top of page

Kapitel 52

 

 

Prüfungen

 

 

Trotz meiner anfänglichen Sicherheit saß ich nun mehr als nervös vor der Universität. In einer halben Stunde würde unsere Prüfung beginnen. Die Prüfung, mit der ich diesen Abschnitt meines Lebens endgültig beendete. Wenn diese Prüfung vorbei war, würde sich alles ändern. Morgen würden die ersten Castmitglieder hier landen und nächste Woche würden dann auch schon die Nachdrehs beginnen. Orlando würde am Freitag landen, was bedeutete, dass ich noch 3 Tage auf ihn warten musste, aber das war noch auszuhalten.

 

Doch mein Beziehungsstatus würde nicht das einzige sein, was sich ändern würde. Ebenso würde ich dann langsam anfangen, meine Sachen in meinem Zimmer zusammen zu packen, um im August in meine neue Wohnung zu ziehen. Das Lustige an meiner neuen Wohnung war, dass ich in Londons Stadtteil Kensington ziehen würde. Mein Vater hatte die Wohnung besorgt und hatte diese Tatsache einfach wunderbar gefunden, immerhin war einer unserer Vorfahren einmal der Duke of Kensington gewesen. Was ich aber viel besser an der Tatsache fand, in Kensington zu wohnen, war, dass Orlando eine Wohnung in Notting Hill hatte, was direkt neben Kensington lag.

 

Ich hatte Orlando schon von meinen Plänen erzählt und er hatte sich sehr darüber gefreut zu hören, dass ich in Zukunft näher an seiner eigentlichen Heimat sein würde. Ich würde ihn und Seth öfter sehen können und ich würde wieder in dem Land sein, in dem ich aufgewachsen war. Mr. McGregor hatte sich sehr über meine E-Mail gefreut und mir direkt mitgeteilt, dass ich am 18. August meinen ersten Arbeitstag haben würde.

 

Als ich dann im Hörsaal Platz nahm, stieg mein Puls noch höher. Was sollte ich tun, wenn etwas dran kam, von dem ich keine Ahnung hatte? Was, wenn meine Planung wieder einmal über den Haufen geschmissen werden wurde? Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Ich wurde erst ruhiger, als die Wahlthemen wirklich vor mir lagen und es begann.

 

„Haben Sie sich entschieden?“, fragte mich eine ältere Frau, als ich einige Minuten auf das Blatt gestarrt hatte. Ich hatte mich nicht groß entscheiden brauchen. Zwar hatten sie nicht Ramses als ein Thema genommen, aber auch mit Echnaton und Nofretete kannte ich mich bestens aus, zumindest besser als mit der Herrschaft Kleopatras.

 

„Ja, ich habe mich für die 18. Dynastie entschieden“, teilte ich ihr mit und sie nickte. Dann ging sie in den Nebenraum, wahrscheinlich um die Professoren davon in Kenntnis zusetzten, was sie mich fragen sollten. Diese letzte Prüfung war wichtig. Sie würde entscheiden, ob ich die Beste meines Jahrgangs bleiben würde oder nicht. Die Theorie der Archäologie hatte ich bereits mit Auszeichnung bestanden, jetzt musste ich noch meine Spezialisierung legitimieren.

 

Ich wusste, dass die Professoren es mir nicht einfach machen würde, immerhin kannten sie alle, was ich bereits wusste und dass ich mit dem, was sie als Vermutungen abtat, dennoch meistens richtig lag. Sie stellten mir Fragen, die wahrscheinlich nur wenige beantworten konnten, fragten mich, was man bei dem Fund einer Mumie in einem der Gräber der 18. Dynastie gefunden hatte und was sich daraus schließen ließ. Aber ebenso fragten sie nach aktuelleren Ereignissen.

 

„Warum meinen Sie, ist bei Ihrem eigenen Fund nochmals ein Artefakt des Pharaos Eje im Grab der Nefertari aufgetaucht?“ Ich sah den Prüfer ruhig an. Ich wusste, dass es den meisten alteingesessenen Professoren nicht gefiel, dass einer Studentin bereits ein Fund zugeschrieben wurde, vor allem nicht, wenn einer ihrer Kollegen deswegen im Gefängnis gelandet war. Wahrscheinlich hofften sie, ich würde darauf keine Antwort finden, aber ich hatte meistens eine Antwort, vor allem wenn es um Nefertari ging. Das konnten sie jedoch nicht wissen.

