen Astrate richtete.

 

Im Hörsaal konnte ich mich dann nur halb auf das konzentrieren, was unser Dozent über die ersten Jahre von Sethos‘ Herrschaft erzählte. Ich war voll und ganz in der Gegenwart und auch in der Zukunft, da hatte die Vergangenheit für diesen Moment keinen Platz mehr.

 

Astrate war schwanger und hatte mir gegenüber gerade zugegeben, dass sie Orlando nur benutzte. Wahrscheinlich hatte sie sich auch noch absichtlich schwängern lassen, weil sie wusste, er würde es dann als seine Pflicht ansehen, sie auch zu heiraten. Ich sah es schon, wie er für sein Kind die Karriere aufgab, damit sie ins Rampenlicht treten konnte. Seine Karriere hatte gerade erst begonnen und würde so schnell wieder enden. Und das Kind? Das tat mir jetzt schon leid. Der Vater hingebungs- und liebevoll, die Mutter eine Rampensau, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht war.

 

„Und dann wurde Ramses zum Mitregent ernannt. Im selben Jahr übergab der Amun-Tempel ihm seine erste und wichtigste Gemahlin als Ehrerbietung.“ Diese Erklärung des Dozenten riss mich doch wieder in die Vergangenheit. Ohne zu überlegen, ohne nachzudenken, was ich überhaupt sagte, meldete ich mich zu Wort.

 

„Das stimmt nicht ganz, Professor. Der Amun-Tempel und dessen Hohepriester war gegen diese Vereinigung. Sie wollten sie sogar verhindern. Es war keine Ehrerbietung, die Nefertari zu Ramses brachte. Sie floh aus dem Tempel und folgte ihm nach Memphis.“

 

„Nefertari war nicht die wichtigste Frau an Ramses Seite, meine Liebe“, erwiderte Astrate hochnäsig und meine Wut stieg wieder an.

 

„Welcher Mann würde nicht die Leidenschaft das Wichtigste nennen?“, endete sie und ich wäre ihr am liebsten an die Gurgel gesprungen.

 

„Was bringt einem Leidenschaft ohne tiefe Liebe und Aufopferung?“, fragte ich sie und sie funkelte mich an. Die anderen sahen erstaunt von einem zum anderen, als verstanden sie nicht, was gerade vor sich ging.

 

„Außerdem kam Isisnofret nicht aus dem Amun-Tempel, sondern aus Syrien. Sie war nichts als ein Friedensgeschenk.“

 

„Meine Damen, ich denke wir sollten uns alle etwas beruhigen. Es gibt keinen Grund, sich über die Vergangenheit zu streiten“, mischte sich unser Dozent ein.

 

„Ich denke, wir sollten bei Fakten und nicht Vermutungen bleiben. Was wir sicher wissen ist, dass Ramses Nefertari im ersten Jahr seiner Mitregentschaft ehelichte und Isisnofret erst 3 Jahre später in der Geschichtsschreibung auftaucht. Ihre Herkunft ist allerdings noch unklar.“

 

Erst jetzt merkte ich, dass ich während der Diskussion mit Astrate auf gestanden war und setzte mich wieder hin. Innerlich brodelte es in mir. Am liebsten wäre ich zu ihr gegangen und hätte diese Sache und auch noch andere mit ihr sofort und nicht gerade ladylike geklärt, aber Wills verwirrter Blick hielt mich zurück.

 

„Was hast du da gerade erzählt? Woher willst du das, was du gesagt hast wissen?“, fragte er.

 

„Ich weiß es einfach“, sagte ich knapp und das Thema war für mich damit beendet. Ich wollte nichts anderes mehr als nach Hause. Diese Frau machte mich so wütend, so… Ich konnte es gar nicht beschreiben und ich hatte mich auch noch nie so erlebt.

 

Dem Rest der Vorlesung folgte ich schon gar nicht mehr und stürmte regelrecht aus der Uni, als der Dozent endete.

 

„Hey, bist du heute Abend auch wieder im SF dabei?“, fragte Will, der mir schnell hinterher gerannt war. Ich dachte einen Moment darüber nach. Vielleicht war es das Beste, wenn ich einfach zu Hause blieb, doch auf der anderen Seite hatte ich meine Freunde nun schon einige Wochen nicht mehr gesehen und diese Ablenkung wäre sicherlich nicht schlecht.

 

„Ja, ich denke schon“, sagte ich und verließ dann das Gebäude.

 

Ich entschied mich, nicht mit dem Bus zu fahren. Die frische Luft würde meine Wut vielleicht ein bisschen abebben lasse und es ließ mir genug Zeit nachzudenken, wenn ich zu Fuß nach Hause ging. Doch es war alles andere als das. Hätte ich gewusst, dass ich auf einer der Straßen Orlando und Astrate zusammen sehen würde, dann wäre ich wahrscheinlich doch lieber mit dem Bus gefahren. Ich war gerade auf halber Strecke und war in die Innenstadt gekommen, da sah ich die beiden in einem Café sitzen. Anscheinend hatte Orlando sie abgeholt.

 

„Oh, Te! Setzt dich doch zu uns!“, sagte er fröhlich und winkte mir zu.

 

„Ach, Schatz. Sie hatte heute keinen guten Tag in der Uni. Ich denke nicht, dass sie sich zu uns setzten will“, hörte ich Astrate nur in einer ungewöhnlich hohen Singsangstimme sagen und meine Wut stieg weiter an. Ohne ein Wort zu sagen ging ich einfach weiter, als hätte ich sie nicht gehört. Natürlich war das unhöflich, aber ich fühlte mich in diesem Moment nicht gerade nach Höflichkeit.

 

 

 

 

 

 

 

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