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Kapitel 42

 

Unglaublicher Verlust

Teil1

 

 

„Ich denke, ich hab hier was gefunden!“, rief ich vollkommen aus dem Häuschen als ich mit dem kleinen Pickel auf etwas Hartes stieß. Natürlich waren sofort alle bei mir und sahen mir über die Schulter, während ich nun mit einem kleinen Pinsel den Staub entfernte.

 

„Mein Gott, was ist das?“, fragte Maria überrascht als ich immer und immer mehr frei legte. Auch die Leute, die gerade an den Reliefs gearbeitet hatten, hielten inne und beobachteten, was ich gefunden hatte.

 

„Ich denke, das ist ein hölzerner Djet-Pfeiler, ein weiterer, der eigentlich in die Wand gehörte“, erklärte ich und je mehr ich vom Staub und Dreck befreien konnte, desto mehr wurde meine Vermutung bestätigt.

 

„Teti, sieh doch! Da drunter liegt noch etwas!“, sagte Maria und im ersten Moment nahm ich an sie, verwechselte nun einen Stein mit einem Artefakt, doch sie hatte recht. Einer meiner Kommilitonen zückte seinen Pinsel und begann damit, dieses Objekt freizulegen. Es war ein Ring. Er war zerkratz und in dem Dreck, der wie ein Stein um den Ring verschlossen war, steckten noch einige Splitter des Pfeilers.

 

„So, wie es aussieht, hat hier jemand diese Pfeiler mit Absicht entfernt“, murmelte mein Kommilitone und legte immer mehr frei. „Oh mein Gott …“, flüsterte er ungläubig und ich blickte auf den Ring. Es war kein einfacher Ring, kein Ring, den Grabräuber hier hinterlassen hätten. Es war ein Siegelring und die Kartusche, die darauf geprägt war, war zwar zerkratzt, aber dennoch deutlich zu erkennen.

 

„Isisnofret.“ Ich war sprachlos. Was hatte ein Siegelring von Isisnofret in diesem Grab zu suchen? In Nefertaris Grab? Irgendetwas war hier mehr als faul.

 

„Ein einmaliger Fund, Miss Kensington“, lobte mich mein Professor und nahm die beiden Funde entgegen. „Es gibt nicht viele Fundstücke der Isisnofret und unser Investor wird sehr erfreut sein.“

 

„Professor, ich habe eine Theorie, die ich gerne bestätigt haben würde. Ich denke, der Ring ist nicht zufällig hier. Ich denke, Isisnofret selbst hat diese Pfeiler aus der Wand genommen. Das würde erklären, warum sich so viele Kratzer und Splitter an dem Ring befanden. Ich bin mir sicher, wir können hier noch mehr Beweise finden.“ Leider schien mir der Professor nicht zuzuhören.

 

„Machen Sie Schluss für heute. Morgen können Sie auch noch suchen“, sagte er, doch sein Blick sagte mir, dass er von meiner Theorie nichts wissen wollte und sie auch alles andere als bestätigt haben wollte. Was mich jedoch noch mehr verwunderte war, dass er den Ring nicht zu den anderen Fundstücken legte, sondern ihn in einem Beutel in seiner Jacke steckte.

 

„Professor, ich …“ Er unterbrach mich abrupt.

 

„Ich denke, ich habe mich klar genug ausgedrückt, Miss Kensington. Und ich glaube, es wird das Beste sein, wenn Sie morgen an einem anderen Ausgrabungsort arbeiten“, fügte er hinzu und ich war wie versteinert. Was hatte das nun zu bedeuten? Was war hier nur los?

 

Auch am nächsten Tag war der Professor mehr als komisch. Er schien regelrecht nervös und niemand von uns durfte über den Fund vom Vortag reden. Mich hatte er nun als Koordinatorin abkommandiert und ich musste dafür sorgen, dass alle Funde ordnungsgemäß archiviert wurden. Und natürlich tauchte der Ring nicht auf. Ich fragte mich, was der Professor damit gemacht hatte. Wollte er ihn selbst behalten? Aber wofür? Natürlich es war gang und gäbe, dass manche Sachen von den Ausgrabungsorten verschwanden und in irgendwelche privaten Sammlungen einflossen, aber dieser Ring war zerstört worden. Er war zusammen gedrückt worden und sein Siegel war durch die Kratzer nur noch schwer lesbar. Damit konnte niemand in seiner privaten Sammlung etwas anfangen. Es musste also irgendeinen anderen Grund geben.