 

„Da es das zweite Artefakt dieser Art ist, würde ich sagen, dass sich daraus schließen lässt, dass es eine Verbindung zwischen Eje und Nefertari gegeben hat. Ebenso ist ein Hinweis darauf, dass eine Statue der Meritamun in Achmim steht und somit eine Verbindung nahe liegt. Ich denke, es wäre möglich, dass Nefertari vielleicht eine Enkelin Ejes und Anches-sen-Amuns war. Das würde auch erklären, warum ihr Name erst bei Regentschaftsbeginn ihres Gemahls auftaucht und nicht bereits zuvor. Sie war nicht wie vermutet eine hohe Adlige. Sie lebte abgeschieden als Priesterin, bis Ramses sie kennen lerne.“

 

„Miss Kensington, ich denke nicht, dass Spekulationen und Abstreitungen bekannter Studien Ihrem Ergebnis gut tun werden“, unterbrach mich einer der Professoren mit einem ernsten Blick. Aber ich wusste, dass sie nur aus diesem Grund das Thema angeschnitten hatten.

 

„Ich denke nicht, dass es Spekulationen sind. Sie war von Anfang an mit allen Ritualen vertraut und bei den Priestern in Karnak sehr angesehen. Eine Keilschrift aus meinem Fund müsste beweisen, dass sie aus der Nähe von Karnak stammt, wo sie als Priesterin eingetragen war. Das Schriftstück wurde bisher noch nicht komplett übersetzt, aber ich bin mir ziemlich sicher“, erklärte ich und ich sah die entsetzten Gesichter der Professoren. Anscheinen war ich zu weit gegangen.

 

Hirchop, Eileen und meine Eltern standen draußen, als ich aus dem Gebäude kam. Sie hatten gewusst, dass ich nach dieser Prüfung bereits mein Ergebnis erfahren würde und hatten schon mal Sekt und Gläser mitgebracht. Aber mein Gesicht musste ihnen sagen, dass etwas nicht stimmte, denn sie ließen die Korken nicht springen.

 

„Was ist los, Teti? Was ist passiert?“, fragte mich meine Mutter besorgt. Ich war so wütend, dass ich am liebsten irgendetwas zerstört hätte. Diese alten Säcke hatte mich tatsächlich durchfallen lassen! MICH! Ich konnte meinen Eltern nicht antworten. Ich wusste, ich würde die Fassung vollkommen verlieren, wenn ich nun etwas sagen würde. Erst, als wir wieder zu Hause waren, konnte ich mich soweit zusammenreißen, dass ich ihnen erzählen konnte, was passiert war.

 

Nachdem ich meine Theorie geäußert hatte, hatten sie mich direkt rausgeschmissen, ohne auch nur ein Wort der Erklärung. Sie feuerten mir nur ein Formular entgegen, auf dem groß das Wort „Durchgefallen“ stand. Das, was mich so wütend machte, war die Tatsache, dass sie nichts geschrieben hatten, während ich in dem Raum gesessen war. Diese Entscheidung war gefallen, bevor ich überhaupt eingetreten war.

 

„Wir werden dagegen angehen. Ich werde sofort beim Ausschuss der Uni anrufen!“, polterte mein Vater entsetzt und nahm das Telefon in die Hand. Er beschimpfte diverse Zwischenleute, bis er endlich beim Fachleiter für Ägyptologie ankam. Auch mit ihm ging er nicht gerade zimperlich um.

 

„Wir werden dafür sorgen, dass dieses Ding noch heute vollkommen übersetzt wird, wenn das als Beweis genügt!“, schrie er und legte wieder auf, aber er redete noch nicht mit uns, sondern telefonierte direkt weiter. Ich hatte gewusst, dass mein Vater etwas Arabisch sprach, aber ich hatte nicht gedacht, dass er es doch so gut konnte, dass er auf Arabisch fluchen konnte. Als er wieder auflegte, waren wir mehr als gespannt auf das, was er nun sagen würde.

 

„Sie werden die Tafel mit der Keilschrift umgehend übersetzen und der Universität und uns eine übersetzte Abschrift zukommen lassen. Wenn das belegt, was du gesagt hast und die Tafel wirklich so alt ist, dann wird über dein Ergebnis noch einmal gesprochen und alle deine Antworten neu evaluiert. Wir sollten morgen Nachmittag mit einem Ergebnis rechnen können, was bedeutet, dass wir morgen Abend eine Antwort von der Universität bekommen sollten. Ansonsten mach ich da noch mal Dampf!“

 

Ich hatte meinen Vater selten so entschlossen und wütend gesehen. Er war normalerweise ein eher ruhiger und gemächlicher Mann, aber davon konnte man im Moment wirklich nicht sprechen. Aber natürlich meldete sich die Universität nicht von selbst am nächsten Tag. Wahrscheinlich waren sie dazu einfach zu stolz.

