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Kapitel 16

 

Schreckliche Nachricht

 

 

 

 

Am nächsten Tag blieb mir nicht viel Zeit um mich über meinen Traum zu wundern. Nachdem ich für eine halbe Ewigkeit wach gelegen hatte und über die bevorstehende OP nachgedacht hatte, war ich tatsächlich noch einmal eingeschlafen. Leider war dieser Schlaf nur sehr kurz gewesen, denn um halb Acht gab es für meine Zimmernachbarin bereits das Frühstück. Für mich gab es nur ein kleines Paket mit einem OP-Nachthemd, einer Haube für die Haare, einem Paar Thrombosestrümpfen und einer Tablette zur Beruhigung. Als ich dieses Paket langsam auspackte, merkte ich, wie mein Puls zu rasen begann.

 

All das erinnerte mich an diese Krankenhausserien, die man immer wieder im Fernsehen sah. Und darin kam es nur allzu oft vor, dass eine Routineoperation gewaltig schief lief. Wer wusste schon was passieren würde. Vielleicht vertrug mein Körper das Narkosemittel nicht, oder sie vergaßen irgendein Werkzeug in mir und ich würde schreckliche Schmerzen haben, wenn ich aufwachte. Vielleicht würde ich auch gar nicht mehr aufwachen.

 

Doch meine Größte Angst war es, dass die Narkose nicht so wirkte wie sie es sollte und ich bemerken würde, wie sie an mir herumwerkeln würden. Ich hatte Angst, alles mitzubekommen und mich nicht verständlich machen zu können. Mein Puls stieg immer weiter, während ich langsam in einem kleinen, im Zimmer befindlichen Umkleideraum, das OP-Nachthemd und die anderen Utensilien anzog.

 

„Mach dir keine Sorgen. Du wirst überhaupt nichts mitbekommen. Im einen Moment reden die noch im OP mit dir und im nächsten wachst du total benebelt auf und alles ist vorbei“, sagte die junge Frau neben mir. Ich wusste, sie wollte mir nur Mut machen und mir helfen, aber das konnte ich im Moment echt nicht gebrauchen. Am liebsten wäre ich alleine in meinem Zimmer gewesen.

 

„Hey! Na, wie geht es dir?“ Ich hatte gar nicht gesehen, wie die Tür aufging, aber irgendwie wusste ich trotzdem, wer da in der Tür stand, auch bevor er etwas gesagt hatte. Meine Bettnachbarin sah mit offenem Mund zu Tür. Anscheinend hatte sie nicht erwartet, dass der Blondschopf von gestern eigentlich dunkelbraune Haare hatte und auch in anderen Klamotten als dem Elbenkostüm herumlief.

 

„Etwas nervös, aber sonst.“ Was mich an mir selbst wunderte, war, dass ich eben noch am liebsten alleine gewesen wäre. Nun war ich allerdings froh, dass Orlando hier war. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht, ob ich meine Mutter oder sogar Dominic nicht vielleicht weggeschickt hätte. Aber bei Orlando war es etwas anderes. Ich wusste, er konnte mich auf eine Weise beruhigen, wie es niemand anderes konnte. Das hatte ich in mittlerweile fast einem Jahr, in dem wir uns kannten, herausgefunden.

 

Und wie ich erwartet hatte, als er meine Hand in seine nahm, merkte ich, wie er mir einen Teil meiner Unruhe nahm. Doch ich merkte auch, dass seine Hand leicht zitterte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, doch ich konnte es nicht benennen und ich entschied mich noch etwas abzuwarten. Vielleicht sprach er sein Problem von ganz alleine an. Dann reichte er mir ein Glas mit stillem Wasser und ich nahm die Beruhigungstablette.

 

„Du brauchst dich wirklich nicht fürchten, Teti. Glaub mir, kaum bist du im OP, bist du auch schon wieder draußen, auch wenn eigentlich einige Minuten vergangen sind.“ Eben noch hatte ich die Frau verflucht, dass sie mir diese Tipps geben wollte, doch jetzt, von Orlando, fühlten sie sich ehrlicher an.

