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Kapitel 28

 

Abschied

 

 

 

An diesem Tag ging ich alles andere als fröhlich zum Set. Um ehrlich zu sein hätte ich diesen Tag am liebsten aus dem Kalender gestrichen und übersprungen. Es war der 22. Dezember - der letzte Drehtag. Mein ganzer Körper war dagegen gewesen, an diesem Morgen überhaupt aus dem Bett aufzustehen. Und doch stand ich jetzt hier. Mein Bauch füllte sich mit einem sehr unguten Gefühl. Es war der Abschied. Am Ende des Tages würde ich meinen Job verlieren und am nächsten Tag meine Freunde.

 

„Und, h-hast du schon alles gepackt?“, fragte ich Orlando unsicher als ich in seinen Trailer ging um ihn und seinen Sohn zu begrüßen. Seth war mittlerweile ein halbes Jahr alt und der süßeste kleine Junge den ich kannte. Astrate, seine Mutter, hatte sich nach der Gerichtsverhandlung nie wieder bei Orlando gemeldet und zeigte auch kein Interesse an ihrem Sohn. Das war auch der Grund, warum er das Wort Mama gar nicht erst lernte. Bei ihm war es mittlerweile zu einem gehauchten „Pa pa!“ gekommen, wobei er die beiden Silben wie einzelne Wörter betonte. Ich war „T“. Wir wussten nicht, ob es eher zufällig war, aber wir nahmen einfach an, dass es seine ersten Sprechversuche waren. Sein Lächeln war mittlerweile so wunderbar, dass wir ihn am liebsten den ganzen Tag nur Lachen sahen. Aber er wurde auch eindeutig schwieriger.

 

So wehrte er sich immer mehr gegen das Schlafen gehen und hasste es irgendwo zu liegen. Er saß lieber aufrecht in einem Stuhl oder auf einem Schoß, oder man musste ihn herumtragen.

 

„Wir sind nicht aus der Welt“, sagte Orlando und drückte mich an sich. Er würde mich auch vermissen, dessen war ich mir sicher. Das merkte ich an der Art, wie er mich umarmte. Er drückte sich an mich als würde er mich für immer an diesem Platz haben wollen und es fühlte sich gut an. Es fühlte sich an, als gehörte ich genau dort hin, an seine Seite. Aber ich wusste, dass das ein Ding der Unmöglichkeit war und deswegen löste ich mich lächelnd von ihm. Es war nicht gut, wenn wir uns mehr Schmerzen bereiteten als nötig.

 

Ich hatte nicht bemerkt, dass mir vereinzelte Tränen meine Wangen hinunter gelaufen waren. Ich merkte es erst als Orlando sie mit seinem Daumen weg wischte und seine Berührung eine Schauer über meinen Rücken laufen ließ. Es war wirklich nicht fair. Warum musste mein bester Freund, nein, der Mann, den ich liebte, mein Seelenverwandter, in London leben und ich hier in Neuseeland? Warum hatten wir uns nicht schon damals treffen können, als ich noch in England gelebt hatte?

 

„Du kannst uns besuchen kommen“, merkte er an und ich nickte schwach. Ja, vielleicht würde ich das tun, irgendwann innerhalb des Jahres, das wir uns jetzt nicht mehr sehen würden. „Außerdem können wir Telefonieren, über das Internet sogar mir Bild“, sagte er weiter. Er sagte es nicht nur um mich davon zu überzeugen, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren würden. Sondern ich merkte, dass er auch sich versuchte zu überzeugen. Er schien genauso zerrissen zu sein wie ich. „Und wenn ich kann, werde ich auch noch einmal herkommen, versprochen.“

 

„Ich glaube, ich sollte zu Maria gehen…“, sagte ich dann und verließ Orlandos Trailer. Ich war mir sicher, Maria konnte eine Freundin gebrauchen. Sie hatte wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden den Hobbits für einige letzte Szenen die Füße angeklebt und war nun, da diese bereits drehten, alleine. Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie sie sich fühlte. Sie hatte Elijah wirklich geliebt, dessen war ich mir sicher. Ich hatte es oft genug in ihren Augen gesehen. Er würde kurz nach der Party heute Nacht schon nach Hause fliegen, genau wie die anderen, die in die Staaten mussten. Ich hatte also noch relatives Glück, dass Orlando noch bis Morgen früh bleiben würde.

