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Kapitel 51

 

 

Nüchtern

 

 

 

 

 

16 Anrufe in Abwesenheit

 

 

Das war das Erste, das ich auf meinem Handydisplay lesen konnte, als ich aufwachte und eigentlich nur nach der Uhrzeit sehen wollte. Immer noch etwas verschlafen fragte ich mich, wer mich wohl 16-mal versucht hatte anzurufen. Als ich mich dann umdrehte, um mein Handy richtig greifen zu können, brummte mein Schädel. Ich hatte gestern Abend eindeutig zu viel getrunken, das war sicher. Ich konnte mich um ehrlich zu sein nicht wirklich erinnern, wie ich hierher gekommen war, aber vielleicht hatte mich Hirchop nach Hause getragen. Immerhin hatte er das auch schon einmal getan, als ich im SF zu viel getrunken hatte und mir so schlecht gewesen war, dass ich keinen Schritt mehr hatte tun können.

 

Als ich dann mein Handy in der Hand hatte, klingelte es wieder. Es war die Mailbox und anscheinend hatte jemand darauf eine Nachricht hinterlassen. Ich nahm ab, gab mein Passwort ein und wartete darauf, dass die Nachricht abgespielt wurde, doch es war nicht nur eine. Es waren 3. Die ersten beiden bestanden nur aus Hintergrundgeräuschen und einem Atmen, was man hinter dem anderen Hörer vermuten konnte. Bei der Letzten konnte man im Hintergrund ein Baby schreien hören. Ich kannte dieses Schreien. Es war Seth. Aber warum rief Orlando 16 Mal bei mir an und hinterließ dann nur solche leeren Nachrichten?

 

„Happy Birthday. Ich liebe dich“, schoss es mir dann auf einmal durch den Kopf. Ich hatte ihn zuerst angerufen! Aber warum hatte ich es getan? Nein, warum ich es getan hatte, war klar, oder zumindest ein Teil davon. Ich hatte ihm zum Geburtstag gratulieren wollen. Wahrscheinlich hatte ich in meinem doch etwas betrunkenen Kopf doch noch daran gedacht, dass er durch die Zeitverschiebung erst Geburtstag hatte, wenn bei uns der Tag schon beinahe wieder vorbei war, und hatte dann genau im richtigen Moment mein Handy gezückt.

 

„Weißt du, vielleicht sollte ich wirklich einen Neuanfang machen. Maria hätte das gewollt“, hatte Elijah zu mir gesagt als er, ebenfalls betrunken, zu mir gekommen war. Aber er hatte Recht gehabt, zumindest hatte ich das so empfunden. Vielleicht war es wirklich Zeit, einige Dinge zu ändern. Vielleicht mussten wir wirklich alle Ängste, die wir hatten, endgültig hinter uns lassen.

 

Und dann hatte mich auf einmal eine Entschlossenheit gepackt, dass ich wirklich Orlando anrufen sollte und ihm sagen sollte, was ich für ihn empfand. Er würde sowieso nicht vor Juni hierher kommen können und dann war ich sowieso fertig mit dem Studium, dann war alles gut.

 

Jetzt, ausgeschlafen und nüchtern, merkte ich, dass es wirklich nicht gut war, lebensverändernde Entscheidungen zu treffen, wenn man betrunken war. Normalerweise hatte ich immer jemanden bei mir gehabt, der mich zur Vernunft gerufen hatte, aber in diesem Moment gestern Abend war niemand in der Nähe gewesen und Elijah hatte diese Entscheidung auch noch gut gefunden. Er hatte neben mir gestanden, als ich Orlando angerufen hatte.

 

Als ich dann Hirchop davon erzählte hatte, hatte er mich direkt nach Hause gebracht. Er wusste, dass, wenn ich so etwas machte, mein Pegel viel zu hoch war. Eigentlich hätte sich eine Trauzeugin nicht so betrinken dürfen, aber ich dachte, die Verbindung zu Maria, die hier bestand, und mein allgemeiner Gemütszustand rechtfertigte, dass mir die Cocktails etwas zu gut geschmeckt hatten.

