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Kapitel 34

 

Gefährliche Liebschaft

 

 

 

„Teti, wo bist du gewesen?“, fragte meine Mutter besorgt. Es war nun schon die zweite Nacht in Folge gewesen, die ich nicht zu Hause verbracht hatte. Um ehrlich zu sein konnte ich meiner Mutter nicht sagen, wo ich gewesen war.

 

 

Wie sollte ich meiner Mutter auch sagen, dass ich die letzte Nacht wieder mit einem Mann verbracht hatte, dessen Namen ich nun absolut nicht mehr wusste. Ich kam eigentlich nur noch nach Hause um mich wieder für die nächste Party fertig zu machen und mich um meinen Hund zu kümmern und das machte meine Eltern mehr als verrückt.

 

„Ich will wissen, wo du dich rumtreibst!“, schaltete sich auch mein sonst so ruhiger Vater ein.

 

„Das geht euch nichts an! Ich bin alt genug!“, antwortete ich ihm etwas lauter. Ich war immerhin schon 22, da musste ich wohl kaum noch Rechenschaft für das, was ich tat, ablegen und meine Eltern konnten mir auch nichts mehr verbieten.

 

„Und ob uns das etwas angeht! Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, Teti!“ In den Augen meiner Mutter sah ich, dass sie die Wahrheit sagte, aber es brachte mich dennoch nicht zum Nachdenken. Es war mir sogar egal. Ich hatte nicht verlangt, dass sie sich um mich sorgten. Wenn sie es dennoch taten, war das sicherlich nicht mein Problem.

 

„Dann lasst es einfach! Ich schnüffle ja auch nicht in eurem Leben herum!“ Und mit diesen Worten dampfte ich ab in mein Zimmer. Ich konnte mir die Gesichter meiner Eltern regelecht vorstellen. So kannten sie mich nicht. Für sie war ich immer die vernünftige, logische und unproblematische Teti gewesen. Aber das war ich nicht mehr, das wollte ich nicht mehr sein.

 

Auch Hirchop fand es alles andere als lustig. Vor allem weil er sich denken konnte, wo ich gewesen war. Er hatte mich einmal eine Nacht im Club gesehen und hatte versucht, mich dort hinaus zu bekommen. Die Türsteher hatten ihn rausgeschmissen.

 

„Was ist mir dir los, Te?“, fragte er mich, nachdem ich in meinem Zimmer verschwunden war. Er stand in der Tür und fragte erst gar nicht, ob er hereinkommen konnte. Ich war beinahe dazu geneigt, ihm einen Schuh oder irgendetwas andere entgegen zu schmeißen, damit er kapierte, dass er nicht reinkommen sollte. Ich sah seinen erschreckten Blick als er sich in meinem Zimmer umsah. Es war ein totales Chaos. Kleider lagen kreuz und quer auf dem Boden, Schubladen standen weit offen und auch mein Schrank sah alles andere als normal aus. Ich war immer die Ordentlichere von uns beiden gewesen, doch nun schien es so, als sei auch das nichts mehr worauf man sich verlassen konnte.

 

„Was soll mit mir los sein, Hir? Ich lebe.“ Natürlich war meine Antwort nicht das, was er hatte hören wollen.

 

„Te, du benimmst dich wie ein verdammtes Flittchen! Was ist bloß los mit dir? Verdammt, ich erkenne dich nicht mehr!“, sagte er mit lauter werdender Stimme. Ich sah ihn beinahe unterkühlt an. Warum verstand eigentlich keiner, dass ich das brauchte, dass es wichtig für mich war. Seitdem Orlando nach Marokko gegangen war und ich kaum noch etwas von ihm hörte waren die Parties und die gelegentlichen Besuche bei anderen Männern das gewesen, was mich noch bei Verstand gehalten hatte.

 

„Und ich erkenne euch alle nicht mehr!“, brüllte ich ihn förmlich an. „Ihr wart es doch, die mir gesagt haben, ich soll mein Leben leben! Und das tue ich jetzt. Wenn es euch nicht passt, dann habt ihr Pech gehabt!“ Ich war so wütend, ich hätte meinem Bruder am liebsten etwas entgegen geschmissen. Er jedoch verließ nur enttäuscht und kopfschüttelnd mein Zimmer.

