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Kapitel 18

 

Schreckmoment

 

 

 

Die nächsten vier Wochen hörte keiner von uns mehr etwas von Orlando und wir waren mehr als besorgt. Jedoch wussten wir auch, dass er und Astrate es sehr schwer hatten und sich wahrscheinlich erst einmal an alles gewöhnen mussten. Und so entschlossen wir uns abzuwarten, bis der Dreh wieder weitergehen würde.

 

Auch Dom hatte ich in den letzten Wochen nur selten gesehen. Natürlich, wir waren kein Paar mehr und ich konnte weiß Gott nicht verlagen, dass er rund um die Uhr bei mir war, aber ich vermisste ihn. Vermisste ihn als Freund und als einen der wenigen Menschen, mit denen ich offen reden konnte. Maria, die treulose Tomate, war zusammen mit Elijah nach Australien geflogen, um dort Verwandte von ihm zu besuchen. Ja, die beiden kamen sich eindeutig näher. Auch wenn das bedeutete, dass ich meine beste Freundin nicht mehr für mich alleine hatte. Ich freute mich für sie.

 

Die einzigen Personen, die mir also noch blieben, um mich täglich zu unterhalten, waren meine Eltern und Hirchop, der sich alle Mühe gab, mich bei Laune zu halten. Die ersten zwei Wochen nach meiner Rückkehr aus dem Krankenhaus hatte er mich fast täglich mit meinem Rollstuhl in die Innenstadt zum Kaffeetrinken entführt. Wir hatten uns stundenlang über die Leute, die so durch die Stadt liefen, ausgelassen und über unsere Kindheit oder unsere Zukunftspläne geredet. Es war schon komisch, wie sie sich voneinander unterschieden. Hirchop hatte seinen Weg als Koch gefunden und war zufrieden damit, sich mit seinen Gerichten ausdrücken zu können.

 

Ich jedoch, das hatte ich in unseren Gesprächen gemerkt, war alles andere als erfüllt mit dem Gedanken, in einigen Jahren vor einer Meute von Schülern zu stehen. Noch vor einem Jahr war diese Einstellung anders gewesen. Doch mein Leben hatte sich so sehr verändert, dass auch diese Veränderung nicht ausblieb. Um ehrlich zu sein wusste ich gar nicht mehr was ich wollte. Der Job am Set gefiel mich echt gut und ich war mir sicher, dass Peter sich freuen würde, mich offiziell zum Team zu holen. Aber wollte ich das? Wollte ich so richtig in dem Film mit drinhängen? Und was war, wenn der Film zu Ende war? Was würde ich dann machen?

 

Als Archäologin konnte und wollte ich auch nicht arbeiten. Da verdiente man heutzutage viel zu wenig und die großen Funde wurden alle schon vor vielen Jahren gemacht. Alles, was man nun noch finden konnte, war wahrscheinlich nur belangloses Zeug. In einem Museum wollte ich auch nicht arbeiten, denn auch das war nicht gerade das, was man als abwechslungsreich bezeichnen konnte.

 

Dennoch war ich mir sicher, dass ich das mit dem Lehramtstudium besser sein ließ, bevor ich in einigen Jahren lustlos vor irgendeiner Klasse stand, die mich genauso lustlos anstarrte. Ich wollte nicht einer dieser verzweifelten Lehrer werden, die ihrer Klasse nichts beibringen konnten und die irgendwann mit einem Nervenzusammenbruch aus ihrem Job gingen.

 

Also entschloss ich mich fürs Erste tatsächlich Pete zu fragen, ob ich nicht nach der Drehpause richtig bei ihm arbeiten konnte. Wie erwartet war er vollkommen aus dem Häuschen und hatte, ohne auch nur einmal darüber nachzudenken, zugestimmt. Um ehrlich zu sein hatte er mich in diesem Moment etwas an meine persönliche Vorstellung von Tom Bombadil erinnert, wie er fröhlich hüpfend durch sein Haus sprang. Auch Fran und Philippa waren begeistert von der Idee, mich nun wirklich zum Team zu zählen, und hatten direkt mehrere Ideen, wie sie mich einsetzten konnten. Während ich noch leicht gehandicapt war, wollten sie mich als Souffleuse für die Schauspieler haben. Danach würde ich sowohl das machen, als auch neue Skripte verteilen und bei Bedarf Maria beim Make-up helfen. Ich war begeistert.

