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Kapitel 65

 

Hochzeit

Teil 1

 

 

Nervös lief ich in dem kleinen Wohnzimmer meiner Eltern auf und ab. Was war, wenn er es nicht rechtzeitig schaffen würde? Was sollte ich bitte an diesem Tag ohne ihn? Ich schalt mich innerlich dafür, dass ich ihn nicht gezwungen hatte, einen früheren Flieger zu nehmen. Es war noch so viel zu tun, wenn er endlich landete.

 

Warum hatte er auch erst heute, am Tag der Hochzeit, einen Flieger hierher bekommen? Wieder blickte ich auf meine Uhr. Es war kurz nach Acht in der Frühe, aber ich fühlte mich als wäre es fünf vor Zwölf. Wie sollte die Hochzeit denn bitte schön ohne ihn funktionieren?

 

„Keine Angst, mein Schatz, er wird schon rechtzeitig hier sein“, versicherte mir meine Mutter und legte einen Arm um meine Schulter. Natürlich, sie versuchte mich zu beruhigen, aber das war nicht das, was ich gerade wollte. Mir war eher nach Ausrasten zumute. Er war noch nicht hier und es gab auch keine Nachricht, ob der Flieger pünktlich sein würde. Außerdem war eine meiner Brautjungfern ebenfalls noch nicht da und sie hatte noch nicht mal ihr Kleid anprobiert. Wir hatten es nur auf gut Glück gekauft.

 

„Und was wenn nicht, Mom? Was, wenn er es nicht mehr rechtzeitig schafft? Ich kann schlecht ohne ihn heiraten!“, schrie ich sie beinahe an und meine Mutter grinste nur. Natürlich machte mich das noch wütender. Wie konnte sie in einer solchen Situation auch noch grinsen? War das nicht mehr als ernst? „Wenn er nicht kommt, ist die Hochzeit geplatzt! Irgendeinen Grund wird es schon haben, alles hat einen Grund.“ Ich wurde regelrecht panisch und im Nachhinein wunderte ich mich, dass im Parkett meiner Eltern nicht ein großer Ring gewesen war, den ich dort hinein gelaufen hatte.

 

„Hast du dir schon ein Gelübde ausgedacht?“, fragte meine Mutter unbehelligt. Wahrscheinlich versuchte sie mich so ruhig wie möglich zu halten, weil sie wusste, dass dies die kalten Füße vor der Hochzeit waren, die beinahe jede Frau trafen.

 

„Nein, ich finde, so was muss spontan und von Herzen kommen“, sagte ich nur kurz angebunden und wählte die Handynummer meines Vaters. „Ja, ich bin‘s. Steht schon was da?“

 

„Ja, mach dir keine Sorgen. Sie landen in einer Stunde und dann schätze ich, kann ich sie eine halbe Stunde später einladen und dann sind wir auf dem Weg zu euch. Viggo ist auch gerade angekommen. Bleib ruhig, alles wird gut“, sagte mein Vater und ich atmete einmal durch. Das waren einmal gute Nachrichten und es machte mich wirklich etwas ruhiger.

 

„Komm, dann fahr ich dich mal zum Friseur“, sagte meine Mutter etwas widerwillig. Sie hatte mir unbedingt selbst die Haare machen wollen, doch ihr Chaos konnte ich heute wirklich nicht gebrauchen. Deswegen hatte ich schon relativ früh in der ganzen Planung darauf bestanden, meine Haare von einem Friseur gemacht zu bekommen.

 

„Ich kann es wirklich nicht fassen“, seufzte ich dann während man mir die Haare nochmals wusch. Normalerweise war das keine gute Idee, aber ich hatte in der letzten Nacht vor Aufregung so sehr geschwitzt, dass meine Haare ausgesehen hatten, als wären sie seit einer Woche nicht mehr gewaschen worden.

 

„Das sagen alle Bräute, wenn sie hierher kommen“, lächelte die junge Frau und massierte das Shampoo ein. Es tat gut wie sie meine Kopfhaut massierte und ich konnte gar nicht anders als mich einen Moment zu entspannen.