 

Ich hielt es hier nicht mehr aus! Ich musste hier unbedingt raus. Aber wohin sollte ich dann? Ich wusste es nicht. Aber dennoch schnappte ich mir eine Reisetasche und packte einige Klamotten darin ein, sowie meine neu erworbene Schminke, Futter für Bahad und eine Decke für uns beide. Irgendwo würde ich schon etwas finden. Und wenn ich in einem Hotel übernachtete. Das Geld, das ich mir von meiner Arbeit beim Dreh und im Restaurant aufgespart hatte, würde reichen um einige Zeit über die Runden zu kommen.

 

„Damit ihr euch keine ‚Sorgen‘ machen müsst: Ich werde bei Maria übernachten!“, log ich meine Eltern an. Sie hätten mich ansonsten sicherlich nicht mit meiner Reisetasche hinausgelassen. Aber anscheinend vertrauten sie mir genug um tatsächlich zu glauben, dass ich zu Maria ging. Aber natürlich ging ich nicht zu ihr. In den letzten Wochen war sie eindeutig nicht gut auf mich zu sprechen gewesen. Auch sie mochte die Veränderung nicht, die in mir passiert war und ich wollte mich nicht zurück halten lassen. Ich wollte nicht länger die trübselige, auf Orlando wartende Teti sein. Ich konnte nicht einem Mann hinterher laufen, den ich nie würde haben können. Stattdessen nahm ich mir lieber alle anderen Männer, die mir gefielen, denn mich wollten sie alle Male, das war mir aufgefallen.

 

Es gab kaum einen Mann, der mich wirklich links liegen ließ und es gab meinem Ego einen Schuss nach oben, das mein Hochgefühl, während ich in einem der Clubs war, durch die Decke schießen ließ. Ich überlegte sogar im Studio 9 als Tänzerin anzuheuern, um aus meiner neuen Leidenschaft einen Beruf zu machen. Wahrscheinlich hätten sie mich auch mit einer Kusshand empfangen. Aber wenn ich dort arbeitete, konnte ich nicht mit den Gästen ins Bett steigen, das war verboten.

 

Ich mietete mir ein kleines Appartement mitten in der Innenstadt. Es stand momentan frei und würde mich im Monat nur 120 $ Miete kosten. Es stand bereits ein Bett und eine kleine Kochnische darin und das genügte mir. Von Bahad erzählte ich dem Vermieter nichts. Da er nicht bellen konnte, würde er meinen Nachbarn nicht auffallen und wenn mich jemand mit ihm sah, würde ich erzählen, ich würde ab und an auf den kleinen Kerl aufpassen.

 

Doch natürlich schaffte ich es noch nicht einmal 3 Stunden von zu Hause entfernt zu sein, ohne dass mein Handy klingelte. Hirchop hatte anscheinend mit Maria gesprochen und sie hatte ihm verraten, dass ich nicht bei ihr übernachten würde. Ich hatte ihm dann an den Kopf geschmissen, dass ich nun eine eigene Wohnung hatte und alleine klar kommen würde, wenn meine Familie nicht akzeptieren konnte, dass ich nun erwachsen und eigenständig war. Dann hatte ich ihn einfach weggedrückt und war nicht mehr ans Telefon gegangen.

 

Natürlich war er am Abend im Studio 9 aufgetaucht.

 

„Te, komm mit nach Hause, bitte.“

 

„Lass mich in Ruhe, Hir! Ich will nicht mit dir reden!“, hatte ich gesagt, doch wie mein Bruder nun einmal war, wollte er das nicht akzeptieren.

 

„Mom und Dad wollen noch einmal mit dir sprechen. Die Unterhaltung von heute Mittag tut ihnen leid“, sagte er und hielt mich an meinem Arm. Ich entzog mich allerdings seinem Griff und sah ihm direkt in die Augen.