 

„Hey, Süße…“, sagte ich als ich die Tür zum Make-up-Trailer der Hobbits öffnete. Und tatsächlich, da saß Maria auf Elijahs Stuhl, ihre Augen vollkommen aufgequollen vom Weinen. Der Mülleimer vor ihr war schon voller Taschentücher und ich wusste, dass sie diejenige gewesen war, die ihn gefüllt hatte. Ohne lang zu überlegen stelle ich ihn weg und kniete mich vor sie auf den Boden. Ich musste nichts sagen, das wusste ich. Ihr war es genug wenn ich einfach nur da war.

 

Es dauerte eine Weile bis sie sich wieder beruhigt hatte und wir ins Studio gehen konnten, um uns anzusehen, was Peter gerade drehte. Es war die Szene, in der Aragorn sich durch einen Blick in den Palantir Sauron offenbart. Erst jetzt bemerkte ich, dass alle sich im Studio versammelt hatten. Sie wollten alle diesen letzten Tag genießen. Keiner wollte auch nur eine Minute davon verpassen, weil es wahrscheinlich das letzte Mal war.

 

In der Mittagspause saßen wir dann alle zusammen an einem großen Biertisch und aßen zusammen, ein letztes Mal. Und für jeden von uns schien es ein komisches Gefühl zu sein. Keiner redete wirklich viel und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Dann schnappte sich Dom auf einmal einen Becher, drehte ihn um und begann mit „Cups“. „Cups“ war ein Spiel, bei dem man eine bestimmte Melodie mit einem Becher trommelte und den Becher dabei an seinen Nachbarn weiter gab. Es wurde immer schneller, bis einer nicht mehr mitkam. Derjenige flog dann aus der Gruppe und die anderen machten so lang weiter, bis nur noch einer da war. Natürlich schnappte sich dann jeder seinen Becher und drehte ihn um. Zuerst nur an unserem Tisch, doch irgendwie ermutigte die Trauer des baldigen Abschieds auch die anderen dazu mitzumachen, auch wenn sie nicht an unserem Tisch saßen.

 

Ich merkte, wie mich plötzlich eine Flut überrannte, eine Flut des Abschieds als ich mich daran erinnerte, dass ich einmal das Lied gehört hatte, was zu diesem Rythmus passte. Am Anfang bekam ich es nicht ganz zusammen, doch je länger ich darüber nachdachte und je lauter der Beat der Cups trommelte, mittlerweile war der ganze Raum dabei, desto mehr erinnerte ich mich an das Lied. Und ohne dass ich es wollte, formten meine Lippen die Wörter und meine Stimmbänder begannen zu vibrieren.

 

 

I got my ticket for the long way ‘round

Two bottle ‘a whiskey for the way

And I sure would like some sweet company

And I’m leaving tomorrow,

wha-do-ya say?

 

When I’m gone

When I’m gone

You’re gonna miss me when I’m gone

You’re gonna miss me by my hair

You’re gonna miss me everywhere, oh

You’re gonna miss me when I’m gone

 

 

Anscheinend kannten noch mehr Leute dieses Lied, denn auf einmal setzten auch andere mit ein. Erst jetzt merkte ich wie sehr dieses Lied doch auf unsere Situation passte. Wahrscheinlich hatten alle hier Freundschaften geschlossen, die nun auf der Kippe standen, weil der eine oder andere das Land wieder verlassen musste.

