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Kapitel 40

 

 

British Museum

 

 

 

„Ich hatte mir gedacht, da mein Lieblingsbabysitter schon im Land ist, warum sollte ich meinen Sohn nicht ihr anvertrauen.“ Orlando war einfach am Tag nach der Premiere bei meiner Großmutter aufgetaucht, mit Seth. Er musste sich mit all den anderen Schauspielern auf den Weg zu den anderen großen Premieren machen und Seth konnte er nicht mitnehmen. Auch wenn Seth schon oft geflogen war, war das, was sein Vater nun tun würde, viel zu viel für ihn. Jeden Abend war in einem anderen Land eine Premiere und Orlando musste oder wollte dabei sein.

 

„Natürlich passe ich auf den kleinen Racker auf“, sagte ich und hob Seth hoch. Ich verstand die Geste und war Orlando dankbar. Er wusste, in wenigen Wochen würde ich nach Neuseeland zurückkehren und dann würde ich Seth wieder eine lange Zeit nicht mehr wieder sehen. Aber eines schwor ich mir: dieses Mal würde ich nicht vollkommen ausrasten. Ich hatte nun bemerkt, dass Orlando mich niemals vergessen würde und ich wusste, irgendwann, egal wie lange es noch dauern würde, irgendwann würden wir beide gemeinsam eine Lösung für unser Dilemma finden. Nicht sofort und wahrscheinlich auch nicht in der nahen Zukunft, aber irgendwann, und bis dahin musste ich es nun einmal aushalten.

 

„Ich werde in zwei Wochen wieder da sein. Pass mir gut auf Teti auf, mein Schatz“, sagte er und küsste seinen Sohn und mich auf die Stirn. Es war schon ein komisches Bild. Wenn jemand diese Szene beobachtete ohne die ganze Geschichte zu kennen, hätte er wahrscheinlich angenommen, dass es sich hier um eine kleine Familie handelte, deren Vater nun eine Reise antrat und bei der die Mutter und der kleine Sohn zurück blieben.

 

„Bye Daddy!“, rief Seth noch bevor Orlando außer Sichtweite ging. „Lieb Teti!“ Er schmiss sich förmlich um meinen Hals und gab mir einen Kuss auf die Wange. Es ließ mein Herz furchtbar warm werden.

 

„Ich habe dich auch lieb, mein Schatz“, antwortete ich ihm und küsste ihn auf die Wange. Er war ein einzigartiger Junge, das Abbild seines Vaters. Ich war mir sicher, er würde zu einem wundervollen Mann heranwachsen und wenn die Zeit gekommen war musste Orlando sich eindeutig Sorgen machen, dass sein Sohn nicht arrogant wurde. Bei vielen hübschen Menschen kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem sie bemerkten, dass sie hübsch waren und danach handelten, und das war selten gut.

 

Auch meine Großmutter war entzückt von dem Kleinen und sie kam nicht umher zu bemerken, wie ähnlich der Kleine mir doch sah. Natürlich wusste sie, dass er nicht mein Sohn war, aber sie ließ nicht von ihrer Meinung ab und keiner von uns wollte mit ihr streiten. Die meisten der Tage verbrachte ich zusammen mit Hirchop und Seth in einem Park in Manchester. Einen Tag jedoch entführten uns unsere Eltern noch einmal nach London. Warum, sagten sie mir nicht. Sie wollten mich überraschen. Natürlich war die dreistündige Fahrt mit einem kleinen Kind alles andere als einfach. Immer wieder mussten wir anhalten, weil er sich in die Windel gemacht hatte.

 

„Hey, Te, alles klar bei euch?“, fragte Orlando als ich endlich auf der nervige Klingeln meines Handys reagierte. Aber es war verständlich. Er wollte wahrscheinlich wissen, wie es seinem Kleinen ging.

 

„Ja, Seth schläft gerade. Wir sind auf dem Weg nach London. Meine Eltern haben irgendeine Überraschung für mich und ich werde hier langsam echt verrückt.“

 

„Ich glaube, das ist der Sinn einer Überraschung. Aber es freut mich, dass es euch gut geht“, antwortete er und irgendetwas an seiner Stimme irritierte mich. Irgendetwas sagte mir, dass er mehr wusste, als er sagen wollte. „Ich wünsche dir heute einen wunderbaren Tag und lass dich von Seth nicht zu sehr ärgern. Ich weiß, er kann manchmal ganz schön anstrengend sein.“

 

Da hatte Orlando nicht unrecht, aber ich kam damit klar. Natürlich war es schwer wenn Seth einmal mehr versuchte, seine Grenzen bei mir auszutesten. Aber ich sagte mir immer wieder, dass er nur ein Kind war und mich nicht wirklich provozieren wollte. Kinder brauchten Grenzen und mussten wissen, wo sie sind, und wie sollten sie es herausfinden wenn nicht dadurch, dass sie sie ausreizten. Das Problem war nur, dass Seth bereits jetzt den unschuldigen Blick seines Vaters hatte und ich dadurch Probleme hatte, ernst zu bleiben wann immer der Kleine mich so ansah.