 

„Es interessiert mich nicht. Ich bin alt genug für mich selbst zu entscheiden. Also fass mich nicht an!“, sagte ich als er wieder nach mir zu greifen versuchte. Anscheinend bekamen die Türsteher unsere Diskussion mit und sie standen auf einmal neben Hirchop. Dieser wollte natürlich keinen Ärger und verschwand wieder aus dem Club.

 

„Hast wohl keinen guten Draht zu deiner Familie“, sprach mich ein junger Kerl von der Seite an. Er war ungefähr in meinem Alter aber eindeutig nicht mein Typ. Er war mir direkt viel zu aufdringlich. Natürlich, ich war eigentlich fast jedem Mann offen gegenüber, aber ein gewisses Äußeres musste er schon haben, und das hatte dieser Typ eindeutig nicht.

 

„Sie verstehen meine Lebensart nicht“, antwortete ich. Nur weil er nicht mein Typ war musste ich ja nicht direkt unhöflich sein. Das würde vielleicht andere abschrecken und mir den ganzen Spaß verderben.

 

„Das ist schade“, flüsterte er mir ins Ohr und das war mir eindeutig zu nah. Ich stieß ihn ein kleines bisschen von mir weg.

 

„Hey Süße, darf ich dir etwas ausgeben?“, fragte mich ein anderer Kerl und ich war froh um die Ablenkung. Ich beachtete den anderen Kerl gar nicht mehr und sah nicht, wie er sich in eine Ecke weit weg von der Tanzfläche setzte und mich weiterhin beobachtete.

 

„Ja klar, gerne. Ich hätte gerne einen Martini“, antwortete ich dem anderen und er ging sofort zur Bar. Als ich mich nun umdrehte um den anderen Kerl zu verabschieden, war er verschwunden. Das Komische war nur, dass ich immer noch dasselbe unangenehme Gefühl hatte als stünde er noch genau neben mir. Aber das war wahrscheinlich nur eine Einbildung wegen seines ungefragten Eindringen in meine persönliche Abstandszone. Normalerweise war ich es, die den Männern zu verstehen gab, dass sie sich mir nähern konnten und nicht anders herum. Ich wollte immer die Kontrolle behalten.

 

Für mich bedeutete es die Kontrolle zu haben, wenn ich den ersten Schritt machte. Die Männer durften nicht mich küssen, ich musste sie küssen Dann tanzte ich eine ganze Weile mit den Kerlen, bis wir beide verschwitzt waren. Ich hatte mir die besonderen Bewegungen der Tänzerinnen angesehen und sie mit eigenen Bewegungen, von denen ich nicht wusste, wo sie her kamen, aber mein Körper schien sie zu kennen und war Eins mit ihnen. Ich tanzte mich selbst und die Männer mit meinen Bewegungen regelrecht in Ekstase und manchmal fragte ich sie dann, ob wir nicht lieber zu ihnen nach Hause gehen sollten. Manchmal ließ ich auch sie fragen, aber dann mussten sie schon etwas Besonderes sein. Und auch an diesem Abend war es nicht anders. Ich hatte mir einen der Männer ausgesucht. Er war groß, schlank, muskulös und hatte längeres braunes Haar. Auch seine Augen waren dunkelbraun. Er wusste seinen Körper und seine tiefe Bassstimme gut einzusetzen und es war tatsächlich schwer bei ihm die Kontrolle zu behalten. Vor allem weil er ausnahmsweise genau der selbe Typ war wie Orlando. Eigentlich hatte ich mir geschworen, diesen Typ komplett auszulassen und mich nur auf blonde Männer zu konzentrieren, aber dieses Mal hatte ich meine Tradition gebrochen. Vielleicht auch weil mich der Typ am Anfang des Abends so irritiert hatte. Ich wusste es nicht.

 

„Ich denke, wir sollten bei mir noch einen Kaffee trinken“, schlug er vor und natürlich stimmte ich zu, obwohl ich erst noch so tat als ob ich stark überlegen musste.

 

„Dann lass uns gehen“, sagte er und wir verschwanden. Keiner von uns merkte, wie wir verfolgt wurden. Aber mich ließ das Gefühl, beobachtet zu werden, nicht mehr los. Irgendetwas beunruhigte mich an diesem Gefühl. Normalerweise mochte ich es, die Blicke auf mich zu ziehen. Aber irgendwas beunruhigte mich daran.

