top of page

Kapitel 47

 

Erfreuliche Neuigkeiten

 

 

Hirchop und ich hatten den Bruder-Schwester-Tag neu aufleben lassen und hatten uns in den letzten Wochen jeden Montag, und damit meine ich wirklich den Wochentag Montag, im Green Parrott getroffen und dort stundenlang miteinander geredet. Natürlich hätte wir das auch zu Hause machen können, aber es war in einer anderen Umgebung etwas anderes, als wenn man einfach nur zu Hause zusammensaß. Ich hatte mittlerweile wieder viel darüber erfahren, was Hirchop so gemacht hatte.

 

Um ehrlich zu sein hatte ich gedacht, er hätte immer nur im Restaurant in der Küche gestanden, aber er hatte tatsächlich den Kontakt zu Will gehalten und war regelmäßig mit ihm zusammen ins SF gegangen. Dort hatten sie noch andere Leute kennen gelernt. Nach einigen Wochen hatten sie angefangen, sich auch außerhalb des SF’s zum Skat, Canasta oder Poker spielen zu sehen und hatten einen Männerabend eingeführt, der samstagsabends in unserem Restaurant stattfand. Meine Eltern hatten wieder eine Aushilfe eingestellt und das junge Mädchen hatte schnell, laut Hirchop, ein Talent zum Kochen entwickelt. Er war sich sicher, dass sie irgendwann einmal selbst Köchin werden würde.

 

„Hatte Will je eine Freundin?“, fragte mich Hirchop dann, nachdem er mir groß und breit erklärt hatte, wie die meisten dieser Männerabende bei uns abliefen. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie mein Bruder immer wieder verlor, aber dennoch euphorisch bei der Sache blieb. Er war nicht besonders gut im bluffen und ich war mir sicher, dass die anderen ihn schnell durchschaut hatten.

 

„Nein, warum?“, fragte ich ihn etwas verwundert. Ich verstand nicht, wie Hirchop nun auf diese Frage kam.

 

„Na ja … ich weiß, er ist nicht gerade der Attraktivste, aber er hat schon mehrere deutliche Avancen an sich abprallen lassen. Manche von den Mädels waren nicht schlecht, aber ihn schienen sie nicht interessiert zu haben.“ Ich sah Hirchop mit großen Augen an. Versuchte er mir da gerade zu erzählen, dass Will vielleicht schwul war? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Er schien ganz normal zu sein. In Ordnung, er mochte keine besonders brutalen Filme, aber was sagte das schon aus? „Und manchmal sieht er Alan so komisch an.“

 

„Alan?“, fragte ich noch mal nach. Ich kam bei den ganzen neuen Namen nicht so schnell hinterher.

 

„Alan, Markus‘ Bruder. Er ist schwul, hat sich schon vor Jahren geoutet“, erklärte mir Hirchop und ich wurde nachdenklich. Natürlich, ich hatte Will jetzt schon einige Zeit nicht mehr gesehen, aber seine … Vorlieben … änderte man doch nicht innerhalb von zwei Jahren. Und als wir uns das letzte Mal wirklich gesehen hatten, hatte ich nicht das Gefühl gehabt, dass er schwul sein könnte. Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Also versuchte ich das Thema zu wechseln.

 

„Wie war eigentlich euer Zoobesuch?“ Erst gestern war er mit Eileen, die die letzten beiden Wochen mit einer Grippe im Bett gelegen hatte, in den Zoo gegangen, so wie ich es ihm vorgeschlagen hatte. Ich war wirklich gespannt darauf, was er zu erzählen hatte. Schon sein Grinsen verriet mir, dass es ein voller Erfolg gewesen sein musste.

 

„Es war einmalig, wirklich, Teti. Ich bin so froh, dass du mir diesen Rat gegeben hast“, schwärmte Hirchop und ich sah die Euphorie in seinen Augen. Anscheinend hatte er nur darauf gewartet, dass ich ihm diese Frage stellte. Ausführlich erzählte er mir davon, wie er sie abgeholt hatte und sie zusammen zum Zoo gefahren waren. An der Art, wie er mir davon erzählte, wie der Wind durch das offene Fenster ihre Haare um ihr Gesicht gewirbelt hatte, erkannte ich, dass es meinen großen Bruder tatsächlich erwischt hatte.

