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Kapitel 30

 

 

Cannes

Teil 1

 

 

Ich atmete einmal tief durch als ich meine Augen aufmachte. Es war der 13. Mai und heute würde ich meinen besten Freund endlich wieder sehen. Maria neben mir schlief noch tief und fest. Sie war schon immer die Langschläferin von uns beiden gewesen. Wenn ich bereits um 8 Uhr morgens vollkommen wach war, konnte sie, wenn es ihre Arbeit zuließ, bis 12 Uhr schlafen. Ich persönlich bekam davon Kopfschmerzen und die waren mir ein langes Liegenbleiben im Bett nicht wert.

 

Wie jeden Morgen schnappte ich mir meinen Laptop, den ich extra mitgenommen hatte, und checkte meine E-Mails. Ein Vorteil an 5 Sterne-Hotels war es eindeutig, dass sie über die modernste Technik verfügten und ein W-LAN-Netz hatten, in das sich mein auch durchaus moderner Laptop einloggen konnte. Maria und ich hatten gemeinsam entschieden Orlando und Elijah nicht zu erzählen, dass wir in Cannes sein würden. Sie würden es erst heute Abend erfahren, wenn sie uns ebenfalls auf dem Teppich treffen würden. Ich war bereits gespannt, was Peter und New Line geplant hatten. Denn als ich den Fernseher einschaltete, berichteten bereits die ersten Sender von einem aufwendigen Aufbau für diese Nacht. Dann öffnete ich meine Mails und die Erste war direkt von Orlando.

 

„Na,

 

wie geht es dir heute? Ich hoffe gut. Ich bin etwas nervös um ehrlich zu sein. Wir sind gestern Abend spät in Cannes angekommen und da bemerkte ich erst, was hier eigentlich los ist. Ich meine, ich habe schon viel von Cannes gehört, aber das, was man so hört, ist wirklich nichts dagegen hier zu sein. Schon am Flughafen wird jeder, der aus der Schleuse für die erste Klasse kommt, abgelichtet, weil die Paparazzi vermuten, es handelt sich um einen Star.

 

Natürlich ist es auch sonst immer so, aber man fühlt sich wirklich überrannt. Ich will gar nicht erst wissen wie das ist, wenn der Film einmal richtig raus ist. Wahrscheinlich kann ich dann noch nicht einmal alleine Einkaufen oder mit Seth spazieren gehen. Ich muss zugeben, dass mich das etwas beunruhigt. Aber ich habe gewusst, dass sowas auf mich zukommen könnte wenn ich Schauspieler werde, also darf ich mich, denke ich, nicht beschweren.

 

Seth geht es super. Ich habe meine Mutter eben noch angerufen und er schläft schon friedlich. Und ich glaube meine Sorge von gestern, dass er vielleicht läuft wenn ich wieder nach Hause komme, ist unbegründet. Er lässt sich zwar ab und zu los und bleibt einige Sekunden stehen, aber meine Mutter meinte, das habe ich auch getan und trotzdem erst mit etwas über einem Jahr laufen gelernt.

 

Hast du es geschafft, Bahad die Rolle beizubringen? Ich finde es wirklich klasse, was du ihm alles beibringst, wie ein Zirkushund. :-)

 

Wünsch mir Glück für heute Abend und vielleicht siehst du mich ja im Fernsehen. Ich werde dir einmal zuzwinkern, versprochen.“

 

Ich musste grinsen. Ja, er würde mir tatsächlich zuzwinkern. Aber ich war mir sicher, dass ich das nicht im Fernsehen sehen würde. Um ehrlich zu sein spielte sich in meinem Kopf eine andere Szene ab, eine Szene, die ich am liebsten gehabt hätte. Orlando, der mich auf einmal auf diesem roten Teppich sieht und mich einfach nur anstarrt. Anstarrt wie ein Blinder, der endlich sehen kann, und dann umarmen wir uns und ich kann ihm endlich meine Liebe für ihn gestehen. Doch ich wusste, das war nur ein Traum, ein Wunschbild, das es nie geben würde.

 

„Guten Morgen“, grummelte Maria als auch sie endlich aus dem Land der Schlafenden zurückkehrte. Es war mittlerweile bereits 11 Uhr mittags und ich war froh, dass ich mir etwas zum Lesen von zu Hause mitgebracht hatte. Es war eines meiner alten Uni-Bücher, eines über Ägypten. Nachdem der Kurs beendet gewesen war und ich mich von der Uni abgemeldet hatte, wollte ich, zumindest was die Ägyptologie anging, nicht aufhören mehr zu erfahren und es gab vieles, das wir in den Vorlesungen nicht besprochen hatten. Ich wollte mir diese Sachen selbst anlesen. Zumindest war das mein anfänglicher Plan gewesen. Mit der Zeit hatte sich dieser Plan in eine regelrechte Obsession verwandelt. Seitdem ich mir eingestanden hatte, dass diese Träume, die ich hatte, etwas zu bedeuten hatten, war ich dazu übergegangen, immer und immer mehr über Ramses den Großen in Erfahrung zu bringen. Und irgendwann in diesen Nachforschungen war mir die fixe Idee gekommen, doch den eigentlich Fußstapfen meiner Eltern zu folgen. Ich wollte Ägyptologin werden.

