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Kapitel 39

 

Premiere

 

 

 

„Was ist denn bitte da vorne los?“ Wir waren schon fast 3 Stunden unterwegs und waren endlich in London angekommen. Und vor uns tat sich etwas auf, was ich nicht erwartete hatte. Es war bereits nachmittags und ich hatte damit gerechnet, dass einige sich in London eingefunden hatten, um bei der Premiere dabei zu sein. Aber dass halb London menschenüberfüllt war und wir von der Polizei zu unserem Hotel gebracht werden mussten, hatten wir nicht erwartet.

 

„Der Film wird leidenschaftlich erwartet. Manche haben sogar schon seit einigen Tagen vor dem Kino gezeltet“, erklärte der Beamte, der uns zum Hotel brachte.

 

„Spielen Sie auch im Film mit oder warum sind Sie eingeladen?“, fragte seine junge Partnerin, die das offensichtlich alles sehr interessant und aufregend fand. Sie konnte nicht viel älter sein als ich, deswegen nahm ich an, dass sie noch nicht lange dabei war und das ihr erster Einsatz dieser Art war. Gespannt blickte sie durch den Rückspiegel zu mir und wartete auf meine Antwort.

 

„Nein, zumindest nicht wirklich. Ich war die Souffleuse und Skriptbotin, mehr nicht.“

 

„Aber ihre besten Freunde sind die Gefährten“, warf Hirchop ein und knuffte mich in die Seite. Anscheinend war er stolz auf mich und wollte mich vor diesen Unbekannten in ein gutes Licht stellen.

 

„Ja, wirklich?“, fragte die Beamtin erfreut. „Sind sie nett? Ach, was frage ich da. Wenn es Ihre Freunde sind, was sollten Sie schon anderes sagen. Aber dieser, dieser Orlando Bloom, der ist wirklich eine Schnitte.“ Ich musste mich zusammenreißen um nicht loszuprusten. Ja, er war eindeutig eine Schnitte und ich glaube, jeder, der uns kannte wusste, dass, er tief in meinem und seinem Herzen meine Schnitte war, auch wenn keiner von uns es wirklich aussprach.

 

Es war schon komisch wie sich die ganze Sache zwischen uns entwickelt hatte. Wir hatten als Fremde begonnen, die sich mit gemeinsamen Freunden das erste Mal in einem Restaurant trafen. Wir wussten nichts übereinander, aber wenn ich mich nun an den Blick erinnerte, mit dem wir uns angesehen hatten. Wahrscheinlich hatten sich unsere Seelen sofort erkannt. Dann war da noch diese gemeinsame Schaukelsache, in der Orlando mich ermutigt hatte, meine Angst zu überwinden. Das Adrenalin stieg immer noch in mir auf, wenn ich nur daran dachte, wie ich damals vollkommen panisch in Orlandos Armen geschrien hatte, während wir an dem Seil nach unten gefallen waren. Das Gefühl, als wir von dem Seil aufgefangen wurden, war einfach unbeschreiblich gewesen, genauso wie das Gefühl, in Orlandos Armen zu sein. Damals hatte ich es noch nicht als das gewertet, was es wirklich gewesen war, oder wollte es nicht sehen. Aber zurückblickend hatte ich damals schon Schmetterlinge im Bauch gehabt.

 

Dann kam Astrate und es sah eine Zeit lang so aus, als würde ich ihn durch sie verlieren. Aber am Ende hatte sich alles zum Guten gewendet und Orlando war frei und mein bester Freund.

 

„Kennen Sie ihn gut?“, schreckte mich die Frage der Beamtin dann wieder aus meinen Gedanken. Ich nickte lächelnd und ich war froh, dass es bereits langsam dunkel wurde und man daher meine errötenden Wangen im Rückspiegel nicht erkennen konnte.

 

„Ja, er ist mein bester Freund.“ Ja, das war er und daran gab es auch keinen Zweifel. Wann immer ich Probleme gehabt hatte, war er für mich da gewesen und hatte mir zur Seite gestanden. Er vertraute mir und ich vertraute ihm und das war es immerhin, was eine Freundschaft ausmachte.

 

„Da sind wir ja. Mein Gott, ist da viel los“, murmelte mein Vater und sah hinaus aus dem Fenster. Tatsächlich standen geschätzte 100 Leute vor dem Eingang des Hotels, in dem wir uns mit den anderen verabredet hatte. Wahrscheinlich hatten einige Fans herausgefunden, wo die Schauspieler übernachteten. Ich sah Plakate, die beinahe jedem der Jungs eindeutige Angebote machten, und eine Menge Teenager, die aus voller Lunge die Namen der Jungs kreischten, nur weil sie bereits in der Lobby standen und auf uns warteten. Auch als wir ausstiegen, begannen sie im ersten Moment zu kreischen. Wahrscheinlich, weil sie vermuteten, irgendein anderer Schauspieler würde nun hier eintreffen. Doch als sie uns nicht erkannten, hörten sie schnell auf zu schreien.