 

 

I’ve got my ticket for the long way ‘round

The one with the prettiest of views

It’s got mountains, it’s got rivers,

it’s got sights to give you shivers

But it sure would be prettier with you

 

When I’m gone

When I’m gone

You’re gonna miss me when I’m gone

You’re gonna miss me by my walk

You’re gonna miss me by my talk, oh

You’re gonna miss me when I’m gone

 

 

Als wir alle zur selben Zeit das letzte Mal die Becher auf den Tisch knallten jagte das einen Schauer über meinen Rücken. Ja, das war das Ende. Es war das Ende der Pause und der Anfang vom Ende des letzten Drehabschnittes.

 

„Ich wusste gar nicht, dass du singen kannst“, flüsterte mir Orlando ins Ohr als wir unsere Teller auf den Besteckwagen stellten. Eigentlich hatte ich auch nie zeigen wollen, dass ich singen konnte. Doch irgendwie hatte mich die ganze Situation aus dem Konzept und aus meiner Kontrolle gerissen. „Das war wirklich schön. Ich glaube, Seth kann sich glücklich schätzen von dir manchmal ein Gute Nacht-Lied zu bekommen“, sagte er und lächelte mich an.

 

Und dann war es soweit. Die letzte Szene… Sie bestand daraus, dass zwei Männer von Weta, die monatelang an Aragorns Königsrüstung gebaut hatten, ihm diese als gondorianische Wachen auch anziehen durften. Natürlich war das nicht so einfach, wie es sich anhörte, und die Szene bestand fast aus mehr Takes, als weitaus schwierigere Szenen. Und mitten in dieser Szene tauchten dann auf einmal zwei Typen in Polizeiuniform auf. Im ersten Moment blieb mein Herz stehen. Wer wusste schon, was die vorhatten. Vielleicht war Viggo ja wieder einmal wegen seinem Aragorn-Kostüm und dem Schwert, das er einfach überall dabei hatte, angezeigt worden. Das wäre nicht das erste Mal gewesen.

 

Erst einige Augenblicke später erkannte ich unter den Mützen die Gesichter der Männer. Es waren zwei Weta-Mitarbeiter. Sie sagten uns, wir müssten den Film jetzt beenden, da wir sowieso schon viel zu lange dafür gebraucht hatten. Peter spielte mit und bat die Officers um Nachsicht und noch einige Minuten für den letzten Shot. Sie dürften auch gerne zum Zusehen da bleiben. Das ließen sich die beiden natürlich nicht zwei Mal sagen. Zwei Personen mehr am Set machten auch nichts mehr aus. Es waren sowieso beinahe alle näher Beteiligten anwesend. Selbst Christine und Ally, Seans Familie, waren da.

 

Peter gab Sean und Elijah die Ehre, die letzten Szene mit der bekannten Klappe einzuleiten und es war nur eine relativ kurze. Die beiden Wachen sollten noch die Schnallen an Aragorns Schultern festziehen und dann zur Seite gehen, um den vollen Blick auf Aragorn frei zu lassen. Natürlich jubelten wir alle als diese Szene im Kasten war. Aber innerlich fühlte ich mich wieder komisch. Mit dieser letzten Szene endete der beste Abschnitt meines bisherigen Lebens und so etwas würde es kein zweites Mal geben. Orlando legte seinen Arm um meine Schultern und küsste mich kurz auf die Schläfe. Er wusste genau was ich dachte und wie ich mich fühlte. Ich dachte daran, wie sich sein Leben in den letzten 15 Monaten verändert hatte. Er war nach Neuseeland gekommen, frisch aus der Schauspielschule, mit kaum praktischer Erfahrung. Und nun, 15 Monate später, hatte er wahrscheinlich viel mehr Erfahrungen gesammelt, als er es im Rest seines Lebens noch machen konnte. Natürlich, nicht alle waren gut gewesen, doch ich war mir sicher, er bereute seine Entscheidung nicht.

