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Kapitel 1

 

Aufbruch ins Ungewisse

 

 

„Du kannst gerne noch bleiben wenn du willst.“, ertönte eine Leise Stimme genau hinter mir. Ich sah nicht zurück, wusste ich doch wer gerade mit mir redete. Wahrscheinlich hatte sich die junge Frau gerade neben mich gekniet, um mit mir auf einer Ebene zu sein, aber es interessierte mich nicht. Ich starrte nur auf dieses abgrundtiefe Loch in der Erde. Natürlich, es war nicht wirklich so tief wie es mir nun vorkam, aber mein Kopf wollte es so sehen. Am Boden des Loches, unerreichbar für mich, lagen duzende Blumen, Lilien, Rosen, Gänseblümchen, ja sogar Gerbera. Wieder merkte ich wie Tränen meine Augen füllten und es schmerzte beinahe als sie sich ihren Weg durch meine Tränenkanäle machten. Wahrscheinlich waren sie wegen dem ganzen Weinen schon soweit ausgetrocknet, dass neue Tränen sich erst ihren Weg durch die schmalen verkrusteten Gänge bahnen mussten.

 

„Kommissar Heldmann, was machen sie hier, und noch wichtiger: Was macht die Kleine hier?“ Ich zuckte regelrecht zusammen als ich die Stimme des alten Mannes hörte. Ich wusste, jetzt gab es Probleme. „Sie wissen was Hauptkommissar Uhlig angeordnet hat. Der Kerl könnte immer noch frei rumlaufen! Die Kleine ist die einzige, die ihn gesehen hat!“ Ich drehte mich also doch langsam um und sah das Schuldbewusste Gesicht der jungen, blonden Frau hinter mir. Sie kniete tatsächlich neben mir, doch sie stand langsam wieder auf und zog ihre blaue Uniform glatt.

 

„I-ich … S-ie trifft keine Schuld. Ich … ich bin … weggelaufen.“, stotterte ich dann ängstlich. Ich hatte eigentlich gar nichts sagen wollen, doch ich war mir dessen was ich getan hatte durchaus bewusst gewesen, immerhin war ich keine 6 mehr. Außerdem wollte ich nicht, dass diese eigentlich nette Kommissarin ärger bekam, immerhin war sie immer nett zu mir gewesen.

 

„Und was hast du dir dabei gedacht Mädchen?“, fragte er mich nun. Sein Blick war so starr auf mich gerichtet, es bereitete mir eine Heiden Angst und ich konnte ihm nicht antworten. Ich hatte Angst mich auch nur einen Millimeter zu rühren. Wahrscheinlich würde der alte Mann dann wieder anfangen zu schreien. Und Schreie waren das letzte was ich jetzt hören konnte. Ich hatte schon immer Probleme damit gehabt wenn jemand zu laut wurde, aber dank der aktuellen Ereignisse war dieses Problem in eine regelrechte Panik umgeschlagen.

 

„Der Mörder deiner Mutter kann immer noch frei hier rumlaufen!“ Als ob ich dafür noch eine Erinnerung brauchte, danke sehr. Direkt schossen mir die Bilder wieder im Kopf herum und ich presste mir meine Hände gegen die Ohren, damit ich sie nur nicht mehr schreien hören musste. Wahrscheinlich würde ich den angsterfüllten Blick in ihren Augen nie vergessen als ich in das Wohnzimmer gerannt kam und sah wie das Messer bereits in ihrer Brust steckte. Sie brauchte mir nicht sagen, dass ich besser davon laufen sollte, auch wenn sie es bluterstickt versucht hatte. Ich war Barfuß und nur in meinem Schlafanzug bekleidet nach draußen auf die Straße gelaufen. Ich war noch nicht ganz aus der Tür raus, da merkte ich schon wie etwas meine Haare streifte und an der Wand neben mir abprallte, durch das Metallene scheppern, ahnte ich, dass es das Messer gewesen sein musste und rannte nur noch schneller. Ich hatte genau gesehen was er meiner Mutter angetan hatte und ich hatte ihn gesehen.

 

„Olaf, ich glaube sie hat schon genug Angst.“, sagte die Kommissarin dann, als sie mich sanft zum Streifenwagen schob. Ich war ihr dankbar dass sie Verständnis zeigte. Als sie mich hier am Friedhof gefunden hatte, hatte sie auch nicht geschimpft, sondern sie hatte sich einfach neben mich gekniet. Natürlich hatte ich bemerkt wie sie erst einmal die ganze Gegen abgescannt hatte, um sicher zu gehen, dass für mich keine Gefahr bestand, aber das Monster erwartete mich sicherlich an anderer Stelle.

