top of page

Kapitel 48

 

Die Tierärztin

 

 

 

 

 

„Teti?“ Ich war gerade zu Esprit gegangen als ich eine ziemlich hohe weibliche Stimme hinter mir hörte. Als ich mich umdrehte, sah ich die langen rotblonden Haare von Eileen, der Freundin meines Bruders.

 

„Ja, hi“, sagte ich freundlich, auch wenn ich eigentlich heute wenig Lust und Zeit hatte mit ihr mein erstes Gespräch zu führen. Ich hatte gehofft, es würde zu Hause stattfinden und ich hätte die Gelegenheit, mich darauf vorzubereiten.

 

„Suchst du dir Sachen für New York aus? Ich finde es schön, dass du deinen Bruder mitnimmst. Er hat mir zwar nicht gesagt, warum ihr hingeht, aber ich finde es klasse, wenn Geschwister ab und zu etwas zusammen unternehmen“, quasselte sie einfach drauf los, ohne auch nur einmal Luft zu holen. „Ich habe ja leider keine Geschwister, obwohl ich mir immer eine kleine Schwester gewünscht habe. Ein Bruder wäre auch nicht schlimm gewesen, aber eine Schwester wäre besser gewesen.“ Sie merkte gar nicht, dass ich sie vollkommen verwirrt ansah. Warum erzählte sie mir das alles?

 

„Ähm… Eileen…“

 

„Oh, es tut mir leid. Ich meine, du bist Hirs Schwester und ich denke, ich will einfach, dass wir beste Freundinnen sind.“ Okay, das war genau das Schlimmste, was sie hätte sagen können. Meine Kinnlade war gerade mit einem lauten Knall auf dem Boden aufgetroffen.

 

„Hör zu, Eileen. Maria, meine einzige beste Freundin, ist vor beinahe 9 Monaten umgebracht worden. Ich werde nie wieder eine beste Freundin haben“, zischte ich sie regelrecht an. Sie stand erschrocken vor mir und sah mich mit ihren großen braunen Augen wie ein ängstliches Reh an, das gerade von einem Löwen oder so gefressen werden sollte. Bambi, dachte ich augenblicklich und verdrehte die Augen. Noch so eine Person, bei der man vorsichtig sein musste, was man sagte. „Okay, das war vielleicht nicht fair. Aber bitte, ich suche wirklich keine neue beste Freundin. Du bist die Freundin meines Bruders und ich würde mich freuen, wenn wir uns gut verstehen würden. Aber erwarte nicht, dass ich deine beste Freundin werde, denn das würde einfach nicht funktionieren“, versuchte ich etwas ruhiger zu erklären. Sie nickte nur, ging aber nicht weg.

 

„E-es tut mir leid. Das mit deiner Freundin. Ich hatte keine Ahnung“, sagte sie und ich hörte, dass sie es ernst meinte. Hirchop hatte ihr anscheinend noch nichts davon erzählt. Was hatte er ihr denn erzählt? Hatte er überhaupt schon irgendetwas von unserer schweren Zeit erzählt, oder wollte er sie damit nicht abschrecken? Ich wusste es nicht.

 

„Okay, Eileen. Jetzt weißt du es und du solltest ebenso wissen, dass du, wenn du meinem Bruder in irgendeiner Form wehtust, ein großes Problem mit mir bekommst. Ist das klar?“ Jetzt begann sie zu lächeln und wurde wieder lockerer und nickte. Anscheinend merkte sie, dass ich wieder etwas ruhiger und offener war.

 

„Du bist also auch Köchin?“, fragte ich eher beiläufig als ich merkte, dass sie immer noch da war.

 

„Nein. Ich habe den Kurs gemacht, weil ich wirklich nicht kochen kann, und dein Bruder ist wirklich ein wunderbarer Lehrer.“ Ich sah sie an. Hirchop ein Lehrer? Was war das denn jetzt? Er hatte mir nichts davon erzählt, dass er diesen Kurs nicht als normale Person besuchte, sondern er der Leiter des Kurses war. „Ich bin eigentlich Tierärztin, na ja, zumindest versuche ich eine zu werden. Ich assistiere im Moment noch und kann erst in einem Jahr eine eigene Praxis aufmachen, wenn ich meine Prüfung abgeschlossen habe. Du bist Archäologin, richtig? Hirchop hat das erwähnt.“ Sie war sichtlich froh auch etwas über mich zu wissen.

