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Kapitel 62

 

 

England

 

 

„Wow“, seufzte ich als mit Orlando zusammen in unserem Hotelzimmer angekommen war. Mir fehlten einfach nur noch die Worte. Ich konnte das, was an diesem Tag passiert war, kaum richtig verarbeiten. Nur der Ring, den ich an meinem Finger spürte, machte mir klar, dass es wirklich passiert war und ich mir das alles nicht nur eingebildet hatte.

 

„Du bist einfach verrückt, Orlando Bloom“, sagte ich kopfschüttelnd und betrachtete, wie sich das Licht in dem kleinen Stein des Rings brach. Er war wirklich wunderschön und die Tatsache, dass es Nenya war, Galadriels Ring, würde uns ein Leben lang an unsere Geschichte erinnern. Schon in 2 Tagen würden die Dreharbeiten endgültig abgeschlossen sein und im Dezember die letzte Premiere hier in Wellington stattfinden und nach den Oscars würde dann das Kapitel ‚Herr der Ringe‘ vollkommen abgeschlossen sein. Es war fast, wie in einem Buch ein Kapitel endete und gelegentlich las man im neuen Kapitel noch einige Sachen aus dem alten, aber das Thema war nicht mehr so übermächtig. Das neue Thema würde London sein. Meine neue Arbeit und mein neues Leben, in das ich in wenigen Wochen schlüpfen würde. Sicherlich würde es zu Beginn zwicken und an manchen Stellen noch angepasst werden müssen, aber ich war mir sicher, wenn diese Phase beendet war, würde ich glücklich sein.

 

Doch leider waren meine Erwartungen mehr als unrealistisch. Bereits der Abschied aus Wellington, der Stadt, in der mein Leben wirklich interessant geworden war, war mehr als schwer. Ich ließ meinen Bruder hier zurück und auch meine Eltern würden nicht mehr in meiner Nähe sein. Sobald ich in diesen Flieger stieg würde ich auf mich alleine gestellt sein. Natürlich, Orlando würde da sein, wir hatten uns entschieden, zusammen in seine Wohnung zu ziehen und meine Wohnung einem anderen Mieter zu überlassen, aber es würde sicherlich schwer werden.

 

„Sobald Eileen uns die Papiere gibt, machen wir uns auf den Weg, das ist versprochen. Bahad wird nachkommen, sobald er darf“, versprach meine Mutter als ich mich von meinem kleinen Hund verabschiedete. Wegen den strengen Quarantänevorschriften musste Bahad hier noch ein halbes Jahr unter strenger Aufsicht eines Tierarztes sein um sicher zu gehen, dass er keine unbekannten Krankheiten mit nach England brachte. Aber glücklicherweise war ja die Freundin meines Bruders eine Tierärztin, was bedeutete, dass Bahad zu Hause beobachtet werden konnte und nicht in irgendeinem Tierheim wohnen musste.

 

„Ich schicke dir jeden Tag ein Video von ihm, ist versprochen“, versicherte mir Eileen und umarmte mich zum Abschied.

 

„Wenn ich das nächste Mal das Restaurant schließen kann, werde ich euch besuchen.“ Beim Abschied von Hirchop versuchte ich wirklich krampfhaft nicht zu weinen. Er war mein Bruder, der Mann, der mich neben meinem Vater mein ganzes Leben begleitet hatte. Der Mann, der mich in der Schule immer beschützt hatte und jeden in die Flucht geschlagen hatte, der mir etwas Böses wollte. Er hatte ja sogar im Gefängnis gesessen, weil er Paul verprügelt hatte. „Pass gut auf meine Schwester auf, Mann“, sagte er dann mit belegter Stimme zu Orlando als er ihm auf die Schulter schlug. Orlando nickte nur und schloss mich fester in seinen Arm.

 

„Hast du dir eigentlich schon überlegt, wann du heiraten willst?“, fragte Orlando mich dann als ich schluchzend im startenden Flieger saß. Ich schüttelte nur den Kopf. Ich hatte wirklich noch nicht darüber nachgedacht. Die letzten Tage hatte es zu viel anderes gegeben, um das ich mich hatte kümmern müssen.