 

Als wir in die Lobby kamen, war es auf einmal still. Niemand sagte ein Wort, sondern die meisten starrten mich nur an. Andere hatten sich auch extra weggedreht. Jeder in diesem Raum schien zu wissen, was mir passiert war und jeder versuchte anders mit diesem Wissen umzugehen. Es war eine eindeutig unangenehme Situation, starrten mich doch so viele an. In manchen Augen sah ich ein ‚Es tut mir so leid!‘, in anderen ‚Wie geht es ihr wohl?‘, und manche schienen sehen zu wollen, wie und ob mich die Sache beeinflusste. Am liebsten wäre ich wieder hinaus gerannt. Ich wollte weder das Mitleid, noch die Neugierde haben. Ich wollte einfach nur wieder Teti sein, so wie ich es vorher gewesen war. Ich wollte das alles hinter mir lassen und da halfen diese Blicke keineswegs.

 

„Teti!“, rief Viggo plötzlich freudestrahlend. Er nahm mich direkt in den Arm. Er war der einzige, der nicht zögerte, bevor er mich berührte. Er hatte es noch nie gemusst, denn er hatte mich ja gerettet. Mit seiner Berührung assoziierte ich etwas Gutes, Sicherheit. Er hob mich in die Luft und ich musste lachen. „Es ist schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“, fragte er dann und setzte mich wieder ab.

 

„Besser. Eindeutig besser“, sagte ich kurz aber lächelnd. Dann sah ich hinter Viggo Orlando stehen, der sich gerade mit Hirchop unterhielt.

 

„Ja, das sehe ich. Deine Augen können wieder strahlen“, bemerkte Viggo und drückte mich dann sanft in Orlandos Richtung. Ich lächelte ihn nur leicht kopfschüttelnd an und ging auf Orlando zu. Der hörte augenblicklich auf mit Hirchop zu reden und sah mich ebenfalls lächelnd an.

 

„Du siehst gut aus“, bemerkte er und begutachtete mich kurz. Er machte immer Komplimente, dabei hatte ich mich für die Premiere nicht für ein aufwendiges Kleid sondern, eher für etwas Winterfesteres entschieden. Als ich ihn jedoch ansah, musste ich lachen. Nicht weil das Outfit, was er trug, nicht gut aussah. Aber sein Hemd war türkis mit kleinen schwarzen Punkten und die Kopfleiste war mit groben Rüschen übersät, wie man es sich vielleicht früher einmal bei Piraten vorgestellt hatte. Und seine Krawatte? Na ja, es war keine wirkliche Krawatte. Eher ein Streifen Stoff aus Seide. Dunkel, glänzend, aber bunt. Es erinnerte fast an einen dunklen Opal, so schimmerten die einzelnen Farben, wenn das Licht auf den Streifen fiel. Von Nahem sah es einfach nur urkomisch aus.

 

„Tut mir leid, aber von Nahem siehst du einfach zum Schießen aus!“, lachte ich laut und die anderen nickten nur kurz, während Orlando uns alle gespielt beleidigt ansah. Aber ich konnte nicht anders als ihn freudig zu umarmen. Es war ein gutes Gefühl und ich war mir sicher, dass der Ortswechsel dazu beitrug, dass ich hier weniger Probleme damit hatte. Außerdem hatte ich bei Orlando kein Problem mehr. Er war nur Orlando und verwandelte sich nicht mehr in das Monster, wenn er mich berührte.

 

Als wir dann alle in die Autos stiegen um uns zum Kino fahren zu lassen, war ich mehr als nervös. In wenigen Minuten würde ich zuerst zusammen mit Orlando auf dem roten Teppich sein und wahrscheinlich für seine Freundin gehalten werden und danach würde ich endlich unseren Film sehen. Den Film, an dem wir alle so hart gearbeitet hatten. Bereits die Fahrt bis zum Kino zeigte uns, was eigentlich da draußen vorging, wie viele Menschen anscheinend sehnsüchtig darauf gewartet hatten, dass dieser Film endlich in die Kinos kam. Ich hatte selten so viele Menschen auf einem Fleck gesehen und Orlando ging es nicht anders. Auch er blickte immer ungläubiger aus dem Fenster uns schüttelte mit dem Kopf.

