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Kapitel 45

 

Die Zwei Türme, Nachdreh

 

 

„Kommst du damit klar?“, fragte mich Orlando als wir gemeinsam vor dem Tor der Stone Street Studios standen. Ich blickte genau in den riesigen Hof und wie vor beinahe zwei Jahren stand hier alles voll mit Trailern. Ein kleiner, irrationaler Teil von mir hoffte, in den Make-up-Trailer zu gehen und Maria dort zu finden- wie sie Elijah gerade die Füße anklebte, und dieser kleine Teil war zu Tode betrübt, als der andere Teil ihm sagte, dass das nie wieder sein würde, dass ich sie nie wieder sehen würde. Irgendjemand anderes hatte ihren Platz eingenommen und er oder sie würde niemals Maria sein. Orlando merkte mein Zögern und legte einen Arm um mich, während ich die Hände um Seths Buggy schloss. Ich atmete noch einen Moment tief ein und dann tauchte ich zusammen mit Orlando in diese alt bekannte Welt ab, in der nun ein wichtiger Teil fehlte.

 

Und sobald wir durch das Tor gegangen waren, fing die Hektik an. Hunderte von Leuten wuselten überall herum, einige von ihnen wollten Orlando bereits mit sich ziehen. Er vertröstete sie jedoch alle mit der Begründung, er müsse erst einmal dafür sorgen, dass ich dort ankam, wo ich hin sollte. Er wusste genau, dass ich das nicht alleine schaffen würde, dass ich alleine wahrscheinlich in irgendeiner Ecke des Studios verschwinden würde, bis die Nachdrehs beendet waren. Erst gestern hatte er mich gefragt, warum ich mir das überhaupt antat. Ich hatte nur mit den Schultern gezuckt.

 

Gestern hatte ich noch gedacht, ich würde das schaffen, würde es schaffen, nicht hinter jedem Trailer Maria zu vermuten. Jetzt bemerkte ich jedoch, dass es anders war. Immer und immer wieder bildete ich mir ein, ihre Stimme unter den tausenden Stimmen, die im Studio erschallten, heraus zu hören. Immer und immer wieder fühlte ich mich in die Vergangenheit zurück gezogen und drehte mich um, um Maria etwas zu erzählen oder sie zu rufen, und immer wieder versetzte es mir einen Tritt wenn ich bemerkte, dass sie nicht da war.

 

„Ich denke, du solltest dich lieber von Hirchop abholen lassen“, schlug Orlando vor, aber ich schüttelte bestimmend mit dem Kopf. Ich wollte hier sein, wollte meinen Job erledigen. Ich brauchte nur noch etwas Zeit.

 

„Hi, Teti“, begrüßte mich Elijah und umarmte mich. Nachdem, was passiert war, hatte ich anfangs gefürchtet, er würde mich hassen. Immerhin war Maria wegen mir überhaupt erst mit nach Ägypten gekommen. Natürlich, ich hatte sie nicht darum gebeten und ich hatte sie auch davon abhalten wollen in das Grab zukommen, aber ich machte mir dennoch große Vorwürfe. Astrate hatte sie umgebracht, aber wegen mir war sie eigentlich da gewesen.

 

„Da ist ja unsere super Souffleuse“, kommentierte Dominic unser Wiedersehen und umarmte mich. Natürlich, wir hatten uns auch schon auf Marias Beerdigung gesehen, doch an diesem Tag hatte ich nicht wirklich viel wahrgenommen. Ich wusste, dass ich mich mit allen lang und breit über die Geschehnisse unterhalten hatte und sie alle hatten mir Mut und Hoffnung zugesprochen, aber an mehr konnte ich mich nicht mehr erinnern.

 

„Weißt du was? Keine Baumbart-Szene“, sagte Billy freudestrahlend. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sie langsam alle zu uns gekommen waren und mich regelrecht in eine Blase gesteckt hatten. Eine Blase, die alle anderen Menschen um uns herum von mir abschirmten. Alle, die vielleicht sonst zu mir gekommen wären um mich nach der Geschichte zu fragen, wie Maria gestorben war. Sie alle hatten ja in den Medien und während der Beerdigung nicht wirklich viel darüber erfahren.

 

Ich war meinen Freunden dankbar für ihr Hilfe und wusste es zu schätzen. Ich wollte wirklich nicht mehr darüber reden, und sie verstanden es. Wahrscheinlich war keiner scharf darauf daran erinnert zu werden, dass jemand aus unserer Mitte fehlte. Auch wenn Maria und ich keine Schauspieler gewesen waren, wir hatten dennoch fest dazugehört. Wahrscheinlich lag es daran, dass Maria selbst sehr eng mit den Hobbits gearbeitet hatte und sich danach in Elijah verliebt hatte. Und ich? Na ja, ich war zuerst mit Dominic zusammen gewesen und dann hatte ich auch hier einen Job angenommen und hatte jeden von ihnen täglich gesehen.