 

„Nicht mehr dieses Jahr. Ich denke, wir sollten vielleicht erst mal sehen, wie’s in London läuft. Ich möchte nicht direkt am Anfang meines Arbeitslebens mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt sein. Ich möchte mich auf die Arbeit konzentrieren können und den Leuten zeigen, dass ich was kann und nicht nur durch Zufall einige Artefakte gefunden habe.“ Orlando griff meine Hand, um meinen Redefluss zu stoppen.

 

„Ich hatte an nächsten Sommer gedacht“, sagte er in einem beruhigenden Ton und es war tatsächlich beruhigend. Anscheinend war er auch der Meinung, mit der Hochzeit noch etwas zu warten, immerhin war der Antrag ja ziemlich verfrüht gewesen. So konnten wir noch ein Jahr sehen, wie wir gemeinsam den Alltag meisterten, wie ich damit klarkam, wenn er tatsächlich wieder zu einem Dreh gehen würde und ich ihm nicht folgen konnte. Schon seit einigen Wochen wussten wir, dass er bereits Anfang Januar wieder für einen Film verreisen musste, diesmal nach Marokko, und sicherlich würde es schwer werden.

 

„Nächsten Sommer ist gut“, sagte ich nachdenklich, während ich Seth beobachtete, der auf meinem Schoß bereits wieder schlief. Wenn ich ihn sah, bemerkte ich immer, wie schnell die Zeit doch verging und sicherlich würde es sich in einem Jahr anfühlen, als wären erst wenige Wochen vergangen, seitdem Orlando mir den Antrag gemacht hatte, genauso wie ich jetzt das Gefühl hatte, es sei erst wenige Monate her, seitdem ich Seth zum ersten Mal auf dem Arm gehalten hatte. Jetzt war der kleine Kerl schon 3 Jahre alt und würde vormittags, während meinen Arbeitszeiten, im Kindergarten sein.

 

Orlando hatte sich entschieden, Seth in einen Kindergarten zu schicken. Er würde in den nächsten Monaten viele Interviews halten müssen und auch immer wieder ins Auslandfliegen, um hier und da seine Filme zu promoten, und ich würde arbeiten müssen. Außerdem war er der Meinung, und ich teilte sie, dass der Kindergarten für die soziale Kompetenz von Kindern sehr wichtig war. Vor allem für Seth, der durch den Bekanntheitsgrad seines Vaters eine gewisse Stellung innehatte. Keiner von uns wollte, dass er eines von diesen verzogenen Hollywood-Kindern sein würde. Er sollte einmal wissen, was wirklich wichtig war und er sollte auch die kleinen Dinge im Leben zu schätzen wissen.

 

„Am Samstag ist der Eingliederungstag“, erinnerte ich Orlando als er gerade in seinem Terminkalender, welchen wir nur den ‚Kalender des Todes‘ nannten, nachsah, was so als nächstes anstand. Als ich einen kurzen Blick über die Wochenübersicht warf, seufzte ich. Am Samstag stand da dick und fett „Alan Carr Interview“ und darunter etwas kleiner „Seth Kindergarten“. Ich schüttelte nur den Kopf. Also würde ich alleine mit Seth dort hingehen müssen und würde sicherlich von allen anwesenden Frauen aufgefressen werden, weil ich die Partnerin von Orlando war. Sicherlich hatte es sich herumgesprochen, dass Orlandos Kind in diesen Kindergarten gehen würde und viele Mütter hatten ihre Kinder extra deswegen dort angemeldet.

 

„Und was ist mit nächste Woche Dienstag? Da ist der Empfang für mich im Museum.“ Orlando blätterte herum und auch am Dienstag sah ich das Wort „Interview“. Ich atmete einmal tief durch und sagte mir selbst, dass das irgendwann ein Ende haben würde. Natürlich, „Fluch der Karibik“ war ein Kassenschlager geworden und Orlando der Held aller Mädchen und Frauen, er war ein gefragter Mann, aber er würde in einem Jahr mein Mann sein und das wollte ich auch merken. Ich wollte ihn tatsächlich vor mir sehen, nicht nur am Telefon haben oder ähnliches.