 

„Heute Abend wird gefeiert!“, sagte Barry dann als er auf uns alle zukam. Natürlich wussten wir das schon, hatten wir doch alle bereits vor Wochen Einladungen bekommen, sodass auch unsere engeren Familienmitglieder kommen konnten. Die Party würde in einem Lagerhaus am Hafen stattfinden. Fran hatte an diesem Abend angeboten, dass Seth zusammen mit ihren Kindern bei ihrer Nanny bleiben konnte, damit auch meine Eltern bei der Party dabei sein konnten und sie freuten sich.

 

Als wir am Abend dann dort ankamen, war ich überwältigt. Es war riesig und viele Menschen waren bereits dort. Manche standen sogar hinter kleinen Absperrungen. Anscheinend war die Nachricht dieser Abschlussfeier auch nach draußen gedrungen. Natürlich war in den letzten Monaten immer mal wieder etwas über die Filme durch das Netz gesickert. Aber dass so viele bereits hellauf begeistert waren und sich hier eingefunden hatten, nur um die zu sehen, die an dem Film mitgearbeitet hatten, war einmalig. Dann rief Peter alle, die eigentlich ständig am Set waren und zu denen er immer und immer wieder Kontakt hatte, auf der Bühne. Er dankte uns für unsere wundervolle Arbeit. Doch wir waren nicht die einzigen, die an dem ganzen Projekt mitgearbeitet hatten.

 

„Alle haben extrem hart gearbeitet“, begann er, nachdem er mit seinem Dank an uns fertig war und wir auf der Bühne wurden alle still. Ich stand zusammen mit Maria in einer der hinteren Reihen, während Die Gefährten ganz vorne standen. „Hinter den Kulissen und rund um die Uhr. Viele habe ich nie getroffen oder gesprochen, habe ihnen nie ‚Danke‘ gesagt.“ Damit hatte er Recht. Auch ich kannte wahrscheinlich nur einen Bruchteil von allen, die an diesem Film mitgearbeitet hatten. Vielleicht kannte ich auch mehr, wusste nur nicht, dass auch sie an dem Film beteiligt waren. Hier in dieser Halle standen vermutlich um die 500 Leute und ich kannte vielleicht 60 von ihnen. Aber diese 60 waren in den letzten Monaten zu meiner 2. Familie geworden. Natürlich hatte man mit dem einen mehr, mit dem anderen weniger zu tun, aber wir hatten etwas, was uns alle verband.

 

„Dies ist meine einzige Chance, euch allen von Herzen zu danken“, schloss Peter dann seine Rede ab und die ganze Halle jubelte. Dann begann die Musik und wir begannen zu feiern. Es war eine schöne Feier, in der wir viel über Geschehenes redeten. Jeder erinnerte sich an gewisse Szenen, die er gedreht oder gesehen hatte, in denen etwas Einzigartiges passiert war. So zum Beispiel auch Miranda.

 

Sie erzählte von einem Tag in Queenstown. Ich konnte mich auch noch genau daran erinnern. Peter wollte für eine Szene mit Aragorn den Sonnenaufgang in den Remarkables filmen und Viggo hatte nicht wieder ins Hotel fahren wollen. Also hatte er sich entschieden, mit seinem Trailer einfach am Drehort zu bleiben und dort zu übernachten. Je mehr von den anderen davon hörten, desto mehr wollten mitmachen. Und so bildete sich am späten Abend ein Trailerkreis, der an alte Westernfilme erinnerte. In der Mitte hatten wir ein Feuer gemacht und Viggo war Fischen gegangen.

 

Und dann, viel zu schnell kam das Ende. Natürlich wollten wir alle Elijah verabschieden und so verließen wir die Party leise. Ich sah Maria an, dass sie wahrscheinlich gerade viel lieber an einem anderen Ort gewesen wäre. Doch wir wussten, dass der Moment kommen würde. Den ganzen Weg zum Flughafen schien Elijah sich an Maria zu halten. Er schien sie genauso wenig loslassen zu wollen wie sie ihn. Aber sie hatten die Entscheidung getroffen und mussten damit leben.

