
-Fanfiktion Autorin Nefertari442-
Nefertari Amun
Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.
~ Albert Einstein

Kapitel 17
Aussprache
Zwei Wochen später hatte sich an der Lage immer noch nicht viel geändert. Ich lag immer noch im Krankenhaus und die meiste Zeit saß Orlando mit seinem Sohn Seth, dem die Krankenschwestern mittlerweile ein Rollbares Beistellbett zur Verfügung gestellt hatten, bei mir, denn Astrate wollte immer noch niemanden sehen. So sehr ich sie auch verabscheut hatte, das, was ihr widerfahren war, hatte sie nicht verdient, das verdiente niemand. Doch irgendwie hatte ich auch wieder ein ungutes Gefühl, das ich nicht unterdrücken konnte. Irgendetwas stimme nicht, doch ich konnte es nicht fassen. Wenn immer ich eine Hand danach ausstreckte, zerflog der Gedanken wie Nebel, in den der Wind blies. Es war, als wäre die Antwort ganz nah und es machte mich förmlich verrückt. Ich würde warten müssen, bis es ich umringte, bis der Nebel überall um mich war.
„Der Kleine fühlt sich bei dir richtig wohl“, bemerkte Orlando, als ich Seth seine Flasche gab. Er lächelte leicht. Es war das erste Mal, dass ich ihn seit einer Woche wieder lächeln sah. Aber ich musste ihm Recht geben. Seth war der erste Säugling, den ich in den Armen hielt und es fühlte sich richtig an. Es fühlte sich an, als seien meine Arme dafür geschaffen, ein kleines Kind zu wiegen.
„Was wirst du jetzt machen? Ich meine, wenn Astrate ihn abstößt?“ Orlando sah mich verwundert an. War ihm das noch nicht in den Sinn gekommen? Hoffte er, dass alles wieder gut sein würde, sobald seine kleine Familie zu Hause war? Ich bezweifelte das. Ich befürchtete, dass sie Seth nicht vergessen konnte, dass er alleine überlebt hatte. Natürlich, es war grausam, so etwas zu sagen, aber so, wie sich Astrate verhielt, musste man zumindest darüber nachdenken.
„Das wird nicht passieren. Seth ist unser Sohn. Sie muss nun damit klar kommen, dass wir nur ihn haben“, sagte Orlando, fast so, als überrede er sich selbst. Ich blickte indes wieder auf das kleine Bündel in meinem Arm. Der kleine wusste noch nichts von den Problemen, die in seiner Familie herrschen würden. Er war vollkommen zufrieden und alles, was seine kleine Welt zerstören konnte, war, wenn er nicht rechtzeitig etwas zu Essen bekam oder wenn er Bauchschmerzen hatte. Teilweise beneidete ich ihn dafür. Auch ich wäre gerne einmal wieder so sorglos gewesen, doch ich wusste, dass das nicht möglich war.
„Wie geht es deinem Bein?“, fragte Orlando dann nach einer kurzen Zeit des Schweigens, in der wir den kleinen Seth beobachtet hatten.
„Wieder besser. Ich kann zwar noch immer nicht auftreten, aber die Schmerzmittel tun ihren Dienst. Das einzige Problem ist nur, dass ich wohl die nächste Zeit erst mit einem Rollstuhl und dann mit Krücken rumlaufen muss“, sagte ich und verdrehte meine Augen missmutig. Ich hatte weiß Gott etwas Besseres im Sinn gehabt, als mit Krücken durch die Gegend zu laufen, geschweige denn mit einem Rollstuhl gefahren zu werden. Ich hatte nur Glück, dass ich das Praktikum an der Schule nun abschreiben konnte, denn mit einem Rollstuhl hätte ich dieses Gebäude sicherlich nicht betreten.
„Aber ich werde übermorgen entlassen“, sagte ich und irgendwie freute ich mich gar nicht richtig darüber. Wenn ich entlassen wurde, dann würde Orlando nicht mehr den ganzen Tag mit Seth bei mir sein und er müsste in seiner Trauer um seine Tochter mit sich selbst klar kommen. Dann könnte ich ihm nicht mehr helfen. „Aber denk bloß nicht, dass du dann nicht mehr mit dem Kleinen zu mir kommen sollst“, fügte ich dann noch hinzu. Orlando lächelte und es steckte an.