 

„Kann ich Sie und dieses Becken mit in den Trausaal nehmen?“, murmelte ich, als sie aufhörte und ich meine Augen wieder öffnete. So eine Entspannung konnte ich sicherlich später noch gebrauchen.

 

„Ich kann nur sagen, dass ich Sie sehr beneide. Er ist wirklich ein schmucker Kerl“, sagte dann die ältere Friseuse, die gerade meine Mutter fertig machte, und ich lächelte sie an und nickte. Da hatte sie mehr als Recht. Ich fragte mich, wie viele andere Frauen mich wohl heute beneideten, weil ich Orlando heiraten würde. Wahrscheinlich war es die halbe Welt und irgendwie brachte mich das zum Lächeln. Unter geschätzten 3 Billionen Frauen, unter denen es sicherlich auch hübschere oder intelligentere gegeben hätte, hatte dieser Mann gerade mich ausgesucht, und das war ein unbeschreibliches Gefühl.

 

„Er ist der beste Mann, den ich kenne“, war alles, was ich ihr sagen konnte. Bilder schossen mir durch den Kopf. Bilder, wie wir uns das erste Mal im Restaurant in Queenstown gesehen hatten; sein Lächeln, nachdem wir den Bungeesprung gemeinsam bestritten hatten; wie er mich angesehen hatte, als ich das erste Mal Seth auf dem Arm gehalten hatte; wie wir während den letzten Drehtagen bei Herr der Ringe miteinander herumgealbert hatten; unser Wiedersehen in Cannes und auf den Premieren und dann natürlich unser erster Kuss und Weihnachten bei Orlandos Mutter.

 

„Hatten Sie denn einen Junggesellinnenabschied?“, fragte dann die jüngere Friseuse neugierig. Natürlich hatte ich einen gehabt, aber er war eher harmlos gewesen. Rian, die diesen Abend organisiert hatte, hatte gewusst, wie sehr ich von „lustigen“ Junggesellinnenabschieden abgestoßen wurde, und hatte einfach einen Beauty-und-Wellness-Abend daraus gemacht. Das war eindeutig besser als durch irgendeine Stadt laufen zu müssen, um irgendwelchen Fremden etwas zu verkaufen.

 

Das einzige, was nach einigen Flaschen Sekt etwas unangenehm wurde, war das Spiel, das sie sich für diesen Abend ausgesucht hatte. Sie hatte es „Ich-hab-noch-nie“ genannt. Bei diesem „Spiel“ sagte jemand etwas, von dem er wissen wollte, ob ein anderer es noch nie getan hatte, und wenn doch einer diese Sache getan hatte, musste er trinken. So erfuhr man manchmal Sachen, die man eigentlich, im nüchternen Zustand, vielleicht gar nicht hatte erfahren wollen. So hatte ich erfahren, dass Rian und Ben schon an den skurrilsten Orten Sex gehabt hatten und dass der Strand wirklich nicht der angenehmste Ort für eine gemeinsame Nacht war.

 

Schnell schüttelte ich die Bilder, die mir mein, leider wunderbares, Vorstellungsvermögen bescherte, aus meinem Kopf und konzentrierte mich lieber auf die Zeitschrift, die ich schon seit einiger Zeit auf meinem Schoß liegen hatte.

 

Als wir dann geschlagene 3 Stunden später wieder die Haustüre zum Haus meiner Eltern öffneten kam mir Eileen sofort entgegen und fiel mir um den Hals. Ich atmete einmal tief durch. Sie hatten es also geschafft. Und wenn sie hier war, dann war auch mein Trauzeuge endlich da.