 

So würde ich immer nah bei meinen Freunden sein und würde für einen wundervollen Job auch noch monatlich gutes Geld verdienen. Natürlich, irgendwann war der Film vorbei und ich musste mir etwas anderes suchen, aber vielleicht würde ich bis dahin etwas gefunden haben, was mir Spaß machte. Niemand konnte wissen, was passieren würde.

 

Ich freute mich schon am Wochenende vor dem Drehbeginn auf die Gesichter der anderen, wenn sie mich direkt am ersten Tag als Souffleuse bei sich sitzen hatten. Doch gerade als ich mir jedes einzelne Gesicht vorstellte, wie sie mich gleichzeitig lächelnd und verwirrt ansahen, öffnete Hirchop meine Zimmertür. Er hielt unser Telefon in der Hand, doch ohne, dass ich dran ging wusste ich, dass es Orlando war und dass er nicht glücklich war.

 

„Wo bist du? Ich komme“, sagte ich besorgt in den Hörer, bevor Orlando überhaupt ein Ton hatte sagen können. Leise, fast nur flüsternd, sagte er mir, dass er im wellingtoner Krankenhaus war. Ohne zu zögern schnappte ich mir meine Krücken und machte mich auf den Weg. Ich spürte, dass irgendetwas mehr als falsch war und ich wusste, dass Orlando meine Hilfe brauchte. Mir war es egal, dass der Arzt mir eigentlich längere Zeit auf den Krücken verboten hatte. Ich stapfte die Treppe herunter und nach draußen. Der Weg zur Bushaltestelle war nicht zu weit und ich war mir sicher, dass bald der nächste Bus kommen musste.

 

Was ich allerdings unterschätzte, war die Zeit, die ich mit meinen Krücken benötigte. Und so fuhr der Bus genau vor meiner Nase davon.

 

„Soll ich dich fahren, Te?“ Hirchop war mir mit seinem Auto gefolgt. Wahrscheinlich hatte er bereits gewusst, dass ich den Bus nicht bekommen würde, wollte aber nicht, dass ich mich bemuttert fühlte und hatte es mich versuchen lassen. Mein Bruder kannte mich einfach zu gut. Ich nickte nur kurz und stieg vorsichtig in sein Auto. Mit dem Auto war es sowieso weitaus schneller als mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.

 

Und so war ich innerhalb von 10 Minuten, einige rote Ampeln hatten uns aufgehalten, am Wellington Regional Hospital. Orlando hatte mir nach seinem Anruf noch eine SMS mit dem Inhalt „Station 3, Trakt 4“ geschickt, damit ich wusste, wo ich hin musste.

 

„Säuglingschirurgie“, las Hirchop von der großen Tafel im Foyer vor und ich erstarrte. Was war nur passiert? Hirchop sah mich fragend an. Er wollte wissen, ob er mitkommen sollte, aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich wusste es zu schätzen, aber Orlando hatte nur mich sehen wollen, also würde auch nur ich zu ihm kommen. Langsam aber bestimmt stützte ich mich auf meine Krücken und ging in Richtung Fahrstuhl.

 

„Was haben Sie denn gemacht?“, fragte mich eine alte Frau, als der Fahrstuhl losgefahren war. Ich weiß, sie meinte ihre Frage nicht böse, aber ich antwortete ihr nicht. Mir war gerade nicht nach Smalltalk. Natürlich empfand sie das nicht gerade als freundlich und schnaubte einmal kopfschüttelnd, als sie den Fahrstuhl im 1. Stock wieder verließ. Schnell drückte ich auf den Knopf für die Türschliessung. Ich wollte nicht noch einen Mitfahrer haben, der dumme Fragen stellte.

 

Als ich auf der 3. Station angekommen war, wusste ich, dass ich noch eine etwas weitere Stecke zu laufen hatte, immerhin war das hier Trakt 1. Aber ich hatte Glück, dass Trakt 4 zumindest mit den ersten 3 verbunden war. Bei Trakt 8 wäre das schon komplizierter geworden. Ich brauchte geschlagene 15 Minuten um zu meinem Ziel zu kommen und da sah ich Orlando auch schon auf einem der Stühle auf dem Gang sitzen.