„Ich danke dir, Teti. Du bist die beste Freundin, die sich jemand nur wünschen könnte“, sagte er dann und umarmte mich herzlich. Plötzlich wurde alles schwarz um mich, aber nicht negativ. Es war, als würde ich weggezogen, als hätte diese innige Umarmung mit Orlando irgendetwas ausgelöst.
Als ich meine Augen wieder öffnete, befand ich mich in meinen Gemächern, in denen einige meiner Dienerinnen herum wuselten. Sie sammelten die letzten Kleidungsstücke und Pflegemittel ein, denn ich würde auf eine Reise gehen. Eine Reise, von der ich nicht alleine zurückkehren würde.
Liebevoll strich ich über meinen mehr als gewölbten Bauch und spürte sogar, wie das junge Leben darin mir antwortete. Dieses Mal würde es klappen, da war ich mir sicher. Die Zuversicht erfüllte alles in mir und ließ mich seit langem endlich wieder glücklich sein. Seitdem ich auf dem Weg nach Byblos mein erstes Kind verloren hatte, war eine Dunkelheit über mich gekommen, die nicht vergangen war. Höchstens Ramses selbst war in der Lage gewesen, diese Dunkelheit für kurze Momente zu vertreiben, doch sie war immer wiedergekommen.
Seit man jedoch sehen konnte, dass ich guter Hoffnung war, war diese Dunkelheit gewichen. Der Heiler hatte mir mehrmals versichert, dass die Götter mir wohl gesonnen waren und uns mit dem Thronfolger belohnen würden, auf den Ramses so sehr wartete. Und ich würde es sein, die ihm ihn gebar, denn Isisnofret war noch einige Tage davon entfernt, meine Reise zu den Häusern der Geburt anzutreten. In den letzten Monaten hatte sich unser Verhältnis nicht gebessert. Sie versuchte bei allen Möglichkeiten, die sich ihr boten, mich auszustechen, sich als die bessere Große Königliche Gemahlin dazustellen.
Sie hatte eigentlich nur Glück gehabt. Nun, da ich tatsächlich ein Kind erwartete, brauchte Ramses keine zwei offiziellen Gemahlinnen, aber er konnte ihren Titel nicht mehr rückgängig machen. Natürlich wusste auch sie, dass sie nur eine zurück gestellte Rolle im Leben des Pharao hatte und dass mir seine ganze Liebe und Partnerschaft gehörte und das verargte sie. Wahrscheinlich konnte sie es nicht ertragen, nicht vollkommen im Licht zu stehen, dass sie nur Ramses’ Gespielin war, während er mit mir alles teilte.
Aber sie konnte es nicht verstehen. Sie war durch menschliche Taten zu Ramses gekommen. Bei mir war es, dessen war ich mir mittlerweile bewusst, göttliche Fügung gewesen. Alle Sorgen, die ich mir einmal gemacht hatte wegen meiner Flucht aus dem Tempel und dem Haus meiner Mutter, waren vergangen. Ich hatte das Richtige getan und die Götter dankten es mir nun mit einem Sohn.
„Du brichst bald auf?", fragte er mich, als er plötzlich neben mir stand. Ich nickte nur still und setzte mich auf das Ende meines Bettes. Bei jemand anderem, der so leise in mein Gemach gekommen war, wäre ich sicherlich mehr als erschreckt gewesen. Doch ich hatte schon lange gespürt, dass er auf dem Weg zu mir gewesen war. Ich war also auf sein Kommen vorbereitet gewesen. Er wollte sich von mir verabschieden. Mir einen Teil seiner, durch die Götter verliehenen, Stärke mit auf meinen Weg zu geben. Zärtlich legte er seine warmen Hände auf meinen gewölbten Unterleib. Sie waren warm, genauso wie das Lächeln, das nun seine Lippen umspielte.
„Ich freue mich bereits auf eure Rückkehr. Gib unserem Sohn einen starken Namen, Liebste. Den wird er brauchen in dieser Welt“, sagte er und sah mir tief in die Augen. Ich wusste, was er meinte. Hier bei Hofe musste er die Stärke haben, das zu erkennen, was richtig war. Er musste irgendwann Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht von den Leuten bei Hofe anerkannt wurden, aber richtig waren. Als Sohn des Pharao und Thronfolger musste er schnell lernen, wer es ernst mit ihm meinte und wer nur versuchte, ihn und seine Position zu missbrauchen.
