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Kapitel 58

 

Will Turner

 

 

Orlando saß vollkommen ruhig auf der Bettkante und beobachtete, wie ich vollkommen hektisch noch die letzten Schliffe an mir selbst setzte. Ich war definitiv nervös. Natürlich, ich war schon auf diversen Premieren gewesen, aber die hier war etwas anderes. Nicht nur weil ich nicht bei den Dreharbeiten dabei gewesen war oder weil es die erste Premiere war, bei der ich offiziell als Orlandos Partnerin galt, sondern weil Johnny Depp auch dort sein würde. Schon seit ich „Edward mit den Scherenhänden“ gesehen hatte, hatte mich dieser Mann mitgerissen.

 

Ich befürchtete kein Wort herauszubringen, wenn ich ihm gegenüberstand und so zu sein wie ein total ausgeflippter Fan. Vielleicht so wie es Eileen bei Orlando und den anderen gewesen war und das wollte ich bestimmt nicht. Ich wusste, dass Schauspieler dieses Verhalten mehr als unangenehm fanden, denn den meisten ging es bei ihrem Job nicht um die Anerkennung der Leute, sondern einfach nur darum, sich in ihre Rolle vertiefen zu können, einen anderen Aspekt des Lebens zu erfahren, ohne das eigene Leben wirklich dafür ändern zu müssen.

 

„Komm her, ich helfe dir“, sagte Orlando dann als ich vergeblich versuchte meine Kette vor dem Spiegel zu schließen. Er stand vom Bett auf und ich sah sein grinsendes Gesicht im Spiegel. „Es ist schön zu sehen, dass du auch mal aus der Ruhe gebracht werden kannst“, hauchte er in mein Ohr während er vorsichtig die Kette schloss. Ich ließ mich etwas nach hinten fallen und sein Körper fing mich auf.

 

„Das ist absolut nicht lustig“, protestierte ich eher halbherzig und musste selbst lachen. Dann drehte ich mich um, um ihm nicht nur durch den Spiegel in die Augen zu sehen, und er küsste mich zärtlich.

 

„Ich denke, wir hätten noch ein paar Minuten Zeit“, flüsterte er in mein Ohr als er meinen Nacken begann zu küssen, aber ich drückte ihn bestimmt lächelnd von mir.

 

„Ganz sicher nicht, Mister! Ich habe 2 Stunden für das alles gebraucht. Das machst du jetzt nicht noch im letzten Moment kaputt.“ Er sah mich mit einem Dackelblick an, aber ich hielt stand. Ich wollte wirklich nicht, dass meine Frisur nachher aussah wie ein Krähennest und ich wollte nicht, dass Orlando zu seiner Premiere zu spät kam. Aber um ehrlich zu sein hätte ich nur zu gerne nachgegeben, denn diese drei Tage, die wir hier in Kalifornien verbrachten, waren für die nächste Zeit die einzigen Tage ohne Seth, die einzigen Tage, in denen wir wirklich ein frisch verliebtes Paar sein konnten.

 

„Du hast ja recht“, stimmte er mir dann doch noch zu, und reichte mir meine kleine schwarze Handtasche, in der ich schnell die wichtigsten Sachen verstaute. Draußen wartete auch schon das Auto auf uns, das uns zum roten Teppich mitten in Disneyland bringen sollte. Disneyland, das war jedem ein Begriff, und sicherlich fühlte sich dort wieder jeder wie ein Kind, wenn Mickey Maus und die anderen Disney-Figuren um einen herum schwirrten.

 

Und so war es auch. Bereits als wir aus dem Auto stiegen wurden wir von Mickey Maus empfangen und er half mir aus dem Auto. Als Kind hatte ich Mickey Maus und seine Freunde geliebt und nichts hätte ich lieber getan als der kleinen cleveren Maus die Hand zu schütteln. Jetzt, wo es mich nicht mehr wirklich interessierte, passierte es. Ich war sicher, dass das kleine Mädchen, das ich einmal gewesen war, gerade Purzelbäume schlagen würde vor Freude. Sobald dann auch Orlando aus dem Auto gestiegen war drehten die Leute, die hinter den Absperrungen standen, regelrecht durch. Alle riefen, nein, kreischten nach ihm und verlangten ein Autogramm von ihm.

 

„Ich bin gleich wieder da“, sagte er und schon war er verschwunden. Er musste ja immerhin Autogramme geben. Es war dennoch ein komisches Gefühl, auf einmal alleine in der Mitte dieses Teppichs zu stehen, während er Autogramme verteilte und von tausenden Händen angefasst wurde.