 

"Hast du Angst, dein Freund erwischt dich?", fragte der Mann mit den braunen Haare, ich glaube, sein Name war Paul, und beäugte mich genau.

 

"Wie kommst du darauf, dass ich einen Freund habe?"

 

"Du hast vorhin kurz seinen Namen erwähnt, während dem Küssen", erklärte er und fügte dann noch ein "Orlando" hinzu. Ich erschrak augenblicklich als ich merkte, dass ich errötete als er Orlando als meinen Freund betitelte, aber das war alles andere als gut. Ich merkte wie ich langsam in meine alten Gedanken abdriftete und das wollte ich sicherlich nicht. Ich packte mir also einfach das Gesicht des Mannes und küsste ihn hart und wild. Noch vor einigen Monaten wäre das eindeutig nichts für mich gewesen, aber ich wollte nichts lieber, als vergessen wer ich früher einmal gewesen war, und das ging so am besten.

 

"Guten Morgen." Ich erschreckte mich als ich meine Augen öffnete. Normalerweise war ich immer die Erste, die wach war und so hatte ich bis jetzt immer wortlos entkommen können. Doch dieser Typ, dieser Paul, war schon wach gewesen und trug gerade ein Tablett in der Hand. Das war eindeutig nicht, wie ich es geplant hatte.

 

"Ich muss jetzt wirklich gehen. Mein, mein Hund ist alleine zu Hause." Es war die Wahrheit und ich war dankbar für diese Ausrede, denn ich wollte die Kontrolle behalten und ich war definitiv nicht gewillt, diesen One-Night-Stand in eine Beziehung umzuwandeln. Das hatte ich nie. Also verließ ich sein Appartement und machte mich auf den Weg zu meinem eigenen.

 

„Teti, bitte lass uns reden.“ Auch das noch! Direkt vor der Tür meines Appartements stand meine Mutter. Sie hatte anscheinend bereits gewartet bis ich entweder hinein oder hinaus gehen würde. Aber ich wollte nicht mit ihr reden.

 

„Nein, Mom. Ich möchte nicht reden! Es gibt nichts zu reden. Ich werde nie mein eigenes Leben führen wenn ich nicht irgendwann damit anfange und mein Leben ist nun dieses“, sagte ich und zeigte zur Unterstützung auf das nicht weit entfernte Gebäude des Studio 9. Meine Mutter sah mich mit aufgerissenen Augen an.

 

„So kenne ich dir gar nicht“, murmelte sie vor sich hin und blickte nach unten.

 

„Nein, Mom, so kennst du mich nicht. Aber ich will nicht mehr das brave Mädchen sein. Das war ich lang genug. Ich habe zu lang immer nur für andere gelebt. Jetzt bin ich dran!“ Ich blickte ihr direkt in die Augen und übersah, wie die ihren immer verständnisloser und trauriger wurden. Es war mir egal. Immer musste ich umziehen wenn meine Eltern wieder die Lust auf etwas Neues hatten. Ich musste im Restaurant arbeiten als andere Kinder vielleicht lieber Filme gesehen oder Parties gefeiert hatten. Ich hatte 15 Monate meines Lebens für einen Mann gelebt, den ich nie lieben durfte. Ich hatte noch nie etwas wirklich für mich getan.

 

„Aber, Teti, du … das kannst du doch nicht ernst meinen, mein Schatz.“ Die Stimme meiner Mutter drohte zu brechen, doch es war mir egal. Es gab mir sogar etwas Macht über sie und das war ein gutes Gefühl.

 

„Ich meine das mehr als ernst, Mom. Und jetzt geh!“ Meine Stimme war so bestimmt, dass meine Mutter sich tatsächlich umdrehte und ging. Einem Teil von mir, der Teil, der sonst immer den anderen unterdrückt hatte, tat leid, was gerade passiert war. Er wäre am liebsten zu meine Mutter gerannt und hätte sie umarmt und ihr gesagt, dass es nicht stimmte, was ich gerade gesagt hatte. Doch der andere Teil, der Gollum in mir, der hatte alles genauso gesagt, wie er es meinte und hatte auch kein Mitleid.