 

„Ich muss jetzt wieder los, der Film geht gleich weiter.“

 

„Wo bist du morgen?“, fragte ich noch schnell, bevor er auflegen konnte.

 

„Morgen fliegen wir nach Wellington und dann geht’s über Sydney, Tokio und Hong Kong nach Berlin. Und dann erlöse ich dich auch schon wieder“, sagte er glucksend. Anscheinend freute er sich, dass ich ihn zu vermissen schien, denn das tat ich. Nicht so schlimm wie, wenn er und Seth hier und ich in Wellington war, aber dennoch vermisste ich ihn. Ich nahm an, dass es an Seth lag, dass ich ihn nicht so vermisste wie sonst. Ein Teil von ihm war bei mir und dieser Teil ließ mich ihm nah sein, obwohl er gerade am anderen Ende der Welt war.

 

„Du weist genau, dass Seth keine Bürde für mich ist. Ich habe ihn gerne bei mir“, sagte ich und dann verabschiedeten wir uns. Es war komisch sich vorzustellen, dass dort, wo Orlando war, bereits Mitternacht war und wir hier in London gerade in der morgendlichen Rush Hour feststeckten. Mein Vater hatte aus irgendeinem Grund darauf bestanden, dass wir bereits um 5 Uhr morgens los fahren sollten und ich hatte kein Mitspracherecht in der Angelegenheit gehabt, ich musste einfach wach sein.

 

Aber es lohnte sich alle Male. Nachdem wir in einem kleinen Café alle zusammen gefrühstückt hatten und ich noch einmal Seth‘ Windel gewechselt hatte, verbanden mir meine Eltern mit einem schwarzen Stück Stoff die Augen. Im ersten Moment schlich Panik in mir auf, immer hin konnte ich nichts mehr sehen und mich so auch gegen nichts und niemanden wehren. Dann sagte ich mir aber, dass mir nichts passieren würde solang meine Eltern und Hirchop bei mir waren, und beruhigte mich wieder. Dann führten sie mich nach draußen und um einige Häuserblocks. Ich konnte hören, dass es immer lauter wurde je näher wir unserem Bestimmungsort kamen, aber es waren eindeutig nicht so viele Menschen wie bei der Premiere.

 

Nach ungefähr 5 Minuten der Blindheit merkte ich, wie sich meine anderen Sinne langsam darauf einstellten, und ich begann die Geräusche um mich herum und den Geruch, den ich aufnahm, zu analysieren.

 

„Okay, Teti. Herzlich willkommen im Britischen Museum!“, rief meine Mutter vollkommen gespannt auf meine Reaktion als mein Vater mir die Binde von den Augen nahm. Ich sah sie einen Moment skeptisch an. Dafür hatten sie so ein Theater gemacht? Nur für das Britische Museum? Doch als ich mich dann umdrehte um mir das Historische Gebäude genauer anzusehen, blieb mein Herz förmlich stehen. Große Banner vor den Säulen zeugten von einer Ausstellung, die heute beginnen sollte.

 

„Nefertari: Licht Ägyptens?“, fragte ich und ich merkte wie meine Kehle trockener wurde. Meine Mutter nickte mit einem breiten Grinsen. Sie schien an meinem Gesicht zu merken, dass ihre Überraschung gerade in diesem Moment mehr als eingeschlagen hatte. Ich brachte kein Wort mehr heraus, sondern ging nur wie hypnotisiert auf den Eingang zu.

 

„Ihre Eintrittskarte bitte, Ma’am“, sagte einer der Aufseher. Ich bemerkte ihn im ersten Moment nicht, so fasziniert war ich von dem, was ich wahrscheinlich gleich sehen würde. Ich ging einfach weiter. Das war natürlich ein Fehler. Sofort packte er mich am Arm um mich aufzuhalten, und ich erschrak augenblicklich und schrie auf. Innerhalb weniger Augenblicke standen meine Eltern um mich herum. Meine Mutter nahm mich beruhigend in den Arm, während mein Vater und Hirchop den Mann von mir entfernten. Sie erklärtem ihm ruhig, was los war, aber ihn interessierten nur die Eintrittskarten.