 

Als wir in London landeten, wurden wir natürlich wieder von Reportern belagert und nebenbei fing uns auch noch seine Managerin ab, die ihm, während wir schnellen Schrittes den Flughafen verließen, neue Termine und Projekte mitteilte, die er wahrnehmen musste.

 

Ohne zu fragen setzte sie sich einfach mit uns zusammen ins Auto und plapperte ohne Ende weiter.

 

„Oh, und Ende des Monats haben die Produzenten von Ellen angefragt, ob du zu ihrer Show kommen würdest. Außerdem werden wir dann auch noch Interviews bei Jay Leno und Letterman für dich arrangieren. Im September stehen dann einige Shootings und Zeitungsinterviews an.“

 

„Ich bin übrigens Teti, seine Verlobte“, schaltete ich mich ein, als es mir wirklich langsam zu bunt wurde. Diese Frau hatte mir nicht einmal Guten Tag gesagt, geschweige denn sich mir vorgestellt. Sie war einfach in unser Auto eingestiegen. Orlando sah mich mit einem überraschten Grinsen an. Wahrscheinlich hatte er nicht erwartet, dass ich so reagieren würde. Seine Managerin sah mich allerdings etwas abwertend von oben bis unten an.

 

„Verlobte? Es wäre wirklich schön gewesen, wenn ich davon gewusst hätte, dann hätte ich Schadensbegrenzung betreiben können. Die Presse wird sich darüber das Maul zerreißen. Jetzt können wir nichts mehr anderes machen als es zu bestätigen!“ Resignierend warf sie ihre Hände in die Luft und ich sah sie geschockt an. Hatte sie gerade wirklich von Schadensbegrenzung und einem Zwang, die Verlobung zu bestätigen, gesprochen?

 

Orlando nahm beruhigend meine Hand und zeigte mir an, dass er die Sache regeln würde.

 

„Aleen, es gibt keine Grund, das zu leugnen. Es ist so und ich bin glücklich darüber“, sagte er und sah seine Managerin direkt an. Sie schüttelte nur den Kopf und erzählte ihm etwas davon, dass ein verlobter oder gar verheirateter männlicher Star wie er immer weniger Publicity bekam als ein Single. So glaubten die weiblichen Fans wenigstens noch eine Chance zu haben. Ich persönlich konnte diese Frau jetzt schon nicht leiden. Sie hatte wirklich Nerven.

 

„Muss ich die Termine, an denen wir Spaß haben wollen, auch mit dir abstimmen?“, fragte ich etwas schnippisch und vermied nur wegen Seth das Wort ‚Sex‘ zu erwähnen. Die Managerin sah mich giftig an. Wahrscheinlich passte es ihr wirklich nicht, dass Orlando nun vergeben war. Vielleicht hatte sie ja selbst Hoffnungen gehabt, eines Tages an seiner Seite zu sein.

 

„Aleen ist etwas überambitioniert …“, versuchte Orlando mir zu erklären, als Aleen endlich ausgestiegen war. Ich sah ihn nur skeptisch an. Überambitioniert war sicherlich nicht das richtige Wort. Bescheuert und geisteskrank hätte es wohl eher getroffen, aber ich war froh, dass Orlando, was unsere Beziehung anging, auf meiner Seite stand. Wäre ja auch noch schöner gewesen, wenn er jetzt klein beigegeben hätte. „Es tut mir wirklich leid, dass ich so oft weg muss“, sagte er dann als er merkte, dass anscheinend Aleen nicht das einzige Problem war.

 

Ich fühlte mich auf einmal schlecht. Er machte doch nur seinen Job, er tat das, was ihm Spaß machte, und dazu gehörten nun einmal auch Interviews und das alles. Ohne das ging es einfach nicht. Außerdem hatte ich nie eine dieser klammernden Freundinnen sein wollen, die ihren Freund rund um die Uhr bei sich haben wollte. Sicherlich musste ich mich nur an die Situation gewöhnen.