 

„Teti, bist du wach?“, rief Hirchop und klopfte an meine Tür an. Ich antwortete ihm und er kam mit einem Frühstücksbrett herein. Darauf waren diverse Gläser mit bunten Flüssigkeiten und ein üppiges Frühstück. „Ich dachte, du könntest etwas gegen deinen Kater gebrauchen“, sagte er und setzte sich neben Bahad an mein Fußende.

 

„Habe ich Orlando gestern wirklich angerufen?“, fragte ich ihn unsicher. Hirchop zuckte nur mit den Schultern.

 

„Wenn das stimmt, was du mir gestern erzählt hast, dann ja, du hast ihn angerufen“, antwortete er und ich sah bedrückt auf den Boden. Hirchop nahm mein Kinn in seine Hand und zwang mich ihn anzusehen. Dann fragte er mich, was denn so schlimm daran sei, dass ich Orlando meine Gefühle offenbart hatte. Immerhin ging es ihm nicht anders. Laut ihm war es höchste Zeit gewesen, dass diese Sache mal ausgesprochen wurde.

 

Wenigstens musste ich jetzt keine Angst mehr haben, dass es mir in einem unpassenden Moment rausrutschen könnte, dieser Moment war vorbei. Jetzt hieß es nur, warten bis Orlando wieder versuchen würde, mich anzurufen, denn ich war mir sicher, er würde es tun. Aber während ich darauf warten würde, würde ich etwas gegen meinen Kater tun, denn ich wollte, wenn er anrief, nicht von Kopfschmerzen geplagt werden. Wahrscheinlich würde es ein wichtiges und langes Gespräch werden, eines, an das ich mich später sicherlich gerne erinnern würde.

 

„Eileen war gestern ja total begeistert, was?“, fragte ich Hirchop, um vom Thema abzulenken und nicht selbst zu viel daran zu denken. Hirchop lächelte mich an.

 

„Ja, sie liebt Hochzeiten. Das war zwar erst ihre zweite, aber sie hat sich wirklich gefreut, dass sie mitkommen durfte, obwohl sie Rian und Ben ja eigentlich nicht wirklich kannte“, erklärte Hirchop. Eileen war ganz in Ordnung. Hatte ich sie anfangs noch für nervig gehalten, hatte ich schnell gemerkt, dass sie etwas im Köpfchen hatte. Natürlich, sie hatte immer noch diesen „Bambi-Blick“, aber über den konnte ich mittlerweile hinwegsehen. Man konnte sich mit ihr einfach gut unterhalten. Außerdem hatten wir beide noch ein gemeinsames, heimliches Hobby: Ich liebte es, Gitarre zu spielen und sie hatte als Kind gelernt, Keyboard zu spielen und tat es immer noch gerne, und sie konnte singen. Ab und zu kam sie zu mir rüber, wenn sie bei Hirchop war, und wir spielten an dem Fernseher in meinem Zimmer Singstar. Es ging uns nicht darum, in diesem Spiel etwas zu erreichen. Es ging uns eigentlich nur darum zu singen und wir konnten von uns behaupten, dass wir recht passabel sangen.

 

Mit Maria hatte ich das nie machen können. Sie verabscheute ihre Stimme und ich musste leider zugeben, dass sie nie wirklich einen Ton getroffen hatte. Es war schön jemanden zu haben, mit dem ich diese geheime Leidenschaft auch einmal ausleben konnte. Eileen würde Maria nie ersetzen können, der Überzeugung war ich immer noch, aber vielleicht könnte sie eine kleine Lücke schließen.

 

„Teti, Telefon für dich“, sagte meine Mutter und ihr Grinsen war mehr als breit. Mein Herz begann schneller zu klopfen. War das Orlando? Hatte er vielleicht mit meiner Mutter schon geredet? Wusste sie, was los war? Was ich gestern Abend getan hatte?

 

„Ja?“, sagte ich vorsichtig in den Hörer.

 

„Miss Kensington?“ Nein, das war definitiv nicht Orlando. „Ich freue mich, Sie einmal persönlich am Apparat zu haben. Mein Name ist Neil McGregor, ich bin der neue Direktor des British Museum und ich habe mit Ihrem werten Vater studiert. Sie können sich vorstellen, dass wir von ihrem einmaligen Fund gehört haben?“, fragte er und ließ mir Zeit zu Antworten.

