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Kapitel 2

 

Alte Bekannte

 

 

Diese Nacht hatte ich nicht geträumt und da es Freitag und somit Ruhetag war, wachte ich erst um 10 Uhr morgens vollkommen ausgeschlafen aus. Natürlich musste ich noch zur Universität, aber freitags war es nur eine Vorlesung, die gehalten wurde, und so würde ich auch nach 2 Stunden wieder fertig sein. Aber zuerst musste ich zur Uni kommen. Ich hasste es, dass ich mit dem Bus zur Uni fahren musste. Im Bus kam man mit allerhand eigenartiger Menschen zusammen. Da war zum Beispiel der alte verwirrte Mann, der jeden Tag auf demselben Platz saß, und neben den sich niemand setzte.

 

Denn dann wusste man, dass der Mann irgendwann anfing, aggressiv zu werden, egal, ob man ihn in Ruhe ließ oder nicht. Dann war da noch eine Studentin, eine Punkerin, die jeden Morgen ihren iPod so laut stellte, dass der gesamte Bus von ihrer besonderen Musik unterhalten wurde. Und dann waren da noch die diversen "Tagesfahrer", wie ich sie nannte. Das waren diejenigen, die nur ab und zu mit dem Bus fuhren. Eine dieser Tagesfahrerinnen sah ich zum ersten Mal. Die junge Frau musste genauso alt sein wie ich, plus oder minus 2 Jahre. Was mir direkt an ihr auffiel war ihr äußerst arroganter Blick.

 

Es gab wenige Menschen, die ich bereits beim ersten Blick nicht leiden konnte, aber sie war einer davon. Als ich sie unauffällig näher betrachtete erkannte ich, dass auch sie orientalische Wurzeln hatte. Doch woher genau sie stammte konnte ich natürlich nicht exakt bestimmen. Als sie mit mir zusammen an der Uni ausstieg bedachte sie mich mit einem verächtlichen Blick und ich hoffte nur, dass ich sie nie wiedersehen musste.

 

Doch dieses Glück war mich nicht vergönnt. Unsere Universität verfügte über etliche Fakultäten, es liefen über 40 Kurse an diesem Tag, doch diese Frau musste gerade in unseren kleinen Kurs von 20 Personen kommen. Ihr Name war Astrate und sie brüstete sich damit in einer direkten Linie von Kleopatra VII. abzustammen. Natürlich nahm unser Dozent dies als Gelegenheit einen kleinen Exkurs in die jüngere Geschichte Ägyptens zu machen. Und natürlich hatte niemand mit diesem Zeitsprung gerechnet und so wusste auch kaum jemand von uns etwas zu sagen. Astrate hingegen schien damit gerechnet zu haben und der Dozent schien die Vorlesung nur mit ihr zu halten.

 

Ebenso schien er vollkommen hin und weg von ihr zu sein, denn seine Augen ließen nie von ihr ab. Übelnehmen konnte man es dem betagten Mann nicht, denn man kam nicht umhin Astrate als überdurchschnittlich hübsch zu erkennen. Doch irgendetwas an ihr verriet mir, dass ihr nicht zu trauen war. Irgendetwas veranlasste mich dazu sie als eine falsche, hinterhältige Schlange zu sehen, um die man besser einen großen Bogen machen sollte. Ihre Stimme hatte sie in solch eine schmeichlerische Tonlage verlegt, dass mir beinahe beim Zuhören schlecht wurde. Ich war froh, als die Vorlesung zu Ende war und wir alle wieder den Raum verließen. Auch einige andere aus meinem Kurs schienen Astrate nicht zu mögen, doch das waren größtenteils junge Frauen.

 

Die Männer schienen alle vollkommen in ihr Netz gegangen zu sein, denn vor dem Saal standen sie noch einige Zeit in einer Traube um Astrate herum. Jeder versuchte sich bei ihr vorzustellen, selbst Will. Will saß in den Vorlesungen immer neben mir und war ein bodenständiger Typ. Doch er war sicherlich nicht der Typ Mann, den Astrate eines Blickes würdigen würde. Er war nicht gerade groß und auch nicht der Bestaussehendste, von seinem kleinen Figurproblem einmal abgesehen. Mir machte das allerdings nichts aus. Ich mochte Will. Er hatte Humor, war freundlich und immer hilfsbereit.

 

Er tat mir leid, als meine Vermutung, was Astrate betraf, bestätigt wurde und sie ihn arrogant wegschickte. Mit gesenktem Kopf kam er zu mir.

 

"Wie konnte ich nur so dumm sein?"

