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Kapitel 33

 

 

Partynacht mit Folgen

 

 

 

Einige Wochen später machten Maria und ich dann unser Vorhaben wahr. Eigentlich hatte Maria keine sonderliche Lust gehabt mit mir in einen der Nachtclubs zu gehen. Irgendwie schien sie das Gefühl zu haben, Elijah schon zu betrügen wenn sie andere Männer nur ansah, und so kannte ich meine Freundin nicht.

 

Der einzige Grund dafür das sie mitkam, war die Tatsache, dass Rian und Ben uns einen Besuch abstatteten. Wir wollten die alten Tage noch einmal aufleben lassen und hatten uns entschlossen, uns alle im SF zu treffen. Es freute mich, dass wir es geschafft hatten, die alte „Gang“ wieder zusammen zu bringen, hatte sich doch in der letzten Zeit so viel verändert. Rian und Ben waren weggezogen und nachdem Will in Auckland ein Jobangebot bekommen hatte war auch er aus Wellington geflohen. Hirchop, Maria und ich waren die einzigen, die immer noch in unserer schönen Hauptstadt wohnten.

 

„Okay, dann lasst uns mal reingehen und sehen, ob Dave uns noch erkennt“, sage Hirchop. Er war genauso froh über unseren Ausflug wie wir anderen. Wahrscheinlich hatte er es vermisst, mit uns anderen raus zu gehen. Immerhin hatte er durch seinen Job nicht viele Möglichkeiten. Irgendwie war es ein komisches Gefühl, hier wieder zusammen vor dem SF zu stehen. Es war in der Zwischenzeit so viel passiert. Ich war nicht mehr dieselbe Teti, die ich noch vor 15 Monaten gewesen war. Und auch die anderen waren nicht mehr dieselben. Daher begann unser Abend etwas schleppend. Jeder erzählte, was in den letzten Monaten so passiert war und die laute Musik schien uns beinahe dabei zu stören. Doch irgendwann schlug unsere Stimmung doch noch um.

 

Keiner von uns wusste so genau, was es ausgelöst hatte. Ob es Dave war, der auf einmal mit einer Runde Kurzer zu uns kam um seine alten Stammgäste zu Hause zu begrüßen, oder ob es die Musik war, die der DJ aufgelegt hatte und uns so an unsere „alten Zeiten“ erinnerte. Aber auf einmal wurden wir locker und begannen zu tanzen. Es war ein befreiendes Gefühl. Es ließ mich für einen Moment vergessen, was ich erlebt hatte und was mir so sehr fehlte.

 

„Komm schon, Maria!“, forderte ich meine Freundin auf, die immer noch mit sich kämpfte. Ich stand mittlerweile mit ihrer Schwester schon mitten im Getümmel und tanzte. Ich sah in ihren Augen, dass sie mit sich rang und daher ließ ich ihr gar keine andere Wahl. Ich schnappte sie am Arm und zog sie zu mir. Ich wusste, sie hätte dasselbe für mich getan wenn ich noch so dagestanden wäre und ich wusste, sie würde sich nach einigen Takten der Musik eindeutig besser fühlen.

 

Am nächsten Morgen hatte ich so gut geschlafen wie lange nicht mehr, vollkommen traumlos. Noch nicht mal wirre, unorganisierte Bilder waren in meinem Kopf herumgeflogen. Ich fühlte mich seltsam frei. Doch als ich meinen Computer anmachte verflog dieses ungewöhnliche Hochgefühl sofort wieder. Orlando hatte mir geschrieben.

 

Ich war nicht traurig, dass er mir schrieb. Nein, es war schön. Aber es zog mich runter weil ich wusste, dass ich ihn und Seth nicht sehen konnte, dass ich nicht bei ihnen sein konnte, obwohl ich es gerne gewollt hätte. Es machte mich traurig zu wissen, dass es niemals so sein könnte wie ich es tief in mir drin wollte.

 

Er schrieb, dass Seth nun tatsächlich das Laufen gelernt hatte und dass er, auch wenn er noch etwas wackelig war, immer weitere Strecken selbstständig gehen konnte. Auch Sprechen lernte er laut Orlando immer besser und Orlando war sich sicher, dass er auch bald Teti richtig sagen konnte. Orlando schrieb mir auch, dass er zusammen mit Seth für einige Monate nach Marokko müsste um dort einen neuen Film zu drehen, für den er eine Rolle angeboten bekommen hatte.