 

Sein Kopf war in seine Hände vergraben. Er sah auf den Boden und je näher ich kam, desto klarer wurde mir, wie er sich fühlte. Auch er schien mich bemerkt zu haben, denn kaum war ich um die Ecke gebogen, war er aufgestanden.

 

„Was...?“, war alles, was ich sagte und Orlandos Blick driftete wieder davon.

 

„Seth, er ist gefallen … Astrate hat ihn das erste Mal gewickelt, doch dann war sie auf einmal wieder außer sich vor Trauer um Isis. Sie sagt, sie war nur einen Moment unaufmerksam und er sei runtergefallen.“ Ich sah den Schock in Orlandos Augen. Und auch ich verspürte diesen Schock. Sie hatte ihn fallen lassen? Sie hatte diesen wunderbaren, kleinen Engel fallen lassen? Eine fast unerklärliche Wut baute sich für einen Moment in mir auf, doch dann erinnerte ich mich wieder daran, dass sie ihre Tochter verloren hatte. Wahrscheinlich hatte sie wirklich nur einen kleinen Moment nicht hingesehen, erfüllt von der Trauer, und da war es passiert.

 

„Sind Sie die Mutter?“, fragte eine Krankenschwester, die aus der Tür kam, fast vorwurfsvoll. Ich schüttelte nur den Kopf.

 

„Was ist mit meinem Sohn?“, fragte Orlando und die Frau blieb stehen.

 

„Sein kleiner Arm ist gebrochen“, antwortete sie und ich sah sie skeptisch an. Die Knochen eines Kindes waren so elastisch, wie konnte sein Arm gebrochen sein? Orlando schien diese Gedanken nicht zu haben. Er sorgte sich nur um seinen Sohn. Er fragte die Schwester, ob er ihn schon sehen dürfte, aber sie schüttelte nur den Kopf.

 

Ich sah und spürte, wie das alles Orlando mitnahm und legte einen Arm um seine Schulter. In seinen Augen erkannte ich seinen Schmerz. Seth musste fürchterlich geschrien haben, als Orlando ihn hierher gebracht hatte. Das musste das Grausamste für Eltern sein, das eigene Kind vor Schmerzen schreien hören und selbst nichts dagegen tun zu können.

 

„Es wird schon wieder gut werden. Der Kleine ist hart im Nehmen“, versuchte ich Orlando zu trösten, aber meine Worte waren kein richtiger Trost.

 

„Danke, Teti“, seufzte er nach einigen Minuten, die wir nun auf den Stühlen saßen und warteten.

 

„Für was?“, fragte ich verwundert.

 

„Dass du für mich und den Kleinen da bist.“ Er sah mir tief in die Augen und ich sah, dass er es todernst meinte. Er war tatsächlich dankbar. Für mich war das selbstverständlich.

 

„Immer“, war alles, was ich antwortete und umarmte ihn herzlich. Er war mein bester Freund und ich würde immer für ihn da sein. Selbst wenn er wieder zurück nach England ging, wenn der Dreh vorbei war, ich würde für ihn da sein. Wenn er mich brauchte, das nahm ich mir felsenfest vor, dann würde ich noch am selben Tag in den Flieger steigen und zu ihm fliegen und ich wusste, dass es ihm nicht anders ging.

 

„Was soll ich jetzt die nächsten Tage und Monate machen, Teti? Da werde ich nicht da sein können, um auf ihn aufzupassen und mitnehmen kann ich ihn auch nicht.“ Resignierend ließ er den Kopf wieder auf die Hände sinken und ich streichelte beruhigend seinen Rücken.

 

„Astrate wird das schon schaffen. Sie hat heute einen kleinen Rückfall gehabt, das passiert. Aber ich bin mir sicher, dass sie das auch bereut und dass sie in Zukunft vorsichtiger sein wird.“ Ich erschrak, als ich mich selbst reden hörte. Seit wann ergriff ich Partei für diese Frau? Hatte ihr Schicksal wirklich so viel verändert? Nein. Aber es ließ einen anders über manche Dinge denken und es war außerdem alles andere als hilfreich für Orlando, wenn ich ihm versuchte weiß zu machen, dass seine Freundin sich wahrscheinlich nicht ändern würde.