 

„Viggo …“, sagte ich ruhig, als ich mit den anderen im Warteraum saß und wir darauf warteten, die ersten Szenen nachzudrehen. Viggo drehte sich sofort zu mir um und kniete sich hin, um mit mir auf einer Augenhöhe zu sein. „ … warum hat Aritmei Nefertaris Befehl nicht befolgt?“, fragte ich leise und sah mich kurz um, um sicher zu gehen, dass niemand anderes es gehört hatte. Die anderen waren gerade dabei zuzusehen, wie Dominic erst Nüsse und dann sogar Pflaumen, die Bernard schmiss, mit dem Mund auffing.

 

„Na ja … ich würde sagen“, begann er und ich sah in seinen Augen, dass er sich freute, dass ich endlich akzeptierte, was er schon lange wusste, „Aritmei konnte seine langjährige Freundin nicht im Stich lassen.“ Ich sah Viggo tief in die Augen und lächelte ihn an.

 

„Ich bin mir sicher, sie wäre ihrem alten Freund dankbar für diese Geste gewesen“, bemerkte ich kurz und auch Viggo lächelte breit. Ich verstand nun die tiefe Freundschaft, die ich zu Viggo gehabt hatte, warum ich mich bei ihm immer außer Gefahr gewusst hatte und warum auch Orlando ihn als guten Freund betrachtete. Um ehrlich zu sein fragte ich mich, ob mich nicht auch mit meinen anderen guten Freunden irgendetwas verband. Vielleicht war das der Grund, warum ich hier direkt einen Platz gefunden hatte, warum ich diese Leute meine zweite Familie nannte. Mindestens zwei von ihnen kannte ich schon eine sehr lange Zeit, und damit meinte ich nicht die 22 Jahre, die ich nun schon lebte.

 

„Es ist komisch es zu akzeptieren“, murmelte ich etwas gedankenverloren als Viggo gerade aufstehen wollte und er nickte nur und kniete sich wieder hin.

 

„Ja, aber du bist immer noch du. Dein Handeln wird dadurch nicht beeinflusst. Du weißt nur einige Dinge, die andere nicht wissen.“ Dann nahm er meine und küsste sie kurz. Ich verdrehte die Augen. Das war tatsächlich etwas, das Aritmei bei Nefertari nie gemacht hätte, immerhin war sie seine Herrin. Ich jedoch war keineswegs Viggos Herrin und fühlte mich auch nicht so. Es war tatsächlich wie er sagte: Wir hatten Erinnerungen an eine lang vergangene Zeit, aber wir waren dennoch wir selbst und wurden nicht von diesen Erinnerungen kontrolliert. Wir blieben unser eigener Herr.

 

"Aber woher soll ich wissen, ob ich Orlando wirklich Liebe, oder ob es nur die Erinnerung an Ramses ist, die mich ihn lieben lässt?", fragte ich ihn und mein Blick war fast flehend. Ich brauchte diese Antwort, brauchte sie in diesem Moment wie die Luft zum Atmen.

 

"Wenn es nur die Erinnerung wäre, dann würdest du in ihm nur das sehen was er einst gewesen ist. Nicht das was er jetzt ist.", war das einzige was Viggo mir noch lächelnd antwortete bevor er wieder aufstand. Ich dachte einen Moment über seine Worte nach. Nein, ich liebte nicht nur die Erinnerung an Ramses. Ich liebte Orlando, liebte ihn so wie er dort in der Ecke stand, sein Legolas-Kostüm, sein einmaliges Lächeln mit dem er mich gerade anstrahlte. Es war eindeutig nicht nur die Erinnerung einer vergangenen Liebe die mich zu ihm zog. Er selbst war es und ich musste mir eingestehen, dass es schon immer so gewesen war und sicherlich immer so sein würde.

 

„Über was habt ihr geredet?“, fragte Elijah gespannt als Viggo aufgestanden war. Er setzte sich neben mich und ich merkte, dass er meine Nähe suchte. Wahrscheinlich, weil ich die einzige Anwesende war, die seinen Schmerz teilte, die Maria genauso sehr vermisste wie er.

 

„Über nichts Besonderes. Wie geht es dir?“, fragte ich ruhig.

 

„Nächste Woche hätten wir geheiratet. Wie soll es mir da schon gehen?“, fragte er und sah auf den Boden. Ich kannte Elijah jetzt schon seit etwas mehr als 2 Jahren und immer hatten seine Augen mich in ihren Bann gezogen. Doch sie waren noch nie so voller Trauer gewesen, noch nie hatten sie so viel Verlust in sich stehen, dass ich ihm nicht hineinsehen konnte, ohne zu fürchten, in seiner Trauer zu ertrinken.