 

Wahrscheinlich hatte er mich heute in der ersten Reihe der trauernden erwartet, aber das hatte man mir verboten. Nachdem ich aus unserem Haus entkommen war, hatte er wahrscheinlich erwartet, dass ich mich irgendwo in der Nähe verstecken würde, bis er verschwand. Vielleicht hatte er sogar einige Zeit auf mich gewartet oder mich gar Gesucht. Aber ich war direkt in den Wald gelaufen der sich neben der Straße erstreckte und hatte so eine Abkürzung zu unseren Nachbarn, den Lerners genommen. Kevin, der Sohn der Lerners, war in meiner Klasse und wir verstanden uns eigentlich sehr gut. Dementsprechend versteckte ich mich in deren Garten und schrieb ihm eine SMS. Nur wenige Sekunden später sah ich wie in seinem Zimmer das Licht anging und dann auch im Zimmer seiner Eltern. Wahrscheinlich hatte er sie direkt geweckt. Herr Lerner hatte natürlich sofort die Polizei gerufen, doch der Mörder meiner Mutter war entkommen.

 

Nachdem was passiert war, boten die Lerners natürlich an sich einige Zeit um mich zu kümmern, doch den Polizeibeamten war das zu Gefährlich. Ich war die einzige Zeugin in einem Mordfall und der Täter kannte mich und wusste, dass ich entkommen war. Deswegen hatten sie beschlossen mich mit zu nehmen. Das war nun vor einer Woche gewesen und genau so lange war nun schon das Polizeipräsidium Daun mein zu Hause.

 

„Wir haben deinen Vater gefunden.“, sagte der grimmige Kommissar dann nach einer Weile die wir im Auto gesessen hatten. Ich hatte mich schon gewundert, warum wir einfach an Daun vorbei und auf die Autobahn gefahren waren.

 

Ich musste zugeben, dass ich weniger begeistert von dieser Neuigkeit war. Mein Vater war mir relativ egal, um ehrlich zu sein war er mir Unsympathisch. Nicht etwa weil er irgendetwas getan hatte, das genaue Gegenteil war eher der Fall gewesen. Er hatte gar nichts getan. In den ganzen Vergangenen beinahe 16 Jahren meines Lebens, hatte er überhaupt gar nichts getan, ich hatte ihn ja noch nicht einmal kennen gelernt. Meine Mutter hatte nie über ihn gesprochen und hatte eigentlich immer abgeblockt wenn ich über ihn hatte sprechen wollen. Ich nahm an, dass er auch nur einer dieser Miesen Typen war denen meine Mutter immer wieder verfiel.

 

In der Tat hatte ihr Talent sich die falschen Männer auszusuchen auch zu meiner Situation geführt, denn das Monster dass sie umgebracht hatte war auch einer von diesen Männern gewesen. Sie kannte ihn erst seit einigen Wochen und hatte ihn mir noch nicht vorgestellt. Wahrscheinlich aus Angst ich könnte sie wieder von diesem Mann abhalten, wie ich es bei den letzten drei getan hatte. Aber natürlich hatte ich die beiden bereits einige Male vor der Haustüre gesehen, wenn meine Mutter dachte ich würde bereits schlafen.

 

Nun bereute ich es, meine Mutter nicht nach ihm gefragt zu haben, vielleicht hätte ich dann wenigstens seinen Namen gewusst und die Polizei hätte ihn schneller gefasst. Aber das war mir nicht vergönnt.

 

„Es war wirklich nicht einfach ihn ausfindig zu machen.“, erwähnte Kommissar Heldmann dann und drehte sich in ihrem Sitz zu mir um. Ich wunderte mich immer noch. Wir fuhren nun schon eine geschlagene Stunde, wenn nicht noch länger auf der Autobahn und auf dem Navi sah es nicht so aus, als hätten wir unser Ziel bald erreicht. Um ehrlich zu sein fürchtete ich schon meine alte Schule, meine Freunde nie wieder zu sehen, oder zumindest für eine lange Zeit nicht. Ich war erst 16 und wenn sie tatsächlich meinen Vater gefunden hatten, dann würde ich bei ihm leben müssen, egal was ich wollte.