 

„Ich habe deinen Rat von gestern Morgen übrigens noch wahrgenommen. Sie hat sich sehr über das Picknick gefreut“, erwähnte Hirchop, nachdem er mir schon eine Stunde lang davon berichtet hatte, wie die beiden zusammen durch den Zoo gegangen waren und Eileen von jedem Tier begeistert war. Sie hatten sogar zusammen einen Zusatz gebucht: eine Begegnung mit den Erdmännchen, und zwar in ihrem Gehege. Hirchop liebte Erdmännchen, hatte er schon immer. Und da war es natürlich ein Highlight für ihn, einmal mit diesen putzigen kleinen Kerlchen auf Tuchfühlung zu gehen. Sicherlich war das ein einmaliges Erlebnis gewesen, das die beiden noch mehr zusammenschweißen würde.

 

„Das hatte ich mir gedacht. Sie ist ja immerhin ,ne Frau und wir stehen auf so was“, erklärte ich ihm und lächelte ihn an. „Ich denke, ihr werdet wieder miteinander ausgehen?“

 

„Ja, wir wollten morgen ins Kino gehen. ,Kick it like Beckham‘ läuft doch heute an. Eileen wollte ihn unbedingt sehen“, erklärte Hirchop und ich schüttelte meinen Kopf. Ja klar, sie wollte nur den Film sehen. Dann hätte sie auch mit ihrer besten Freundin reingehen können. Sie wollte etwas zusammen mit ihm machen und da ich in einer Zeitschrift gelesen hatte, dass in dem Film es auch eine Liebesgeschichte gab, wusste ich schon, wie der Abend enden würde. Aber ich freute mich für Hirchop. Er hatte es wirklich mehr als verdient wieder glücklich zu sein.

 

Und ich hatte Recht. Noch am selben Abend, nachdem Hirchop aus dem Kino gekommen war, kam er in mein Zimmer gestürmt und erzählte mir, dass er und Eileen nun ein Paar waren und nahm mir das Versprechen ab, Mom und Dad erst mal nichts davon zu erzählen. Er wollte erst noch einige Zeit sehen, wie sich die Beziehung entwickelte, bevor er sie Mom und Dad vorstellte. Sie hatten damals so sehr an Callie gehangen. Sie hatten wirklich gehofft, dass Callie ihre Schwiegertochter werden würde. Auch ich hatte Callie sehr gemocht. Doch ich verabscheute sie für die Art, wie sie meinen Bruder behandelt hatte, nachdem klar war, dass wir wegziehen würden. Sie hatte ihn einfach links liegen lassen, hatte kein Wort mehr mit ihm gesprochen, obwohl es ja nicht seine Entscheidung gewesen war nach Neuseeland zu ziehen.

 

„Ich freue mich für dich, Hirchop, wirklich. Und ich bin mir sicher, dass du Mom und Dad bald von Eileen erzählen wirst“, sagte ich und er umarmte mich stürmisch. Er war wirklich glücklich und es machte mich glücklich, ihn so zu sehen. Aber ich würde irgendwann mit Eileen sprechen müssen. Noch nicht direkt, ich wollte sie ja nicht verschrecken. Aber ich würde ihr sagen müssen, was sie befürchten musste, wenn sie ihn verletzte oder versuchte, sich zwischen ihn und seine Familie zu stellen. Nicht aggressiv, sondern informativ. Ich wollte ihr nicht wirklich drohen, nur klarmachen, wie wichtig bei uns die Familie war. Natürlich, ich selbst hatte ich mich in der letzten Zeit, oder besser gesagt davor, nicht wirklich so verhalten, aber ich wusste wieder, wo ich hingehörte, und das war hier, bei meiner Familie.

 

Natürlich, meine Freunde und Orlando waren nicht vergessen und besonders Orlando würde nie vergessen werden, aber im Moment, wenn sie nicht da waren, war meine Familie das einzige, was ich hatte. Und nach allem, was wir zusammen durchgestanden hatten, wusste ich, dass sie immer für mich da waren.

 

„Teti hier“, ging ich an mein Telefon, als ich es plötzlich klingeln hörte.