 

„Es ist alles in Ordnung, Schatz. Nichts ist passiert, wir sind hier.“ Meine Mutter hatte sich mit mir auf die Bank direkt hinter dem Eingang gesetzt und wiegte mich in ihrem Arm wie ein Kind, während Hirchop sich um Seth kümmerte. Ich war außer mir. Nicht, weil dieser Mann mich angefasst hatte, das war mittlerweile vergangen. Sondern, weil ich so hart daran gearbeitet hatte, alles zu verdrängen, es hinter mir zu lassen. Ich hatte wirklich gedacht, dass ich es geschafft hatte, dass alles wieder so war wie früher. Und nun war alles wie ein Kartenhaus wieder zusammen gefallen. Würde das für immer so sein?

 

Es brauchte eine ganze Stunde bis ich mich wieder soweit beruhigt hatte, dass wir endlich das tun konnten, wofür wir hergekommen waren. Wir entschieden uns erst den Rest des Museums zu sehen, damit ich mich noch weiter beruhigen konnte und mich wirklich auf alles einlassen konnte. Es war ein riesiges Museum und als ich sah wie viele Abteilungen es gab, konnte ich verstehen, warum mein Vater darauf bestanden hatte, so früh hier zu sein.

 

Das Erste, was meine Aufmerksam auf sich lenkte, sah ich direkt in einem der ersten Räume, es war nicht zu übersehen. Sie stand mitten im Raum auf einem Podest. Sofort, als ich den Raum betreten hatte, stoppte ich, so überwältigt war ich. Ein Schauer nach dem anderen jagte über meinen Rücken und ich merkte wie sich, ohne dass ich es wollte, Tränen in meinen Augen sammelten. Ich begann zu zittern und ich musste mich auf eine der Bänke setzten.

 

 

„Jetzt, da diese letzte Statue aufgestellt wurde, ist die Stadt fertiggestellt“, sagte Ramses laut und ich sah in seinem Gesicht, dass er seine Freude zurück hielt. Er hatte schon lange von seiner eigenen Hauptstadt geträumt und nun war sie endlich fertig geworden. Sie würde ein Zeugnis seiner Herrschaft sein und die Heimat unserer Kinder. Pi-Ramses war eindeutig eine wunderbare Hauptstadt geworden.

 

Ehrfürchtig blickte ich auf die große Statue vor mir. Der aus Stein gehauene Ramses blickte von den Treppen des Palastes über die Mauer der Stadt hinaus in die Ferne, wie ein Wächter, der uns vor allem Übel beschützen würde.

 

 

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich meine Augen für einen kurzen Moment geschlossen hatte. Und als ich sie wieder öffnete, sah ich die Büste vor mir. Es war nur ein Teil der Statue, die ich eben vor meinem inneren Auge gesehen hatte, und der Unterleib war nicht das Einzige, was der Statue fehlte. Ein Teil des Kopfes war abgeschlagen und auch der Arm war zerstört. Aber dennoch, es war genau diese Statue und keine andere, dessen war ich mir sicher. Ich stand also wieder auf, um näher an sie heran zu treten, und ich merkte, wie ich mit jedem Schritt nervöser wurde, so als ob die Macht dieses einmaligen Mannes auch durch diese über 3000 Jahre alte Büste noch zu spüren war.

 

Ohne es wirklich geplant zu haben neigte ich meinen Kopf leicht, als ich genau vor der Absperrung stand. Es war eine Geste des Respekts, die ich 3000 Jahre in die Vergangenheit schickte. Respekt für diesen einmaligen Mann, von dem ich mir einbildete, ihn besser zu kennen als jeden anderen.

 

„Mertqa, aj nen-djet ada“*, flüsterte ich und neigte nochmals meinen Kopf.

 

„Was hast du da gesagt?“ Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sich mein Bruder neben mich gestellt hatte. Ich hatte angenommen, niemand war in meiner Reichweite.

 

„Es war nur eine Bekundung des Respekts“, sagte ich schnell. Wie sollte ich auch meinem Bruder erklären, was ich tatsächlich gesagt hatte? Sicherlich würde er das keineswegs verstehen und mich vielleicht sogar für verrückt halten. Wer sagte schon so etwas zu einer Statue? Ich verstand ja selbst nicht, warum das über mich gekommen war. Um ehrlich zu sein hatte ich im ersten Moment selbst nicht gewusst, was ich da gesagt hatte. Es war mir einfach rausgerutscht.