 

Nach einer weiteren Stunde kam dann der Arzt mit einem kleinen Bettchen nach draußen. Sie hatten Seth‘ Arm operativ stabilisiert, damit nichts falsch zusammenwuchs, und Seht sollte nun noch zwei Wochen zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben.

 

Zu Orlandos großem Glück würden die nächsten Wochen die Dreharbeiten alle in der Nähe um Wellington stattfinden, sodass er seinen Sohn regelmäßig besuchen konnte. Ich war mir jedoch sicher, dass Peter auch so die Dreharbeiten so umgelegt hätte, dass Orlando für seinen Sohn da sein konnte. Immerhin hatte Peter selbst Kinder, die, so oft sie konnten, am Set herumsprangen.

 

Bereits 2 Tage später begann für uns alle wieder der Ernst des Lebens. Als ich mich bereits um 6 Uhr morgens neben Peter an den Rand des Hutt River setzte, an dem heute eine Szene auf dem Anduin gedreht werden sollte, sah ich, wie er, ähnlich einem kleinen Schuljungen, vor sich hin grinste. Auch ich musste lachen. Die Freude dieses einzigartigen Mannes war einfach ansteckend. Er nahm alles mit einer solchen Freunde und Leichtigkeit auf, dass niemand in seiner Nähe lange Trübsal blasen konnte.

 

Ich wunderte mich, dass selbst Orlando, nach dem, was seinem Sohn passiert war, mehr als professionell war und sich während dem Dreh selbst nichts anmerken ließ. Er spielte seine Rolle so wie immer, aber ich wusste, dass er innerlich immer bei Seth war. Ich hatte ihm versprochen nach Drehschluss ins Krankenhaus zu kommen. Astrate hatte sich seit dem Unfall wieder vollkommen verschanzt und ich kam nicht darum herum, ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache zu bekommen. Irgendetwas stimmte nicht und das lag nicht an Seth, zumindest nicht ausschließlich.

 

„Es ist nicht das Ufer … Mist!“, schrie Orlando genervt aus, nachdem er zum fünften Mal seinen Text vergessen hatte. Es war verständlich. Er hatte Anderes im Kopf und keiner machte ihm einen Vorwurf.

 

„Ich bekomm diese Zeile einfach nicht hin!“ Er war regelrecht wütend auf sich selbst, als er zu mir kam, um noch einmal in sein Skript zu sehen. Ich wusste, er brauchte Hilfe und was für eine Souffleuse wäre ich gewesen, hätte ich ihm nicht helfen können.

 

„Nicht das Ostufer bereitet mir Sorgen. Es ist eher ein bedrohlicher Schatten, der sich meiner bemächtigt. Irgendetwas zieht herauf, ich kann es spüren.“ Das Gefühl der Besorgnis hatte sich in meinem ganzen Körper ausgebreitet während ich diesen Satz gesprochen hatte. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich diesen Satz schon einmal gesagt. Pete und Orlando sahen mich erstaunt an.

 

„Das ist zwar nicht genau der Text, aber so nehmen wir’s!“, sagte Peter, riss mir das Skript förmlich aus der Hand und kritzelte darin herum. Orlando starrte mich immer noch verwundert an. Irgendetwas war komisch in diesem Moment. So, als wären wir beide an einem vollkommen fremden Ort, als wäre diese ganze Szenerie vollkommen falsch. Erst Peter riss uns beide wieder aus unserer Starre als er Orlando bat, wieder auf seine Position zu gehen.

 

Dieses Mal klappte es und als Orlando dran war, merkte ich, wie sein Blick langsam und besorgt zu mir glitt, so als spreche er genau mich damit an. Eine Gänsehaut durchfuhr meinen Körper und ich merkte, wie sich einige Muskeln anspannten, um bereit zu sein, jeden Moment aufzuspringen, wenn etwas passieren sollte. Daher schreckte ich hoch, als Peter vollkommen begeistert lachend aus seinem Stuhl aufsprang.