 

„Was haben wir da ausgelöst, Teti?“, fragte er ungläubig und nahm meine Hand. Ich drückte sie zur Bestätigung leicht. Es war schon komisch. Eigentlich hätte ich Angst haben müssen, immerhin war ich das erste Mal seit der ganzen Sache mit einem Mann alleine. In den ganzen letzten Wochen war ich nie mit nur einer Person, geschweige denn einem Mann, in einem Raum gewesen. Und jetzt saß ich zusammen mit Orlando im Auto. Unweigerlich stieg mein Puls ein wenig, aber ich konnte es kontrollieren. Ich würde keine Panik bekommen, da ich wusste, dass von Orlando sicherlich keine Gefahr ausging. Er war wahrscheinlich der Letzte auf der Welt, der mich verletzten wollte.

 

Als wir dann ausstiegen, ging Orlando als erstes und half mir dann wie ein Gentleman aus dem Auto. Natürlich brach das Blitzlichtgewitter aus und Orlando schien es nicht zu stören, dass die Reporter ihn immer wieder fragten, wie denn der Name seiner Freundin war. Er schlang sogar für manche Fotos provokant die Arme um mich als wollte er, dass man denkt, wir seien ein Paar.

 

„Für Astrate und Paul. Wir sollten den beiden nicht zeigen, dass wir verletzt wurden“, flüsterte er, während er mich wieder einmal in den Arm nahm. Ich verstand, was er sagen wollte. Wir beide waren von jemandem verletzt worden und auch wenn es auf andere Art geschehen war, mussten wir beide noch beweisen, dass diese Menschen keine Macht mehr über uns hatten, dass wir weiter lebten. Astrate sah sich die Premiere mit Sicherheit an und dann würde sie nur sehen, wie die Medien von Orlando Bloom und seiner Freundin berichteten, und ich würde in seinen Armen sein. Und dieses verachtenswerte Monster würde sehen, dass ich keine Angst mehr vor ihm hatte. Er würde erkennen, dass er seine Macht über mich verloren hatte. Zumindest hoffte ich das.

 

„Sie lieben sich also?“, fragte eine besonders hartnäckige Reporterin kurz vor dem Eingang.

 

„Was soll ich dazu sagen?“, fragte ich sie doch etwas verlegen und Orlando küsste mich provokant auf die Wange. Um ehrlich zu sein verletzte mich der Gedanke, dass er das vielleicht nur machte, um Astrate damit etwas zu beweisen. Er sollte das tun, weil er es wollte, nicht, weil er meinte, er würde so etwas erreichen. Aber ein Teil von mir, der Teil, der Orlando genau kannte und nicht gerade von einer Reporterin bedrängt wurde, dieser Teil wusste, dass Orlando Astrate vielleicht nur als Ausrede nahm um mir hier nahe sein zu können, um jeden Zweifel auszuräumen, dass ich zu ihm gehörte.

 

„Wie wäre es mit der Wahrheit?“, fragte die Reporterin weiter. Ich seufzte innerlich. Natürlich konnte es nicht so einfach sein. Es war nie so einfach.

 

„Die Wahrheit ist, dass er ein einzigartiger Mann ist, mit viel Leidenschaft für das, was er tut“, sagte ich und blickte Orlando direkt in die Augen. Ich hatte es eigentlich nicht geplant, aber der Blick, den wir austauschten, war für die Reporterin wahrscheinlich alles, was sie sehen musste, denn sie lächelte nickend. Um ehrlich zu sein fragte ich mich in diesem Moment, wie eine Frau diesen Mann nicht lieben konnte. Und wieder einmal war es nur meine pure Vernunft, die mich davon abhielt, ihn zu küssen.

 

„Ich bin also leidenschaftlich?“, flüsterte er, als wir endlich im Inneren des Kinos waren.

 

„Na, komm schon, als wüsstest du das nicht.“

 

„Natürlich weiß ich das, aber ich würde es gerne noch mal von dir hören“, sagte er und sein Gesicht kam mir gefährlich nahe. Nicht im Sinne von Panik-gefährlich, sondern im Sinne von unterdrückter-Leidenschaft-gefährlich.

 

„Da kannst du lange warten, Mister!“, sagte ich, drehte mich um und ging davon. Ich musste unbedingt Abstand zwischen uns bringen. Es war schon komisch. Noch vor 5 Wochen hatte Orlando mich nicht einmal anfassen dürfen. Und nun, nun merkte ich wieder, wie mein Körper in seiner Nähe zu reagieren begann. Ich hatte eigentlich gefürchtet, dass das nie wieder der Fall sein würde, dass mein Körper und auch mein Herz nie wieder lieben konnten nachdem was mir passiert war. Aber anscheinend war das nicht der Fall. Ich konnte lieben. Vielleicht noch nicht mit meinem Körper, zumindest nicht so. Aber mit meinem Herz und auch mit meiner Seele konnte ich Orlando wieder lieben. Es machte die Dinge natürlich nicht gerade einfacher.