 

Ich war mir sicher, die eine oder andere Partnerin eines Schauspielers konnte bei diesem Schauspiel verrückt werden. Wer hatte es schon gerne, wenn der eigene Mann so angegrabscht wurde? Mein Glück war es, dass ich wusste, oder zumindest sicher war, dass Orlando das nicht beeindruckte. Natürlich, es war etwas überheblich so etwas schon im ersten Monat zu sagen, aber ich wusste, Orlando und ich, das war eine Sache für immer. Langsam ging ich parallel zu Orlando weiter Richtung Kinoeingang, während er weiter Autogramme gab.

 

„Hey, Orli!“, rief auf einmal eine weibliche Stimme vor uns. Es war Keira. Ich kannte sie ja aus „Star Wars“, deswegen war ich mir so sicher, dass sie es war. Orlando drehte sich sofort um und umarmte sie freundschaftlich. Dann drehte er sich zu mir um, lächelte mich an und winkte mich zu ihnen.

 

„Du musst dann wohl Teti sein. Deine beiden Männer konnten nicht aufhören von dir zu reden“, sagte Keira mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Ich sah Orlando fragend an und er zuckte nur unschuldig mit den Schultern. Die arme Frau hatte sich also während der Dreharbeiten nur Geschichten von mir anhören müssen? Das war schon irgendwie peinlich, vor allem weil die beiden in dem Film ja ein Liebespaar spielten. „Keine Angst, er hat nur Gutes erzählt“, fügte Keira dann hinzu als sie anscheinend bemerkte, dass ich etwas peinlich berührt war.

 

„Oh ja, von deinem Lächeln und von vielen anderen Sachen“, bemerkte plötzlich eine Stimme hinter mir und sie ließ mich für den Bruchteil einer Sekunde erstarren. Er war es, er stand wirklich direkt hinter mir und anscheinend hatte Orlando auch ihm viel von mir berichtet. Ich wurde unweigerlich rot, schaffte es aber, mich zusammenzureißen.

 

„Ich möchte gar nicht wissen, was das alles war“, sagte ich und drehte mich Orlando ansehend um. Er lächelte nur, anscheinend fand er diese Situation mehr als lustig.

 

„Sicherlich nicht, aber es freut mich dennoch, endlich einmal das Gesicht zu diesen Geschichten zu sehen.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, als er auf einmal meine Hand nahm und einen Kuss darauf hauchte. Er war eindeutig ein Gentleman, das war klar.

 

„Gleichfalls. Und Orlando hat mir auch sehr viel von Ihnen beiden berichtet.“

 

„Oh bitte, lass doch diese Höflichkeit. Ich bin Johnny, das ist Keira. Ich glaube, nach dem, was wir anscheinend voneinander wissen, ist das mehr als angebracht.“ Ich musste unweigerlich leicht kichern. Wahrscheinlich beneidete mich Maria gerade, wenn sie Zeit hatte, mich von da oben zu beobachten. Sie war vollkommen verrückt nach Johnny gewesen als ich sie kennen gelernt hatte und sie wäre wahrscheinlich dafür gestorben, ihm einmal so nahe zu sein.

 

„Ich weiß, das hört sich total bescheuert an, Johnny, aber könntest du mich einmal umarmen?“ Ohne auch nur einen Moment zu zögern, oder darüber nachzudenken, tat er es und ich sah dabei nach oben in den Himmel, mit einem Lächeln. Maria würde sich das sicherlich nicht entgehen lassen. „Das ist für dich“, formte ich mit meinen Lippen und ich merkte, wie sich eine einzelne Träne in meinem Auge bildete.

 

„Und was sollte daran jetzt bescheuert sein?“, fragte Johnny als wir uns wieder gegenüber standen. Orlando hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt. Er wusste genau, was los war, er wusste es immer.

 

„Ihre beste Freundin war ein großer Fan von dir. Sie ist letztes Jahr verstorben, die Umarmung war für sie“, erklärte er den beiden Schauspielern beinahe stolz und ich nickte nur etwas verlegen. Ich wusste, Orlando hatte schon immer meine Hingabe für meine Freunde bewundert und wahrscheinlich hatte er das auch Johnny und Keira erzählt. Für ihn war es wunderbar, dass die beiden nun meine Hingabe selbst sahen.