 

„Du bist die beste Souffleuse der Welt“, flüsterte mir Orlando dann ins Ohr und umarmte mich dankbar. Ich lächelte. Ich hatte schon am Morgen bemerkt, dass sich Orlando sehr gefreut hatte, mich am Set zu sehen. Er und die anderen waren aus den Trailern gekommen und hatten mich erst relativ spät gesehen. Er war wie angewurzelt auf der Stelle stehen geblieben und hatte mich einfach nur mit einem unbestechlichen Lächeln angesehen. Die anderen, damit meine ich Billy, Dom und Elijah, waren sofort auf mich zugerannt und hatten mich umarmt, wobei sie mich wohlgemerkt beinahe umgeschmissen hätten. Dann war Viggo gekommen und hatte Orlando freundschaftlich auf den Rücken geschlagen, um ihn wieder in Bewegung zu setzten, doch es sah nach mehr aus. Es sah aus wie eine Unterstützung, so als wüsste Viggo etwas und versuchte ohne Worte mit Orlando zu kommunizieren. Auch das grinsende Kopfschütteln danach ließ mich grübeln. Aber bei Viggo konnte man sich nie sicher sein, was gerade in seinem Kopf vorging.

 

Er schien in seiner eigenen, phantastischen Welt zu leben. Er war ein wahrer Künstler. Maler, Musiker, Fotograph und Schauspieler in einem und alles bis zur Perfektion. Viele seiner Bilder fesselten mich stundenlang, wenn ich eines von ihnen einmal zu Gesicht bekam. Jedes erzählte seine ganz eigene Geschichte. Hier sprach ein Bild nicht nur 1000 Worte, sondern es verfasste ganze Romane. In jeder freien Minute schoss er Bilder und keines von ihnen war wertlos oder unbedacht. Jedes hatte seine Interpretation, jedes seine Bedeutung. Die die Fotos, die etwas mit dem Film und dem Team zu tun hatten, klebte er Rund um den Spiegel in seinem Trailer, bis kaum noch etwas davon zu sehen war. Immer wieder war es ein Erlebnis, ihn zu betreten um nachzusehen, welche neuen Bilder nun da hingen. Und zu meiner Verwunderung war ich bereits auf manchen Bildern verewigt worden. Es zeigte, wie verbunden ich doch jetzt schon mit diesem wunderbaren und einmaligen Team war. Viele dieser Menschen waren zu meinen Freunden geworden und dafür musste ich unheimlich dankbar sein.

 

„Was denkst du?“ Ich zuckte leicht zusammen als Viggo plötzlich hinter mir stand. Aber er jagte mir keinen außergewöhnlichen Schrecken ein.

 

„Ich denke was ein unglaubliches Glück ich hatte, euch alle kennenzulernen. Ich meine, normalerweise braucht es Jahre, um Freundschaften aufzubauen, aber hier? Ich kenne euch gerade einmal ein Jahr und dennoch zähle ich viele zu meinen engsten Freunden“, sagte ich und Viggo sah mich leicht lächelnd an. Er erinnerte mich sehr an Aragorn und das nicht nur wegen dem Kostüm, in dem er immer noch steckte. Er hatte einfach diese Ausstrahlung, dieses Gefühl, das er verbreitete, wenn man in seiner Nähe war, eine sanfte und dennoch bestimmte Autorität.

 

„Vielleicht kennen wir uns ja nicht erst seit einem Jahr“, bemerkte er kurz und verschwand dann auch schon wieder. Ich wusste nicht, wie er das gemeint hatte, aber ich war mir sicher, er würde es mir auch nicht genauer erklären wenn ich ihn fragte. Es war wahrscheinlich einmal wieder eine seiner philosophischen Antworten gewesen, die man erst verstand, wenn man lange und angestrengt darüber nachdachte. Doch dafür hatte ich nun keine Zeit, denn ich hatte Orlando versprochen, mit ihm nach Seth zu sehen.

 

2 Wochen nach dem Unfall waren Seth‘ kleine Knochen wieder soweit geheilt, dass Orlando ihn wieder mit nach Hause nehmen konnte. Doch Astrate weigerte sich strickt, sich um den Kleinen zu kümmern. Ob aus Angst ihm wieder wehzutun oder aus einem anderen Grund, wusste ich nicht.