 

Es war wohl ein Kriegsfilm über den Kampf in Somalia und er würde einen Soldaten spielen. Ich fragte mich, wer wohl in der Zeit auf Seth achten würde, wem er mein kleines Baby anvertrauen würde. Aber ich rief mich zur Räson. Seth war nicht mein Baby, er war Orlandos Sohn und er hatte darüber zu entscheiden, was er mit Seth während den Dreharbeiten machte.

 

Natürlich antwortete ich ihm, dass ich mich sehr für ihn freute und ich sicher war, dass er seine Arbeit gut machen würde. Ebenso versprach ich ihm natürlich, den Film zu sehen und das war nicht gelogen. Ich würde wahrscheinlich für den Rest meines Lebens alle Filme sehen, in denen Orlando mitspielte. Ich würde sie mir ansehen und denken: ‚Das ist dein bester Freund, der Mann, den du liebst und nie bekommen wirst‘. Natürlich schrieb ich ihm das nicht, immerhin wollte ich ihn nicht in eine unangenehme Situation bringen.

 

Ich erzählte ihm nur davon, dass Bahad mittlerweile seine volle Höhe von 42 cm erreicht hatte und außer Sitz, Platz, bei Fuß und Bleib auch die Befehle „Rolle“, „Stell dich Tod“, „Gib Pfote“ und „mach Männchen“ kannte. Ich erzählte ihm, was für ein einzigartiger Hund der Basenji war und auch das war nicht gelogen. Da er mittlerweile ausgewachsen war und sein Gesicht etwas dem eines Pit Bulls ähnelte, hatten die meisten Leute Angst vor ihm. Vor allem weil sie nicht verstanden, dass er nicht bellen konnte. Selbst wenn ich ihn im Park von der Leine ließ, entfernte er sich nicht weit von mir. Er hatte einen Beschützerinstinkt und ich war froh darüber. Es machte mich sicherer wenn ich nachts alleine mit ihm noch einmal rausging.

 

Doch auch Bahad konnte mich nicht vollkommen von Orlando ablenken. Es gab eine zu große Verbindung zu ihm. Immerhin hatte Orlando mir diesen kleinen wunderbaren Kerl geschenkt.

 

„Komm schon, Te, der neue Trailer läuft im Kino!“, hatte Maria mich einen Abend angerufen und aufmuntern wollen. Natürlich wollte ich auch neue Ausschnitte aus dem Film sehen und hatte lange darauf gewartet, dass wieder ein Trailer herauskam. Aber ich wusste auch, dass ich meine alten Freunde wieder auf der Leinwand sehen würde. Ich würde wieder mit einem Mammutbaum darauf hingewiesen werden, was ich alles verloren hatte, seit dem der Dreh im Dezember des Vorjahres beendet gewesen war. Ich würde wieder einmal sehen, dass alles nur wie ein großer, langer, wunderbarer Traum gewesen war.

 

Und natürlich war es auch so. Ich sah die verschiedenen Szenen auf der Leinwand vor mir und ich bemerkte, wie meine Erinnerungen wieder an die Oberfläche drangen. Ich erinnerte mich an den langen und anstrengenden Dreh von Elronds Rat und den Mienen von Moria. Und ich erinnerte mich wie ich Orlando den Satz mit dem Ostufer „beigebracht“ hatte, dessen Ende nun im Trailer zu sehen war.

 

„Was meinst du, Maria, würdest du noch ins Studio 9 mit mir gehen? Ich könnte jetzt wirklich ein bisschen Abwechslung gebrauchen“, sagte ich zu meiner Freundin als wir wieder aus dem Kino kamen. Es war zwar Mittwoch, aber ich musste am nächsten Tag erst um 10 Uhr mit der Arbeit im Restaurant beginnen und im Moment waren kurze Semesterferien. Das Wintersemester würde beginnen und wir mussten für unsere ersten Klausuren lernen. Ich hatte natürlich einen gewissen Vorteil durch meine Ägyptologiekurs und war mir sicher, auch ohne viel lernen alles zu meiner Zufriedenheit hinzubekommen. Aber um ehrlich zu sein belog ich mich damit selbst. Ich wollte einfach nur nicht zu Hause sein. Ich wollte nicht alleine zu Hause sitzen und Gefahr laufen, eine Gefangene meiner Gedanken zu werden.