 

„Daddy!“, rief Seth laut aus und ich blickte mich verwundert um. Orlando war doch in Los Angeles, oder vielleicht auch mittlerweile auf dem Flug nach Wellington, aber er war sicherlich nicht hier. Als ich mich dann jedoch zu Seth runterbeugte um ihm zu erklären, dass sein Daddy nicht hier war und er erst in einigen Tagen wieder zurückkommen würde, sah ich, dass er auf die riesige Büste zeigte. Für einen Moment sah ich den kleinen Jungen verwundert an. Kinder hatten immer einen besonderen Draht zum Spirituellen und hatten noch manches in sich, dass sie mit dem Wachstums ihres Intellektes immer mehr verdrängten.

 

„Dein Dad kommt bald wieder, Seth, keine Angst“, sagte ich ruhig und blickte dann aus seiner Perspektive auf die Büste. Wer wusste schon, wie Kinder so etwas sahen?

 

Einige Zeit später kamen wir dann zu den anderen ägyptischen Relikten, die hier aufbewahrt wurden. Aber ich musste zugeben, dass sie mich nicht so umhauten wie diese Büste. Viele von ihnen hatten wir in der Uni schon durchgenommen und sie waren für mich normale Alltagsgegenstände. Sachen, die im Alten Ägypten nun mal tagtäglich gebraucht worden waren, nichts Besonderes also. Hirchop und meine Eltern sahen das allerdings anders. Sie begutachteten die Ausstellungsstücke lange und ich war überrascht zu hören, dass einige davon sogar tatsächlich von ihnen gefunden worden waren.

 

Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie die beiden in den Ruinen von Deir el-Medina gesessen hatten und sich über solche Kleinigkeiten gefreut hatten wie Schneekönige. Ich hatte für meine eigene Karriere als Ägyptologe jedoch andere Pläne. Wenn ich wirklich von der Vergangenheit träumte, dann würde ich diese Träume nutzen können. Wenn ich Glück hatte, würde ich Sachen finden, die vielleicht sonst für immer verloren wären.

 

„Seth Huger!“, riss der Kleine mich aus meinen Gedanken. Ich sah auf meine Uhr. Es war bereits 12 Uhr mittags, da musste Seth ja Hunger haben. Also holte ich ihm die Box mit Äpfeln aus dem Rucksack des Kinderwagens und gab sie ihm. Ich war froh, dass Seth mittlerweile in einem Alter war, in dem man ihm auch mal feste Nahrung geben konnte. So war es weitaus einfacher mit ihm unterwegs zu sein.

 

„Okay, ich glaube das Interessante haben wir hier gesehen. Sollen wir uns jetzt die Sonderausstellung ansehen?“, fragte mein Vater und ich sah ihm an, dass er selbst mehr als gespannt war. Ich nickte nur lächelnd, denn um ehrlich zu sein hatte ich meinen Vater noch nie so gesehen. Er sah fast aus wie ein kleiner Junge, dem man gerade eine elektrische Eisenbahn oder ein riesigen Lego Baukasten geschenkt hatte, und wahrscheinlich war ein Museum für ihn auch genau das.

 

„Genau deswegen habe ich dich damals geheiratet“, flüsterte meine Mutter meinem Vater ins Ohr und er küsste sie dafür auf die Wange. Es war wirklich komisch meine Eltern hier zu sehen. Sie waren wie vollkommen andere Menschen, so frei. Sie kamen mir viel jünger vor als noch gestern Abend.

 

„Was ist mit unseren Eltern los?“, fragte Hirchop lachend. Ich konnte mir denken, was los war. Sie waren in der Vergangenheit. Sie waren dort, wo für sie alles angefangen hatte: in der Archäologie.

 

Aber ich vergaß schnell, dass meine Eltern gerade so glücklich waren, als ich in den ersten Raum der Sonderausstellung eintrat. Sie hatten den Raum genauso gestaltet wie das originale QV66, das Grab der Großen Königlichen Gemahlin Nefertari. An den Wänden waren die einzelnen Phrasen des Totenbuches abgebildet und vor ihnen standen einige der Artefakte, die man aus dem Grab der Königin hatte retten können. Natürlich ließ ich kein einziges der Ausstellungsstücke aus.

 

Das Erste, das ich sah, waren einige Stofffetzen, wahrscheinlich von Grabbeigaben, und Amphoren, in denen wahrscheinlich Getränke und Öle aufbewahrt worden waren. Es war ein komisches Gefühl, das alles zu sehen. Zu sehen, was Ramses seiner Königin alles hatte beigeben lassen. Auch ein Paar Sandalen war dabei. Es waren die Sandalen, die Nefertari bekommen hatte, nachdem sie Ramses‘ Gemahlin geworden war. Doch etwas stimmte nicht, denn in der nächsten Ausstellungsbox sah sie einen hölzernen Djed-Pfeiler. Ich wusste aus meinem Ägyptologiekurs, dass diese Pfeiler laut den Ägyptern Magie in sich trugen und irgendetwas sagte mir, dass dieser Pfeiler nicht hier sein sollte, sondern in einer Wand. Und tatsächlich stand das auch auf dem Informationstext. Dieser Pfeiler war wohl im Sand gefunden worden und gehörte zu einer Beschwörung, die alles Übel fern halten sollte.