 

„Hey, Te. Ich bin‘s, Rian“, hörte ich die bekannte Frauenstimme im Hörer. Ich war überrascht. Ich hatte nun schon seit einem Monat nichts mehr von ihr gehört. Das letzte Mal hatte sie mich angerufen, nachdem sie ihren neuen Job in einer Kanzlei in Sydney angenommen hatte. Sie hatte sich so gefreut und hatte jemandem davon erzählen wollen. Da ich für Maria wie eine Schwester gewesen war, sah auch sie mich als eine Art Schwester an, und hatte mich angerufen weil sie außer Ben und mir niemandem mehr hatte, dem sie das erzählen konnte. Natürlich war ich aus dem Häuschen gewesen und hatte sich gefreut, aber es war schwer gewesen ihre Stimme zu hören. Am Telefon klang sie beinahe so wie Maria und es tat weh, wieder an sie erinnert zu werden.

 

„Rian, schön dich zu hören. Wie läuft dein Job?“, fragte ich sie um etwas Zeit zu gewinnen.

 

„Wunderbar, wir haben erst gestern einen großen Fall gewonnen und unser Mandant wurde für unschuldig erklärt. Aber deswegen rufe ich nicht an.“ Sie hielt einen Moment inne. „Ben und ich … wir wollen heiraten und ich dachte … da Maria nicht … ob du vielleicht meine Trauzeugin werden könntest.“ Mein Herz blieb stehen. Es stach so sehr, dass es anscheinend nicht mehr schlagen konnte, und ich konnte auch nicht atmen. Eigentlich hätte ich glücklich Ja sagen sollen, aber es wurde eher ein leises und etwas bedrücktes ‚Ja, natürlich‘.

 

„Ich danke dir, Teti. Die Einladung und alles andere bekommst du dann per Post. Es tut mir leid, aber ich muss wieder auflegen“, sagte sie und ich hörte wie ihre Stimme brach. Sicherlich war es auch für sie nicht einfach, dass sie keine Familie mehr hatte. Wer stellte sich eine Hochzeit schon so vor, dass vom Bräutigam die gesamte Familie auftauchte, aber bei der Braut kaum jemand da war, weil alle verstorben waren.

 

Die Einladung für die Hochzeit kam dann einige Tage später und ich war verwundert zu sehen, dass die beiden in Wellington heiraten wollten, nicht in Australien. Aber in gewisser Hinsicht war es auch wieder normal, immerhin war auch Bens Familie hier und sonst hätten alle extra nach Australien reisen müssen. Natürlich, es war nicht sonderlich weit, zumindest nicht so weit wie in ein anderes Land, aber es war dennoch ein Stück.

 

Die Hochzeit sollte im Januar stattfinden und die beiden würden noch vor Silvester in Wellington ankommen. Meine Eltern hatten natürlich angeboten für die beiden unser Gästezimmer fertig zu machen, aber die beiden hatten sich ein Hotelzimmer gebucht. Ich konnte mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass die beiden in ihrer Hochzeitsnacht bei uns sein wollten. Da war man lieber ganz alleine und größtenteils unbekannt. Wer wollte schon, dass der Zimmernachbar den Namen kannte, wenn er einen vielleicht nachts würde hören können? Aber bis zur Hochzeit waren noch 3 Monate Zeit und ich hatte einiges zu erledigen. Ich würde mir ein Kleid besorgen müssen, einen wenn auch sehr kleinen Junggesellinnenabschied organisieren und, wenn die beiden bei irgendetwas Hilfe brauchten, auch wenn ich das bei der immer so top organisierten Rian nicht erwartete, musste ich auch bereit sein ihnen zu helfen.

 

Ich wollte mich gerade in mein Bett legen, da klingelte mein Telefon. Auf dem Display sah ich, dass die Nummer weder aus Neuseeland, noch aus England kam. Sie kam aus Amerika. Als ich abnahm, hörte ich Elijahs Stimme. Ich war verwundert von ihm zu hören, hatte er sich doch seit den Nachdrehs nicht mehr bei mir gemeldet.

 

„Ich- ich habe gerade die Einladung von Rian und Ben bekommen“, sagte er und danach war es wieder ganz still, er sagte keinen Ton. Wahrscheinlich konnte er es nicht. Ich wartete eine Weile, aber er machte keine Anstalten, irgendetwas zu sagen. Ich wollte auch nicht auflegen, denn er hatte sicherlich nicht nur angerufen, um mir das zu sagen. Er war nur noch nicht soweit.