 

Zu meinem großen Glück stimmte Maria mir zu und begleitete mich ins Studio 9. Maria war nicht gerade in bester Feierlaune und ich verstand wieso. Eigentlich hatte sie heute Abend mit Elijah telefonieren wollen. Die beiden waren trotz ihrer Fernbeziehung immer noch zusammen. Die ersten 4 Monate, in denen sie getrennt gewesen waren, vor Cannes, hatte ihnen gezeigt, dass keiner den anderen betrügen wollte und hatte für die beiden eine Vertrauensbasis aufgebaut, die sie diese langen Phasen der Trennung gut überstehen ließen. Aber sie war mir zuliebe mitgekommen. Sie hatte in den letzten Monaten gemerkt, wie sehr ich eine Freundin brauchte. Aber was ich vor allem brauchte war eine Ablenkung.

 

„Hey, Süße, darf ich dir einen Drink ausgeben?“, fragte mich einer der Typen. Er war gut gebaut, ein typischer Surfer, wie man sie eigentlich eher in Australien erwartete. Aber warum sollte ich mich beschweren, dass es auch hier solche Surfer gab. Natürlich lehnte ich sein Angebot nicht ab und schaffte es sogar auch für Maria, der das alles mehr als unangenehm war, einen Drink heraus zu schlagen.

 

„Und wo kommst du her?“, fragte er mich als wir uns zusammen an die Bar gestellt hatten.

 

„Na ja, es ist kompliziert. Aber ich denke, worauf du heraus willst, ist, dass meine Mutter Ägypterin ist“, antwortete ich und fragte ihn im Gegenzug, denn es interessierte mich, ob er hier aus Wellington kam oder ob er vielleicht tatsächlich ein Aussie war.

 

„Das ist nicht so kompliziert. Ich komme aus Kalifornien. Bin vor einigen Jahren mit ‘nem Kumpel hergezogen“, erklärte er und ich war überrascht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die amerikanischen Surfer sahen normalerweise nicht so aus wie die Australischen. Woran das lag konnte ich allerdings nicht erklären.

 

„Deine Freundin scheint das alles etwas unangenehm zu sein“, stellte er fest als Maria immer noch mit einer distanzierten Körperhaltung in der Ecke stand.

 

„Ach, sie vermisst ihren Freund“, sagte ich beiläufig. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken, denn immerhin würde ich über Elijah auch zu … Mist, es war passiert. Schon wieder kreiste dieser Name in meinen Gedanken herum.

 

„Und du? Hast du auch einen Freund?“, fragte er und seine Stimme hatte einen komischen Klang dabei. Aber vielleicht wurde dieser Klang auch durch die Musik verfälscht und ich bildete mir das nur ein. Aber nichtsdestotrotz antwortete ich schneller als ich eigentlich wirklich nachdenken konnte.

 

„Nein.“ Ich hatte schon beinahe gefürchtet, dass mir ein Ja herausgerutscht wäre, immerhin kreisten meine Gedanken im Moment wieder um Orlando. Und auf einmal spielte mein Kopf verrückt. Ich wusste nicht mehr, was mit mir geschah und Maria war zu geschockt um mich noch aufzuhalten. Vielleicht waren es die paar Bier gewesen, die ich getrunken hatte, aber ich griff nach dem Kopf des Mannes und küsste ihn. Ich hatte das eigentlich gar nicht vorgehabt, aber in dem Moment, wo sich unsere Lippen trafen und ich meine Augen schloss, sah ich vor meinem inneren Auge nicht diesen Surfer, sondern Orlando. Ich stellte mir, während ich diesen Typen küsste, vor, es sei Orlando.

 

„Das nenne ich eine Ansage“, sagte der Surfer als ich mich von ihm löste. Und er zog mich mit sich auf die Tanzfläche. Maria stand nur mit offenem Mund da und starrte mich ungläubig an. So kannte sie mich nicht, und so kannte ich mich selbst nicht. Aber sobald ich auf der Tanzfläche war, brachten mich die dröhnende Musik, die Leute um mich herum und der provozierende Tanzstil meines Gegenübers dazu, alles zu vergessen, was mir eben noch im Kopf herumgespukt war. Ich lebte nur in diesem Moment und in diesem Moment konnte ich nicht abstreiten, dass der provozierende Tanzstil des Mannes mich mehr als anturnte.

 

Ich merkte gar nicht wie Maria den Club verließ und um ehrlich zu sein interessierte es mich in diesem Moment nicht. Die Musik, die Menschen um uns herum und die immer wilder wechselnde Beleuchtung versetzten mich regelrecht in Ekstase. Es gab nur noch den Moment und ich dachte weder an das Vergangene, noch an das Zukünftige. Es war eine willkommene Abwechslung und sie tat mir gut.