 

Orlando war vollkommen verzweifelt mit dem Kleinen zum Set gekommen, weil er nicht gewusst hatte, wo er ihn hinbringen sollte und daher hatte ich mich bereit erklärt, mich um den kleinen Wonneproppen zu kümmern. Ich hatte Seth sehr in mein Herz geschlossen und ich musste mir selbst eingestehen, dass ich in gewisser Weise froh war, dass Astrate ihn ablehnte, denn so konnte ich mich mehr um ihn kümmern. Auch wenn das wahrscheinlich grausam klingt, aber ich war sowieso der Meinung, dass Astrate keine gute Mutter war.

 

Auch alle anderen schlossen Seth schnell ins Herz und so hatte er bald eine ganze Schar von Aufpassern. Meistens jedoch wiegte ich ihn in meinen Armen oder trug ihn in einem Tragegurt mit mir herum. Natürlich, mit meinem immer noch kaputten Bein war es etwas beschwerlich, aber ich nahm es gerne auf mich. Außerdem war es nun schon 7 Wochen her, dass ich gefallen war und langsam konnte ich, zwar mit Schiene, aber schon ohne Krücken mehrere Stunden laufen. Den ganzen Tag klappte es noch nicht und ich wollte auch nicht, dass sich die Lage verschlimmerte.

 

"Rian und Ben werden weg ziehen." Maria war abends mit Tränen in den Augen in unserem Restaurant erschienen und ich wusste, dass es ihr alles andere als gut ging. So hatte ich sie noch nicht gesehen. Ich wusste, dass sie eine enge Bindung zu Rian hatte, doch dass ihr deren Umzug so zusetzen würde, hatte ich nicht erwartet. Natürlich, nach dem Tod ihrer Eltern war Rian die einzige Familie gewesen, die Maria noch gehabt hatte, aber beide lebten ihre eigene Leben und durch Marias Arbeit am Set sahen sie sich sowieso selten. Aber ich konnte sie auch verstehen. Sie hatte zumindest immer die Möglichkeit gehabt, zu Rian zu gehen. Aber wenn die beiden nun, wie sie es schon lange vorgehabt hatten, nach Australien ziehen würden, dann war es fast unmöglich unangekündigt und spontan zu Rian zu kommen. Natürlich, auch ich fand es schade, immerhin hatte ich mich auch gut mit den beiden verstanden. Außerdem würde es für meine Eltern heißen, dass sie sich nun nicht nur eine, sondern 2 neue Kellner suchen mussten.

 

„Sie ist doch nicht aus der Welt, und immerhin gibt es Telefone und das Internet“, versuchte ich sie zu trösten, doch es war kein wirklicher Trost, das wusste ich. Alles, was ich nun machen konnte, war für sie da sein und ihr zuhören. Und ich wusste auch, dass das alles war, was sie verlangte. Natürlich tat ich ihr diesen Gefallen gerne und so entschlossen wir kurzer Hand, dass sie die Nacht über hier bei uns bleiben würde und wir am nächsten Morgen zusammen zur Arbeit fuhren.

 

Wie zwei Teenager machten wir die ganze Nacht durch und quatschten unablässig, nachdem sich Maria wieder beruhigt hatte. So erfuhr ich, dass sie und Elijah inoffiziell ein Paar waren. Sie wollten es geheim halten, da Maria der Presserummel viel zu viel war. Ich aber sollte nun die einzige sein, die es wissen sollte. Natürlich schwor ich ihr meine Verschwiegenheit. Welchen Vorteil sollte ich auch davon haben, wenn ich es jemandem verriet. Kein Geld der Welt war der Verlust einer Freundschaft wert. Ebenso erzählte sie mir vertraulich, dass Dominic wohl nun tatsächlich wieder jemanden gefunden hatte.

 

Natürlich war es komisch das zu hören, aber andererseits freute ich mich für ihn. Er hatte es verdient schnell wieder jemanden zu finden. Er war ein guter, liebenswerter Mann und ich war froh, dass ich ihn trotz unserer eher mittelmäßigen Beziehung immer noch zu meinen Freunden zählen konnte.