„Das werde ich tun und sei du nicht aus Sorge über unseren Verbleib abgelenkt. Du hast wichtige Entscheidungen zu treffen“, sagte ich und legte meine Hand auf seine. An das Kribbeln, das mich immer wieder aufs Neue durchfuhr, wenn ich ihn berührte, hatte ich mich mittlerweile gewöhnt. Auch wenn es mir immer wieder aufs Neue zeigte, welche Verbindung wir hatten. „Wir werden noch vor der Überschwemmung wieder an deiner Seite sein“, sagte ich und irgendetwas sagte mir, dass dies die Wahrheit war. Seit langem hatte ich wieder das Gefühl, von den Göttern begleitet zu werden. Dieses einmalige Gefühl, das ich auch in meiner Zeit als Priesterin gehabt hatte. Amun und sicherlich auch Mut waren bei mir und würden auf meinem nun folgenden Weg auf mich achten.
Ich wollte gerade aufstehen um den Palast nun mit einigen meiner Dienerinnern, darunter auch Nibui, zu verlassen, doch Ramses zog mich zu sich, umarmte mich mit all seiner Liebe und Zuneigung für mich und ich schloss genießend meine Augen.
Und plötzlich war ich wieder im hier und jetzt, immer noch in Orlandos Umarmung. Ich erschrak, denn ich fühlte genau, was Nefertari in meinem Traum bei der Umarmung mit Ramses gefühlt hatte. Es war fast, als hätte sich nur die Umgebung verändert. Orlando drückte mich fester und ohne es erklären zu können, spürte ich, wie etwas zwischen uns ausgetauscht wurde. Etwas, das ich nicht verstehen oder greifen konnte. Verwirrt löste ich mich langsam von ihm und der kleine Seth, der gerade noch friedlich in seinem Beistellbett geschlafen hatte, begann zu weinen.
Als wäre es das Natürlichste der Welt nahm ich ihn aus dem Bettchen das direkt neben meinem Stand. Ich merkte, wie Orlandos Augen auf mir ruhten, lächelnd. Es kam mir fast so vor, als würde er die Mutter des Kleinen beobachten und sie für ihre Zärtlichkeit bewundern, als liebte er die beiden Personen, die er da sah, so sehr, dass er es niemals mit Worten ausdrücken konnte.
Doch das konnte und durfte nicht sein. Ich musste mir es einbilden. Weder war ich Seth Mutter, noch liebte Orlando mich.
„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist die Göttin Isis, die Horus wiegt“, sagte er und ich sah ihn verwirrt an. Wie kam er bitte auf einmal auf die ägyptischen Götter? Hätte er nicht eher an Maria und Jesus denken sollen, als an Isis und Horus?
„Na ja... da der Kleine hier Seth heißt, müsste ich ihn wohl eher loslassen“, sagte ich scherzend und hob den Kleinen vor mein Gesicht, um ihm einen kurzen Kuss auf die Stirn zu geben. „Immerhin hat Seth laut dem Mythos Osiris getötet und der war nun einmal der Gemahl von Isis“, sagte ich, doch auf einmal kam mir etwas anderes in den Sinn. Seth, Sethos. Konnte es ein Zufall sein, dass Orlando sich diesen Namen für seinen Sohn ausgedacht hatte?
Nein, ich musste damit aufhören. Ich konnte ja wohl nicht mehr ganz bei Trost sein über irgendeine Verbindung zwischen den beiden Zeitaltern nachzudenken. Natürlich war es in einer Hinsicht Zufall. Wahrscheinlich hatte Orlando sich einen ägyptischen Namen für seinen Sohn ausgedacht, der auch bei uns gebräuchlich war, und das war nun einmal Seth.
„Ich denke nicht, dass du irgendein Kind nicht mögen könntest“, sagte Orlando und sah mich warm lächelnd an. Aber er hatte recht. Bis jetzt hatte ich jedes Kind gemocht, das mir über den Weg gelaufen war. Aber Seth, der Kleine war etwas Besonderes. Vielleicht, weil er das erste Baby war, das ich nur einen Tag nach seiner Geburt auf dem Arm hatte, oder vielleicht auch, weil er Orlandos Sohn war.
