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Kapitel 56

 

Neue Freundschaft?

 

 

 

 

„Hey, du wolltest mich treffen?“, hörte ich die überfröhliche Stimme meiner Schwägerin in Spe. Natürlich, es gab noch keine Hinweise darauf, dass Hirchop und Eileen irgendwann heiraten würden, aber ich war mir sicher, die beiden würde niemand mehr trennen können. Das halbe Jahr, in dem die beiden nun schon zusammen waren, konnte man merken, dass sich die beiden liebten und respektierten. Und ich hatte auch gelernt, sie in gewisser Weise zu lieben. Sicherlich würde sie nie den Platz einnehmen können, den Maria innegehabt hatte, aber Eileen war eine gute Freundin geworden. Wir beide hatten in vielen Dingen den gleichen Geschmack und so fiel es mir nicht schwer, mit ihr über vieles zu reden. Wir hatten eigentlich immer ein Thema.

 

„Ja, du weißt doch, wir fliegen übermorgen nach Kalifornien … wegen der Premiere … Ich weiß aber echt nicht, was ich anziehen soll.“ Ich war wirklich verzweifelt. Natürlich, ich war schon auf zwei Premieren gewesen und ich hatte gesehen, was die Leute da trugen, aber die Premieren, auf denen ich gewesen war, hatten größtenteils im Winter stattgefunden, nicht im Sommer. Im Winter gab es nicht viele Optionen, im Sommer schon.

 

„Was zieht denn Orlando an?“, fragte Eileen und ging zu meinem Kleiderschrank. Ich zuckte nur mit den Schultern. Darüber hatte ich mir um ehrlich zu sein gar keine Gedanken gemacht. Ich war zu sehr damit beschäftigt, in Panik zu geraten. Es würde das erste Mal sein, dass wir zusammen als Paar in der Öffentlichkeit erscheinen würden. Und auch wenn vielleicht alle Reporter dachten, wir wären schon lange ein Paar, für mich würde es etwas vollkommen Neues sein. „Zieh mal das hier an!“ Sie schmiss mir eines meiner Sommerkleider zu. Ich hatte es bestimmt seit 3 Jahren nicht mehr getragen. Es war weiß mit blauen Verzierungen und einer blauen schleife um die Taille. Das Problem an diesem Kleid war, dass ich in den letzten drei Jahren, auch wenn es kaum zu glauben war, abgenommen hatte und es mir nicht passte. Es war an einigen Stellen, auch an einigen, bei denen ich es nicht gerade toll fand, viel zu weit.

 

Natürlich, viele beneideten mich für meine Figur, aber diese Leute hatten einen vernünftigen Busen und einen vernünftigen Hintern. Ich hatte das Gefühl, dass das alles bei mir verschwunden war, auch wenn ich immer noch Körbchengröße B hatte. Das, was viele, die etwas mehr auf den Rippen hatten, aber nicht wussten, war, wie schwer es sein konnte zunehmen zu wollen. Ich konnte wirklich essen, was ich wollte und schaffte es einfach nicht. ‚Wir können gerne tauschen‘, war das, was die meisten mir dann etwas schnippisch entgegneten, aber ich wusste, dass dieser Zustand auch nicht gerade toll war. Ich hätte lieber ein gesundes Gewicht gehabt, vielleicht einen BMI von 23 oder 24, nicht von beinahe 19.

 

„Okay, wie wäre es dann mit einer Jeans und diesem Oberteil hier?“ Sie zog ein Stück schwarzen Stoffes aus dem Kleiderschrank. Dieses Teil war nicht so alt. Ich hatte es während meiner Partywut gekauft. Eigentlich war es eine Art schulterfreies Top, denn die in der Mitte aufgeschnittenen Ärmel hielten das Oberteil nicht wirklich am Platz, sie waren nur Zierde. Es hielt dadurch, dass es relativ eng war und am Dekolletee einen Silikonstreifen hatte, mit dem es an meiner Haut haften sollte. Bei diesem Oberteil war es wieder förderlich, kleinere Brüste zu haben, denn sie blieben in ihrer Form, auch ohne BH. Ich kannte es von anderen Frauen, die sich immer wieder beschwerten, immer und überall einen BH tragen zu müssen, bei mir war das wirklich nicht der Fall. Das Oberteil musste vorne mit einem Reisverschluss geschlossen werden, der aber durch seine Eigenschaft nur schwer zu erkennen war. Die Jeans, die mir Eileen dann rauslegte, war keine richtige Blue Jeans. Sie war eher blaugrün und etwas verwaschen, das war aber so gewollt. Ich hatte die Hose erst vor zwei oder drei Wochen bei Esprit gekauft, im Moment war der ‚Used Look‘ nun einmal in.