 

"Ach, weißt du, Will... Die meint einfach, sie wäre zu gut für diese Welt. Hey, warum kommst du nicht heute Abend mit mir und meinen Freunden ins San Francisco Bath House? Wir könnten zusammen etwas feiern." Ich war froh, dass er meine Frage mit einem lächelnden Nicken bestätigte. Es tat mir leid, wenn sich jemand, den ich mochte, schlecht fühlte.

 

Am Abend trafen wir uns dann alle im San Francisco Bath House. Im "SF", wie wir es untereinander nur nannten, traten immer mal wieder Livebands auf und lockerten die Atmosphäre auf. Dieses Mal war es eine zwar unbekannte, aber dennoch talentierte Rockband die ihr Können unter Beweis stellen wollte. Ich fand es klasse, dass Dave, der Besitzer, auch solchen Bands eine Chance gab und viele der Bands, die hier auftraten, traf man irgendwann auch in den nationalen Charts wieder.

 

Die Sängerin war eine eher hagere, blonde junge Frau. Dafür war ihre Stimme umso besser. Um ehrlich zu sein wunderte ich mich wie solch eine rockige Stimme aus dieser kleinen Person kommen konnte. Ben und Rian kannten die Band schon und hatten sich sehr auf den Auftritt gefreut. Es war lustig, die beiden in der ersten Reihe vor der Bühne zu sehen wie sie voller Inbrunst die Texte mitgrölten. Maria hingegen war nicht gerade der Rockfan und blieb lieber etwas abseits der Bühne mit uns stehen.

 

"So, bitte schön... Das nächste Mal geht aber jemand anderes! An der Bar ist es echt brechend voll", bemerkte ich, als ich mit unseren Getränken wieder zum Stehtisch kam. Wir alle fingen mit relativ harmlosen Sachen wie Wasser, Cola, Fanta oder purem Red Bull an, aber jeder von uns wusste, dass, wenn der Abend vorbei war, nur noch der Fahrer, in diesem Fall Ben, gerade laufen konnte. Zu gegebener Stunde würde Dave mit einem Tablett Tequila vorbeikommen und das wäre der Anfang vom Ende. Dave wusste, wie er seine Stammgäste bei Laune halten konnte und wusste auch, wie er uns dazu bringen konnte, immer weitere Runden von seinem "harten Zeug" zu bestellen. Tequila war nicht das einzige was er uns brachte. Dave verstand sich außerdem im Brennen eigener Schnapskreationen und war auch uns gegenüber nicht geizig mit dem Ausschank. Im Gegenzug waren wir bei ihm nicht geizig, wenn er bei uns im Restaurant mit seiner Familie essen kam.

 

Ich freute mich, dass Maria und Hirchop sich gut mit Will zu verstehen schienen und hoffte, dass daraus vielleicht eine Freundschaft werden würde und Will so zu unserer kleinen Gemeinschaft dazugehören würde.

 

"Wisst ihr, Te ist echt die Beste in unserem Kurs. Was sie alles weiß! Manche Sachen, die sie erwähnt, muss selbst unser Dozent noch mal nachschlagen." Ich merkte wie ich rot wurde. Will hatte zwar recht, aber ich empfand es als nichts Besonderes. Ich hatte ja auch kaum was für mein Wissen getan. Manchmal erwischte ich mich sogar dabei wie ich während der Vorlesung etwas sagte, was eigentlich nur eine Vermutung war, und diese Vermutung wurde dann bestätigt, und zwar bis ins kleinste Detail.

 

"Ja, Teti hat sich schon immer für das Land interessiert, in dem unsere Mutter geboren wurde", lachte Hirchop. Plötzlich merkte ich wie Will mir leicht mit seinem Ellbogen in die Rippen stieß. Ich sah ihn fragend an, und als ich in die Richtung sah, in die er dann zeigte, wurde meine Laune mit einem Mal etwas schlechter. Ich hatte gehofft, dass dies nicht passieren würde, doch andererseits war das ein utopischer Wunsch gewesen. Im Eingang des Clubs stand Astrate und im Schlepptau hatte sie niemand anderen als Brian Hampton, den bestaussehendsten Typen aus unserem Kurs. Ich merkte direkt wie auch Wills Laune und Selbstvertrauen zu verschwinden schienen.

 

"Was ist los? Ihr seht aus, als wäre gerade jemand über euer Grab gelaufen", bemerkte Maria.

