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Kapitel 2

 

Wichtige Informationen

 

 

Der Flug nach Atlanta war eher ereignislos, es gab noch nicht einmal Turbulenzen, nicht das ich sie vermisst hätte, aber ich hatte andere immer wieder davon sprechen hören, wenn sie über ihre Flugreisen erzählten. Einmal hatte Kevin mir lebhaft davon berichtet wie er und seine Eltern nach Mallorca geflogen waren und es mitten im Flug so sehr gerappelt hatte, dass selbst die Gepäckfächer aufgegangen waren und das Gepäck durch den Innenraum geflogen war. Mittlerweile bezweifelte ich die Echtheit der Geschichte. Wahrscheinlich war zumindest der Teil mit dem herumfliegenden Gepäck etwas übertrieben gewesen. Wahrscheinlich hatte er mir imponieren wollen, immerhin waren wir damals noch jünger gewesen.

 

Die mehr als aufdringliche Flugbegleiterin lies mich die gesamten 11 Stunden Flug nicht wirklich in Ruhe. Immer wieder kam sie und fragte, ob alles okay sei, ob ich noch irgendetwas brauchte. Wahrscheinlich hatte sie beim Start mitbekommen wie ich leicht geweint hatte als wir durch die Wolkendecke geflogen waren.

 

Ich weiß, ich war fast erwachsen, aber ich hatte trotzdem gehofft so etwas wie den Himmel zu sehen. Zu sehen wie meine Mutter auf einer Wolke saß und mich unten auf der Erde suchte. Als ich sie nicht gesehen hatte, war ich wieder traurig geworden. Ich verließ nicht nur mein zu Hause, ich verließ auch das Land in dem meine Mutter war. Auch wenn sie nicht mehr lebte, ihr Körper lag auf dem Friedhof am Toten Maar und ich würde sie wahrscheinlich für eine lange Zeit nicht besuchen können. Ich war froh, dass mir Kommissar Heldmann wenigstens ein Bild von ihr mitgegeben hatte, denn ich hatte Angst sie zu vergessen. Immerhin erinnerte ich mich auch nicht mehr richtig an meine Großmutter die vor 10 Jahren gestorben war. Ich war mir noch nicht mal mehr sicher wie ihre Stimme geklungen hatte. Ich hatte Angst, dass es mir mit meiner Mutter genauso gehen würde, dass sie irgendwann einfach ganz verschwunden war und das wollte ich nicht.

 

„Wir werden jetzt gleich landen. Wir lassen dich als erste raus. Vorne am Gate warten dann einige Beamte, die bringen dich zu deinem nächsten Flug.“, erklärte sie mir mit ihrem starken Akzent. Ich hatte aus reinem Trotz nicht erwähnt dass ich eigentlich perfekt Englisch sprechen konnte, immerhin war meine Mutter immer sehr streng gewesen was diese Sprache anging. Bereits zu Kindergartenzeiten war sie darauf übergegangen Englisch mit mir zu reden während alle anderen weiterhin Deutsch redeten. Sie wollte dass ich zweisprachig aufwuchs. So hatte ich dann auch in der Schule weniger Probleme diese, für andere, neue Sprache zu lernen.

 

Ich stieg also als erste aus dem Flugzeug aus nachdem wir eine eher holprige Landung hinter uns hatten und erntete dafür einige böse Blicke von Geschäftsleuten die sicherlich dringender aus diesem Flugzeug wollten wie ich. Ich hatte die unlogische Hoffnung gehabt, dass man mich einfach vergessen würde, wenn ich nicht aufstand und ich so wieder zurück nach Deutschland würde fliegen können. Doch leider war dem nicht so gewesen und so wurde ich am Ende des Gates wieder von zwei Beamten entgegen genommen. Sie reichten mich anscheinend hin und her wie ein Stück wichtiger Ware, zumindest fühlte es sich so für mich an. Noch ein Indiz, dass mein Vater anscheinend nicht der beste Kerl zu sein schien. Wahrscheinlich hätten andere Väter ihre Kinder direkt am Flughafen abgeholt.

 

Die Flugbegleiterin übergab den Männern noch meine Unterlagen und dann wurde ich auch schon regelrecht abtransportiert. Mir blieb gar keine Zeit mehr irgendetwas zu sagen oder zu fragen wo es nun hinging.