 

„Bist du bereit?“, fragte er mich dann und ich sah, was er meinte. Direkt vor uns hörten die Absperrungen auf und hunderte von Reportern standen dort, die nur darauf warteten, dass wir an ihnen vorbei gingen. Ich atmete einmal tief durch und nickte dann. Kaum waren wir bei den Reportern angekommen, begannen auch schon das Blitzlichtgewitter und die Rufe. Viele schienen anscheinend nur darauf gewartet zu haben, dass wir uns zusammen zeigten.

 

„Versuch einfach einen Punkt hinter ihnen zu fixieren“, flüsterte er mir noch zu als er einen Moment stehen blieb, damit die Leute ihre Fotos machen konnten. Dann spürte ich auf einmal seine Lippen auf meiner Wange. Wahrscheinlich musste ich in diesem Moment ausgesehen haben, wie ein verschrecktes Reh, wie ein Bambi, denn ich hatte nicht damit gerechnet. Als ich meinen Kopf allerdings zu Orlando drehte und er mich anlächelte, konnte ich nicht anders als sein Lächeln zu erwidern. Der Mann war einfach unglaublich. Wie sollte ich da bitte einen Punkt hinter diesen Reportern fixieren, wenn er mich so aus dem Konzept brachte? Erst, als uns ein Reporter zurief, wir sollten uns doch küssen, bemerkten wir beide, wie wir uns gerade angestarrt hatten und gingen weiter ins Innere des Kinos.

 

„Du warst viel zu angespannt“, verteidigte er sich als wir unsere Plätze eingenommen hatten und es dunkel wurde.

 

„War ich nicht! Erst, als du mich so aus dem Konzept gebracht hast.“

 

„Schön, dass ich dich noch mit so was aus dem Konzept bringen kann, Bambi.“ Am liebsten hätte ich ihm einen Klaps versetzt, aber das wollte ich hier im Kino nicht tun, also schüttelte ich nur meinen Kopf und war froh, dass er im Dunkeln nicht sehen konnte, wie ich leicht lächelte. Ich wusste, in ein paar Jahren würde ich wahrscheinlich wegen diesem Mann in der Klapsmühle landen.

 

Dann begann der Film und ich war beeindruckt. Ich wusste, dass Johnny ein guter Schauspieler war und ich hatte, dank meiner Johnny liebenden besten Freundin Maria, eigentlich jeden Film gesehen, der bereits herausgekommen war, aber Jack Sparrow … der war einfach für Johnny geschrieben worden. Es musste einfach so sein. Jedoch warf ich mein Hauptaugenmerkt nicht auf Jack, sondern eher auf Will Turner. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Einem gutaussehenden Schmied hatte ich genauso wenig entgegenzubringen, wie einem blondhaarigen Elbenprinzen. Aber es tat gut, Orlando in diesem Film etwas mehr reden zu hören, war Legolas doch eher eine ruhigere Rolle gewesen.

 

Auch die „Aftershow Party“ war einmalig. Ich unterhielt mich lang und breit mit Keira und Johnny über die Dreharbeiten des Filmes und auch über meine eigenen Erfahrungen an einem Filmset. Aber auch Orlando und Seth kamen zur Sprache und die beiden Schauspieler merkten schnell, dass die Gefühle, die Orlando mir entgegenbrachte, in gleichem Maße von mir erwidert wurden.

 

Es war erstaunlich, dass ich nun einige Schauspieler kannte, von denen keiner so überheblich und arrogant war, wie man es ihnen oft andichtete. Sie waren normale Menschen, die einfach ihrem Job nachgingen. Überheblich und arrogant kamen sie nur denen vor, die ihre Privatsphäre nicht respektierten.

 

Natürlich waren auch einige ausgewählte Reporter auf der Party und nicht alle waren scharf darauf, nur über den Film zu reden. Manche wollten natürlich auch in unsere Privatsphäre eindringen, fragten immer und immer wieder, ob Orlando gut küssen könne, ob er ein guter Liebhaber sei. Es war mehr als nervig solche Fragen gestellt zu bekommen, denn meiner Meinung nach ging das niemanden etwas an. Das war eine Sache zwischen mir und Orlando.

 

„Man, dieser Will Turner … das ist ein Mann. Sieht gut aus, kann mit dem Schwert umgehen, weiß mit Frauen umzugehen, und kann wahrscheinlich noch vieles mehr. Den würde ich nicht von der Bettkante stoßen“, bemerkte ich als wir wieder im Hotelzimmer ankamen.

 

„Ich könnte mal sehen, was sich arrangieren lässt“, brummte Orlando mit einem Grinsen im Gesicht, als er gerade seine Schuhe von den Füßen streifte.