 

Ein Eingewöhnen in diese Situation wurde mir jedoch nicht gerade leicht gemacht. Es gab eigentlich keine zwei Tage, die Orlando durchgängig zu Hause war, und wenn er einmal da war, war es ein Wunder, wenn nicht seine Managerin auf der Matte stand und ihm neue Termine gab, die er wahrnehmen sollte. Nach vier Monaten, die wir zusammen in London wohnten, hatte er noch nicht einmal die Zeit gefunden, mich seiner Mutter und seiner Schwester vorzustellen, und Seth Kindergarten hatte er auch noch nicht besucht, geschweige denn, dass er einmal im Museum vorbeigesehen hätte.

 

„Bist du wenigstens an Weihnachten da?“, fragte ich etwas niedergeschlagen als er mir wieder mitteilte, für einige Tage in die USA fliegen zu müssen. Langsam wusste ich wirklich nicht mehr, wie das alles weitergehen sollte. Hatte ich mir anfangs noch gesagt, dass das alles ein Ende haben würde, war ich mir dessen jetzt nicht mehr so sicher. Ich begann sogar den Kalender argwöhnisch zu beäugen, so als sei er ein Tier oder ein Mensch, den ich hassen konnte dafür, dass er mich und Orlando immer wieder trennte. Als ich Orlando jedoch ansah, sah ich, dass es ihm leid tat, dass er in der Zeit, die ich nun in England war, kaum Zeit gehabt hatte und er setzte sich neben mich auf das Sofa.

 

„Natürlich werde ich an Weihnachten da sein. Ich habe alle meine Termine abgesagt. Wir werden an Heiligabend zusammen vor diesem Kamin sitzen, Seth eine Geschichte vorlesen und wenn er in seinem Bett ist, werden wir uns einen schönen Abend machen. Am 1. Weihnachtstag werden wir dann zu meiner Mutter fahren und dort essen, meine Schwester wird auch kommen. Und am 2. Weihnachtstag gehen wir mit Seth in den Hyde Park spazieren“, berichtete er mir von seinen Plänen und ich sah dabei ein Leuchten in seinen Augen. Er freute sich wirklich darauf, wieder Zeit mit seiner Familie zu verbringen.

 

„Keine Aleen?“

 

„Keine Aleen!“

 

„Und auch kein Kalender des Todes?“

 

„Kein Kalender!“, versicherte er mir und küsste mich.

 

Und er hielt sein Versprechen. Bereits am 23. Dezember schaltete er vor dem Schlafengehen sein Handy aus und schloss es in seinem Nachttisch ein, dessen Schlüssel er dann mir gab. Am nächsten Morgen holte er, wie ein ganz normaler Familienvater, Brötchen beim Bäcker um die Ecke während ich uns Rühreier und Speck briet.

 

„Wann kommt Santa?“, fragte Seth uns mit großen Augen als wir zusammen am Tisch saßen.

 

„Noch einmal schlafen, mein Schatz“, erklärte ich ihm und erinnerte mich daran, dass meine Eltern das immer zu mir gesagt hatten, wenn ich sie als kleines Kind gefragt hatte.

 

„Aber Santa ist doch nicht Daddy, oder? Ben hat mir gesagt, es gibt keinen Santa. Santa wären immer die Daddys oder Grandpas.“

 

„Nein, ich bin nicht Santa“, sagte Orlando und nahm seinen Sohn auf den Schoß. Es war ein wirklich wunderbares Bild, die beiden wieder einmal so zusammen zu sehen. Ich fragte mich, ob es die letzten Jahre auch so gewesen war, dass Orlando Seth nur selten gesehen hatte und warum es während den Dreharbeiten von „Herr der Ringe“ immer so anders gewesen war. „Was meinst du, gehen wir beide einen Weihnachtsbaum holen während Teti hier alles vorbereitet?“ Natürlich stimmte Seth jubelnd zu und ich musste lachen. Ja, heute war es wirklich so, als wären wir eine ganz normale Familie und es fühlte sich gut an.

 

 

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