 

„Deine Mutter hat beinahe alles von ihrer Zeit vor deiner Geburt vernichtet oder versteckt. In Ihrem Bankschließfach hatte sie allerdings einige Sachen aufbewahrt, die nach ihrem Tod uns übergeben wurden. Anscheinend hatte sie Gefürchtet, dass ihr irgendetwas passieren könnte.“, sagte die junge Blondine vorsichtig und reichte mir ein zusammen gefaltetes Blatt Papier. Darauf stand eine kleine Notiz:

 

General Jonathan Jack O’Neill anrufen, Atlantis.

 

„Wir haben die ganze Woche versucht ihn ausfindig zu machen und es war alles andere als einfach.“, warf Kommissar Olaf Kuhnert ein, den Blick nicht vom Verkehr wendend.

 

In 500 Metern bitte rechts abbiegen und die Ausfahrt Nr. 49 Richtung Kelsterbach, Flughafen nehmen. Trötete das Navigationsgerät im Armaturenbrett freundlich, doch ich starrte es nur an. Flughafen? Ich sah aus dem Fenster und mein Herz sank mir in die Hose. Ich war tatsächlich an einem Flughafen und nicht an irgendeinem, ich war in Frankfurt.

 

„O’Neill hat angefordert dich direkt zu ihm bringen zu lassen, und das haben wir vor.“, sagte der Mann während er gerade einem seiner Kollegen am Flughafen seinen Ausweis und einige Dokumente zeigte.

 

„Wenn du gleich aussteist, wirst du noch einmal durchsucht und dann direkt ins Flugzeug gelassen. Dort wird einer der Flughafenpolizisten auf dich aufpassen bis der Flieger startbereit ist.“, setzte die Kommissarin die Erklärung ihres Kollegen fort. „In Dallas wirst du umsteigen müssen, aber die Behörden wissen Bescheid. Es wird dich jemand am Gate abholen und dir helfen den richtigen Weiterflug zu erwischen.“ Ich verstand nur Bahnhof, oder in diesem Falle wohl eher Flughafen, aber es war zu spät um noch weg zu laufen, oder irgendetwas anderes zu machen, denn schon öffnete sich die Tür neben mir und ich musste aussteigen.

 

„Was ist mit meinen Sachen?“, rief ich noch, aber man blieb mir einer Antwort schuldig. Ich fühlte mich ein bisschen wie eine Schwerverbrecherin wie ich so von zwei Polizisten begleitet in den Terminal gebracht wurde. Bevor wir hineingingen, sah ich noch einmal in die Richtung aus der ich gekommen war, aber das Auto von Kommissarin Heldmann und ihrem Kollegen war schon verschwunden.

 

„Hast du irgendwelche Gefährlichen Sachen dabei? Scheren, Nagelfeilen oder etwas Flüssiges?“ hatte ich noch zuvor gedacht Kommissar Kuhnert wäre grimmig gewesen, wusste ich es jetzt besser. Diese Frau, die mich nun von oben bis unten abtastete, war so grob und kalt wie es ein Mensch wahrscheinlich nur sein konnte. Ihr Kollege sah nicht gerade herzlicher aus. Er wäre der Typ Mann gewesen in den sich meine Mutter sicherlich verliebt hätte. Ich stockte, merkte wie ich augenblicklich schwerer atmete. Der Gedanke an meine Mutter war grausam. Selbst nach der Woche die ich nun schon Zeit hatte, konnte ich immer noch nicht begreifen, was passiert war, hoffte immer noch irgendwann aufzuwachen und zu bemerken, dass alles nur ein böser Traum gewesen war.

 

Aber meistens wenn ich aus meinem Schlaf aufwachte wusste ich, dass der Alptraum, der mich gerade schweißnass und schreiend aus dem Bett hatte aufschrecken lassen, die Wahrheit war, dass es wirklich passiert war, dass es passiert war und das ich meine Mutter nicht mehr wieder sehen würde. Ich hatte mich ja noch nicht einmal von ihr verabschieden können, zumindest nicht richtig. Am Abend als sie getötet worden war, hatten wir uns gestritten. Es war unbedeutend gewesen, zumindest im Nachhinein betrachtet und ich hätte gerne alles was ich gesagt hatte zurück genommen, aber das konnte ich nicht mehr. Meine Mutter würde mir nicht mehr erklären können, dass sie selbst als Teenager nicht anders gewesen war wie ich, und dass sie mich daher verstehen könne. Ich wusste sie hatte immer nur das Beste für mich gewollt.