 

„Auch noch nicht richtig. Ich habe im April meine Abschlussprüfung. Danach bin ich richtige Archäologin, Ägyptologin, um genau zu sein“, erklärte ich ihr und sie sah tatsächlich interessiert aus. Nicht so gespielt interessiert wie manch anderer, dem man so etwas erzählte, mit dem man Smalltalk hielt, nein, sie war ernsthaft interessiert. Ihr schien es wichtig zu sein, einen guten Draht zu mir zu haben. Ich würde mich also auch bemühen müssen, für Hirchop. „Komm, lass uns nach gegenüber gehen und einen Café trinken“, schlug ich dann vor und sie stimmte zu.

 

„Einen Latte Macchiato, bitte.“

 

„Ich nehme eine heiße Schokolade“, bestellte Eileen und ich sah sie verwundert an. „Ich vertrag keinen Kaffee, danach bin ich immer furchtbar nervös.“ Wieder verdrehte ich kurz die Augen. Ja, sie war definitiv Bambi, aber auch unbestreitbar Hirchops Typ. Er hatte schon immer eher Frauen gemocht, die er beschützen konnte, und bei Eileen würde er viel zu beschützen haben.

 

„Also, du bist Tierärztin. Und was machst du sonst so, in deiner Freizeit meine ich.“

 

„Na ja, es bleibt nicht viel Zeit. Ich muss eigentlich immer auf Bereitschaft sein, ähnlich wie ein normaler Arzt. Aber wenn ich mal Zeit habe, reite ich. Ich habe kein eigenes Pferd, aber ich darf die Pferde, die bei Dr. Lenaghan, meinem Chef, stehen, reiten“, berichtete sie und ich merkte, wie sich dabei ihr Gesicht aufhellte. Mein Gesicht wurde allerdings nachdenklich. Lenaghan, den Namen hatte ich schon mal irgendwo gehört. Ich überlegte noch einen Moment und dann fiel es mir auf einmal ein.

 

„Dr. Lenaghan? Du reitest die Pferde, die bei ihm stehen? Florian, Uraeus, Kenny? Ich glaube, Hercules, Percy, Demero und Blanco müssten auch noch da stehen, oder?“, fragte ich und sie sah mich mit großen Augen an. Wahrscheinlich fragte sie sich, warum ich wusste, welche Pferde dort standen, obwohl sie mich noch nie dort gesehen hatte.

 

„D-Demero ist nicht mehr da. Er hatte Melanome und ist jetzt zu seinen Besitzern gegangen. Aber woher … woher kennst du sie alle?“, fragte sie mich verwundert. Ich lächelte nur leicht.

 

„Wie lange bist du schon bei Dr. Lenaghan?“, war meine Gegenfrage.

 

„Seit einem Jahr. Demero war da schon weg.“ Sie schien sich wirklich keinen Reim darauf machen zu können, was auf einmal los war, vor allem weil ich immer noch lächelte.

 

„Na ja, einige meiner Freunde haben viel Zeit mit diesen Pferden verbracht. Zwei gehören sogar einem meiner Freunde. Und er hat Jane Florian geschenkt.“ Jetzt war sie eindeutig vollkommen verwundert. Ich sah förmlich wie die Zahnräder bei ihr losliefen und langsam ein Zahn in den nächsten Griff.

 

„Du-du meinst Aragorn, ich meine Viggo? Viggo Mortenson.“

 

Ich lachte laut los. Ihr Gesicht war wirklich einmalig. Noch nie hatte ich jemand gesehen, der solch eine Mimik hatte. Egal, was sie machte, sie sah immer einem unschuldigen Reh ähnlich. Als sie mich noch mal fragte, ob ich Viggo meinte, nickte ich nur und begann ihr davon zu erzählen, dass ich auf dem Set gearbeitet hatte und mich mit den Schauspielern angefreundet hatte. Sie war beeindruckt von dem, was ich ihr erzählte, und ich war mir sicher, sie würde Hirchop noch mal fragen, ob das auch wirklich stimmte. Immerhin war es für sie, so sah sie zumindest aus, unglaublich.