 

„Leute, ich werde euch so sehr vermissen, ihr könnt euch das gar nicht vorstellen. Ihr, ihr war alle so wunderbar. Ihr habt mein Leben wirklich bereichert und ich werde euch immer im Herzen behalten“, sagte Elijah als sein Flug dann kurz bevorstand und er sich verabschieden musste. Als wir uns alle verabschiedet hatten, zog ich die anderen mit mir. Ich wollte Maria und Elijah noch einen kurzen Moment für sich geben, immerhin war dies das Ende ihrer Beziehung. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie sie sich ein letztes Mal küssten und sich weinend umarmten. Und dann ging Elijah, ohne sich noch einmal umzudrehen. Mir würde es wahrscheinlich morgen ähnlich gehen, nur dass der Kuss bei uns ausfallen würde. Aber es würde uns beide wahrscheinlich genauso schmerzen. Zwischen London und Wellington gab es einen Zeitunterschied von 13 Stunden und das würde bedeuten, dass wir uns wahrscheinlich nicht wirklich am Telefon oder sonst irgendwie in realer Zeit würden unterhalten können. Wahrscheinlich würde es bei uns auf E-Mails hinauslaufen und die waren ein mehr als schlechter Ersatz.

 

Doch Elijah war nicht der einzige, den wir hier verabschieden mussten und jeder von ihnen würde mir fehlen. Neben Elijah würde ich persönlich Viggo am meisten vermissen. Er war wirklich ein einzigartiger Mann und ich bewunderte ihn in so vielerlei Hinsicht. Ich stellte mir sogar vor, dass in irgendeiner Weise ganz Wellington bemerken würde, dass etwas fehlte. Aber wahrscheinlich war das allgemein der Fall. Ohne die Dreharbeiten von „Herr der Ringe“ würde ganz Neuseeland etwas fehlen, da war ich mir mehr als sicher.

 

„Wenn ich Seth morgen früh bei Peter abgeholt habe, hole ich dich ab“, sagte Orlando als er mich nach Hause gebracht hatte. Seine Stimme war leise und sehr vorsichtig. Er musste spüren, dass mir das alles sehr nah ging und wollte deswegen besonders vorsichtig mit mir sein. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass ich nun auch noch anfing zu weinen. Dann nahm er meine beiden Hände in seine und küsste sie. Ich musste mich wirklich stark zusammenreißen, um ihn nicht sehen zu lassen, wie sehr ich ihn vermissen würde. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, wie sich meine Gefühle in den letzten Monaten geändert hatten. Aber es war der denkbar schlechteste Zeitpunkt. Und genau wie bei Elijah und Maria würde es auch bei uns nicht klappen. Eine Fernbeziehung innerhalb eines Landes war ja schon schwer, aber am anderen Ende der Welt? Nein, das war zum Scheitern verurteilt und das wussten wir beide.

 

„Bis morgen“, flüsterte er noch und ging dann. Es war in gewisser Weise auch ein kleiner Abschied. Das war das letzte Mal, dass er mich abends hier absetzte und wir uns am nächsten Morgen wieder sehen würden.

 

Als ich ins Restaurant kam, waren alle Lichter bereits erloschen und meine Eltern und Hirchop schliefen schon. Ich jedoch konnte kein Auge zumachen. Immer, wenn ich es probierte, dann sah ich Orlando, wie er von mir fortgerissen wurde in eine Schwärze, die ich nicht begreifen konnte. Ich konnte ihn nicht festhalten, konnte ihm nichts sagen. Er verschwand einfach.

 

Als ich nach 2 Stunden aufgab mich im Bett zu wälzen, schnappte ich mir meine Gitarre. Ich wusste, dass ich meine Eltern und Hirchop nicht wecken würde. Ich hatte schon oft genug nachts Gitarre gespielt, wenn ich nicht einschlafen konnte.