 

Doch wenn das Beste wirklich ein Leben bei meinem Vater hätte sein sollen, dann hätte sie mich doch sicherlich schon früher zu ihm gebracht, oder hätte wenigstens über ihn geredet. Aber jetzt hatte ich keine andere Wahl mehr. Meine Großeltern waren schon lange tot und meine Mutter hatte nie Geschwister gehabt. Die einzige Möglichkeit die die Polizei also sah, war mich zu meinem Vater zu bringen.

 

„American Airlines? Atlanta? Was soll das bitte?“ fragte ich beinahe hysterisch als ich auf die Tafel über dem Schalter blickte an dem mich die Polizisten nun absetzten.

 

„Du musst Magret sein.“ Kam dann eine flötende junge Frau mit amerikanischem Akzent auf mich zu. Ihrem Outfit zufolge war sie eindeutig eine Stewardess, oder Flugbegleiterin wie man sie mittlerweile nannte.

 

„Wenn sie das sagen.“, murmelte ich eher desinteressiert. Die junge Frau sah die Polizisten einen Moment unsicher an, als sie jedoch nickten nahm sie mich entgegen und versuchte mich durch leichten Druck auf meinen Rücken dazu zu bewegen Richtung Flugzeug zu gehen. Doch ich schüttelte ihre Hand auf meinem Rücken nur ab und blieb stehen. Ich hatte wirklich keine Lust nach Atlanta zu fliegen. Was sollte ich auch da? Hier war mein zu Hause. Hier hatte ich meine Freunde und … nein … hier hatte ich nur noch meine Freunde und meine Schule. Wieder trocknete mein Hals aus. Hier hatte ich nun keine Familie mehr. Aber die hatte ich auch nicht in Atlanta. Wer auch immer dieser O’Neill war, er war sicherlich nicht mein Vater, egal was ein Vaterschaftstest vielleicht ergeben würde. Dieser Mann würde ein Fremder für mich sein. Da wohnte ich lieber bei Kevin und seinen Eltern, aber nicht bei diesem O’Neill.

 

Doch anscheinend blieb mir keine andere Wahl als die grimmige Polizistin mir androhte mich in Handschellen in Flugzeug zu bringen und mich dann am Sitz festzuschnallen, den ganzen Flug über. Ich entschied mich also lieber doch zu kooperieren, immerhin wollte ich mir auf dem Flug nicht in die Hose machen weil ich nicht auf Toilette gehen konnte.

 

Das Flugzeug war größer als ich gedacht hatte. Ich war selten in meinem Leben geflogen, wenn meine Mutter und ich in Urlaub gegangen waren, waren wir selten weiter gekommen wie man auch mit dem Auto fahren konnte, selbst wenn es 10 oder mehr Stunden im Auto bedeutete. Um ehrlich zu sein dachte ich immer meine Mutter hätte Flugangst gehabt. Deswegen wurde nun auch ich etwas unruhig. Denn meine Mutter war immer eine sehr logische und bodenständige Frau gewesen, die vor nur wenigem Angst gehabt hatte. Nur vor ihrer Vergangenheit hatte sie sich immer gefürchtet. Warum? Vielleicht würde ich das nun früher erfahren als mir lieb war.

 

„Wir haben extra einen Fensterplatz für dich frei gemacht.“, sagte die Frau zu der ich so unfreundlich gewesen war ruhig und brachte mich gefolgt von den Polizisten ins Flugzeug. Anscheinend wollten sie sich versichern, dass ich auch wirklich einstieg. Dann drückten sie der Flugbegleiterin einige Dokumente in die Hand, wahrscheinlich alles was mein Vater und die Behörden in den USA brauchen würden, damit sie mich mit offenen Armen aufnehmen konnten. Aber ich wollte nicht aufgenommen werden. Vor allem nicht von meinem Vater. Ich erinnerte mich an den vollen Namen der auf dem Blatt gestanden hatte. Mein Vater war also ein General. Waren Generäle nicht alte Männer mit dicken Bäuchen und grauen Haaren? So einer sollte mein Vater sein? Ich stellte ihn mir bereits bildlich vor. Ein alter Mann mit halb Glatze, dickbäuchig in seiner viel zu engen Uniform. Ich fragte mich was meine Mutter wohl an ihm gefunden haben mochte.

 

 

 

 

 

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