 

„Der Professor benimmt sich echt komisch“, meinte Deborah, eine meiner Kommilitoninnen, als sie ein Ausgrabungsstück zu mir brachte. „Er lässt alles auf die Kartuschen von Isisnofret absuchen und wenn jemand etwas gefunden hat, wird er beurlaubt und versetzt. Ich habe gehört, das hatte er auch schon bei einer Ausgrabung am Ramesseum machen lassen. 3 Studenten hatten daraufhin geschmissen, heißt es.“ Natürlich gab ich nicht sonderlich viel um Gerüchte und das, was man so sagte, aber es war schon komisch.

 

„Meinst du, er verbirgt irgendetwas?“, fragte Maria neugierig, aber ich konnte ihr keine Antwort geben.

 

„Miss Kensington, ich habe gerade mit unserem Investor gesprochen. Er möchte sie kennen lernen, heute Abend. Ich habe mit ihm verabredet, dass sie sich hier treffen werden.“ Mehr sagte der Professor nicht und ging davon. Was hatte das nun schon wieder zu bedeuten?

 

„Ich werde dich begleiten.“

 

„Ich denke nicht, dass das sehr clever ist, Maria. Er will mich treffen. Außerdem wolltest du dir doch heute die Stadt ansehen. Mach dir keine Sorgen um mich, mir geht’s gut“, versuchte ich ihr zu versichern, doch sie wollte nicht locker lassen. Sie wollte mich unbedingt begleiten. Ich hatte jedoch kein gutes Gefühl dabei, Maria mich begleiten zu lassen. Irgendetwas sagte mir, dass sie besser in die Stadt gehen sollte. Da ich meine überbesorgte Freundin aber nicht einfach loswerden konnte, verschwand ich, während sie sich noch für das Abendessen bereit machte. Ich wusste, der nächste Bus in Richtung des Tals der Königinnen fuhr erst wieder in einer Stunde und da würde ich sicherlich schon längst wieder zurück sein.

 

Als ich aus dem Bus ausstieg, wurde es bereits langsam dunkel, denn die großen Berge, die das Tal früher einmal vor Dieben schützen sollten, nahmen auch die letzten Sonnenstrahlen des Tages und ein großer Schatten zog sich über das Tal.

 

Nun war ich froh, dass ich etwas zu früh aufgebrochen war, denn mit meiner Zutrittsberechtigung konnte ich ungehindert im Tal herumlaufen und natürlich ging ich zu QV66, das Grab der Nefertari. Es war wirklich einzigartig hier zu stehen und selbst wenn ich es gewollt hätte, ich könnte es nicht beschreiben. Hier hatte sie, ich, die letzte Reise angetreten, vielleicht die Reise zu dem, was ich jetzt war. Vielleicht hatte es so lange gedauert bis sich ihr ein geeigneter Körper geboten hatte, oder es gab einen anderen Grund, warum gerade ich anscheinen ihre Seele in mir trug. Ich ging hinunter in den Raum, in dem einmal der Sarkophag gestanden hatte, und beobachtete die kleinen Räume, die ich noch beobachten konnte. Es waren kleine Räume, wahrscheinlich Abstellräume, in denen die Amphoren und andere Grabbeigaben gestanden hatten.

 

Ich sah mich genau um. Viele der Reliefs waren durch die Restaurationsarbeiten wieder hergestellt worden, doch in den magischen Beschwörungen fehlten die Pfeiler. Sie waren unwirksam und waren es, wie ich vermutete, immer gewesen. Deswegen war dieses Grab Plünderungen zum Opfer gefallen, deswegen hatte man so wenig hier gefunden.

 

Vorsichtig ging ich in den hintersten der Abstellräume. Hier waren Bilder von Kühen abgebildet, doch mir fiel auf, dass eines der Stierhörner vollkommen umrandet war. Es war nicht aufgemalt und aus der Ferne hätte ich es gar nicht bemerkt, aber nun, wo ich davor stand, sah ich es. Leicht strich ich über dieses Horn und ich merkte, wie es leicht nachgab, es ließ sich nach hinten Drücken.

 

Ich drückte etwas fester und auf einmal flog ein Luftzug an mir vorbei und die Wand kam einen Spalt breit nach vorne. Ich erschrak für einen kurzen Moment, doch dann nahm ich die kleine Taschenlampe, die ich mir mitgenommen hatte, und zog die steinerne Wand zu mir. Sie bewegte sich tatsächlich und dahinter tat sich ein weiterer Raum auf.