 

Am nächsten Tag drehten wieder am Hutt River, um auch die letzten Szenen vom Anduin in den Kasten zu bekommen. Schon früh am Morgen schien die Sonne auf unser Set und wir freuten uns alle auf einen wunderbaren Tag. Peter hatte sich entschlossen, die Dreharbeiten an die Sonne anzupassen und verlegte das Set von der rechten auf die linke Flussseite. Die Sonne spielte dort ein wunderbares Schauspiel und es passte so gut zu Mittelerde wie nichts anderes. Mit Kanus und anderen kleinen Boten ließ er, während die Schauspieler gerade in der Maske waren, die gesamte Ausrüstung auf die andere Seite transportieren. Der Fluss war nicht sonderlich tief, aber dadurch laufen konnte niemand, außer vielleicht Tall Paul, das Size Double für Viggo. Aber Tall Paul konnte auch nicht die gesamte Ausrüstung tragen. Leider hatten wir nur 3 Bote, womit das herüber transportieren nicht gerade eine einfache Übung war. Wir waren erst fertig, gerade als Viggo und die anderen aus ihren Trailern kamen.

 

Dann, wir hatten gerade einmal einige Takes gedreht, begann es auf einmal in Strömen zu regnen. Peter war der Meinung es würde bald aufhören und es würde sich lohnen zu warten. Er stellte sich unter einem provisorisch errichteten Zelt unter, unter dem auch schnellst möglich alle Ausrüstungsgegenstände gebracht wurden. Orlando hatte sich Seth geschnappt, der Kleine konnte ja unmöglich in diesem Regen draußen bleiben, und war mit ihm über das Ufer gepaddelt. Einige waren seinem Beispiel gefolgt, bis nur noch einige wenige bei uns waren.

 

Zu unser aller steigenden Besorgnis stoppte der Regen nicht. Im Gegenteil, er schien noch stärker zu werden. Als dann Peters Handy klingelte und Miora, eine der Drehassistentinnen, bei ihm anrief, um ihm vor dem steigenden Fluss zu warnen, war es bereits zu spät. Wir hatten es erst zu spät bemerkt und so stand ich mit 20 anderen zusammen auf der falschen Seite des Flusses, eingekesselt von Gestein und Wasser.

 

Aber das, was mir am meisten Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass auch BK noch bei uns war. Er konnte keinen Meter weit schwimmen und hatte nebenbei auch noch Angst vor Wasser. Wenn ich mich so recht umsah war die Ausbeute nicht gerade rosig. Ich konnte noch nicht richtig laufen, BK, Phon und Martin waren zu klein, um ein Boot selbstständig fahren zu können, und dann war da natürlich noch die ganze Ausrüstung.

 

„Okay, wir nehmen Phon, BK und Martin, ein bisschen von der Ausrüstung und gehen mit den Booten rüber“, beschloss Pete, während er den Arm um mich legte, um mich in eines der Boote zu bugsieren. Ich wollte aber nicht. Ich war verletzt, sicher, aber ich wollte nicht behandelt werden, als sei es so. Natürlich war das im Nachhinein betrachtet mehr als leichtsinnig, aber ich wollte es so. Es war mir wichtig, dass die Kleinen, und vor allem BK, und die wichtigste Ausrüstung in Sicherheit waren. Peter hatte es geschafft, so viele schöne Momente auf Band zu bekommen. Ich wollte nicht, dass das alles verloren ging. Also wartete ich. Auch einige andere warteten auf die nächste Chance, auf die andere Seite des Flusses zu kommen und langsam, als die drei Boote gerade auf der anderen Seite angekommen waren, fingen wir an nasse Füße zubekommen. Keine von uns bekam Panik, aber es war dennoch kein tolles Gefühl.

 

Zu unserem großen Glück war der Hutt River keiner dieser reißenden Flüsse, wie es sie in Queensland gab. Sonst hätte es wahrscheinlich nur die Hälfte der Crew geschafft, heil wieder rüber zu kommen. Aber so schafften wir es alle und feierten dies auch am Abend ausgiebig in einer kleinen Kneipe zusammen mit Peter. Es war schon komisch wie Peter versuchte, trotz der Größe dieses Projektes alles familiär zu halten. Jeder kannte hier jeden und es machte diesen Dreh zu etwas Besonderem, zu etwas, an das man sich noch Jahre später erinnern würde.

 

 

 

 

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