 

„Hey, Teti! Ich war gerade auf dem Weg zu euch.“ Ich drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, vor allem weil Eileen bereits seit einigen Sekunden mit weit geöffnetem Mund durch mich hindurch sah. Hinter mir stand Peter. Natürlich stand ich sofort auf und umarmte ihn freundschaftlich. „Pete, das ist Eileen, Hirchops neue Freundin“, stellte ich sie vor, doch sie war immer noch nicht aus ihrer Starre erwacht und daher winkte Peter ihr nur zu. „Ich wollte dir die Karten für die Premiere geben. Da wird es Hirchop in New York wenigstens nicht langweilig, wenn er seine Freundin dabei hat, was?“ Aber natürlich! Warum hatte ich eigentlich nicht eine Sekunde an diese Option gedacht? Wahrscheinlich, weil ich Eileen noch nicht wirklich auf dem Schirm gehabt hatte. Wenn sie mitkam würde Hirchop nicht vor Langeweile sterben, wenn am 10. Dezember die Premiere laufen würde.

 

„Sie arbeitet bei Ray und Jane“, fügte ich hinzu als Peter gerade wieder gehen wollte. Eileen hatte zwar aufgehört zu starren, aber sie war anscheinend immer noch zu keinem Wort im Stande.

 

„Wirklich? Wunderbar, dann muss ich da nachher nicht hinfahren. Sagen Sie den beiden doch, dass wir Percy, Hercules, Uraeus und Blanco im Juni noch einmal brauchen werden. Vielleicht auch Florian und Jane selbst.“ Eileen nickte nur und ich schüttelte lächelnd meinen Kopf als ich mich von Peter wieder verabschiedete. Ich würde sie sicherlich noch einmal daran erinnern müssen, Jane und Ray die Nachricht von Peter auszurichten. Aber auch ich war verwundert. Wenn er die Pferde noch mal brauchte, würde das heißen, dass es auch für den dritten Teil Nachdrehs geben würde? Würde das bedeuten, dass im Juni alle noch mal nach Wellington kommen würden? Ein letztes Mal? Ich merkte, wie ein angenehmer Schauer über mich kam. Sie würde alle noch einmal kommen, das musste Peter damit gemeint haben. Er wollte es nicht in aller Öffentlichkeit sagen, aber ich wusste nun genau, wovon er gesprochen hatte.

 

„W-war das wirklich Peter Jackson?“, fragte mich Eileen nach einigen Minuten und ich nickte. Sie formte mit ihren Lippen nur ein aufgeregtes ‚Oh mein Gott‘ und lehnte sich in ihren Stuhl. Sie war vollkommen fertig und um ehrlich zu sein wäre ich das vielleicht auch gewesen, hätte ich Peter nicht so gut gekannt. „Du kennst sie also wirklich alle? Kennst du auch Orlando Bloom? Ich meine, der ist unerreichbar, deswegen hab ich auch schnell wieder aufgehört von ihm zu schwärmen, aber er ist echt heiß“, sagte sie und ich musste wieder lachen. Erstens war es eher komisch, dass die neue Freundin meines Bruders mir gerade offenlegte, dass sie einen Mann heiß fand, der mal so gar nichts mit meinem Bruder gemeinsam hatte, und zweitens weil dieser heiße Mann der Mann war, in den ich verliebt war.

 

„Ja, ich würde sagen, ich kenne Orlando“, sagte ich und musste mich zusammenreißen, nicht wieder zu lachen.

 

„Bitte, sieh das nicht so eng. Ich meine, wir alle haben doch einen Typ Mann, den wir uns wünschen würden, und einen Typ Mann, den wir dann tatsächlich lieben. Wahrscheinlich ist er eh ziemlich arrogant und würde mit normalen Frauen nicht reden. Nicht, wenn sie nicht Model sind oder so“, murmelte sie und ich konnte mich wirklich nicht mehr halten. Es tat mir in gewisser Weise so leid, lachte ich sie doch quasi aus. Aber ich konnte nicht anders. Diese Situation war einfach zu komisch.