 

„Hir!“, rief ich durch das ganze Haus und mein Bruder antwortete mir aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ich hatte ihn jetzt schon seit beinahe einem Jahr nicht mehr richtig gesehen. Die Videoanrufe oder E-Mails reichten nicht aus, um mir die Nähe meines Bruders zu geben. Überschwänglich ließ ich mich in seine Arme fallen und hätte ihn am liebsten nicht mehr losgelassen. „Ich hatte schon Angst, wir müssen die Hochzeit absagen“, stammelte ich und versuchte mich zusammenzureißen. Jetzt, wo mich die Friseuse bereits geschminkt hatte, durfte ich nicht weinen, bis ich vor dem Schreibtisch des Standesbeamten stand.

 

„Natürlich bin ich da. Meinst du, ich würde die Hochzeit meiner kleinen Schwester versäumen?“, fragte er und küsste mich auf die Schläfe. Jetzt war tatsächlich alles wieder gut. Warum hatte ich mir eigentlich solche Sorgen gemacht, dass er nicht rechtzeitig da sein würde? Wahrscheinlich hätte er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um rechtzeitig hier zu sein.

 

„Es passt!“, flötete Eileen dann, als sie mit ihrem Brautjungfernkleid ins Schlafzimmer kam. Sie sah wirklich umwerfend aus. Ich hatte mich entschieden, die vier Frauen in ein fliederfarbenes Meerjungfrauenkleid zu stecken, das meinem Cannes-Kleid sehr ähnelte. Auch die Deko und mein Brautstrauß waren fliederfarben. Ich liebte diese Farbe einfach. Es war kein Rosa und dennoch weiblich.

 

„Hat dein Cousin die Sache hinbekommen?“, fragte ich sie in einem relativ unbeobachteten Moment und sie nickte lächelnd. Vor wenigen Tagen war mir eine Idee gekommen, wie ich Orlando überraschen konnte, und dazu hatte ich die Hilfe von Eileens Cousin gebraucht. Ich war mir sicher, wenn alles so geklappt hatte, wie ich mir das vorstellte, dann würde ich an diesem Tag nicht die einzige sein, die Tränen in den Augen haben würde.

 

„Peter hat mir übrigens noch etwas gegeben. Aber es ist streng geheim, er hat mir genaue Anweisungen gegeben“, sagte sie geheimnisvoll und holte erst eine DVD raus und steckte sie dann wieder in ihre Handtasche. Am liebsten wäre ich ihr an die Gurgel gegangen oder hätte ihr die Handtasche entrissen um zu wissen, was Peter da gemacht hatte, denn ich hatte kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Langsam merkte ich, wie die Schmetterlinge in meinem Bauch immer wilder wurden und ich am liebsten abgehoben hätte.

 

„Wir haben noch eine Stunde. Ich denke, ihr Männer solltet jetzt wirklich gehen. Miranda, Liv und Rian werden auch jeden Moment kommen und wir müssen Teti noch das Kleid anziehen.“ Langsam sah man auch meiner Mutter ihre Nervosität an. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie das nun für sie war. Ihre kleine Tochter würde heute heiraten, würde ihr endgültig entrissen werden, zumindest auf eine gewisse Weise. Wahrscheinlich würde sie die Erste sein, die heulen würde.

 

Ich verabschiedete mich noch von Hirchop und meinem Vater, und dann wurde es wirklich langsam ernst. Meine Mutter holte das Kleid aus dem Schrank, das wir uns vor drei Wochen in einer kleinen Boutique ausgesucht hatten. Es war nicht zu pompös, keines dieser modernen Kleider, die man nur auf einem Laufsteg tragen konnte. Es war relativ eng und sah eigentlich so aus, als bestünde es bis zum Anfang der Oberschenkel aus einem dünnen Stoffstreifen, der wie bei einer Mumie um den Körper gewickelte wurde. Wahrscheinlich hatte mir das Kleid auch deswegen so gefallen, weil es in gewisser Weise für mich eine Verbindung zu Ägypten hatte.