 

„Ja, Sir“, war jedoch das einzige, was ich sagen konnte.

 

„Das British Museum wäre höchst erfreut, Sie in unseren Reihen zu wissen. Bei uns würden Sie in den ersten Jahren einige Forschungsarbeiten unterstützen, doch ich bin mir sicher, dass Sie bald schon eigene Forschungen leiten könnten.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Bot mir da gerade wirklich jemand aus England einen Job an? Ein alter Bekannter meinen Vaters?

 

„Falls mein Vater...“

 

„Ich kann Ihnen versichern, Ihr Vater hat mit der Sache nichts zu tun. Wir sehen einfach nur großes Potential in Ihnen. Und wir können Ihnen auch versichern, dass sie zum größten Teil in Ihrem Fachgebiet eingesetzt werden. Natürlich werden sie, wenn Not am Mann ist, auch anderweitig einspringen müssen, aber ansonsten bleiben Sie in der ägyptischen Abteilung. In ein paar Jahren wird auch der Posten der Leitung dort vermutlich frei.“ Ich schüttelte nur den Kopf. Das alles konnte er nicht ernst meinen. War es wirklich so einfach? Um ehrlich zu sein hatte ich gefürchtet, ich würde nach meinem Studium dasitzen und erst mal etliche Absagen bekommen, und vielleicht ein oder zwei Jahre arbeitslos sein. Und da kam dieser Anruf und jemand wollte mich unbedingt haben. Aber es gab ein Problem bei der ganzen Sache: Ich müsste nach England zurück, aber meine Familie war hier.

 

„Darf ich noch darüber nachdenken?“, fragte ich und der Direktor stimmte zu. Wahrscheinlich war ihm klar gewesen, dass diese Entscheidung nicht leicht für mich werden würde. Aber wenn er mich wirklich haben wollte, dann würde er auch noch etwas warten.

 

„Herzlichen Glückwunsch, meine Süße!“, rief meine Mutter aus und umarmte mich direkt. Ich konnte noch nicht wirklich darauf reagieren, immerhin hatte ich noch nicht zugestimmt. Ich wusste nicht, ob ich das konnte. Natürlich, es war eine einmalige Chance und würde mich vielleicht weiter bringen als es meine Eltern je geschafft hatten, aber es lag eine weite Entfernung zwischen England und Neuseeland. Ich würde meine Eltern und Hirchop nicht einfach besuchen können.

 

Dann klingelte auf einmal mein Handy. Diesmal war es wirklich Orlando und ich merkte, wie mein Herz in meine Füße rutschte. Ich hatte Angst. Ich hatte ihm meine Gefühle offenbart. Was, wenn er nun anrief um mir zu sagen, dass es zu spät war? Dass er nicht mehr länger hatte warten wollen und vielleicht mit seiner attraktiven Kollegin zusammen war. Ich hatte sie nur einmal in „Star Wars“ gesehen. Sie war das Double von Königin Amidala gewesen und Maria und ich hatten uns damals gewundert, dass es überhaupt ein Double gegeben hatte. Es war uns gar nicht aufgefallen.

 

„Willst du nicht dran gehen?“, fragte Hirchop, doch ich bewegte mich nicht. Also nahm Hirchop an.

 

„Hi, Orli. Ja, Teti ist da … Sie steht nur gerade wie eine Statue vor mir und so, wie’s aussieht, spielt ihr Kopfkino ihr wieder einen Streich, du kennst sie ja“, erläuterte mein Bruder Orlando die Situation. Wenn ich mich hätte bewegen können, dann hätte ich Hirchop wahrscheinlich dafür einen leichten Klaps gegeben, aber er hatte leider Recht.

 

„Ich soll dir sagen, dass du dich beruhigen sollst. Alles ist gut“, gab Hirchop Orlandos Worte wider.

 

„Sag ihm, wenn er die Worte nicht gehört haben will, dann war es nur der Alkohol. Wenn aber doch, dann waren sie ernst gemeint“, sagte ich schnell, bevor ich irgendetwas dagegen tun konnte. Na klasse, jetzt war ich nicht nur paralysiert, sondern hatte auch noch verbale Diarrhöe.