 

„Ich habe schon verstanden, Eileen, keine Angst. Und du hast recht, Orlando würde sich nicht für dich interessieren, und das ist in keinem Fall böse oder abwertend gemeint“, sagte ich als ich mich wieder beruhigt hatte. Eileen sah mich erstaunt an. Natürlich, sie konnte nicht verstehen, was ich damit meinte, aber ich war mir sicher, wenn sie Hirchop von dieser Unterhaltung erzählen würde, dann würde er ihr erklären, warum Orlando sich nicht für sie interessieren würde, und er würde sicherlich auch lachen. Da war ich mir sogar ziemlich sicher. Dann sah ich auf meine Uhr und erschrak. Ich hatte jetzt ganze 4 Stunden hier mit Eileen gesessen, 4 Stunden, von denen ich nichts mitbekommen hatte, die einfach an mit vorbei geflogen waren.

 

„Es tut mir furchtbar leid, Eileen, aber ich muss gleich in die Uni. Und sag Ray, er soll dir von mir aus von Samstag bis nächstes Wochenende frei geben“, rief ich ihr zwinkernd zu und war verschwunden. Ich grinste leicht. Sie wusste nicht, was ich vorhatte, aber ich war mir sicher, wenn sie es erfuhr, würde sie aus allen Wolken fallen. Vielleicht würde Peter ja noch ein paar Karten für die Premiere herausrücken, wenn ich ihn nett fragte. Mich interessierte echt wie Bambi reagierte, wenn sie auf einmal vor Orlando stand.

 

Wenn man vom Teufel persönlich sprach, klingelte auch schon das Handy.

 

„Orli, was gibt’s?“, fragte ich überdreht und wunderte mich selbst darüber, dass ich ihn gerade Orli genannt hatte, das hatte ich noch nie getan.

 

„Muss ich einen Grund haben um dich anzurufen?“, fragte er und ich hörte wie er lachte. Ebenso hörte ich im Hintergrund das fröhliche quiekende Lachen von Seth. Anscheinend waren die beiden gerade zusammen beim Mittagessen.

 

„Na ja, du hast meistens einen Grund, und wenn es nur der ist, um mir ‚Hallo‘ zu sagen.“

 

„Ich wollte dir nichts sagen, aber mein Sohn wollte dir etwas sagen“, bemerkte Orlando und dann hörte ich ein lautes Rascheln. Im Hintergrund hörte ich Orlando dann, wie er Seth ermunterte, das ins das Telefon zu sagen, was er wohl vor wenigen Minuten zu ihm gesagt hatte.

 

„Miss dich, Tete! Viel lieb hab!“, schrie der kleine Kerl förmlich in den Telefonhörer. Ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und um ehrlich zu sein musste ich sogar mit den Tränen kämpfen.

 

„Ich vermiss dich auch, mein Engel. Und ich hab dich auch sehr lieb“, antwortete ich und ich hörte das Kichern des kleinen Jungen auf der andern Seite des Hörers. Dann übernahm sein Vater wieder das Telefon.

 

„Das hat er heute bestimmt schon 3-mal gesagt und ich dachte, du solltest das auch hören. Er vermisst dich wirklich sehr“, sagte er und seine Stimme klang etwas bedrückt. Ich wusste, dass es daran lag, dass Seth zwar nicht der einzige war, der mich vermisste, aber der einzige, der es so offen und frei sagen konnte.

 

„Es wird noch mal Nachdrehs geben“, fiel mir dann auf einmal wieder ein. Orlando war davon genauso überrascht wie ich es gewesen war, aber ich hörte an seiner Stimme, dass er sich freute. Das würde bedeuten, dass wir uns wieder einige Tage jeden Tag sehen würden.

 

„Wirklich? Woher weißt du das? Und wann?“, fragte er aufgeregt.

 

„Peter hat’s mir vorhin gesagt, als er mir die Karten für die Premiere gegeben hat. Und er sagte irgendwann im Juni.“ Ich merkte, wie mir langsam die Muskeln in meinem Gesicht wehtaten vom ganzen Grinsen, aber ich konnte einfach nicht aufhören.

 

„Das ist ja wunderbar! Ich freue mich schon drauf. Aber ich muss jetzt wieder los. Bis übermorgen“, sagte Orlando und legte auf.

 

 

 

bottom of page