 

„Von Ketten hat er Ahnung …“, raunte er gegen meinen Nacken als er meine Halskette wieder öffnete und küsste dann zart die Stelle, an der eben noch die Kette gelegen hatte. Diesmal gab es keinen Grund ihn abzuweisen und wir setzten unser Spiel vom Vortag fort.

 

War der Tag der Premiere schon kein ruhiger gewesen, war es der Tag danach erst recht nicht. Schon früh mussten wir uns wieder für den Abflug fertig machen, denn wir wurden ja von Peter am Set gebraucht. Orlando musste in weniger als 20 Stunden schon wieder Legolas sein und wir mussten beide noch mal die Szenen durchgehen. Außerdem wartete Seth auf uns. Meine Mutter war zwar gut mit dem kleinen Kerl klar gekommen, aber er vermisste uns beide und verstand nicht wirklich, warum wir nicht da waren. Natürlich, er war oft bei anderen Leuten gewesen, während sein Vater zu Premieren gegangen war, aber das hieß noch lange nicht, dass er es toll fand.

 

„Wir haben gerade `ne Mail von Peter bekommen. Es ist das Skript. Wir werden schon am Mittag benötigt“, sagte Orlando und war schon auf dem Weg nach unten in die Lobby des Hotels, um sich dort die beiden Dateien ausdrucken zu lassen. Ich entschied mich ihm nicht hinterherzulaufen, sondern lieber unsere Sachen weiter zu packen und dann mit gepackten Koffern nachzukommen.

 

„Er hat die Szene mit Aragorn und Sauron gestrichen. Er will jetzt die Szene mit Saurons Mund noch mal erweitern“, erklärte mir Orlando als er mir das gedruckte Skript übergab. Ich sah ihn an und musste gestehen, dass ich über Peters Entscheidung mehr als glücklich war. Bei Tolkien war Sauron auch nicht mehr in physischer Gestalt aufgetaucht und ich hatte nicht verstanden, warum Peter ihn im Film hatte zeigen wollen.

 

„Er hat auch Aragorns Rede noch einmal umgeschrieben …“, murmelte ich als ich im Flugzeug las, was Peter uns geschickt hatte. Ich war mehr als erstaunt, als ich dort dann genau die Zeilen las, die ich Peter geraten hatte. Es ehrte mich sehr, dass dieser einmalige Mann anscheinend so viel von mir hielt, um meine Meinung so zu honorieren.

 

 

„Haltet eure Stellung! Haltet eure Stellung! Söhne Ägyptens, meine Brüder! In euren Augen sehe ich dieselbe Furcht, die auch mich verzagen ließe. Der Tag mag kommen, da der Mut Ägyptens erlischt, da wir unsere Verbündeten im Stich lassen und aller Freundschaft Bande bricht. Doch dieser Tag ist noch fern. Die Stunde der Schakale und zerschmetterter Schilde, da das Volk Amuns tosend untergeht, doch dieser Tag ist noch fern! Denn heute kämpfen wir! Bei allem, was euch teuer ist auf dieser Erde, sage ich: Haltet stand, Kinder der Götter!“, las ich auf den Mauern Karnaks. Wir waren auf dem Weg nach Abu Simbel, um die Tempel einzuweihen, und ich hatte den Pharao gebeten, ein letztes Mal mit mir hier Halt zu machen. Ich spürte, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte. Die seltsame Krankheit, die Fieber und Kälteschübe unvorhersehbar mit sich brachte, hatte mich sehr geschwächt und das Kind, was in meinem Bauch heranwuchs, dessen war ich mir sicher, würde meine letzten Kraftreserven bei der Geburt aufbrauchen.

 

Als wir bemerkt hatten, dass ich wieder schwanger war, hatte Ramses versucht, mich dazu zu überreden, dass die Heiler das Reifen des Kindes unterbanden, aber ich hatte mich dagegen gewehrt. Ich konnte dieses Leben, das in mir heranreifte, nicht zerstören. Nicht, nachdem ich durch einen schrecklichen Unfall meinen ältesten Sohn verloren hatte.

 

Der Gedanke an ihn schmerzte immer noch sehr und ich konnte immer noch nicht verstehen, wie die Götter ihn uns hatten entreißen können. Warum sie nicht über ihn gewacht hatten, wie sie es sonst getan hatten. Nun, nachdem mein Sohn tot war, würde sein Bruder Ramses, der Erstgeborene von Isisnoftret, Pharao werden und ich war mir sicher, dass dies kein Zufall war. Natürlich, Ramses war schon immer der Zweite in der Thronfolge gewesen, aber es war kein Zufall, dass Seth, nun, da sein Vater ihn für reif genug hielt um Mitregent zu werden, auf unerklärliche Weise gestorben war.