 

Wie versteinert blickte ich auf das Bild, das sich mir bot. Alles in diesem Raum war noch intakt und er war gefüllt mir Relikten. Unweigerlich fiel ich auf die Knie, überwältigt von dem, was ich sah, was ich entdeckt hatte. Ich durchleuchtete die Kammer mit meiner Taschenlampe und konnte erkennen, dass ein großer Steinsockel in der hinteren Ecke des Raumes war. Ich ging dorthin und säuberte die Oberfläche mit meinem kleinen Pinsel.

 

 

„Uns so sagte die Göttin Mut:

 

‚Hier sollst du tausende Jahre in Frieden

ruhen,bis die Eine dich findet, die du sein

wirst.

 

Geschützt durch deinen Vater Amun und

deine Mutter Mut, deren Liebe dir gehört.‘“

 

 

Ich wollte meinen Augen nicht trauen, mein Puls stieg in die Höhe. Dann beleuchtete ich die Wände. Alle Pfeiler waren noch an ihren Positionen. Hier war wahrscheinlich seit über 3000 Jahren niemand mehr gewesen und ich hatte es durch Zufall gefunden. War es wirklich Zufall gewesen? Ich hätte auch in eine der anderen Kammern gehen können, ich hatte aber diese genommen.

 

„Du hast es also gefunden.“ Sofort hörte mein Herz auf zu schlagen. Ich bewegte mich kein Stück, denn ich kannte diese Stimme und ihr Klang gefiel mir ganz und gar nicht.

 

„Seuni at mesutmaui, Nefertari.*“ Ihre Stimme war kalt und berechnend. „Du hast mir wieder einmal meinen Mann genommen, meine Familie. Egal, in welchem Leben, immer wieder musst du dich einmischen. Damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss. Ich werde das vollenden, was ich vor tausenden von Jahren bereits hätte tun sollen! Me-ta-unut pa meut-init!*“ Und dann stürmte sie mit einem gezogenen Messer auf mich los. Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen und hatte mich daher nicht wehren können. Das einzige, was mich davor bewahrte, dass die verhüllte Gestalt vor mir, von der ich mit Sicherheit wusste, dass es Astrate war, mich tötete, war meine schnelle Reaktion. Ich schaffte es, mich aus ihrer Angriffslinie zu drehen und so schnitt sie mir nur einen Teil meiner Jacke auf.

 

Durch die schnelle Bewegung landete ich jedoch auf dem Boden, doch glücklicherweise waren in diesem Raum noch einige Relikte intakt und so schnappte ich mir einen Kerzenständer und wehrte damit ihren zweiten Angriff ab.

 

Als sie merkte, dass der Überraschungsmoment nicht mehr der ihre war, hielt sie einen Moment inne.

 

„Deine Familie hast du von selbst verloren, da musste ich nichts hinzutun. Du hattest nie eine Familie, denn deinen Sohn hast du nicht erkannt und Orlando, ich denke, Orlando hat schon immer zu mir gehört“, antwortete ich ihr und sah ein Funkeln in ihren Augen. Es interessierte sie nicht. Sie war eindeutig verrückt geworden. Wieder hielt sie auf mich zu und ich spürte den Luftzug an meinem Ohr als sie mit ihrem Streich meinen Kopf nur um wenige Zentimeter verfehlte. Was sollte ich nur tun? Sie versperrte mir mit ihrem Messer den Weg und es gab keine andere Möglichkeit hieraus zu kommen. Immer wieder hieb sie auf mich ein und einige Male war es so knapp, dass ich einige leichte Verletzungen an meinen Armen und sogar an meiner Wange hatte. Ich hingegen schleuderte den Kerzenständer um mich um ihre Angriffe einfach nur abzuwehren.

 

Ich befand mich tatsächlich in Lebensgefahr, denn Astrate wollte ihre Drohung wahr machen. Sie wollte mich töten, das sah ich in ihrem Gesicht.

 

„Gib auf, du kannst dich nicht ewig verteidigen“, sagte sie höhnisch lachend und das Problem war, sie hatte Recht. Durch ihren Wahnsinn getrieben würde sie sicherlich länger durchhalten als ich und irgendwann würde ich es nicht mehr schaffen, auszuweichen. Ich merkte jetzt schon wie meine Reaktionen immer langsamer wurden.