 

„Sie müssten das Schreiben seit heute Vormittag haben. Ich habe eine Sendebestätigung erhalten!“, sagte mein Vater etwas zu laut in den Hörer. Die Sekretärin des Direktor konnte sicherlich nichts für die ganze Situation, aber sie musste einen Teil der Wut meines Vater abbekommen.

 

„Dann stören Sie diese Besprechung oder ich gehe bis zum Bildungsministerium!“, schrie er und selbst ich zuckte zusammen. Dann schien er aber doch noch die Person zu bekommen, die er hatte erreichen wollen. Als er auflegte, hatte er ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht.

 

„Und?“, fragte ich unsicher.

 

„Was denkt ihr denn?“, sagte er mit einem Lächeln und nahm mich überschwänglich glücklich in den Arm. Ich konnte es noch gar nicht richtig glauben. Er hatte es wirklich geschafft und vor allem, ich hatte tatsächlich Recht gehabt! Es gab tatsächlich einen Beweis für das, was ich gesagt hatte. Wenige Minuten kam eine vorläufige Urkunde durch unser Fax geschneit.

 

Ich war nun eine richtige Archäologin und hatte sogar schon einen riesigen Fund gemacht, der, nebenbei bemerkt, meine Wohnung und ihre Einrichtung finanzierte. Ich hatte alleine für Nefertaris Mumie ein gutes Sümmchen vom Ägyptischen Museum in Kairo erhalten, ganz zu schweigen von den ganzen Grabbeigaben.

 

Am Abend feierten wir natürlich ausgiebig und natürlich rief mich auch Orlando an. Ich erzählte ihm, dass ich bestanden hatte und er freute sich sehr für mich. Ich würde nun endlich erwachsen werden, hatte er gescherzt. Wir beide wussten, dass ich mittlerweile erwachsen war, zumindest erwachsener als zu dem Zeitpunkt, an dem wir uns das erste Mal getroffen hatten. ‚Es sind nicht die Jahre, die einen wachsen lassen. Es sind die Ereignisse.‘, hatte mal irgendjemand Kluges gesagt und er oder sie hatte damit vollkommen Recht. Ich war durch die guten und schlimmen Ereignisse in den letzten 3 Jahren unheimlich gewachsen.

 

„Ich freue mich schon auf dich“, flüsterte Orlando zum Abschied in den Hörer und es ließ meinen ganzen Körper kribbeln. Ich freute mich auch auf ihn. Wie sehr konnte ich gar nicht sagen. Wir beide hatten uns vorgenommen, ganz normal zu bleiben, so als wäre nichts passiert, zumindest bis wir in einer Privatsphäre-freundlicheren Gegend als dem Flughafen sein würden, aber es würde schwer werden. Andererseits hatten wir so lange gewartet, da würden einige Minuten mehr oder weniger nichts ausmachen.

 

„Schon komisch, oder? Das ist wirklich das letzte Mal“, murmelte ich als ich zwei Tage später mit Viggo, Billy, Dominic, Elijah, Sean, Bernhard, Miranda, Karl, Ian und John zusammen saß. Wir hatten uns zum Abendessen verabredet, so wie wir es früher oft gemacht hatten. Wir unterhielten uns lange über die Premiere vom zweiten Teil, immerhin hatten wir uns da alle das letzte Mal gesehen und es war schon wieder ein halbes Jahr her gewesen. Schon komisch, wie schnell die letzten Monate an mir vorbei gezogen waren, wie schnell wir vom warmen Januar im kühlen Juni gelandet waren. Aber vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil eigentlich nicht viel Besonderes passiert war. Eigentlich hatte sich in den letzten Monaten alles nur um mein Studium und meinen zukünftigen Wohnort gedreht.