 

„Und dazu werden wir dir nachher noch Schmuck suchen. Aber zieh das erst mal an, damit ich weiß, nach was wir suchen können“, bat Eileen und ich tat, was sie sagte. Ich war froh, dass ich wieder jemanden hatte, der sich in Sachen Styling besser auskannte als ich. Den normalen Alltag konnte ich mit meinem Geschmack schon meistern, aber solche Festivitäten waren eine pure Überforderung für mich.

 

Am Ende fanden wir eine mittellange, silberne Kette mir Strasssteinen und das passende Armband. Als ich dann alles einmal angezogen hatte und mich im Spiegel betrachtete, war ich beeindruckt. Es sah nicht zu overdressed auch, erschien aber auch nicht zu alltagsmäßig. Es war genau die richtige Mischung und ich würde sicherlich nicht darin schwitzen, zumindest nicht, wenn Orlando nichts Unerwartetes tat.

 

„Teti … Hirchop sagte mir, ich soll dich nach eurer Geschichte fragen. Er wollte es mir nicht einfach erzählen, aber es interessiert mich wirklich. Ihr scheint so … fast so als wärt ihr, also du, Orlando und Seth, schon ewig eine Familie.“ Ich merkte, dass es Eileen beinahe etwas peinlich war, mir diese Frage zu stellen. Anscheinend hatte Hirchop ihr gesagt, dass ich über manche Teile unserer Geschichte nicht gerne sprach. Aber irgendwann würde ich es ihr erzählen müssen, warum also nicht jetzt? Ich bat sie also, sich mit mir auf mein Bett zu setzen, diese Geschichte würde etwas länger dauern.

 

„Na ja … es begann alles damit, dass Hirchop und ich in der Bar auf seinen alten Freund Dominic getroffen sind. Damals wusste ich noch nicht, warum er hier war, ich kannte ihn nur als den aufgeregten, nervösen Jungen, der in Manchester immer mit Hirchop gespielt hatte. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass wir uns ineinander verliebt hatte und an meinem 19. Geburtstag kamen wir dann zusammen. Meine beste Freundin Maria und er kannten sich auch und ich muss ehrlich sein und sagen, dass ich die erste Zeit eifersüchtig war, weil ich nicht wusste, warum die beiden immer zusammen für längere Zeit verschwanden.“ Der Gedanke an Maria schmerzte, aber zur gleichen Zeit merkte ich, wie ich nun viel besser über sie sprechen konnte. Ich vermisste sie unheimlich, aber da war nicht mehr dieses riesige Loch, was sie mit sich gerissen hatte, es war kleiner geworden.

 

„Einige Minuten, bevor Dom und ich dann wirklich ein Paar wurden, haben sie mir dann gesagt, dass sie beide am Herrn der Ringe arbeiten, er als Schauspieler und sie als Visagistin. Du kannst dir vorstellen, wie überrascht ich war. Nach ein paar Monaten nahm mich Dom mit nach Queenstown für 2 monatige Dreharbeiten und ich lernte seine Kollegen kennen, auch Orlando. Zu meiner großen Schande muss ich gestehen, dass ich schon damals irgendwie von ihm angezogen war, auch wenn ich mir das nicht eingestehen wollte, ich war ja immerhin mit Dom zusammen.“ Im Nachhinein betrachtet war es wirklich seltsam. Bereits beim ersten Mal, das wir uns gesehen hatten, hatte ich eine Verbindung zwischen uns gespürt und wenn ich mich jetzt an seinen Blick erinnerte als er mich das erste Mal gesehen hatte, wusste ich, dass er das auch gespürt haben musste. War es wirklich nur die Verpflichtung gegenüber unseren Partnern gewesen, die uns glauben ließ, es wäre keine Liebe gewesen?

 

„Hatte Orlando nicht auch eine Freundin?“, fragte dann Eileen. So viel hatte sie wohl mitbekommen. Kein Wunder, irgendwo hatte Seth ja herkommen müssen.

 