 

Natürlich hatten meine Eltern versucht mich davon abzubringen, wussten sie doch, dass Ägyptologen heutzutage nichts mehr oder kaum noch etwas verdienten. Aber ich hatte mir vorgenommen, dass es bei mir anders werden würde. Wenn meine Träume wirklich darauf hindeuteten, dass ich in irgendeiner Form eine Wiedergeburt einer Ägypterin war, dann sollte ich wohl auch in der Lage zu sein Sachen herauszufinden, auf die andere Ägyptologen vielleicht gar nicht kamen. Vielleicht würde ich etwas finden, das niemand außer mir finden konnte. Und wenn nicht, dann war ich wenigstens meiner Leidenschaft gefolgt.

 

Das Studium würde 3 Jahre dauern, doch ich konnte meinen Ägyptologiekurs anrechnen, was meine Studienzeit um ein Jahr kürzen würde. Im Mai 2003 würde ich mein Studium beendet haben und eine professionelle Ägyptologin sein. Natürlich würde ich zu Beginn einem älteren Forscher unterstehen, aber irgendwann würde ich eigene Forschungen leiten können. Mein Spezialgebiet würde natürlich die Ramessidenzeit werden, was auch sonst?

 

„Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns fertig machen, Te“, merkte Maria an während ich immer noch in mein Buch vertieft war. Ich bot ihr an, dass sie zuerst ins Bad gehen könne, was sie natürlich sofort annahm. Immerhin hatte sie mal wieder darauf bestanden, selbst Hand an mich anzulegen und wer würde schon widersprechen wenn eine Visagistin einem anbot, sich um das eigene Aussehen vor einer Gala zu kümmern.

 

Maria brauchte gefühlte 4 Stunden im Badezimmer. Das brauchte sie immer. Aber es war schließlich einfacher, andere zu Schminken als sich selbst. Sie hatte einen kleinen Koffer extra für ihre ganzen Pinselchen und Töpfchen mitgenommen und sie auf dem Waschbecken aufgebaut. Als sie aus dem Badezimmer herauskam, staunte ich allerdings nicht schlecht. Die Zeit, die sie darin verbracht hatte, hatte sich eindeutig gelohnt. Wenn Elijah da nicht jede Entfernung egal sein würde, dann musste ich eindeutig an seine. Verstand zweifeln. Mittlerweile musste Maria keine Angst mehr vor den Hollywoodschönheiten haben, sie konnte beinahe selber eine davon sein.

 

„Du siehst einfach klasse aus“, sagte ich zu ihr als ich mich dann doch endlich ins Badezimmer bewegte um unter die Dusche zu steigen. Ich war immer noch begeistert von diesem 5 Sterne-Bad. Es hatte eine Regendusche, die mit einem Soundpool ausgestattet war. Außerdem fühlte sich der Boden in der Dusche an wie nasser Sand und gab auch nach. Es war wirklich ein einmaliges Entspannungsgefühl. Ich schloss die Augen als das Wasser die richtige Temperatur erreicht hatte.

 

 

„Wie du siehst habe ich mein Versprechen gehalten“, hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich stand gerade im Garten des Palastes. Ich liebte es wenn es einmal regnete. Da es hier nur selten regnete, war es ein Zeichen für ein gutes Jahr. Ich liebte es während dem Regen die Pflanzen zu beobachten, wie sie sicherlich jeden einzelnen Tropfen dieses kostbaren Gutes in sich aufnahmen. Ich liebte meine Pflanzen, sie waren eine seltene Abwechslung innerhalb dieses Palastes. Langsam drehte ich mich um.

 

„Ja, du sagtest, dass es regnen würde wenn du heimkehrst“, antwortete ich ihm und ich war so froh ihn wieder zu sehen, dass ich ihn umarmte. Er war unterwegs gewesen um unsere Grenzen zu kontrollieren und einen Zwist in einer der nubischen Städt niederzulegen, der beinahe einen Aufstand verursacht hatte. Der Aufseher dort hatte seine Arbeiter nicht rechtmäßig bezahlt und die Ägypter den Nubiern gegenüber bevorzugt.