 

„Ich habe unseren Sohn verloren. Ich will nicht auch noch seine Mutter verlieren“, hatte Ramses mich gebeten, aber ich hatte seine Bitte nicht erhört. Ich würde sowieso sterben, irgendwann würde mich diese Krankheit dahinraffen, und wenn ich davor noch einem Kind das Leben schenken konnte, dann sollte es so sein.

 

„Lass Meritamun an deiner Seite die Rituale zur Einweihung des Tempels vollziehen. Ich bin zu schwach“, hustete ich als das Schiff den Tempel erreichte. Es war unglaublich, was Ramses dort hatte erbauen lassen. Diese vier riesigen Abbilder seiner Selbst, die in die Ferne blickten, um jedem, der diesen Fluss besegelte, klar zu machen, welche Macht Ramses innewohnte.

 

„Aber du musst zugegen sein“, bestand er und ich nickte. Ich wusste, es war ihm wichtig, dass ich bei all seinen Ritualen zugegen war, auch wenn ich sie nun nicht mehr selbst begleiten konnte. Meine älteste Tochter, die er seit meiner Krankheit in den Stand einer Großen Königlichen Gemahlin erhoben hatte, würde nun meine Aufgaben übernehmen und ich war stolz auf sie. Sie war wunderschön und genügsam. Ich hatte sie gut erzogen und Ramses behauptete stets, sie sei mein Abbild. Ein kleiner Trost für ihn, wenn ich endgültig zu den Göttern reisen würde. Und ich wusste, dass es bald soweit sein würde. Es konnte nur noch um Tage gehen und das Kind unter meinem Herzen würde diese Welt betreten und ich sie verlassen.

 

Und bereits auf dem Rückweg von unserer Reise nach Abu Simbel war dies der Fall. Bereits während der Geburt waren die Schmerzen so groß, dass ich am liebsten aufgegeben hätte. Ich schrie und keuchte und wäre am liebsten direkt eingeschlafen, doch Ramses, Aritmei und Meritamun hielten mich wach. Keiner von ihnen wollte mich gehen lassen, obwohl sie wussten, dass es unumgänglich war. Doch als meine kleine Tochter Nefertari endlich das Licht der Welt erblickt hatte, bekam ich erneut hohes Fieber und dann begriffen auch sie, dass ich nicht mehr zu retten war und verabschiedeten sich von mir. Ramses versprach mir einen Tempel zu widmen, so wie mein Grab zu einem zu machen, durch das ich nie vergessen werden würde. Aritmei erneuerte nochmals sein Versprechen, mich auf ewig zu beschützen, und meine Tochter versprach mir, ihrer Schwester eine gute Mutter zu sein. Und nachdem sie alle gesagt hatten, was sie noch sagen mussten, ließen sie mich endlich einschlafen.

 

 

„Teti? Ist alles in Ordnung? Teti?“ Ich schreckte aus dem Schlaf hoch und merkte, dass ich noch immer im Flugzeug saß. Orlando sah mich besorgt an. „Du hast auf einmal nicht mehr geatmet, ich hatte Angst …“, sagte er immer noch etwas erschrocken und sah mich mit aufgerissenen Augen an. Genau diese Augen hatte ich eben auch in meinem Traum gesehen bevor sich Nefertaris Augen geschlossen hatten, diese Sorge, einen geliebten Menschen nicht mehr wieder zu sehen.

 

Ohne ein Wort zu sagen küsste ich Orlando. Ich wollte ihm zeigen, dass ich noch hier war und am liebsten hätte ich ihm erzählt, was ich wusste, aber er würde es sicherlich nicht verstehen, würde mich vielleicht für verrückt halten.

 

„Ich hatte nur einen schlechten Traum“, beruhigte ich ihn und eigentlich war das nicht der Fall gewesen. Es war kein schlechter Traum gewesen. Eigentlich war Nefertari friedlich eingeschlafen. Natürlich, sie hatte Fieber gehabt, aber in dem Moment, wo sich ihre Augen geschlossen hatten, hatte sie keine Schmerzen gehabt und war von den Menschen umgeben gewesen, die ihr etwas bedeutet hatten. Konnte man sich mehr wünschen?

 

 

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