 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte traf mich allerdings der Schlag. Ich lag nur mit meiner Panty bekleidet in einem fremden Bett. Neben mir schnarchenderweise der Typ von der Nacht zuvor. Ich versuchte, mich an die Einzelheiten zu erinnern, aber alles, was ich sah, war Orlando. So schnell und leise ich konnte sammelte ich meine Kleider vom Boden auf, zog mich an und verließ das Appartement. Was hatte ich nur getan? Was war nur mit mir los?

 

Langsam kam die Erinnerung zurück. Ich hatte diesen Typen geküsst. Einfach nur, weil ich hoffe, so über Orlando hinweg zu kommen. Doch ich hatte nicht diesen Surfer geküsst, nein. In meinem Kopf war es Orlando gewesen, den ich geküsst hatte, und das hatte mich in solch eine Stimmung gebracht, dass ich kaum noch aufzuhalten gewesen war. Natürlich fand der Surfer das alles andere als abstoßend und hatte mich mit zu sich nach Hause genommen. Immer und immer wieder hatte ich ihn geküsst und mir dabei vorgestellt, es sei Orlando. Und auch in der gemeinsamen Nacht hatte ich nur Orlando vor mir gesehen, nicht diesen Surfer.

 

Ich fühlte mich im ersten Moment wie eine Schlampe. Ich hatte gerade einen One-Night-Stand gehabt. Mehr war es nicht gewesen. Aber ich musste zugeben, es war aufregend gewesen und ich fühlte mich mehr als begehrt und es brachte mir ein Hochgefühl. Ich fühlte mich auf einmal gut.

 

Ich fühlte mich sogar so gut, dass ich mir vornahm, öfters feiern zu gehen. Und wenn sich noch einmal eine solche Gelegenheit bot, warum sollte ich sie nicht wieder annehmen? Immerhin hatte ich tatsächlich keinen Freund, den ich betrog.

 

„Sag mal, was war das gestern bitte?“ Ich hätte wissen müssen, dass Maria mich anrief. Immerhin hatte ich mich alles andere als freundschaftlich verhalten. „Bist du mit diesem Typen abgehauen?“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll und ich mochte diesen Ton nicht. War sie es nicht gewesen, die mich früher immer dazu angehalten hatte, auch mal mit Männern zu reden, wenn wir in einem Club waren?

 

„Selbst wenn. Was geht dich das an?“, hatte ich ihr trotzig geantwortet. Ich wusste, tief in mir drin, dass das nicht richtig war, aber ich fühlte mich im Moment zu gut um mir das alles von Maria wieder kaputt machen zu lassen.

 

„Meinst du nicht, du übertreibst es?“, hatte Maria mich gefragt, als ich mich wieder einmal an einem Mittwochabend für den Nachtclub fertig machte. Ich verstand sie nicht. Wir beide hatten keine Aufgabe mehr. Warum sollten wir dann nicht endlich mal das machen, was uns Spaß machte? Um ehrlich zu sein fragte ich mich, wann meine beste Freundin so prüde geworden war. Früher hätte sie sicherlich jede Party mitgenommen, die angefallen war. Aber jetzt, jetzt kam sie mir vor wie eine alte Jungfer, die Angst hatte, ihren Anstand zu verlieren.

 

Wenn ich konnte, und ich nahm mir die Zeit dafür einfach, dann verbrachte ich eigentlich jeden Abend nur noch in irgendwelchen Nachtclubs. Ich hatte gemerkt, dass ich Orlando weniger vermisste wenn mich die Musik und die Lichter ablenkten. Ich merkte wie ich weniger über ihn nachdachte, über das, was ich eigentlich wollte.

 

Ich war schon mehrmals in den Clubs angetanzt worden und mittlerweile bezahlte ich nur noch den Eintritt. Die Getränke wurden mir immer ausgegeben und es machte mir Spaß. Ich mochte es, wenn mich die Männer ansahen. Ich mochte, es wenn ich in ihren Augen sah, dass sie mich am liebsten mit nach Hause genommen hätten, was ich manchmal sogar zuließ.

 

Ich bemerkte die Gefahr nicht, die von meiner provozierenden Art ausging und ich merkte vor allem nicht, wie mich jeden Abend ein stiller Beobachter von Weitem musterte.

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