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Kapitel 1

 

Krönung

 

 

Die Sonne brannte und ich stand auf den Treppen eines Tempels. Ich kannte diesen Tempel, ich war schon oft hier gewesen. In der Tat hatte ich hier viel Zeit verbracht. Ich befand mich in Karnak und der Tempel war der Amun-Tempel. Ich stand neben der Mutter meines Gemahls und anderen hochrangigen Würdenträgern, während mein Gemahl sich im Allerheiligsten des Tempels befand und gesalbt wurde. Meine Hände zitterten, doch ich durfte keine Schwäche zeigen.

 

Viele bei Hofe wünschten sich nur, dass ich oder mein Gemahl einen Fehler begingen, selbst jetzt noch, wo das Schicksal fast besiegelt war. Leider war ich mir selbst nicht sicher, dass ich stark sein würde, denn die Aufgabe, die uns nun zu Teil wurde, war eine große Verantwortung. In den Jahren bis zu unserem Tod würden wir die Geschicke dieses Landes lenken, mein Gemahl würde Entscheidungen treffen, die für Ägypten Krieg oder Frieden bedeuten würden, und ich würde unser Land von innen stärken.

 

Ich hatte viel von Tuja, der Mutter meines Gemahls, gelernt, doch würde ich ihrer würdig sein? Würde ich ihren Weg weiter gehen können? Ich hatte nach meiner Vermählung mit Ramses als Leiterin des Hofstaats der Königin gedient und kannte die Aufgaben. Jedoch hatte ich immer nur nach den Anweisungen der Königin gehandelt, nie eigenständig. Würde ich das Geschick besitzen, die schlechten von den guten Menschen zu unterscheiden? Würde ich merken, wenn mich jemand benutzte und manipulierte? Ich wusste es nicht und das war es, was mir Sorgen bereitete.

 

In meinem kurzen Leben hatte ich immer gewusst, wie mein Weg verlaufen würde. Nie hatte ich als junges Mädchen gezweifelt, einmal eine eifrige und aufopferungsvolle Priesterin des Amun zu werden. Es war allerdings eben dieser Gott, der mein Schicksal in andere Bahnen lenkte und mich genau hierher gebracht hatte: an die Seite meines Gemahls, der nun nach dem letzten Ritual Pharao war. Zusammen stiegen wir in seinen goldenen Streitwagen und fuhren durch die jubelnde Menge. Nun war ich Nefertari Merit-en-Mut, die Große Königliche Gemahlin, doch ich war nicht die einzige. Es gab noch eine Frau, die diesen Status erhielt. Ihr Name war Isisnofret, eine syrische Prinzessin, die Ramses im Gegenzug für einen Frieden versprochen wurde. Als Ramses sie nach einer Schlacht mit in den Palast gebracht hatte war ich zu Beginn sprachlos.

 

Doch er hatte mir versichert, dass er sie zwar begehrte, aber nicht liebte. Und wie bei meinem ersten Besuch in Memphis, als er zum Mitregenten gemacht wurde, wusste ich auch damals, dass er die Wahrheit sprach. Isisnofret jedoch war darauf erpicht auch seine Liebe zu gewinnen und hatte bereits in der ersten Zeit ihrer Anwesenheit versucht einen Komplott gegen mich zu schmieden. Es war mein Glück gewesen, dass Amun meine Verbindung mit Ramses gesegnet hatte und uns eine übernatürliche Verbindung geschenkt hatte. Er hatte den Komplott aufgedeckt und den Strohmann, den Isisnofret engagiert hatte, des Verrats angeklagt. Isisnofret selber konnte kein Hinterhalt nachgewiesen werden und sie wurde nicht angeklagt. Doch ich war mir sicher gewesen, dass sie alles in die Wege geleitet hatte.

 

Unser Verhältnis hatte sich in den letzten Jahren nie gebessert. Es hatte sich sogar verschlimmert, als ich Ramses verkündete seinen Thronfolger unter dem Herzen zu tragen. Viele der Vorkoster starben in dieser Zeit oder wurden schwer krank, doch der Verantwortliche konnte nie gefasst werden. Ramses jedoch blieb an meiner Seite und nutzte Isisnofret nur als eine Gespielin, die ihm nichts bedeutete.

 

„Große Königliche Gemahlin… wie klingt das?“, fragte er mich während wir in Richtung unserer Königlichen Sonnenbarke fuhren. Er winkte immer noch vereinzelten Ägyptern zu, die ihm zujubelten, hatte aber bereits einen Arm um meine Schulter gelegt.