 

„Ich kann einfach nicht aufhören an sie zu denken. Ich habe gedacht, nach der Beerdigung fällt es mir leichter, dass ich sie dann nicht mehr überall vermute, aber es ist nicht besser geworden, Te. Heute Morgen, als wir die Füße bekommen haben und die Tür aufging, da habe ich ernsthaft erwartet, Maria würde gleich mit ihrem breiten Lächeln hereinkommen. Aber sie kam nicht. Sie war nicht da, Teti.“ Elijahs bereits leise Stimme brach vollkommen und auch ich konnte kein Wort herausbringen. Mir ging es ja nicht anders.

 

„Ich weiß, Lij. Ich sehe sie auch hinter jeder Ecke. Ich vermisse sie unglaublich und jeden Abend mischen sich meine Alpträume untereinander. Und glaub mir, ich habe mittlerweile ein beträchtliches Repertoire. Ich habe noch nicht heraus gefunden, wie ich sie gehen lassen kann, aber ich weiß, wir müssen es irgendwann tun, Lij, damit sie in Frieden von da oben auf uns herabsehen kann“, sagte ich und umarmte ihn. Ich war froh, dass alle anderen uns in Ruhe ließen. Sie ahnten wahrscheinlich, worüber wir redeten, und von weitem sah ich nur, wie Orlando mich fixierte. Sein Blick sagte mir, dass er für mich da war, und ich war ihm dankbar dafür.

 

Dann ging es los. Peter kam zu uns in den Warteraum, erzählte uns, was nun alles noch auf uns zukommen würde und versicherte uns, dass es nicht länger als 2 Wochen dauern würde. Natürlich baute mich das weniger auf, denn ich wusste, dass meine Freunde dann alle wieder das Land verlassen würden, und dieses Mal würde ich wirklich alleine sein. Diesmal war keine Maria mehr da, die mich davon abhalten würde, verrückt zu werden. Keine Maria, die mir helfen würde, wenn ich wieder irgendeinen Mist baute.

 

„Okay, Leute. Viggo, du bist gerade von einer Klippe gestürzt und Brego rettet dich“, erklärte Peter die Szene, die nun folgen würde, und ich hörte ihn noch ein leises „Ich hoffe, Ureaus legt sich gleich nicht auf dich“ murmeln. Das hoffte ich auch inständig. Ich wusste, Ureaus war gut trainiert worden und Jane hatte auch nie damit aufgehört, ihm Zirkustricks beizubringen, aber es war auch für den wunderschönen Wallach das erste Mal seit beinahe 2 Jahren, dass er wieder vor der Kamera stand. Zu unserer großen Erleichterung blieb er jedoch ruhiger als jeder von uns. Er war nun einmal ein gut dressiertes Pferd.

 

„Peter, ich wollte dir noch mal sagen, was für ein Meisterwerk du da erschaffen hast. Ich habe noch keinen Film gesehen, der dem nahekommt, was du vollbracht hast“, sagte ich am zweiten Drehtag zu Peter als wir gerade zusammen hinter den Bildschirmen saßen und uns ansahen, wie die gerade gedrehte Szene aussah.

 

„Ich danke dir, Teti, für dieses große Kompliment. Aber ich habe nur die einzelnen Fäden zusammen gewoben, den Rest habt ihr alle gemacht. Du, das Cast und alle anderen Beteiligten. Ich bin wirklich froh, das hier zu erleben, denn es ist etwas, das ich mein ganzes Leben nicht mehr vergessen werde, diese Zusammengehörigkeit, diese Einheit. Das gibt es, glaube ich, bei keinem anderen Film, und ich kann dir nur sagen: Danke, Teti! Danke, dass du eine der vielen Farben dieses Kunstwerkes bist“, antwortete er und legte seinen Arm um meine Schulter und ich legte freundschaftlich meinen Kopf auf seine. Peter war so etwas wie der „Papabär“. Er hatte uns alle zu einer riesigen Familie zusammenwachsen lassen und er war immer mitten drin gewesen.

 

„Meinst du, es wird nach dem dritten Teil noch etwas kommen?“, fragte ich und sein leicht grinsender Gesichtsausdruck zeigte mir, dass er schon eine Idee hatte.

 

„Na ja … um ehrlich zu sein Spiele ich mit dem Gedanken, irgendwann auch den ‚Hobbit’ zu verfilmen, aber das wird noch lange dauern. Erst mal das hier und danach ein langer, sehr langer Urlaub“, sagte er und lehnte sich entspannt zurück, als würde er bereits in einer Standliege am weißen Sandstrand liegen.