„Ja, Astrate“, bemerkte ich abfällig und schwor mir, es würde das letzte Mal sein, dass ich über diese schreckliche Person reden würde. „Sie war mit mir in einem Kurs an der Uni und schon bevor einer von uns wusste, wer der andere wirklich war, haben wir uns nicht leiden können. In den 2 Monaten in Queensland habe ich mich wirklich gut mit Orlando angefreundet, aber wir waren wirklich nur Freunde. Als er dann erfuhr, dass Astrate schwanger war, wurde die Situation nicht einfacher. Orlando fühlte sich verpflichtet sie zu heiraten.“ Eileen wollte gerade unterbrechen und mit Sicherheit anmerken, dass Orlando doch noch nie verheiratet gewesen war, aber ich konnte sie davon abhalten. „Glücklicherweise war Astrate so eitel, dass sie auf keinen Fall mit einem Bauch heiraten wollte. Sie war immer darauf bedacht, möglichst hübsch auszusehen. Sie entschied sich also erst nach der Geburt zu heiraten. Doch es passierte etwas, dass sie nicht erwartet hatte. Seths Nabelschnur legte sich um den Hals seinen Zwillingsschwester und die Kinder mussten geholt werden. Die kleine Isis hat es leider nicht geschafft. Sie war bereits tot als man sie holte. Astrate hat ihren Sohn dafür gehasst und ihn nicht angenommen. Da ich gerade mit einem Bänderriss im selben Krankenhaus lag, kam Orlando mit dem Kleinen dann zu mir.“

 

„Und du konntest diesem kleinen Kerl nicht widerstehen, was?“, unterbrach mich Eileen lächelnd. Ich nickte. Ich hatte Seth noch nie widerstehen können und es hatte sich immer richtig angefühlt, ihn in meinen Armen zu haben. „Ich glaube, er ist auch nie wirklich Astrates Kind gewesen. Er war schon immer dein Sohn. Biologie zählt da nicht.“

 

„Ja, mittlerweile denke ich das auch. Na ja, Astrate hat den kleinen Kerl wie gesagt nicht angenommen. Sie hasste ihn für das, was er seiner Schwester angetan hatte. Wenn sie ihn hatte, dann stimmte jedes Mal etwas mit ihm nicht. Eines Tages machte ich mir große Sorgen um Seth und ich bin zu Orlandos Haus gefahren. Doch Orlando war nicht zu Hause, dafür hörte ich Seth schreien. Ich wollte irgendetwas tun, doch bevor ich etwas tun konnte, griff Astrate mich an und stieß mich eine Treppe hinunter. Als ich im Krankenhaus aufwachte erfuhr ich, dass sie mich wegen Einbruchs und versuchter Kindesentführung verklagt hatte. Natürlich kam vor Gericht die Wahrheit raus und Astrate drehte durch, zeigte auch Orlando ihr wahres Gesicht. Orlando trennte sich von ihr.“ Ich hielt einen Moment inne, denn ich merkte, dass dieser Teil der Geschichte erst einmal sacken musste. Was würde Eileen dann wohl erst sagen, wenn es richtig haarig wurde?

 

„Ich arbeitete mittlerweile fest als Souffleuse beim Film und war daher überall dabei. Dom und ich hatten uns getrennt, weil ich wusste, dass ich ihn niemals so lieben konnte wie er mich liebte. Als die Dreharbeiten dann beendet waren, gingen sie alle weg. Orlando, Dom und Billy nach Großbritannien, Elijah, Sean und Viggo nach Amerika. Ich war wieder alleine. Wir trafen uns nur bei gelegentlichen Anlässen wie Cannes oder die Premieren. Ich konnte damals nicht damit umgehen, Orlando so zu lieben, es aber nicht zeigen zu dürfen. Ich habe mich in ein Partyleben gestürzt. Ich verlor meine eigentliche Identität. In der Zeit konnte man mich wohl als Schlampe bezeichnen. Ich ging von einer Party auf die nächste, flirtete mit jedem Mann, der Orlando auch nur in irgendeiner Weise ähnelte, um ihn endlich vergessen zu können.“ Ich war wirklich nicht stolz auf das, was ich Eileen gerade erzählte, aber ich war der Meinung, sie hatte es verdient es zu wissen. Sie war wirklich nett und half mir sehr damit, das Loch ‚Maria ist weg‘ zu schließen. Und so abstrus das, was ich ihr erzählte, auch klingen mochte, sie hörte sich alles in Ruhe an und war keinen Moment desinteressiert.

 