 

Ich ging also einfach nach oben in mein Appartement, schnappte mir Bahad und ging zusammen mit ihm einkaufen. Und ich war froh, dass mir nicht noch jemand meiner Familie über den Weg lief. Ich hatte wirklich keine Lust mehr auf einen der drein. Um ehrlich zu sein hatte ich auf niemanden, den ich kannte, Lust, denn sie würden mich nicht mehr kennen. Im Supermarkt kaufte ich dann die dringendsten Lebensmittel ein.

 

„Teti, welch eine Überraschung, dass ich dir hier treffe!“ Ich erstarrte förmlich, als ich eine bekannte Stimme hinter mir hörte. Ich hatte den Kerl schon beinahe wieder vergessen, oder zumindest war ich dabei, ihn zu vergessen.

 

„Paul, was für ein Zufall“, lachte ich etwas gekünstelt, denn es war mir mehr als unangenehm, ihn hier zu treffen. Ich hatte eigentlich vorgehabt, ihn gar nicht mehr zu sehen. Und dass er mir nun über den Weg lief passte überhaupt nicht in mein Konzept.

 

„Es war wirklich schön letzte Nacht. Wir sollten das unbedingt wiederholen“, sagte er etwas verführerisch und griff nach meiner Hand. Ich zog sie allerdings zurück.

 

„Paul, hör zu. Ich fand es auch schon … man ist das peinlich … aber das war nur was für eine Nacht. Mehr nicht. Es tut mir leid“, versuchte ich ihm leise zu erklären. Immerhin wollte ich nicht, dass der ganze Supermarkt es mitbekam.

 

„Sag doch nicht so was. Ich weiß, dass du mich liebst“, sagte er und lachte leicht als hätte ich gerade versucht, ihn auf den Arm zu nehmen. Ich schüttelte nur den Kopf.

 

„Nein, ich liebe dich nicht. Ich empfinde gar nichts für dich.“ Doch er schien das nicht zu hören oder nicht hören zu wollen. Also ging ich einfach und war froh, dass er nicht hinter mir herkam, um mich eines Besseren zu belehren. Normalerweise waren es die Männer die, die Frauen abservierten und die Frauen die, die dann hinterher liefen. Aber ich würde keinem Mann mehr hinterher laufen, sicherlich nicht. Ich würde die Macht behalten, die ich durch meine kontrollierende Art aufgebaut hatte.

 

Am Abend ging ich absichtlich nicht ins Studio 9, sondern ins Paradise, einen der neueren Clubs. Doch gerade als ich mich gelockert hatte und mit dem ersten Typ zu flirten begann, sah ich plötzlich Paul an der Türe. Es war wahrscheinlich purer Zufall, dass er ebenfalls hier war, aber die Unterhaltung von heute Mittag wollte ich auf keinen Fall fortsetzen, und ich versuchte von ihm ungesehen aus dem Club zu kommen. Und so ging es die nächsten Wochen weiter. Immer wieder dachte ich in einem Laden, in dem ich gerade war, oder in einem Club, Paul zu sehen, doch wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein. Immerhin war er nicht gerade ein Mann mit außergewöhnlichem Aussehen gewesen und Männer wie ihn gab es hier wie Sand am Meer. Ich machte mir also keine weiteren Sorgen um ihn und versuchte die „Sichtungen“, die ich glaubte zu haben, einfach als Einbildung abzutun.

 

„Ich hatte mich schon gefragt, wann du hier auftauchen würdest." Ich erschrak als ich auf einmal in einer Seitenstraße eine Stimme hinter mir hörte. Es war nun schon 3 Wochen her gewesen, seitdem ich diese Stimme das letzte Mal gehört hatte und ich hatte eigentlich gehofft, sie nie wieder hören zu müssen. Aber wahrscheinlich konnte man nicht verhindern, einem seiner One-Night-Stands über den Weg zu laufen, wenn man in derselben Stadt wohnte.