 

"Geht es dir nicht gut?", fragte er, als er spürte, wie ich immer noch leicht zitterte.

 

"Ich habe Angst, der mir nun auferlegten Aufgabe nicht gewachsen zu sein." Noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte lächelte er mich schon warm an. Durch das Band, das zwischen uns bestand, wusste er bereits was mich bedrückte und lachte nur, weil er es mochte, wenn unser Band auf diese Weise bestätigt wurde. Der Blick, mit dem er mich bedachte, zog mich wieder in seinen Bann und ich wusste, dass er das immer und immer wieder tun würde, egal wie oft ich ihm ausgesetzt war. Bereits bei unserem ersten Treffen hatte dieser Blick dazu geführt mein Schicksal von einem Moment auf den anderen zu wenden. Damals war ich noch eine einfache Amun-Priesterin gewesen, die nie mehr angestrebt hatte.

 

Ich kannte die Tücken der Macht durch meine Mutter. Bereits früh hatte sie mir beigebracht nicht aufzufallen, dass ein großes Unglück passieren würde, wenn irgendjemand Nachforschungen über unsere Familie anstellte, denn unsere Familie hatte ihre Wurzeln bei Nofretete und Echnaton und diese beiden waren mehr als verfemt. Natürlich war Isisnofret diejenige gewesen, die es hatte herausfinden lassen, um mein Ansehen bei Hofe zu schmälern. Bereits Sethos hatte mich jedoch von der Schuld meiner Vorfahren freigesprochen und so war mein Ruf unbesudelt geblieben.

 

"Mache dir keine Sorgen, meine Liebe. Wir beide werden unserer Bestimmung entsprechen. Die Götter haben uns mit unserer Verbindung gesegnet. Sehen wir unsere Aufgabe als Möglichkeit, ihnen den entsprechenden Dank zu vermitteln. Wir werden Rituale und Zeremonien abhalten, werden den Göttern neue Tempel errichten und ihnen huldigen." Nun war ich diejenige, die lachen musste. Er sah in allem noch einen Weg, etwas Gutes daraus zu machen. Vor allem wusste er, wie ich zu beruhigen war und das machte mich fröhlich.

 

Am Schiff angekommen befanden sich dann nur noch unsere engsten Vertrauten bei uns. Darunter auch Tuja, Ramses Mutter, die mir mit einem sanften lächeln bestätigte, dass sie mich in meiner Aufgabe aus dem Hintergrund unterstützen und begleiten würde. Der Tod ihres Mannes, der Bruch ihrer Verbindung, hatte sie zwar schwer mitgenommen, hatte sie jedoch zu unserem großen Glück nicht auch noch in den Tod gerissen. Sie würde unsere engste Vertraute, unsere ehrlichste Beraterin sein. Sie würde ehrlich zu uns sein und keine Intrigen anzetteln, denn die Macht, nach der alle andere strebten, hatte sie bereits gehabt und immer weise und im besten Sinne unseres Landes genutzt. Gerade als das Schiff abgelegt hatte ertönte plötzlich ein ungewohntes, fast unheimliches Geräusch. Ich konnte es mit nichts vergleichen was ich zuvor gehört hatte und es erschreckte mich.

 

 

Ich schreckte hoch. Ich hatte alles nur geträumt. Alles, was ich gerade noch für die Realität gehalten hatte, war verschwunden. Anstatt auf einem Schiff auf dem Nil befand ich mich in meinem Bett und das unvergleichbare Geräusch, das mich so erschreckt und aus dem Traum gerissen, hatte war mein Wecker gewesen, der mich ohne Gnade aus dem Schlaf riss. Ich hasste es von diesem unsäglichen Gerät aus meinem warmen Bett gelockt zu werden, doch ebenso wusste ich, dass es nötig war. Ich hatte meiner Mutter versprochen, ihr bei den täglichen Einkäufen auf dem Markt zu helfen und dieser begann nun einmal um 4 Uhr morgens. Natürlich waren wir nie die ersten, aber wir mussten früh sein, um die besten Lebensmittel zu bekommen.