 

„Isisnofret“, murmelte ich, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diese Frau etwas damit zu tun hatte. Hirchop sah mich fragend an, aber anstelle ihm eine Antwort zu geben, schüttelte ich nur meinen Kopf und ging weiter. Viele Ausstellungsstücke waren Behälter, Vasen oder Schatullen, in denen irgendetwas aufbewahrt worden war, was Nefertari im Leben nach dem Tod hatte helfen sollen. Im letzten Raum stand dann der große, nur noch halb erhaltene Granitsarkophag der Königin.

 

„Was steht da?“, fragte Hirchop und sah vollkommen gebannt auf den rosa Granit.

 

„,Gütige Mutter Nut, komme über meinen Körper, sodass du mich zu den Sternen bringen mögest, wo ich nicht sterben werde...‘“, versuchte ich sinngemäß zu übersetzen, aber große Teile des Textes fehlten, daher konnte ich ihn nicht weiter übersetzen. „,Und die Göttin antwortet: ‚Ich komme über dich, meine Tochter, große Königliche Gemahlin und Herrin der beiden Länder. Nefertari, die von Mut geliebte, legitimiert im Namen Nuts, Ra selbst hat dich für würdig befunden. Deine Mutter Nut ist erfreut, dir den Weg hinter den Horizont zu zeigen.‘ Das ist es, was dort noch zu lesen ist“, endete ich und ich merkte, wie sich eine Gänsehaut auf meinen Armen bildete.

 

Das nächste Ausstellungsstück fesselte mich jedoch noch mehr als der Sarkophag.

 

„Die Gebeine der Nefertari

 

Dies sind die letzten bekannten Überbleibsel der einstigen

Großen Königlichen Gemahlin, die direkt vor ihrem Grab

gefunden worden.

 

Ob es jedoch tatsächlich die ihren sind, konnte nie sicher

festgestellt werden.“

 

 

Das waren nicht Nefertaris Gebeine, sicherlich nicht. Warum hätten sie vor dem Sarkophag liegen sollen und nicht darin?

 

 

„Ich habe beim Antritt meines Dienstes geschworen, Euch mit meinem Leben zu beschützen. Und ich werde dieses Versprechen auch im Jenseits halten.“ Ich lag in einem Bett, beinahe im Fieberwahn. Ich nahm nur noch stellenweise meine Außenwelt wahr und ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ich mein Ende fand.

 

„Ich danke dir für dieses Angebot, mein alter Freund, aber es ist noch nicht deine Zeit zu gehen“, versuchte ich mit letzter Kraftanstrengung zu sagen und ich war froh, dass er mich verstand und nickte.

 

 

„Er hat es dennoch getan“, flüsterte ich geschockt, doch diesmal war zum Glück tatsächlich niemand in meiner Näher, der mich hätte hören können. Es war komisch, aber durch diese plötzliche Eingebung hatte ich eine Ahnung, wessen Gebeine das waren, und ich war mir sicher, wenn man die DNA untersuchen würde, würde man feststellen, dass diese Körperteile nicht zu einer Frau gehörten, sondern zu einem dunkelhäutigen Mann.

 

„Aritmei“, brachte ich mit einer plötzlich wieder trockenen Kehle hinaus. Und ich musste unweigerlich und unerklärlicherweise an Viggo denken. Vor einigen Wochen hatte er mir gesagt, dass er einmal vor langer Zeit geschworen hatte, mich mit seinem Leben zu beschützen. Vielleicht hatte er das wirklich und er wusste es. Er glaube an Reinkarnationen, an die Möglichkeit, dass die Seele nach dem Tod in anderen Körpern weiter leben konnte. Vielleicht fühlte ich mich auch genau deswegen bei ihm so sicher.

 

„Es war wirklich einmalig“, bedankte ich mich bei meinen Eltern als wir abends wieder im Auto auf dem Weg zu meiner Grandma waren. Der Tag hatte mir viel zum Denken gegeben und vielleicht war ja wirklich nicht alles wie es an der Oberfläche zu sein schien.

 

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Mertqa, aj nen-djet ada. – Ich werde Euch bis in die Ewigkeit zu Diensten sein, meine große Liebe.

 

 

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