„Natürlich nahm dieses Leben kein gutes Ende. Ich traf auf einen Verrückten. Er folgte mir eine Zeit lang überall hin, war fest davon überzeugt, dass ich ihn liebte. Und dann … na ja. Ich weiß nicht genau, was passiert ist … Das Meiste hat mein Kopf in einer Rettungsvorstellung von Aragorn verborgen und darüber bin ich froh.“ Eileen schlug die Hände über ihrem Mund zusammen. Anscheinend hatte Hir ihr noch nicht mal das erzählt, doch sie musste ahnen, was ich damit sagen wollte, denn aussprechen konnte ich es nicht. Das hätte es für mich zu wirklich gemacht, zu real. „Wochenlang durfte mich niemand außer Viggo, der mich tatsächlich gerettet hatte, anfassen. Schlimme Alpträume verfolgten mich, selbst wenn ich wach war, und auch Orlando konnte daran nichts ändern als er kam. Erst mit der Zeit lernte ich, die ganze Sache zu verarbeiten, aber ganz kommt man über so was nie hinweg.“ Und damit hatte ich vollkommen Recht. Ich hatte es erst vor wenigen Tagen erlebt, als Orlando und ich versucht hatten, uns näher zu kommen. Es hatte nicht funktioniert. Natürlich, beim zweiten Mal hatte es besser geklappt, aber wir waren ja auch nicht wirklich weit gekommen. Seitdem hatten wir es nicht mehr probiert. Nicht, weil ich Angst hatte oder ähnliches, sondern einfach nur, weil Seth wieder bei uns war. Er nahm unsere ganze restliche Kraft, die wir von unserer Arbeit mit nach Hause nahmen, in Anspruch, sodass wir abends, wenn er endlich schlief, auch nur noch ins Bett fielen. Ich schlief kaum noch zu Hause in meinem Zimmer, aber meine Eltern sagten nichts. Immerhin war ich alt genug und sie waren froh, dass ich glücklich war.

 

„Als ich mich wieder im Griff hatte, kamen wir uns bei jedem Treffen näher und wir beide spürten, was der andere empfand. Das Einzige, was uns trennte, war die Entfernung, die zwischen uns lag. Ich wollte mein Studium beenden und das konnte ich nur hier. Ich wollte aber auch keine Fernbeziehung führen.“

 

„Was hat deine Meinung geändert?“, fragte Eileen. Sie war immer noch ganz hin- und hergerissen von dem, was ich ihr erzählte. Wahrscheinlich konnte sie nicht glauben, was alles in der kurzen Zeit von 3 Jahren passiert war.

 

„Die Hochzeit von Rian und Ben. Sie war das Ende eines Abschnittes für mich und der Beginn eines neuen. Ein Abschnitt, in dem Orlando zu meinem Leben gehören sollte. Außerdem wusste ich, dass mein Studium beendet sein würde, wenn ich ihn das nächste Mal treffen würde. Mr. McGregor vom British Museum hat meine Entscheidung dann nur noch einfacher gemacht. Orlando lebt eigentlich in England und ich bald auch. Und im Moment sind wir beide hier in Neuseeland“, endete ich mit meiner Geschichte und Eileen lächelte mich breit an. Ich war Hirchop dankbar, dass er seiner Freundin meine Geschichte nicht erzählt hatte, denn es zeigte mir auf, dass mein Leben anscheinend endlich richtig verlief.

 

Eileen wollte sich dafür bedanken, dass ich ihr meine Geschichte erzählt hatte, doch sie brauchte sich nicht zu bedanken. Ich musste mich bei ihr bedanken, dass sie mir die Möglichkeit gegeben hatte, die letzten 3 Jahre noch einmal zu reflektieren, noch einmal das zu sehen, was wichtig gewesen war. Als dann mein Telefon klingelte und Peter mich für einen Nachtdreh reif, machte ich mich zufrieden dorthin auf den Weg.

 

„Wo bist du gewesen?“, fragte Orlando mich erstaunt als ich ihn überschwänglich umarmte. Wahrscheinlich hatte er nicht mit meiner guten Laune gerechnet.

 

„Zu Hause, ich musste noch ein Outfit für übermorgen … oder besser gesagt, morgen finden. Mein Gott, ist es schon spät?“, bemerkte ich als ich auf die Uhr sah. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass wir es schon so spät hatten, immerhin war ich noch im Hellen zu meinen Eltern gefahren. Natürlich fragte Orlando, was ich anziehen würde, aber ich verriet es ihm nicht. Ich hatte einen gewissen Plan. Wir würden die zweieinhalb Tage in Kalifornien alleine sein, denn meine Mutter hatte darauf bestanden, auf Seth aufzupassen. Wahrscheinlich wusste sie aus eigener Erfahrung, dass man mit einem kleinen Kind im Schlepptau nicht gerade die Zweisamkeit hatte, die frisch Verliebte vielleicht haben wollten. Ebenso war diese Reise für Seth bestimmt mehr als stressig und wir alle wollten ihm das ersparen.

 

„Mir würde es auch reichen, wenn du gar nichts tragen würdest. Aber leider sind wir ja nicht alleine“, säuselte Orlando mir ins Ohr. Dieser Mann war einfach unglaublich. Selbst mitten in der Nacht, wenn es eisig kalt war, konnte er sich nichts anderes vorstellen als mich nackt zu sehen.

 

Und dann, wie als ein Geschenk, kam mir plötzlich die Eingebung, wie und wann ich ihn wahnsinnig machen würde, denn im Hintergrund klingelte gerade ein Handy und der Klingelton hatte mich auf die Idee gebracht.

 

 

 

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