 

„Ich werde umziehen“, berichtete ich meinen Freunden später am Abend. Dominic und Billy waren sehr erfreut darüber, dass ich in ihre Nähe ziehen würde. Ich hatte mit Dom kurz nach Rians Hochzeit gesprochen und ihm klar gemacht, dass ich Orlando wirklich liebte und dass er Recht hatte, er war mein Seelenverwandter. Es half ihm, mich endlich loszulassen und mittlerweile sah er mich nicht mehr mit diesem Blick an, der mir immer wieder sagte, dass ich von jemandem geliebt wurde, dessen Liebe ich nicht erwidern konnte.

 

„Du hast den Job also bekommen?“, fragte Viggo begeistert. Ich hatte ihm in einer E-Mail davon geschrieben, war aber durch den ganzen Stress gar nicht dazu gekommen, ihm zu schreiben, dass ich tatsächlich den Job angenommen hatte. Er hatte mir in seiner Antwort dazu geraten, immerhin würde ich so die Chance haben, einige Unklarheiten auf einfache Weise vielleicht aufzuklären. Ich wusste, nach welchen Beweisen ich wo suchen musste und vielleicht würde ich etwas mehr Licht hinter die bisher nur durch ihr Grab und die Schriften des Pharao bekannte Königin Nefertari Meri-en-Mut zu bringen.

 

Er hatte Recht. Wenn ich mich wirklich darauf konzentrieren würde, würde ich vielleicht die Möglichkeit haben, der Welt von dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte zu berichten, die sich vor so vielen Jahren am Nil abgespielt hatte. Vielleicht konnte man die Leidenschaft für Ägypten neu entfachen und dem gebeutelten Land so helfen, zu neuem Glanz aufzusteigen. Vielleicht war das genau das, was ich machen sollte, der Grund, warum ich mich erinnern konnte. Vielleicht schien es deswegen so, als würde mein Leben endlich in die richtige Bahn laufen, weil es das auch tat.

 

„Ich wünschte, es würde noch ewig so weiter gehen“, bemerkte Billy als der Abend schon weiter fortgeschritten war. Keiner von uns wünschte sich das nicht, doch wir wussten, dass das Ende nah war. Ende des Jahres würde die letzte Premiere anlaufen und im Mai würden sich manche von ihnen nochmals auf den Oscars wieder sehen, aber danach war es endgültig vorbei. Danach würden wir selbst dafür zu sorgen haben, dass der Kontakt nicht vollkommen abbrach.

 

„Ich auch“, stimmte ihm Sean zu und wir versprachen uns alle mindestens einmal im Jahr einen Termin zu finden, an dem wir uns treffen konnten, alle zusammen. Sicherlich würde das machbar sein, immerhin hatte ein Jahr 365 Tage und wenn man es früh genug plante, dann sollten es auch alle schaffen, den Termin einzuhalten. Es würde kein Problem sein, wenn einer mal nicht kommen konnte, aber der größte Teil sollte an diesem Termin kommen können, darüber waren wir uns einig. Ich war wirklich froh, dass man mich in diese Diskussion mit einbezog, denn es machte mir wieder klar, dass ich zu ihnen gehörte, auch wenn ich nicht wirklich in diesem Film mitgespielt hatte.

 

„Und was ist mit dir und dem Elb, Missy? Habt ihr euch jetzt endlich mal zusammengerissen?“, fragte mich auf einmal John mit seiner rauen Gimli-Stimme. Es war schon komisch, denn sofort sah ich John nicht mehr als John, sondern eher als Zwerg mit langem, rotem Bart.

 

„Keine Angst, Herr Zwerg, Prinz Legolas und ich sind auf dem besten Wege.“ Ich musste dabei lachen und auch die anderen lachten. Ich konnte das einfach nicht und ich war froh, dass ich in den Szenen, in denen ich vorkam, wenigstens keinen Text gehabt hatte, sonst hätte Peter mich wahrscheinlich rausschneiden müssen.

 

„Na, das ist doch mal eine gute Nachricht!“, rief John dann aus und es erschreckte mich so sehr, dass ich prompt mein Glas Wasser umschmiss und alle Lacher auf meiner Seite hatte. Dann klingelte mein Handy.

 

„Wenn man vom Teufel spricht“, sagte ich und wedelte mit meinem Handy rum um ihnen zu zeigen, dass es Orlando war, der vermutlich gerade vom Flughafen in Kalifornien anrief. Ich stand auf, um in eine etwas ruhigere Ecke des Restaurants zu kommen.

 

„Orlando, wie geht es dir?“, fragte ich als ich den Anruf annahm.

 

„Gut. Ich bin am Flughafen.“

 

bottom of page