 

Am Übergang war eine weiße Stoffblume befestigt, von der aus ein größerer Rock nach unten fiel und einige Falten bildete. Die Schleppe war nicht allzu lang und ich musste keine Angst haben, selbst darauf zu treten und vielleicht das Kleid dadurch kaputt zu machen. Als etwas Altes hatte meine Mutter mir eine Spitzenweste gegeben, die sie selbst bei ihrer Hochzeit getragen hatte, und hatte ich zu Beginn noch gezweifelt, dass sie zu meinem Kleid passte, war ich jetzt einfach überwältigt, wie sehr die beiden Sachen doch zusammen wirkten. Mit dieser Weste sah es richtig aus, dass die Friseuse meine Haare beinahe komplett hochgesteckt hatte, denn so erschien das ganze Bild noch geschmeidiger und fließender.

 

„Das war wirklich eine gute Idee“, hörte ich dann aus dem Hintergrund und im Spiegel sah ich, dass nun endlich auch Rian, Liv und Miranda eingetroffen waren.

 

„Ich habe etwas Geliehenes für dich“, sagte Liv und holte eine Schachtel aus ihrer Tasche, „und ich will es nach der Hochzeit wiederhaben.“ Sie gab mir die Schachtel und ich öffnete sie langsam. Darin befand sich ein Diadem. Doch es war nicht irgendein Diadem. Es war das Diadem, das sie getragen hatte, als wir uns das erste Mal getroffen hatten. Es war Arwens Diadem, das sie in Bruchtal getragen hatte.

 

„Und das hier sollen wir dir von Viggo geben.“ Dann holte Miranda ebenfalls eine Schachtel heraus und darin befand sich ein blaues Strumpfband. Dort, wo die Enden des blauen Stoffes sich trafen, war eine Schleife und in ihr ein Stein, an dem noch etwas hing. Im ersten Moment konnte ich es gar nicht richtig erkennen. Als ich jedoch noch einmal genauer hinsah, hing da eine kleine ägyptische Kartusche mit den Hieroglyphen von Nefertari. Ich musste lächeln. Viggo war einfach einmalig.

 

Vorsichtig zog ich das Band über meinen Oberschenkel und musste grinsen, als ich an die alte Tradition denken musste, dass der Bräutigam der Braut das Band mit den Zähnen auszog. Das würde wahrscheinlich zu einem sehr prickelnden Moment führen und ich war mir nicht sicher, ob das unbedingt vor allen Gästen sein musste. Lieber hätte ich das in unserem heutigen Hotelzimmer, wo uns niemand beobachten würde. Als ich daran dachte, dass wir heute unsere Hochzeitsnacht haben würden, wurde es mir unweigerlich heiß. Natürlich, wir hatten schon einige Male miteinander geschlafen, aber heute würde es etwas Besonderes sein, etwas anderes. War ich heute Morgen noch als Teti Kensington aufgewacht, würde ich heute Abend als Teti Bloom ins Bett gehen, mit meinem Ehemann.

 

Das Komische an der Sache war, dass auf meinem Ausweis bereits der neue Name stand. Diesen hatten wir nämlich vor acht Wochen beantragt, da wir schon morgen früh in unsere Flitterwochen fliegen würden. Der Standesbeamte würde sie uns heute bei der Hochzeit übergeben und heute würde dann auch das erste Mal sein, dass Orlando meinen vollen Namen hören würde. Ich hatte ihn nun schon so lange erfolgreich verdrängt, dass er mir erst wieder bei den Vorbereitungen mit dem Standesbeamten aufgefallen war.

 

„So, das Auto ist auch da“, vermeldete dann meine Mutter, als sie wieder ins Schlafzimmer kam, und ich merkte, wie mein Puls langsam stieg. Schnell suchte ich noch die letzten Sachen zusammen, die ich brauchte, und gab sie zusammen mit meiner Tasche an Rian.

 

„Alle sind schon da?“, fragte ich mit nervöser Stimme und meine Mutter nickte lächelnd, während sie mich zum Auto brachte. Ich stockte, als ich das Auto sah. Es war ein alter Excalibur. Doch es war kein normaler Excalibur, er war zu einer Limousine verlängert worden und ich würde, nicht wie geplant, alleine zum Standesamt gefahren werden, sondern meine Brautjungfern konnten dort ebenfalls Platz nehmen.

 

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