 

„Egal wann, ich stehe zur Verfügung“, erwähnte ich unnötigerweise. Wahrscheinlich gab es niemanden hier am Set, der nicht da sein würde, wenn Peter in einigen Jahren wieder rief.

 

„Tete! Tete huger!“, bettelte Seth dann mitten in der Szene. Ich hätte zwar gerne noch weiter zugesehen, aber ich wusste, der Kleine würde ab jetzt keine Ruhe mehr geben, bis ich ihm etwas zu Essen fertig gemacht hatte.

 

„Ich habe gerade einen Anruf von meiner Managerin bekommen“, sagte Orlando als ich mit Seth zu ihm in den Trailer kam. Ich sah ihm an, dass er sich sehr darüber freute, aber irgendetwas betrübte seine Freude auch wieder.

 

„Das ist doch klasse“, versuchte ich die Fassung zu wahren. Ich meinte es zwar ernst und freute mich wirklich für ihn, aber das würde auch bedeuten, dass er dann bald wieder weg war. Ich wusste von dem Film, den er am Ende des Jahres drehen würde, aber der konnte es nicht sein. Immerhin wusste er schon einige Zeit, dass er die Rolle in diesem Film sicher hatte.

 

„Ja. ‚Ned Kelly’, das ist der Film. Der Dreh beginnt schon im Juli. Sie sagen, es dauert ca. 3 Monate“, sagte er ruhig und ich merkte dass, er mir einen Moment Zeit zum Nachdenken lassen wollte. Im Juli schon, das war nicht mehr so lange entfernt und um ehrlich zu sein hatte ich gehofft, er würde hier in Neuseeland bleiben. Natürlich wusste ich, dass das nicht möglich war, aber hoffen durfte man doch. Dann begann ich zu zählen. Wenn der Dreh des neuen Filmes 3 Monate dauern würde, dann wäre er Ende September beendet und Anfang November begann auch schon der 6monatige Dreh des anderen Filmes. Ich merkte, wie meine Mimik in sich zusammenfiel. Ich würde Orlando und Seth dann wieder beinahe ein Jahr lang nicht sehen.

 

„Der Ned Kelly-Dreh wird in Australien sein. Und ‚Fluch der Karibik’ wird in Kalifornien gedreht werden, denke ich“, sagte er ruhig als er sah, wie meine Reaktion ausfiel. Ich nickte nur stumm und leicht verletzt. 9 Monate ohne Orlando. Jetzt, wo Maria weg war, erschien es mir als ein Ding der Unmöglichkeit. „Du könntest mitkommen“, schlug er vor und sein Gesicht war beinahe flehend. Aber er wusste genauso gut wie ich, dass das nicht ging. Ich konnte nicht einfach 9 Monate unterwegs sein. Mein Studium ließ das wirklich nicht zu und ich wollte nicht noch einmal abbrechen. Dafür liebte ich dieses Gebiet zu sehr.

 

„Orlando, ich …“, begann ich, doch er legte nur seinen Finger auf meinen Mund, damit ich nicht redete.

 

„Ich weiß. Es tut mir leid, ich konnte einfach nicht anders, als es dir wenigstens anzubieten. Du sollst wissen, dass diese Option besteht, das ist alles“, sagte er und ich spürte, wie eine unsichtbare Macht mich zu ihm zog. Sein Finger lag immer noch auf meinem Mund und am liebsten hätte ich den Finger geküsst, doch die Spannung im Trailer war zum Zerreißen gespannt. Natürlich wusste ich, dass diese Option bestand, sie hatte immer bestanden.

 

Dennoch konnte ich sie noch nicht wahrnehmen, egal wie gerne ich das getan hätte. Bevor Orlando und ich ein Paar, und vielleicht noch mehr werden konnten, musste ich erst mein Leben regeln. Ich brauchte einen vernünftigen Abschluss, einen Beruf, in dem ich später arbeiten konnte. Selbst wenn ich wusste, dass ich wahrscheinlich später ausgesorgt hatte, wollte ich selbstständig bleiben. Ich wollte nicht eine dieser Frauen sein, die sich darauf verließen, dass ihr Mann das Geld nach Hause brachte, während sie sich um ihre Maniküre oder Ähnliches kümmerten.

 

„Ich will erst mein Studium beenden und das kann ich nur hier“, sagte ich und ich wusste, dass er verstand was ich meinte, denn er nickte stumm und unsere Gesichter entfernten sich wieder voneinander, als er seinen Finger von meinem Mund nahm.

 

„Du bist wirklich einzigartig“, murmelte er als er mich dann umarmte und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich war nicht die einzige, die einzigartig war. Jeder andere Mann hätte mich wahrscheinlich schon längst aufgegeben oder in den Wind geschossen. Orlando aber blieb bei mir, obwohl er nicht die Verpflichtung dazu hatte.

 

 

 

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