Eine Woche später hatten sich meine Befürchtungen, Orlando und den kleinen Seth nicht mehr zu sehen, in Rauch aufgelöst. Astrate weigerte sich immer noch, sich um den kleinen Seth zu kümmern und langsam verzweifelte Orlando daran. Immer öfter kam er mit dem Kleinen zu uns ins Restaurant. Meine Eltern waren bezaubert von dem kleinen Jungen und auch Hirchop, der eigentlich keinen Bezug zu Kindern hatte, lächelte den Kleinen immer an, wenn er einmal seine Augen auf hatte. Auch Dominic war eigentlich jeden Tag im Restaurant und auch er war verzaubert von Seth. Es war schön zu sehen, wie er mit dem Kleinen umging, wie vorsichtig er war. Er würde sicherlich ein guter Vater werden, doch ich musste mir eingestehen, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte, die Mutter dieser Kinder zu sein. Er hatte eine bessere Frau verdient, eine Frau, die ihn wirklich liebte.
„Teti, können wir einmal reden?", fragte er, als ich den kleinen Seth gerade in ein provisorisches Bettchen gelegt hatte. Ich nickte und irgendwie wusste ich bereits, um was es ging. Das einzige, was ungewiss sein würde, war die Form, in der wir wieder zu den anderen kommen würden. Ich sah auf dem Weg in den hinteren Teil des Restaurants, wie Dom sich auf die Lippe biss. Das tat er immer, wenn er nervös war. Anscheinend war auch er sich nicht sicher, wie diese Sache ausgehen würde.
„Teti, ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll... es... es..." Er druckste rum. Was war nur passiert? „Nein, du verdienst eine richtige Erklärung“, rief er sich selbst zur Vernunft. Ich starrte ihn nur an. „Du weißt, zwischen uns beiden lief es nicht mehr gut in letzter Zeit. Ich sage nicht, dass du daran Schuld bist... aber... na ja... Ich habe mich in jemanden verliebt... Es tut mir so unendlich leid, Teti“, stammelte er und ich sah ihn immer noch ungläubig an. Aber nicht, weil ich enttäuscht war. Natürlich war es nicht gerade schmeichelnd, wenn sich der momentane Freund in jemand anderen verliebte, aber er hatte recht, es lief nicht mehr so gut.
Sein Blick verriet mir, dass er von mir einen Ausbruch erwartete, der Astrate blass hätte aussehen lassen, aber der Ausbruch kam nicht. Im Gegenteil, ich atmete schon fast erleichtert durch und das verwunderte Dominic.
„Dom, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ja, es lief nicht mehr gut zwischen uns. Aber um ehrlich zu sein bin ich froh, dass du dich verliebt hast. Das macht die ganze Sache einfacher“, sagte ich und sein Blick wurde nicht gerade klarer. „Dom, ich liebe dich, ja. Aber nicht wie eine Frau einen Mann lieben sollte. Du bist ein wichtiger Mensch in meinem Leben, aber nicht der wichtigste. Um ehrlich zu sein gibt es keinen, dem ich das zuschreiben könnte“, versuchte ich ihm zu erklären und nun klärte sich auch sein Blick und auch er schien erleichtert zu sein, dass ich ruhig geblieben war.
„Vielleicht musste es so kommen“, bemerkte Dominic und umarmte mich. Natürlich war es ein komisches Gefühl, aber nun waren wir kein Paar mehr. Wir waren Freunde, die sich umarmten. Es war ein Abschluss dessen, was wir gedacht hatten, zusammen zu haben.
Als wir wieder heraus kamen war Orlando mit Seth verschwunden und meine Mutter erklärte mir, dass Astrate wohl aus dem Krankenhaus entlassen wurde und dass Orlando sich nun um seine Frau und sein Kind kümmern musste. Er hatte Glück, dass gerade die sommerliche Drehpause begonnen hatte und er somit genügend Zeit hatte, um sich um seine kleine Familie zu kümmern. Es würde sicherlich schwer werden, Astrate den kleinen Seth näher zu bringen.