 

„Hi, Paul. Wie geht es dir?“, fragte ich ihn während ich mich langsam umdrehte. Irgendwie hatte ich bei der ganzen Sache kein gutes Gefühl.

 

„Jetzt, wo ich dich hier wieder treffe, besser als vorher. Teti, ich habe dich vermisst. Ich weiß, dass es dir genauso ging“, sagte er und kam einen Schritt auf mich zu. Ich machte stattdessen einen zurück, um den Abstand zwischen uns zu wahren.

 

„Paul, ich glaube, du hast da etwas vollkommen missverstanden. Das zwischen uns, das war eine einmalige Sache und das wird es auch bleiben.“ Ich hoffte, er hatte es endlich verstanden, denn es war schon seltsam, wie er mich ansah.

 

"Das redest du dir doch nur ein, weil du Angst hast, verletzt zu werden. Aber keine Angst, ich liebe dich genauso wie du mich. Ich habe dich nicht aus den Augen verloren und werde es auch nicht", sagte er und trat wieder näher an mich heran. Ich merkte jedoch nicht, wie er mich so in eine kleine Sackgasse drängte. „Ich war immer bei dir, egal wo du warst. Im Club, im Supermarkt, im Park, sogar im Fitnessstudio“, sagte er und kam immer näher. Nun führte der einzige Weg aus der Gasse an ihm vorbei und er wurde mir mit jeder Sekunde unheimlicher. Irgendetwas stimmte gewaltig nicht mit diesem Kerl.

 

Hatte er das ernst gemeint, dass er immer da war? Hatte ich doch keine Einbildungen gehabt? Hatte ich tatsächlich immer wieder ihn gesehen? Ich merkte, wie mein Puls anstieg und ich begann schneller zu atmen. Doch anstatt, dass ihn meine Angst abschreckte, schien sie ihn nur noch mehr anzutreiben und Wahnsinn stieg in seine Augen. Er kam immer näher und dann merkte ich die Wand hinter mir.

 

„Ich weiß, dass es dir auch gefallen hat. Wenn wir das wiederholen, dann wirst du dich wieder daran erinnern, dass du mich liebst.“ Es trennten ihn noch genau 3 Meter von mir, oder zumindest schätzte ich die Entfernung so ein. Die Wände rechts und links neben mir waren näher und sie schienen noch immer näher zu kommen, genauso wie das Ende der Gasse immer weiter weg zu gleiten schien. Ich war schon so oft an dieser Gasse vorbei gelaufen, doch normalerweise war sie mir nicht als unheimlich aufgefallen. In diesem Moment war es jedoch anders. Sie schien förmlich nach Gefahr zu schreien und hätte auch gut das Set eines Horrorfilms sein können.

 

"Ich bin mir sicher, dir wird gefallen, was ich mit dir vorhabe", sagte er und holte mehrere Bänder heraus. Ich wollte gar nicht erst wissen, was er damit vorhatte. Doch eine schlimme Vorahnung kroch in mir hoch und ich wurde panisch. Mein Mund war so trocken, dass ich keinen Ton mehr herausbekam und ich wünschte mir, an einem anderen Ort zu sein. Ich wünschte mir, dass ich einfach in Ohnmacht fallen würde und erst wieder aufwachen würde, wenn alles vorbei war.

 

"Ich werde dir verzeihen, dass du so mit diesen Kerlen getanzt hast. Immerhin wolltest du mich nur eifersüchtig machen", fuhr er fort, ohne auch nur zu bemerken, dass ich mich fürchtete. "Und ich muss zugeben, du hast es geschafft. Nichts hat mich verrückter gemacht als dich so zu sehen."

 

"Du bist doch krank!", keuchte ich heiser. "Ich liebe dich nicht, habe es nie getan und werde es nie tun!" Es war der letzte verzweifelte Versucht, diesem Verrückten noch etwas Verstand einzubläuen, aber es war sinnlos. Jemand mit seinem Geisteszustand konnte nicht mehr klar denken und sicherlich war ich die Letzte, die ihn davon überzeugen konnte. Die Situation war also aussichtslos.