 

 

I was thinkin' 'bout him, thinkin' 'bout me

Thinkin' 'bout us, what we gonna be

Opened my eyes, yeah

It was only just a dream

It was only just a dream

 

So I traveled back down that road

Will he come back, no one knows

I realized, yeah

It was only just a dream It was only just a dream

 

 

Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Es war tatsächlich alles nur ein Traum gewesen, ein langer, wundervoller Traum, aus dem ich jetzt wieder aufwachen musste. Es war einer dieser Träume, bei dem man sich wünschte, dass er wieder kam wenn man nur die Augen schloss und wieder einschlief. Er sollte immer und immer weiter gehen und nie aufhören. Doch wie so oft konnte man den Traum nicht wiederholen und auch die letzten 15 Monate würde ich nie wiederholen können. Aber eines war sicher: Diese 15 Monate hatten mich verändert und mich wachsen lassen und ich würde sie niemals vergessen. Dann endlich, mit der Gitarre in meiner Hand, schlief ich dann endlich ein.

 

Es war bereits hell als ich wieder aufwachte und ich fürchtete schon, dass ich Orlandos Abflug verpasst hatte. Vollkommen erschrocken sprang ich auf, zertrümmerte dabei fast meine Gitarre, die immer noch auf meinem Schoß lag, und zog mich an. Mein Puls war auf 180 oder sogar noch höher, aber ich durfte ihn nicht verpassen. Als ich die Treppen hinunter stürmte, wurde mein Herz jedoch mit einem mal leichter. Ich hatte den Flieger nicht verpasst. Es war noch eine Stunde bis Orlando mich überhaupt abholen würde. Das war das Problem, wenn man seinen Wecker im Schlaftaumel gegen die Wand schmiss. Irgendwann brauchte man ihn und er streikte. Aber anscheinend war meine innere Uhr auf diesen Abschied eingestellt gewesen und hatte mich genau im richtigen Moment geweckt.

 

Meine Mutter hatte unten auf einem der Gasttische ein großes Frühstück vorbereitet. Wahrscheinlich wollte sie mir etwas Gutes tun weil sie sich denken konnte, was dieser Abschied für mich bedeutete. Natürlich freute ich mich über das gute Frühstück, doch ich bekam keinen Bissen davon hinunter. Ich versuchte es wirklich, aber es ging einfach nicht. Ich fühlte mich komisch, so als würde ein Teil von mir bald meinen Körper verlassen und mit Orlando fort gehen.

 

Ich sah immer wieder auf die Uhr und wünschte mir, sie würde einfach stehen bleiben. Doch das tat sie natürlich nicht. Im Gegenteil, es kam mir vor als würde sie sogar schneller laufen, nur um mich zu ärgern. Als sich die Eingangstür dann bewegte, wusste ich, dass es Orlando war. Er hatte Seth in seinen Kinderwagen gesetzt und ich wurde unruhig. Nein, um ehrlich zu sein rutschte mir mein Herz in die Hose. Es war soweit. Ohne ein Wort zu sagen ging ich schon einmal nach draußen. Orlando verabschiedete sich noch von meinen Eltern und Hirchop und er hatte für alle ein Geschenk dabei, das er ihnen übergab. Meine Mutter bekam eine Schachtel Pralinen, mein Vater einen guten, alten Whiskey und Hirchop, für Hirchop hatte er einen regelrechten Fresskorb mit besonderem Fleisch, Gemüse, Obst und Gewürzen zusammenstellen lassen.

 

„Für dich habe ich auch etwas, aber das bekommst du erst am Flughafen“, sagte er leise als er Seths Maxicosi wieder im Auto anschnallte. Ich setzte mich neben ihn, ohne ein Wort zu sagen. Ich konnte nicht. Ich hatte Angst, mir würde ein falsches Wort herausrutschen. Ich konnte also nur vor mich hin starren. Immer wieder, wenn der Verkehr es zuließ, merkte ich wie Orlando zu mir hinüber blickte. Auch er war alles andere als froh zu gehen. Am Flughafen warteten dann auch schon die anderen auf uns.