 

Und dann, bei einem weiteren Versuch, Astrate das Messer mit dem Ständer aus der Hand zu schlagen fiel die Taschenlampe, die ich in der anderen Hand hielt, auf den Boden und erlosch. Es war dunkel, stockdunkel, und ich konnte nicht ausmachen wo sich Astrate befand.

 

Einen Moment war es totenstill im Raum, niemand bewegte sich. Ich wusste, wenn ich mich zuerst bewegte, würde sie mich hören und in meine Richtung stechen, ohne dass ich wusste, woher ihr streich kommen würde. Ich hielt sogar die Luft an und sie schien es mir gleich zu tun.

 

„Die Dunkelheit wird dir nicht helfen“, lachte sie dann nach einer kurzen Zeit, doch im gleichen Moment hörte ich einen dumpfen Schlag und einen erstickten Schmerzensschrei. Beides kam aus anderen Richtungen, es musste also noch jemand gekommen sein. Schnell bückte ich mich, um nach der Taschenlampe zu suchen, und sie lag noch genau vor meinen Füßen. Als ich sie anschaltete, sah ich Astrate genau vor mir liegen. Die Kapuze von ihrem Gesicht gezogen. Ihre Augen waren erschrocken und leblos. Schnell sah ich mich im Raum um, um nach der anderen Person zu sehen. Wer wusste schon, ob nicht noch jemand aus meiner Vergangenheit hier wieder auftauchen würde?

 

Mein Atem blieb stehen. Ich merkte, wie selbst mein Herz aufhörte zu schlagen, denn ich konnte und wollte nicht glauben, was ich da nun genau vor mir sah. Eine dicke dunkelrote Blutspur zog sich vom makellosen Sandstein nach unten auf den Boden, wo sich mittlerweile eine dicke Lache gebildet hatte. Und aus dieser Lache blickte mich ein schmerzerfülltes, blutverschmiertes Gesicht an.

 

Mein Körper fing an zu zittern und ich schaffte es nicht, mich länger auf den Beinen zu halten. In einem letzten Versuch dazu ging ich einen Schritt nach vorne, um der Person, die da nun vor mir lag, näher zu sein, helfen zu können. Als ich den Kopf hochhielt, war meine Hand auf einmal voller Blut und mir wurde unweigerlich schlecht.

 

„Ich … ich muss jemanden anrufen“, stammelte ich verwirrt und kramte mein Handy aus der Tasche. Kein Netz! „Okay … ich … ich muss kurz rausgehen. Ich rufe Hilfe und komme wieder. Hörst du? Hilfe kommt!“

 

Zitternd taumelte ich aus dem Grab heraus und wäre dabei mehrere Male beinahe wieder gefallen. Das musste alles ein böser Traum sein, etwas anderes konnte es nicht sein. Ich musste träumen und ich würde sicherlich in wenigen Minuten aufwachen und feststellen, dass ich einfach nur einen furchtbaren Alptraum hatte.

 

„Ja, Hallo? Wir brauchen Hilfe … Nefertaris Grab, Sonderkammer, eine Verletzte, eine Tote. Beeilen Sie sich!“ Ich legte wieder auf und taumelte wieder zurück. Ich konnte nicht hier draußen bleiben. Nicht, wenn dort drin jemand lag, der verblutete.

 

„Ich … hätte, hätte doch besser … in die Stadt gehen sollen“, hörte ich das abgehackte und schmerzerfüllte Murmeln unter mir. Es trieb mich in den Wahnsinn. Ich konnte kaum noch atmen und ich merkte, wie ich langsam aber sicher anfing zu hyperventilieren. Ich konnte mich nicht mehr beruhigen, es ging einfach nicht. Ich wusste, dass man besonders in solchen Situationen ruhig atmen musste. Man musste ruhig atmen, damit man den Rettungskräften den Weg weisen konnte, ihnen sagen konnte, was passiert war.

 

Aber wie sollte das nur funktionieren, wenn das, was hier passierte, so schrecklich war? Wenn man am liebsten selbst gestorben wäre?

 

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* Seuni at mesutmaui Nefertari – Ich wusste, dass du die Wiedergeburt von Nefertari bist.

 

Me-ta-unut pa meut-init! – Und jetzt werde ich den Tod über dich bringen.

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