 

Als wir noch in England gelebt hatten, war das alles einfacher gewesen. Mein Vater hatte in London und Manchaster, die beiden Orte, an denen wir bereits gelebt hatten, gute Kontakte und wir mussten nie selbst in den Großmarkt fahren. Hier war es anders. Hier kannten wir niemanden und die beiden Jahre, die wir nun bereits hier lebten, hatten für meinen Vater nicht ausgereicht, um sich Kontakte zu verschaffen. Neuseeland war schon immer ein Traum meiner Eltern gewesen und sie hatten ihn sich erfüllt als sie ihre Arbeit als Archäologen für das Ägyptische Museum in England niedergelegt hatten. Da das Geld für die Arbeit als Archäologe nie vollkommen ausgereicht hatte, hatten meine Eltern ein ägyptisches Restaurant eröffnet, das in jeder Stadt gut ankam. Und jetzt, da sie genug Geld gespart hatten, hatten sie sich ihren Traum ermöglichen können, mit ihren beiden Kindern nach Neuseeland zu ziehen. Viele unserer Freunde hatte es gewundert, dass wir hierher zogen. Sie hatten angenommen, wir würden nach Ägypten ziehen, zurück in das Land, in dem meine Mutter geboren wurde und das wir alle so sehr liebten.

 

Doch mein Vater hatte sich dagegen entschieden. Ägypten entwickelte sich zu unser aller Bedauern in ein Land, das nichts mehr von dem Glanz, den es einst hatte, zeigen konnte. Die Bevölkerung war unterdrückt und unzufrieden und bestand größtenteils aus Moslems. Wir hatten nichts gegen ihre Religion, aber wir hatten keine Bande zu ihr. Meine Mutter hatte sich dem Koran entsagt und sich seitdem keiner Religion mehr angeschlossen. Auch mein Bruder Hirchop und ich waren an keine Religion gebunden und waren froh darüber. Besonders mir sagte irgendwie kaum eine der Religionen zu, die es gab. Träge schleppte ich mich von meinem Zimmer in das Bad, das sich unsere ganze Familie teilte.

 

Ich brauchte morgens meine Zeit dort und das wussten alle. Das lag jedoch nicht daran, dass ich so viel Zeit für meine Schönheit brauchte, sondern daran, dass ich um diese Uhrzeit noch relativ langsam war. Um ehrlich zu sein schminkte ich mich kaum. Meine Haut war auch ohne Sonne dunkler als die der anderer, wenn auch nicht viel, und so brauchte ich kein tönendes Make-up. Ein wenig Puder, Lidschatten, Eyeliner und Mascara genügten.

 

„Hey Teti, beeil dich mal!“, rief mein ungeduldiger, 3 Jahre älterer Bruder Hirchop. Ich liebte ihn. Er war mein ewiger Begleiter und im Gegensatz zu anderen Geschwistern verstanden wir uns blendend. Er arbeitete im Restaurant meiner Eltern und half ihnen wo es ging. Er hatte nie die Ambitionen gehabt mehr zu machen. Ihm reichte es. Ich jedoch war auf der Universität. Ich wollte Lehrerin werden, für Geschichte, sowohl die altertümliche als auch die moderne. Ich respektierte, wenn man die Geschichte nicht ehrte und nicht verstand, würden sich einige schreckliche Ereignisse wiederholen.

 

Als Extrakurs hatte ich den Ägyptologiekurs gewählt, da mich das alte Ägypten schon meiner Herkunft wegen interessierte. Ich war die Beste in diesem Kurs und das ohne überanstrengendes Lernen. Mit Leichtigkeit hatte ich die Hieroglyphen gelernt, die anderen so schwer fielen, und auch die Keilschrift fiel mir leicht. Wo ich mich allerdings mehr anstrengen musste war die Geschichte der Moderne. Die ganzen politischen Verwirrungen der Neuzeit waren für mich befremdlich.

 

Als wir uns dann auf den Weg zum Großmarkt machten, erinnerte ich mich wieder an meinen Traum. Immer und immer wieder erlebte ich diese realitätsnahen Träume, von denen ich vollkommen unausgeschlafen aufwachte. Und immer wieder drehten sie sich nur um ein Thema: die Herrschaft Ramses des Großen während der 19. Dynastie. Bereits als junges Mädchen hatte ich begonnen, hin und wieder solche Träume zu haben. Doch je älter ich wurde, desto mehr häuften sie sich. Meine Eltern schrieben es meiner blühenden Phantasie und meiner Leidenschaft für das alte Ägypten zu. Ich jedoch glaubte nicht daran, denn um ehrlich zu sein war diese Leidenschaft erst durch meine Träume entstanden. Wären sie nicht gewesen hätte ich wahrscheinlich nie in Erwägung gezogen, etwas über die Geschichte Ägyptens zu erfahren.

 

Der Markt war selbst zu dieser frühen Stunde gut besucht und die Großhändler fuhren sogar schon ihre zweite Ladung an Ware in die große Halle. Überall hörte man verhandelnde Menschen, die versuchten den besten Preis herauszuschlagen.