 

Das Flugzeug in das ich nun einstieg war eindeutig kein normales Flugzeug. Es war viel größer und als man mich dorthin brachte war die Nase der Maschine weit geöffnet um beladen zu werden. Wahrscheinlich wollte mein Vater Geld sparen und brachte mich in einer seiner Maschinen zu ihm, ich war es ihm wahrscheinlich nicht Wert.

 

„Willkommen an Bord Miss. Wir werden in Kürze starten.“, informierte mich der Pilot als ich einstieg. Es war mehr als komisch. Die Tür zum Cockpit war offen und ich konnte direkt hinausschauen, zwar vor die aufgeklappte Nase, aber ich konnte etwas sehen. Hinter dem Cockpit befand sich dann ein kleiner Bereich in dem man sitzen konnte, sowie eine Art Tisch.

 

Hatte ich noch gedacht der erste Flug bis nach Atlanta wäre Ereignislos gewesen, der zweite Flug war es allemal. Ich hatte noch nicht mal ein Fenster aus dem ich raussehen konnte und da ich nicht wirklich auf einen Flug vorbereitet war, hatte ich auch nichts mit dem ich mich sonst hätte ablenken können. Ich starrte also nur auf meine Füße und immer und immer wieder ging mir meine Mutter durch den Kopf. Ich sah sie vor mir, mit diesem Angsterfüllten Blick, wie sie mich anflehte zu rennen, mich in Sicherheit zu bringen.

 

„Willst du dich zu uns setzten, wir landen gleich.“, fragte der Copilot mich dann nach fast 2 Stunden, aber ich hatte mir ja vorgenommen so zu tun als würde ich kein Englisch verstehen. Daher antwortete ich nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern. Daraufhin winkte er mich zu sich und zeigte auf den freien Stuhl hinter ihm. Ich überlegte einen Moment. Ich war nicht wirklich scharf darauf mich dorthin zusetzten und zuzusehen wie wir durch, oder über Wolken flogen auf denen meine Mutter doch nicht zu sehen war. Aber als er nochmals winkte siegte doch die Neugierde in mir. Vorsichtig und mich an der Wand festhaltend ging ich Schritt für Schritt nach vorne. Dieses große Flugzeug schien was die Ruhe anging seinen kleineren Verwandten weitaus unterlegen zu sein. Aber wahrscheinlich war es auch nicht gerade für Flugcomfort erschaffen worden.

 

Als ich mich hinter den jungen Copiloten gesetzt hatte, sah ich verwundert auf die ganzen Schalttafeln die sich im inneren des Flugzeuges befanden. Noch nie hatte ich so etwas zuvor gesehen, so viele Lichter die wild um die Wette blinkten. Und dann brachen wir durch die dicke Wolkendecke die anscheinend über unserem Bestimmungsort war. Ich war fasziniert von den Lichtern die im Dunklen die Fahrbahn markierten und dem Piloten genau anzeigten wo er zu landen hatte.

 

„Halt dich gut fest.“, sagte der junge Mann und bedeutete mir auch noch mal mit seinen Händen mich gut am Sitz festzuhalten. Bei dem Gewicht, das das Flugzeug geladen hatte war die Landung etwas mehr als holprig und ich war mir sicher, dass ich aus dem Sitz geflogen wäre, hätte ich mich nicht fest gehalten.

 

Als sich die beiden Männer, der Pilot und der freundliche Copilot dann von mir verabschiedeten nickte ich nur. Sicherlich hätte auch jemand der nicht genau wusste was sie sagten verstanden was sie gemeint hatten.

 

Als die Tür des Flugzeuges sich langsam öffnete sah ich draußen bereits 3 Männer stehen. Zwei von ihnen waren in Uniformen, der Dritte trug eine schwarze Lederjacke, zumindest soweit ich das in dem schlechten Licht der Abenddämmerung sehen konnte. Als sie dann weiter ins Licht traten seufzte ich gut hörbar. Einer von diesen Männern hatte tatsächlich den Ansatz einer halb Glatze und war etwas dicker. Bei meinem Glück war er mein Vater und er sah nicht gerade freundlich aus. Der andere Uniformierte Mann hatte zwar auch schon graue Haare er war aber etwas dünner, wobei sein Blick nicht gerade freundlicher war. Der in der Lederjacke, ein Zivilist wie ich dachte, sah da schon freundlicher aus. Er lächelte mich sogar an.