 

„Wie geht es meinem Sohn?“, fragte der Pharao mit einem Lächeln. Er liebte seinen Erstgeborenen und es erfüllte mich mit einer Glückseligkeit, die ich nicht auszudrücken vermochte. Keines seiner mittlerweile 5 Kinder liebte er so sehr wie den Sohn, den ich ihm vor mittlerweile 2 Jahren geschenkt hatte, und bald würde ihm eine Schwester folgen. Die Heiler hatte mir bestätigt, dass alles gut verlief und das Kind ein Mädchen werden würde. Es würde seine zweite Tochter werden. Isisnofret hatte vor wenigen Monaten ihre Tochter Bint-Anat geboren und eine weitere von Ramses Nebenfrauen hatte einen Sohn geboren. Aber es erfüllte mich mit Stolz, dass nur mein Sohn seinen Vater außerhalb offizieller Anlässe sehen durfte. Amunher hatte eine Sonderstellung unter den Kindern des Pharao, weil er mein Sohn war und unserer Tochter würde es ähnlich ergehen.

 

„Gedeihen unsere Pflanzen?“, fragte er als auch er einige Minuten im Regen gestanden hatte. Ich nickte nur lächelnd. Wir teilten die Freude an allem, was wuchs und Ramses hatte einen der Dattelbäume selbst gepflanzt. Dieser Baum wuchs kräftiger und schneller als alle anderen in unserem Garten und war ein Schattenspender an heißen Sommertagen.

 

 

„Teti, bist du endlich fertig mit Duschen? Du willst doch, dass ich dich vernünftig hübsch machen kann. Und das geht nicht, wenn ich mich hetzen muss.“ Es war Maria. Ich öffnete meine Augen wieder. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich mich auf den Boden gesetzt hatte. Schon seit beinahe 4 Monaten hatte ich keinen dieser Träume mehr gehabt, zumindest keinen so deutlichen. Sie waren immer verschwommen gewesen. Sie ähnelten eher einem Fernseher, der keinen richtigen Empfang hatte. Die Träume nun waren jedoch deutlich gewesen. So deutlich wie zu Hause.

 

Hing es vielleicht damit zusammen, dass ich Orlando so nahe war? War er der Grund dafür? Ich überlegte einen Moment. Vor dem 28. August 1999 waren meine Träume auch eher abgehackt und ohne Zusammenhang gewesen, nur einzelne Bilder. Und dann waren sie eindeutiger geworden. Verstärkte die Nähe zu Orlando meine Träume, weil er etwas damit zu tun hatte?

 

„Ich komm jetzt einfach rein“, kündigte Maria an und dann stand sie auch schon im Badezimmer. Erst jetzt merkte ich, wie heiß ich wohl geduscht haben musste, denn eine kalte Briese zog in das Badezimmer und eine Dunstwolke entfloh aus der offenen Tür. Sie schüttelte nur den Kopf und seufzte. Sie kannte meine Eigenart beim Nachdenken.

 

„Okay, Missy, du ziehst dir jetzt sofort dein Kleid an“, sagte sie in einem Ton, wie ich ihn eigentlich nur von meiner Mutter gewöhnt war, aber er zeigte Wirkung. Ich steckte meine Haare provisorisch mit einer Klammer hoch, damit ich mich in Ruhe anziehen konnte. Das Kleid sollte ja immerhin nicht nass werden. Meine Haare wollte Marie nicht großartig machen. Sie sahen meist am besten aus wenn man sie einfach an der Luft mit ein bisschen Föhnen trocknen ließ. Dann bildeten sie natürliche Locken, die mein Gesicht schmeichelnd umrahmten.

 

Als ich das Kleid aus der Verpackung nahm musste ich leicht lachen. Ich erinnerte mich noch, wie begeistert Michelle gewesen war als sie uns darin das erste Mal gesehen hatte. Sie hatte sich selbst in höchsten Tönen gelobt und das tat sie nur sehr, sehr selten. Maria hatte sie ein kleines Schwarzes genäht mit einem Neckholder, der aus einer Art Rüschen bestand und beinahe aussah, als hätte Michelle einfach mehrere schwarze Rosen aneinander genäht. Der Rücken lag frei und das Kleid betonte Marias neue Figur noch mehr. Für mich hatte sie ein fliederfarbenes Kleid genäht. Es war lang und auch eng, zumindest bis zum Ansatz meiner Oberschenkel. Ab da wurde es weiter und war übersät mit Tüll, das es aussehen ließ wie fließendes Wasser. In Kniehöhe öffnete dann ein Schlitz den Ring und würde mir so Bewegungsfreiheit geben ohne zu viel preiszugeben.

 

Wir hatten ihr unzählige Komplimente gemacht und sie zum Essen eingeladen. Wir hatten ihr auch angeboten ihren Namen mehrmals fallen zu lassen, aber das wollte sie gar nicht. Sie hatte uns einfach eine Freude machen wollen, mehr nicht. Sie war glücklich damit gewesen, dass wir uns in den Kleidern wohl fühlten und uns freuten.

 

„Okay, wir werden in 10 Minuten abgeholt. Das bedeutet, wir müssen den Endspurt einlegen“, sagte Maria als sie gerade dabei war den letzten Schliff bei mir zu setzen.

 

 

 

 

 

 

 

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