 

„Ich verspreche, es wird nicht erst wieder 10 Jahre dauern, bis wir uns wieder sehen“, sagte Dom und umarmte mich. Ich merkte, dass ihm dieser Abschied schwer fiel, doch wahrscheinlich war er für ihn das Beste. Vielleicht konnte er mich in Manchester wieder vergessen, zumindest so gut, dass er jemanden anderen fand. Ich wusste, es würde für ihn wahrscheinlich alles andere als einfach werden, aber er musste mich, oder besser gesagt das Bild, das er von mir hatte, vergessen. Er war einfach nicht der Richtige gewesen und würde es auch nie werden, das wusste ich jetzt.

 

„Keine Angst, ich werde auf ihn aufpassen“, sagte Billy als er meinen besorgten Blick sah und umarmte mich ebenfalls. Er und Dom waren in den letzten Monaten zu guten Freunden geworden, zu den Besten, wenn ich das beurteilen konnte. Und da sie beide auf derselben Insel lebten, würden sie sich mit Sicherheit öfter sehen, dessen war ich mir sicher. Wahrscheinlich würde Billy sogar nach Manchester ziehen. Zumindest hatte er bereits während der Dreharbeiten so etwas in Erwägung gezogen. Ja, da hatten die Briten im Cast eindeutig einen Vorteil. Groß Britannien war nicht so groß, dass man sich für lange Zeit aus den Augen verlor. Sie würden sich wahrscheinlich öfter über den Weg laufen. Ich beneidete sie in gewisser Weise. Als ich meine Gedanken wieder gesammelt hatte, merkte ich, wie ich auf einmal nur noch mit Orlando da stand. Meine Hand zitterte. War es das nun? War das wirklich der Abschied?

 

„Te, du bist eine einzigartige Frau und ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden auf der Welt gibt, der mehr Glück hatte dich kennen zu lernen als ich. Ich kann dir gar nicht sagen auf wie vielen Ebenen du mir bereits geholfen hast. Aber ich kann dir sagen, dass ich nichts von dem, was du getan hast, je vergessen werde.“ Er nahm meine Hand und ich spürte wie auch seine zitterte. Wir waren anscheinend beide kurz davor die Nerven zu verlieren. Ich merkte wie sich meine Kehle zuschnürte. Es war fast so als wenn jemand im Sterben liegt und man eigentlich nur noch darauf wartet, dass er einem entrissen wird. Ich merkte wie es immer schwerer wurde zu atmen. Eine dunkle Wolke schien sich auf mich zu pressen und mich nach unten zu drücken. „Wir beide, zwischen uns, da ist etwas Besonderes und ich weiß, dass es uns zusammenhalten wird, egal, wie weit wir voneinander entfernt sind. Ich hab es gespürt als ich dich zum ersten Mal in der Bar gesehen habe. Du warst mir direkt vertraut und ich wusste, dass wir Freunde werden würden.“

 

Und auf einmal sah ich, wie seine Augen ganz glasig wurden. Er schluckte und auch seine Kehle schien immer enger zu werden. Sein Kinn bebte förmlich, als er versuchte, das, was sich in ihm aufbaute, zu unterdrücken. „Du, du hast so viel für uns getan, für mich und Seth. Du warst die einzige Konstante in den letzten Monaten und für Seth warst du wie eine Mutter.“ Na klasse! Es war soweit. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ich merkte wie eine Träne über den Rand meines Auges glitt und dann konnte ich mich nicht mehr halten. Ich würde ihn verlieren. Wenn ich Morgen aufwachte, würde er nicht mehr hier sein. Sicherlich, er würde noch leben und das war wunderbar, aber er würde sein Leben nicht mehr mit mir teilen können. Ich wäre kein Teil mehr von diesem Leben und das war es doch, was ich eigentlich sein wollte.