 

„Hallo, du musst Magret sein.“, fing er in gebrochenem Deutsch an als ich die Treppe hinunter gekommen war. Ich wunderte mich, dass sie sich tatsächlich die Mühe gemacht hatten einen Dolmetscher zu engagieren. Anscheinend hatte ich meine Rolle der unwissenden gut gespielt.

 

„Ich bin Daniel, das sind General Landry und General O’Neill. Dein Verlust tut uns leid.“, fügte er hinzu und zeigte auf die beiden Männer. Zu meiner Überraschung war O’Neill nicht derjenige mit der Glatze sondern der etwas jüngere von den beiden. Schade eigentlich, ich hätte eher den anderen nicht gemocht.

 

„Ich glaube nicht, dass ihn das sonderlich interessiert.“, sagte ich abfällig und nickte mit meinem Kopf Richtung O’Neill. Er sollte ruhig wissen, dass ich ihn für das was er getan hatte, was auch immer es gewesen war, hasste.

 

„Oh, glaub mir, es interessiert ihn brennend.“, sagte Daniel und schob mich in Richtung eines Gebäudes. Als er mich an O’Neill vorbei führte würdigte ich ihn keines Blickes und ich hörte ihn nur etwas murmeln was ich aber nicht verstand. Wahrscheinlich war er genauso begeistert von der Idee, dass ich nun bei ihm wohnen würde wie ich. Ich ahnte schon, dass die nächste Zeit alles andere als schön sein würde und dass ich mehr als einmal davon laufen würde. Aber irgendwie hatte ich die schlechte Vorahnung, dass das nichts nützen würde. Wahrscheinlich hatte das Militär seine Mittel und Wege jemanden zu finden, Wege die ich mir noch nicht mal ausdenken konnte.

 

„Dein Vater war ziemlich überrascht von dir zu hören.“, erklärte Daniel dann, als wir uns in einem kleinen geschlossenen Raum befanden. Die beiden Generäle standen direkt hinter ihm und beobachteten mich als würde ich jeden Moment ein schweres Verbrechen begehen wollen. Ich fragte mich, warum er von O’Neill sprach als sei er nicht ebenfalls im Raum, oder warum er nicht selbst sprach. Bis auf sein Gemurmel war er die ganzen 10 Minuten die ich ihn nun schon kannte still gewesen. Konnte er überhaupt reden?

 

„Ist mir egal.“, sagte ich und verschränkte trotzig meine Arme vor der Brust. Mein Standpunkt war klar, und das sollten sie alle wissen und mir war es auch mehr als egal, wenn ich vielleicht irgendwelche Gefühle oder die Ehre des Mannes, der mich mit hochgezogenen Brauen betrachtete, verletzte. Er hatte sich nie darum geschert wie ich mich fühlte, wie andere meine Ehre mit Füßen getreten hatten, weil sie mich das Kind einer Schlampe genannt hatten. Warum solle ich mich dann um ihn scheren?

 

Und dann fing O’Neill auf einmal doch an zu reden und was er sagte lies mich einen Moment sprachlos zurück. Er sagte mir, dass mein Vater in diesem Moment von einer wichtigen Mission abgezogen wurde, nur um mich zu sehen und dass ich gefälligst freundlich zu ihm sein sollte, hatte er doch vor gerade einmal 3 Stunden erfahren, dass er überhaupt eine Tochter hatte. O’Neill hatte das in so einem grimmigen und dennoch nachdenklichen Ton gesagt, dass ich mir die Frage stellte, ob er selbst Kinder hatte. Zumindest wusste ich nun, dass ich keines davon war. Ich bekam direkt ein schlechtes Gewissen diesen Mann mit so viel Verachtung gestraft zu haben, er konnte überhaupt nichts für meine Lage. Dann ohne etwas zu sagen legte der andere General mir eine Mappen vor. Auf ihr prangte in der Mitte das Siegel der US Air Force und darunter stand etwas in Englisch.

 

„Ich kann kein Englisch, tut mir leid.“, sagte ich direkt, ohne noch mal genau hinzusehen. Natürlich wusste ich was „Non-disclosure agreement“ bedeutete, aber ich gab ja immer noch vor kein Wort davon zu verstehen. Außerdem sah ich es gar nicht ein, irgendetwas zu unterschreiben, bevor ich nicht wusste worum es ging.