 

„Ich soll dir sagen, dass sie das ernst gemeint hat, was sie gestern gesagt hat, auch wenn sie betrunken war“, sagte Hirchop entgegen meiner Bitte und ich sah ihn erschrocken an. Was tat er da? Das riss mich aus meiner Paralyse heraus und ich riss ihm förmlich das Telefon aus der Hand.

 

„Orlando, ich-“

 

„Kannst du jetzt mal einen Moment still sein und mich reden lassen?“, fragte Orlando etwas lauter, aber an seiner Stimme hörte ich, dass er eher belustigt als sauer war, und ich hielt meine Klappe. „Ich liebe dich auch“, sagte er dann nach eine kleinen Pause.

 

„Aber …?“

 

„Kein ,aber‘.“

 

„Es gibt immer ein ,aber‘“, widersprach ich ihm und er lachte. Ich fand diese Situation alles andere als lustig. Wir gestanden uns hier gerade das, was wir seit etwas mehr als 3 Jahren zu verbergen versuchten, gegen das wir eine lange Zeit gekämpft hatten.

 

„Na ja, du bist in Neuseeland und ich in Kalifornien. Ist das nicht ein ‚aber‘?“, fragte er und ich hörte in seiner Stimme, dass er eigentlich am liebsten hier in Neuseeland gewesen wäre.

 

„,Aber wir werden erst in 2 Monaten darüber sprechen können‘, das ist ein gutes ‚aber‘, würde ich sagen“, bemerkte ich. Es war tatsächlich ein großes ‚aber‘, das für mich jetzt, da es ausgesprochen war, schwer werden könnte. Ich wollte jedoch unter keinen Umständen am Telefon meine Gefühle mit ihm besprechen. Und er wollte das auch nicht. Also beließen wir es bei unserem gegenseitigen Liebesgeständnis und dem Versprechen, ein ausführliches Gespräch zu führen, sobald er in Wellington sein würde. Bis dahin, und das waren immerhin noch beinahe 6 Monate, würden wir versuchen müssen, mit der veränderten Situation klar zu kommen. Und das bedeutete, dass sich eigentlich nichts änderte, außer der Tatsache, dass wir nun gehört hatten, was der andere empfand.

 

Aber es wurde nicht so schwer wie ich es befürchtet hatte. Orlando und ich telefonierten nun wieder jeden Tag und außer den Sachen, die wir sonst immer nur gedacht, aber nicht ausgesprochen hatten, änderte sich nichts an der Situation. Im Gegenteil, es war schön endlich auch zu hören, was ich sonst immer nur unterbewusst gewusst hatte, und Orlando verpasste keine einzige Gelegenheit mir zu sagen, dass er mich vermisste und liebte.

 

„Ich bin froh, dass du endlich glücklich wirst, Teti“, hatte mein Vater mich eines morgens begrüßt, als ich meiner ganzen Familie ein Frühstück gemacht hatte. Ich war wirklich glücklich und das, obwohl eigentlich noch nichts passiert war. Wahrscheinlich war der Grund dafür, dass ich bereits nach dem Wochenende meine Abschlussprüfung hatte. Ich war nicht sonderlich aufgeregt, weil ich wusste, dass ich es schaffen würde, immerhin war ich die Jahrgangsbeste.

 

„Hast du eigentlich schon über das Angebot Mr. McGregor nachgedacht?“, fragte mein Vater dann und ich sah ihn entgeistert an. Das hatte ich total vergessen! Durch die Sache mit Orlando hatte ich ganz vergessen, dass ich ein super Angebot bekommen hatte. Aber das Problem mit meiner Familie war noch nicht gelöst.

 

„Hier ist so viel passiert, Teti, zu viel, für meinen Geschmack. Außerdem wird Grandma irgendwann Hilfe brauchen. Wir lieben Neuseeland und Wellington, aber wir wollen zurück nach Manchester“, sagte mein Vater als er merkte, dass ich still blieb.