 

"Die Neue aus unserem Kurs, die arrogante Ziege, von der ich dir heute Mittag erzählt habe, sie ist gerade reingekommen." Maria verdrehte nur die Augen und Hirchop schüttelte den Kopf. Eigentlich hatten sie ja recht. Warum sollte ich mir von so einer den Abend verderben lassen. Vor allem wenn sie sicherlich einen großen Bogen um mich machen würde und ich um sie. Anscheinend hatte Will gerade genau dasselbe gedacht und auch er verlor wieder seine Anspannung. Dann machte die Band eine Pause und auch Ben und Rian beehrten uns wieder. Sie schwärmten noch eine gewisse Zeit von der Band und wie sie sich mit jedem Gig, den sie spielten, verbesserten. Will erzählte uns dann, dass er in Australien geboren wurde und seine Eltern vor 10 Jahren mit ihm nach Neuseeland gezogen waren. Aber ich blickte mich immer um wo Astrate war. Irgendwie fühlte ich mich unwohl wenn ich wusste, dass sie in der Nähe war, so als müsste ich Angst haben angegriffen zu werden. Natürlich blieb das bei meinen Freunden nicht unbemerkt und Hirchop entschied, dass ich sicherlich durch den einen oder anderen Schnaps lockerer werden würde. Während Hirchop also zur Bar ging und Dave um 6 Schnäpse bat, sah ich mich immer wieder nervös um und war froh als ich sah, dass Astrate immer noch relativ weit entfernt von uns stand.

 

"Hey, Te! Te!" Verwirrt Blickte ich in Hirchops Richtung, der immer noch an der Bar stand und mir zuwinkte. Ich hatte mich schon gewundert, warum er so lange brauchte um uns die Schnäpse zu bringen. Vorsichtig drängte ich mich durch die Menge, die sich vor der Bar gesammelt hatte. So war es immer wenn eine Band gerade eine Pause machte. Alle, die vorher noch vor der Bühne gestanden hatten, merkten plötzlich, dass sie Durst hatten, und sammelten sich dann vor der Bar.

 

"Te, du wirst es nicht glauben!" Hirchops großes Lächeln wunderte mich sehr. Er war zwar ein fröhlicher Mensch, aber ein solches Lächeln sah man auch bei ihm nur selten. Ich war also gespannt darauf, was er mir sagen wollte.

 

"Ich steh hier so an der Bar und bestell unsere Drinks, da werde ich von hinten Angetippt und..." Doch bevor Hirchop seinen Satz beenden konnte, wurde auch ich von hinten angetippt. Als ich mich umdrehte, musste ich nach Luft schnappen. Ich konnte nicht glauben was ich da sah und mein Herz begann sich beinahe zu überschlagen vor Freude. Meine Augen blickten in ein graues Augenpaar, das ich sehr gut kannte. Als wir noch in Manchester gelebt hatten, hatte ich diese Augen fast jeden Tag gesehen. Doch konnte es möglich sein? Konnte Hirchops bester Freund aus Kindertagen tatsächlich hier sein?

 

"Dominic?" Er nickte und ohne weiter nachzudenken sprang ich ihn um den Hals. Dominic hatte neben uns gewohnt und war mit Hirchop in eine Klasse gegangen.

 

"Was machst du denn hier?" Ich war vollkommen sprachlos. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie er hier nach Neuseeland kam und was er hier machte.

 

"Ich arbeite hier... Zumindest für die nächste Zeit. Und ihr?" Ich konnte es gar nicht glauben. Ich hatte Dom schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und er hatte sich eindeutig gemacht. Er musste nun 22 Jahre alt sein, genau wie Hirchop, und er sah gut aus.

 

"Wir wohnen hier, seit 3 Jahren. Unser Restaurant ist nur wenige Gehminuten von hier weg. Mitten in der Innenstadt."

 

"Is nicht wahr!" Auch Dominic schien sich zu freuen. Wir boten ihm noch an, sich zu uns zu gesellen, doch er war selbst nicht alleine hier und hatte gerade nur die Gläser weggebracht, da er und seine Freunde gerade gehen wollten. Er versprach uns jedoch, uns bei Gelegenheit einmal in unserem Restaurant einen Besuch abzustatten. Den Rest des Abends dachte ich nicht mehr daran, dass Astrate sich im selben Gebäude befand wie wir. Ich freute mich einfach nur einen alten Freund wiedergefunden zu haben. Auch Hirchop schien äußerst erfreut und war sich sicher in den nächsten Tagen wieder von Dominic zu hören. Auch ich war mir sicher, dass dies nicht das letzte Treffen mit Dominic sein würde und um ehrlich zu sein hoffte ich sogar darauf. Denn ich musste zugeben, dass er sich in den letzten Jahren sehr zu seinem Vorteil entwickelt hatte. Ich konnte nicht verhehlen, dass er einen sehr guten Eindruck bei mir hinterlassen hatte.

 

 

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