 

„Du verstehst verdammt gut was hier los ist.“ Schaltete sich O’Neill wieder ein und kam näher an den Tisch. In dem eher schummrigen Licht sah er beinahe bedrohlich aus. Ich zuckte einen Moment zusammen, er hatte mich nun wirklich erschreckt. Dann holte er selbst etwas heraus. Anscheinend hatten die Piloten ihm die Unterlagen von der Polizei gegeben und leider war darin auch ein Zeugnis.

 

„Englisch Leistungskurs, sehr gut“, las er für alle laut vor was auf diesem Zeugnis stand und ich schluckte einmal. Ja, das war mehr als eindeutig gewesen und es war mir schon fast peinlich mich so angestellt zu haben. Aber warum hatten sie dann extra einen Dolmetscher gebracht der Deutsch sprechen konnte?

 

„Ich werde nichts unterschreiben, bevor ich nicht weiß was hier los ist. Außerdem, wenn das die Bedingung ist, damit ich meinen Vater treffen kann, bitte. Ich will ihn gar nicht treffen!“, sagte ich trotzig und musste direkt wieder an meine Mutter denken. Sie hätte sicherlich nicht gewollt, dass ich ihn kennenlernte, ansonsten hätte sie mir sicherlich von ihm erzählt, hätte zumindest erwähnt, dass er Amerikaner war. Es machte mich traurig, dass man mich nun zu etwas zwingen wollte was sie nicht für gut für mich gesehen hatte.

 

„Das ist nicht die Bedingung dafür, dass du deinen Vater sehen kannst, dass ist die Bedingung, dass du hier je wieder raus darfst.“, sagte O’Neill und beugte sich noch tiefer hinunter, dass ich ihm direkt in die Augen sehen konnte. Sie sahen nicht gerade aus als machte er einen Scherz. Er war ernst und das machte mir etwas Angst. Anscheinend war meine Angst deutlich auf meinem Gesicht zu sehen, denn der Dolmetscher sah den General etwas entgeistert an und bat ihn etwas rücksichtsvoller zu sein, immerhin sei Isabell meine Mutter gewesen. Natürlich blieb es mir nicht unbemerkt, dass er gerade meine Mutter beim Vornamen genannt hatte, deshalb fragte ich ihn gerade heraus, ob er meine Mutter gekannt hatte.

 

„Ja, wir alle kannten deine Mutter, aber wenn du das hier nicht Unterschreibst, können wir dir nichts erzählen.“, sagte dann auf einmal der andere General und kam ebenfalls näher. Er erschien mir etwas freundlicher als O’Neill.

 

„Glaub mir, wir haben eine ziemlich eindrucksvolle Geschichte zu erzählen und du wirst wahrscheinlich Sachen erfahren, auch über deine Mutter, die du dir nie erträumt hättest.“, fügte Daniel dann noch hinzu als er die Mappe und den Stift näher zu mir schob. Für einen kurzen, kindischen Moment ging mir der Gedanke im Kopf herum, dass meine Mutter vielleicht doch nicht gestorben war, aber dieser Gedanke war utopisch. Ich hatte selbst gesehen wie es passiert war. Es gab keine Möglichkeit, dass meine Mutter noch lebte. Aber dennoch, ich wollte mehr über sie erfahren, wusste ich doch eigentlich nur das von ihr was ich selbst miterlebt hatte.

 

Ich nahm mir also den Stift in die Hand und ohne noch einmal durchzulesen was genau in der Erklärung stand, unterschrieb ich sie und schob die Mappe schnell wieder zurück zu den drei Männern. Dann schaltete sich auf einmal das Licht ein und ich sah sie skeptisch an. Das Licht ging also doch richtig … Daniel, der Dolmetscher zuckte nur unschuldig mit seinen Schultern, während O’Neill, nun etwas freundlicher, erklärte dass er der Meinung war, dass ich mich so eher auf das eingelassen hatte, was sie gesagt hatten. Sobald das Licht angegangen war kam der vorher so grimmige General mir freundlicher vor. Er holte für sich und seinen älteren Kollegen einen Stuhl und setzte sich ebenfalls mit an den Tisch.

 

 

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