 

„Ich werde mit Eileen hier bleiben und das Restaurant übernehmen, während Mom und Dad ihre Rente genießen“, erklärte Hirchop und Tränen traten in meine Augen. Ich wusste es zu schätzen, was hier passierte, aber ich wusste nicht, ob ich ohne Hirchop in meiner Nähe leben konnte. Er war mein Bruder, ein Teil von mir. „Und wenn du mal Sehnsucht nach uns hast, kommst du einfach vorbei. Dein Zimmer wird immer hier bleiben“, erwähnte Hirchop zwinkernd und drückte mich an sich.

 

„Du wirst in London leben müssen, aber es gibt gute Zug- und Flugverbindungen nach Manchester, meine Süße“, sagte meine Mutter dann. Auch sie hatte Tränen in den Augen. Es schien ihr schwer zu fallen darüber zu reden, dass ihre beiden Babys nun endgültig flügge wurden.

 

„Außerdem wohnt Orlando in London“, versuchte Hirchop mich aufzumuntern. Natürlich wäre es schön Orlando und Seth regelmäßig sehen zu können, aber war es den Verlust der Familie wert? Natürlich, meine Familie würde ich nicht wirklich verlieren, aber der Kontakt würde schwer werden.

 

Aber ich hatte dieses Studium nicht angefangen, um danach auf der Straße zu sitzen. Ich hatte etwas damit erreichen wollen und was war besser, als von einem der renommiertesten Museen ein Jobangebot zu bekommen, mit der Aussicht vielleicht irgendwann das eigene Fachgebiet zu leiten, inklusive eigener Forschungen und Ausgrabungen? Ich würde nicht ewig bei meinen Eltern wohnen können, irgendwann musste ich wirklich mein eigenes Leben führen.

 

England hatte ich die letzten 5 Jahre sehr oft vermisst und als ich mit meinen Eltern für 3 Wochen dort gewesen war, hatte ich mich direkt wieder zu Hause gefühlt. Natürlich, Wellington war wunderbar und es gab womöglich kein Land, das mehr auf die Natur und Umwelt achtete als Neuseeland, aber England war meine Heimat, war es schon immer gewesen.

 

Außerdem konnte ich nicht immer wie ein kleines Mädchen am Rockzipfel meines großen Bruders hängen. Auch er hatte nun ein eigenes Leben mit Eileen und ich war mir sicher, die beiden würden hier wunderbar zurecht kommen. Hirchop war ja nicht aus der Welt. Er konnte mich besuchen und ich würde durch ihn immer die Möglichkeit haben, Wellington zu besuchen. Und es war wirklich ein schöner Gedanke, Seth und Orlando öfter nah sein zu können. Ich hatte genug davon, dass wir tausende von Meilen voneinander entfernt waren und wenn „Der Herr der Ringe“ endgültig beendet war, gab es außer mir für Orlando keinen Grund mehr, nach Neuseeland zu kommen.

 

Hier war so viel passiert. Mein Vergewaltiger, ich war mittlerweile in der Lage, mit der ganzen Sache umzugehen, stecke in einem Gefängnis nicht weit von uns entfernt und würde in einigen Jahren wieder frei kommen. Das Grab meiner besten Freundin, die umgebracht wurde um mich zu beschützen, war auch nicht fern. Hier hingen so viele Erinnerungen, gute aber auch schlechte, und ich wollte sie vergessen.

 

Hatte ich nicht noch am Anfang des Jahres von einem Neuanfang geträumt? Etwas, das mich alles, was passiert war, vielleicht vergessen lassen würde? Vielleicht war das mein Neuanfang. Vielleicht musste ich diese Chance annehmen, sonst würde ich mich den Rest meines Lebens fragen, ob ich einen Fehler gemacht hatte.

 

„In Ordnung, ich mach’s“, sagte ich und schnappte mir das Telefon. Doch dann bemerkte ich, dass das eine äußerst schlechte Idee war, immerhin war es in England vermutlich gerade mitten in der Nacht. Ich schrieb also lieber eine E-Mail, dass ich das Angebot gerne annehmen würde und ab Mitte August anfangen konnte. Ich wollte unbedingt noch die Nachdrehs mitbekommen und dann musste ich mich ja noch um eine Wohnung bemühen. Und das war in London sicherlich nicht einfach.

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