 

„Wir benötigen auf jeden Fall neuen Ingwer und ein wenig Büffelfleisch könnte auch nicht schaden. Oh, und ich könnte auch eine oder zwei Bananenblüten gebrauchen, ich habe da etwas neues im Kopf.“ Hirchop kochte für sein Leben gerne, auch wenn man es ihm nicht ansah, und er liebte es neue Gerichte zu versuchen. Noch nie hatte jemand das Essen, das er kochte, verschmäht und dank ihm konnte sich unser Restaurant einer großen Anzahl an Stammkunden und einem guten Ruf erfreuen. Meine Eltern waren stolz auf ihre Kinder und das, was sie leisteten, und sie wussten auch, dass wir immer für sie da sein würden, was auch passierte. Deswegen versuchten auch sie uns alles zu ermöglichen, was sie nur konnten, und hatten schon des öfteren selbst verzichtet. Da war es nur richtig, wenn wir ihnen bei Sachen wie einem solchen Großeinkauf halfen. Nach meinen Vorlesungen arbeitete ich immer noch einige Stunden im Restaurant, bediente die Gäste, half beim Anrichten der Gerichte oder schenkte die Getränke aus. Unsere kleine Familie war ein eingespieltes Team und wir waren stolz darauf.

 

Nach insgesamt 3 Stunden, die wir auf dem Großmarkt verbrachten, machten wir uns mit unserem Transporter voller Waren wieder auf den Weg nach Hause. Zu Hause, das war eine ca. 100 m² große Wohnung direkt über unserem Restaurant mitten in der Innenstadt von Wellington. Es war eine schöne Wohnung, besser als unsere letzte Wohnung in London, aber ich vermisste England trotzdem. Wir alle hatten Freunde und Bekannte dort zurück gelassen und uns von ihnen verabschiedet. Innerhalb Englands war es noch einfach gewesen den Kontakt zu halten und sich gelegentlich zu besuchen, aber Neuseeland war da schon etwas anderes.

 

„Teti, wie lange musst du heute in die Uni?“, fragte mein Bruder mich.

 

„Ich denke mal, dass ich um drei wieder zu Hause bin. Dann muss ich aber noch etwas lernen… Ich denke mal, dass ich Ben so um fünf ablösen kann.“

 

„Okay, das ist sehr gut. Der Arme hat schon genug Überstunden geschoben.“ Da hatte mein Bruder Recht. Ben war der einzige Mitarbeiter im Restaurant, der nicht der Familie angehörte, obwohl er in den letzten 3 Jahren fast zu einem Familienmitglied geworden war. Er war fleißig, freundlich und immer da, wenn man ihn brauchte, und das schätzten meine Eltern an ihm. Für Hirchop und mich war er ein guter Freund, mit dem wir an manchen Abenden nach der Arbeit auch mal feiern gingen, und er hatte uns auch mit seinen anderen Freunden bekannt gemacht zu der auch meine mittlerweile beste Freundin Maria gehörte.

 

Marias Schwester Rian war Bens Freundin. Hirchop und ich stachen gewaltig aus unserem Freundeskreis heraus. Die anderen waren die durchschnittlichen jungen Menschen, die man hier normalerweise fand, nicht zu klein, nicht zu groß, nicht zu dick und nicht zu dünn. Ihre Haut näherte sich nur dann der unseren an, wenn sie 2 Wochen nur in der Sonne lag. Aber so unterschiedlich wir auch vom Äußeren waren, desto mehr stimmten unsere Ansicht der Welt überein. In den letzten 3 Jahren waren wir zu einer verschworenen Truppe herangereift, die jede freie Minute miteinander verbrachte. Meistens trafen wir uns im Restaurant.

 

Dort konnten wir dann arbeiten und mit unseren Freunden reden. Außerhalb der Stoßzeiten konnten wir uns sogar zu ihnen setzten. Einmal in der Woche, nämlich am Ruhetag des Restaurants, feierten wir ausgiebig im San Francisco Bath House, einem angesagten Club mitten in Wellington. Wir waren mittlerweile schon sooft dort gewesen, dass wir selbst den Besitzer gut kannten und morgen war es wieder soweit. Jeder von uns freute sich die ganze restliche Woche auf den Freitag und auf den Spaß, den wir immer wieder hatten. Es gab mittlerweile eine Übermacht an Partybildern und wir waren sicher, dass es noch viele mehr geben würde.

 

 

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