 

„Ich weiß nicht, wie wir dir jemals für das alles danken sollen“, sagte er und auch er konnte sich anscheinend nicht mehr halten, denn er zog mich an sich heran und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Ich drückte ihn an mich, drückte ihn an mich in der Hoffnung, wir würden zu einer Person verschmelzen und wir mussten einander nicht gehen lassen. Wir standen für eine lange Zeit einfach nur in den Armen des anderen, aber uns kam es vor wie der Bruchteil einer Sekunde. Irgendetwas sagte mir, dass ich ihm nur sagen musste, dass er hier bleiben sollte und er würde nicht gehen. Aber ich wusste, dass seine Familie ihm wichtig war und er nach Hause musste. Also sagte ich nichts.

 

„Ich - ich habe noch etwas für dich“, sagte er mit belegter Stimme und drückte mich leicht von sich weg. Als ich ihm ins Gesicht sah, brach es mir beinahe noch mehr das Herz. Es tat weh, seinen Schmerz zu sehen, wie er selbst an diesem Abschied litt. War es bei Maria und Elijah genauso gewesen? Hatten sie sich auch nie wieder loslassen wollen?

 

„Maria, kannst du bitte das Geschenk her bringen?“, fragte Orlando etwas lauter, damit auch die anderen, die etwas weiter entfernt standen, es hörten. Erst jetzt sah ich, dass meine beste Freundin auch hier war. Ich hatte sie natürlich schon vermisst, aber ich hatte mir um ehrlich zu sein gedacht, dass es ihr vielleicht so schlecht ging wegen der Trennung von Elijah, dass sie nicht noch mehr Abschiede ertragen konnte. Ich für meinen Teil war mehr als durch mit Abschieden. Als Maria dann zu uns kam, stockte mir der Atem und ich sank auf die Knie. Meine Tränen begannen von Neuem, doch diesmal wurden sie von einem leichten Lächeln umspielt.

 

„Ich dachte mir, du könntest einen Beschützer gebrauchen wenn ich weg bin. Bahad hier ist der perfekte Aufpasser, wenn er erst einmal groß und stark ist“, sagte Orlando und sah mich auch leicht lächelnd an. Bahad war ein kleiner Welpe mit einem geringelten, aber sehr lebendigen Schwanz. „Das ist ein Basenji“, fügte Orlando hinzu und kniete sich ebenfalls neben mich.

 

„Der Hund der Götter…“, murmelte ich und erinnerte mich an eine meiner Vorlesungen in der Uni. Es wird angenommen, dass der Basenji die Hunderasse war, die damals vorrangig im alten Ägypten gelebt hatte, die Rasse, die auf so vielen Wänden dokumentiert wurde. Ich musste schlucken. Wollte Orlando mit damit etwas Bestimmtes sagen? Wollte er mir damit zeigen, dass er mehr über Ägypten wusste als er eigentlich sollte?

 

„Ich danke dir, Orlando“, sagte ich und umarmte ihn nochmals. Doch dann wurden er und die andere aufgerufen und ich hatte mich noch nicht von Seth verabschiedet! Der Kleine befand sich immer noch in seinem Kinderwagen, den Orlando gleich am Gate abgeben musste, damit er ganz vorne in den Frachtraum gepackt wurde.

 

„Ich wünsche dir einen wundervollen Flug, mein kleiner Schatz“, sagte ich mit immer noch belegter Stimme. Auch der Abschied von dem Kleinen fiel mir schwer. Es war fast so als würde mein eigenes Kind mir weggerissen werden, denn immerhin hatte ich mich im letzten halben Jahr immer um ihn gekümmert. „Ich werde dir ganz oft schreiben und dir Kuscheltiere schicken!“, versprach ich ihm und auch, wenn er sicherlich nicht verstand, was ich sagte, lächelte er sein 1000-Watt-Lächeln.

 

„Te Te“, hauchte er und streckte seine Hand nach mir aus.

 

„Orlando, es wird Zeit, wir müssen“, erinnerte mich Billy daran, dass mein wunderbarer Traum gleich ein Ende haben würde. Ich küsste Seth’ kleine Finger und dann verschwanden sie alle zusammen hinter dem Gate.

 

 

 

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