 

"Bei unserem ersten Mal hast du das aber anders gesehen. Und wenn wir hier fertig sind wirst du es sicherlich wieder so sehen wie damals. Darum ging es dir doch. Du wolltest mich reizen und du hast es geschafft. Ich kann dich nicht länger in den Armen eines anderen sehen wenn ich doch weiß, dass du am liebsten in meinen wärst." Mit diesem Worten fasste er mich an und aus Reflex begann ich, um mich zu schlagen. Ich versuchte ihn zu erwischen, versucht ihn zu kratzen, doch das schien ihn nur noch wilder zu machen.

 

"Ich sehe, du möchtest das Dominanzspiel spielen", lachte er und begann mich stärker festzuhalten. Je mehr ich mich wehrte, desto mehr hielt er mich fest und desto mehr tat es weh. Ich merkte, dass ich mich nicht aus seinem Griff befreien konnte, er war zu stark. Die Panik, oder was auch immer es war, machte mich beinahe bewegungsunfähig und ich konnte mich nicht mehr richtig wehren. Ich merkte, wie er auf einmal mein T-Shirt aufriss. Und da startete ich noch mal einen letzten verzweifelten Versuch, mich zu wehren. Doch es stachelte ihn nur noch mehr an. Dann spürte ich auf einmal seine äußerst feuchten Lippen an meinem Dekolleté. Es war, als würde ein sabbernder Riesenköter mich mit seiner Zunge berühren, und es ekelte mich über alle Maßen.

 

Dann spürte ich, wie eine seiner Hände auf einmal zwischen meinen Oberschenkeln hoch und runter glitt. Ich zitterte am ganzen Körper und war nicht mehr im Stande, mich zu wehren. Ich wäre am liebsten gestorben.

 

"Ich glaube, Ihr solltet diese Lady in Ruhe lassen." Ich kannte diese Stimme, wusste genau, zu wem sie gehörte, doch etwas war anders. Das Ende der Gasse hatte sich in einen Wald verwandelt und an dessen Ende stand niemand anderes als Aragorn höchstpersönlich. Er hatte sein Schwert Andúril erhoben und es funkelte förmlich im Glanz der Sonne über ihm. Ich wusste, dass mein Kopf versuchte aus der Situation zu fliehen. Er versuchte das alles für mich erträglicher zu machen und anscheinend verband er das mit meinem Wunsch, einfach wieder in Mittelerde zu sein. Nur dass mein Kopf wohl das "richtige" Mittelerde mit dem Set verwechselte. Deswegen hatte er anscheinend Aragorn für mich erscheinen lassen. Paul, der sich zwar umgedreht hatte, aber mich immer noch festhielt, war ein Schwarzer Reiter, der kreischte und seinen Griff um mich nicht lockerte.

 

"Ich denke, Ihr könnt mich und meine Freundin in Ruhe lassen", erwiderte er und seine Stimme war ein Zischen, das mir noch mehr Angst einjagte. Doch Aragorn blieb eisern und stand dort unbeeindruckt. Hinter ihm standen einige der Dúnedain und sie zielten mit ihren Bögen auf den Schwarzen Reiter. Ich merkte, wie ein kleiner Hoffnungsfunke in mir aufkeimte. Vielleicht bildete sich mein Kopf nur die Hälfte ein. Vielleicht stand da am Ende der Gasse ja tatsächlich jemand, der versuchte mir zu helfen. Dann, auf einmal, ließ Paul von mir ab. Aragorn bewegte sich sofort auf mich zu, sein Schwert immer noch gezückt, und er war darauf bedacht, den Schwarzen Reiter auf Abstand zu halten. Er drängte ihn mit seinem Schwert nach hinten zu seinen Freunden, die den Reiter umgehend in ihre Mitte nahmen. Dann rannte er zu mir.

 

„Teti, ist alles in Ordnung? Teti?“ Als er mich anfasste, schlug ich um mich, einfach aus purer Angst heraus, doch er hielt mich fest. Nicht so bestimmend und aggressiv, wie Paul es gerade getan hatte. Es war sanft, aber stark genug um mich zu beruhigen. Ich merkte, wie ich langsam zusammen sackte und alles um mich herum schwarz wurde.

 

 

 

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