 

„Ich werde warten“, sagte Orlando, packte mich am Arm und drehte mich wieder zu sich um. Normalerweise und bei einem anderen Mann hätte ich nun begonnen zu schreien, aber ich war zu abgelenkt durch das, was er gesagt hatte. Ich hatte es genau gehört und trotz seinem Lächeln wusste ich, dass er diesen Satz ernst meinte. Ich sah es in seinen Augen. Er würde so lange warten, bis ich bereit war, und damit war nicht nur gemeint, dass ich ihm noch mal sagte, dass er leidenschaftlich war. Damit war alles gemeint. Alles, was zwischen uns war.

 

„Die Zeit wird kommen“, sagte ich leise und sah ihn immer noch an. Dann klingelte jedoch die Einlassglocke und wir wurden alle in den Kinosaal geleitet. Es hatte unsere kurze Unterhaltung unterbrochen, aber wir beide wussten, dass wir nun, zum ersten Mal, die Grenze überschritten hatten.

 

„I amar prestar aen. Die Welt ist im Wandel

Han mathon ne nen. Ich spüre es im Wasser.

Han mathon ne chae. Ich spüre es in der Erde

A han noston ned wilith. Ich rieche es in der Luft.“

 

Alles war dunkel und nur einige Zeilen überflogen die riesige, sonst schwarze Leinwand. Im Hintergrund war Cates, also Galadriels, Stimme zu hören. Kein Mucks war im Kino zu hören, niemand wagte es auch nur zu atmen und ich merkte, wie sich eine dicke Gänsehaut auf meinen Armen bildete. Ich würde Peter sagen müssen, dass er mich bereits nach dieser Sache in seinem Bann hatte. Dann merkte ich, wie plötzlich eine warme Hand die meine berührte und sie in sich nahm. Ich schreckte nicht zusammen, denn ich wusste ja, dass Orlando neben mir saß und er es war. Er drückte sie feste als er zu merken schien, was sich da unter meinem Blusenärmel abspielte und sah mich kurz an und lächelte.

 

Als das Intro dann beendet war und auf einmal Elijah in einem Close-Up auf der riesigen Leinwand zu sehen war, konnte ich nicht anders als Maria, die auf meiner anderen Seite saß, leicht in die Seite zu knuffen und über sie hinweg Elijah einen leichten Klaps auf den Oberschenkel zu geben.

 

„Show-Off!“, zischte ich ihm leise entgegen und er lachte leicht. Dann konzentrierte ich mich aber wieder auf den Film. Ich war erstaunt, was Peter tatsächlich aus der ganzen Sache gemacht hatte. Die Schwarzen Reiter waren schon während dem Dreh unheimlich gewesen, zumindest empfand ich das so. Aber auf der Leinwand waren sie noch schlimmer. Und das Kreischen, das sie von sich gaben, war einfach unbeschreiblich. Ich konnte nicht verhehlen, dass ich während der Szenen mit den Schwarzen Reitern Orlandos Hand kräftiger drückte als es vielleicht hätte sein müssen. Er fragte mich sogar, ob alles in Ordnung sei, oder ob ich einen Moment nach draußen gehen müsste. Doch um Nichts in der Welt würde ich eine Sekunde dieses Filmes verpassen wollen! Aber ich verstand die Geste. Und ich war froh, dass ich blieb. Denn schon bald, nachdem die Reite in den Furten des Bruinen weggespült worden waren, tauchte dann mein absoluter Lieblingselb auf der Leinwand auf. Es war eine relativ kurze Szene, aber der Blick, den ich da auf der Leinwand sehen konnte, war einzigartig. Es sah tatsächlich aus, als würde Legolas zum ersten Mal Bruchtal erblicken und sehen, dass es außerhalb des Düsterwaldes auch Schönheit gab.

 

„Mein Held!“, flüsterte ich leise und gab Orlando einen leichten Kuss auf die Wange. Er legte dann nur seinen Arm um meine Schulter. Diese Bewegung von ihm war so ein Klischee gewesen, aber ich konnte nicht leugnen, dass mir der Film aus dieser Perspektive noch besser gefiel, als er es so schon tat. Wir hatten eindeutig eine Grenze überschritten und wahrscheinlich würden wir nie wieder hinter sie treten können.

 

 

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