 

„Ja, ich weiß. Ich bin ihre Trauzeugin.“ Auch ich war einen Moment lang still, immerhin erinnerte es mich an Maria, war sie doch eigentlich Rians erste Wahl gewesen. „Wirst du kommen?“, fragte ich vorsichtig, denn er hatte alles Recht der Welt, Nein zu sagen.

 

„Ja, ich werde kommen. Teti, ich … könnten wir zusammen hingehen? Ich … ich kann das nicht alleine“, stammelte er und seine Stimme klang zittrig. Um ehrlich zu sein war ich froh, dass er mich das fragte. Ich hatte Orlando erst gar nicht gefragt, weil ich wusste, dass er in Kalifornien sein würde um seinen Film zu drehen, und ich wollte nicht, dass er meinetwegen um die halbe Welt reiste. Außerdem war es komisch jemanden auf eine Hochzeit mitzubringen, mit dem man nicht zusammen war. Bei Elijah war das etwas anderes. Wir beide hatten eine gemeinsame Verbindung, die es uns erlaubte, auch als Nicht-Paar zusammen auf dieser Hochzeit zu erscheinen. Jeder wusste, dass wir uns nicht liebten, sondern uns nur gegenseitig unterstützen, während das bei Orlando nicht sicher gewesen wäre. Und wenn Elijah jemanden mitgebracht hätte, hätte man gedacht, dass er einfach so über Marias Tod hinweg war, und das war er nicht. Ich weiß noch wie außer sich er gewesen war, als ihm die Medien eine Beziehung zu Franka Potente nachgesagt hatten. Sie war nur eine gute Freundin gewesen. Andererseits verstand ich nicht, warum er sich so sträubte. Maria hätte nicht gewollt, dass er alleine blieb. Ich war mir sicher, wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihm schon längst in den Hintern getreten, damit er endlich jemand Neuen fand. Sie hätte ihn nicht so leiden sehen wollen.

 

„Natürlich können wir das machen, Lij. Da hättest du gar nicht fragen brauchen“, erklärte ich ihm und hätte mir wirklich gewünscht, dass er hier in der Nähe gewesen wäre, denn ich wusste, dass es ihm nicht gut ging. Mit ihm hätte ich mich über Maria unterhalten können, ohne dass man gleich Angst hatte, ich würde durchdrehen weil meine beste Freundin weg war.

 

„Danke, Te, wirklich. Danke“, sagte er und legte dann auf. Wahrscheinlich war ihm gerade ein Stein vom Herzen gefallen. Ich streichelte noch ein paar Minuten meinen treuen Hund, der wie immer an meinem Fußende lag, bevor ich mich dann endlich in die Federn schmiss.

 

Am nächsten Morgen wachte ich relativ früh auf, da die ersten Strahlen der Sonne in mein Zimmer schienen. Es war schön, vor allem weil ich die Vögel draußen singen hören konnte, und das Ende November. Ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt, dass hier um Weihnachten herum die wärmste Zeit war, aber es war dennoch komisch. Überall wurde von einer weißen Weihnacht geträumt. Doch die meisten Leute verstanden darunter etwas anderes als das, was hier die weiße Weihnacht war. Hier war das Weiß nicht der Schnee, den bekam man hier manchmal noch nicht mal im Winter zu sehen. Hier war das Weiße der Sandstrand, und der war ja noch nicht mal wirklich weiß.

 

Ich stand auf und kreuzte wie jeden Tag einen Tag im Kalender weg. Langsam kam die Premiere immer näher. Bereits in 12 Tagen würde ich zusammen mit Hirchop im Flieger nach New York sitzen. Ich hatte ihn gebeten mitzukommen, da ich nicht alleine dort auftauchen wollte. Ich wollte diesen langen Flug, an dem ich bestimmt pausenlos an Maria denken musste, nicht alleine überstehen müssen, und Hirchop hatte zugestimmt mitzukommen. Natürlich war es ihm schwergefallen, da es für ihn bedeutete, von seiner Freundin getrennt zu sein, aber er konnte mir den Wunsch einfach nicht abschlagen. ,Natürlich vor Ort wären meine ganzen Freunde da und Hirchop hatte sicherlich Angst sich dort fehl am Platz zu fühlen. Vielleicht musste ich mir da noch etwas ausdenken, damit es nicht wirklich passierte.

 

 

bottom of page