 

War es bei Dominic genauso? Hätte Dom mich auch so beruhigen können wie er? Um ehrlich zu sein musste ich mir eingestehen, dass er es nicht gekonnt hätte und das war der springende Punkt. Ich liebte Dom, ja. Er bedeutete mir sehr viel. Ob es an den langsam wirkenden Beruhigungsmitteln lag oder an meiner Panik, die meine Gedanken durcheinander brachte, ich wusste es nicht. Aber die Liebe zu Dom hatte sich gewandelt. Ich liebte ihn nicht mehr als Partner, als Liebhaber, sondern wie ein sehr wichtiges Familienmitglied, das man nicht verlieren wollte, wie einen Bruder, eine Schwester oder gar die Eltern. Nur es gab ein Problem.

 

Ich hatte Angst ihn zu verlieren, wenn ich ihm sagte, was los war, wenn ich ihm offenbarte, wie sich meine Gefühle für ihn verändert hatten. Aber wenn er mich doch noch so liebte wie früher, wäre er dann nicht auch gekommen? Warum war es nur Orlando, der mich besuchte?

 

„Deine Mutter ist übrigens gestern noch reingekommen bevor ich gegangen bin. Aber wir wollten dich schlafen lassen. Dom hatte auch angerufen, aber wir haben ihm gesagt, er kann ruhig zu Hause bleiben.“ Und da war auch meine Antwort. Es war echt gespenstig, wenn so etwas passierte. Es war, als könnte Orlando meine Gedanken lesen und wüsste genau, was mich gerade beschäftigt.

 

„Wie… wie geht es eigentlich Astrate?“, fragte ich, eigentlich aus keinem besonderen Grund, doch an seinem Blick sah ich, dass auch ich die Gabe zu besitzen schien, ihm anzusehen, was nicht stimmte.

 

„Sie… sie wird gerade operiert, ein Notkaiserschnitt. Unsere Kleine hat sich wohl die Nabenschnur um den Hals gelegt und hätte sich beinahe selbst erwürgt.“ Erschrocken schlug ich meine Hand vor den Mund. So sehr ich Astrate auch verabscheute, so etwas wünschte ich keinem. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, welche Sorgen sie wohl gehabt haben musste.

 

Und Orlando erst. Da saß er hier bei mir und beruhigte mich, während seine Verlobte im OP lag und sein Kind, anscheinend doch ein Mädchen, kurz davor war, tot geboren zu werden. Ich konnte kaum Worte finden und auf einmal war das benommene Gefühl der Schmerztabletten vergangen. Ich war wieder voll da.

 

„Ich bin mir sicher, die Ärzte bekommen das schon hin“, sagte ich und zog meine Hand aus seiner. Dann erwiderte ich seine Geste und nahm seine Hände in meine. Sie zitterten. Ich blickte kurz zu meiner Bettnachbarin und sie schien zu verstehen, was ich wollte. Mit Hilfe ihrer Krücken stand sie auf und verließ das Zimmer. Ich wollte nicht, dass jemand mitbekam, wie Orlando einen schwachen Moment hatte.

 

Als die Tür wieder verschlossen war sah ich ihm tief in die Augen und ich sah, wie sehr er sich tatsächlich zurück hielt. Ich sah wie die Haut um sein Kinn und seine Lippen bebten und ich wusste, am liebsten hätte er sich wie ein kleiner Junge zusammengerollt und geweint. Ich wollte ihm irgendwie verständlich machen, dass er genau das tun konnte, wenn er es wollte. Doch er blieb stark, stark wie ein Fels in der Brandung.

 

„Wir müssen Sie jetzt nach unten bringen.“ Ich hatte gar nicht gemerkt, wie die Krankenschwester die Tür geöffnet hatte, so sehr war ich in meinen Gedanken versunken gewesen. Auch Orlando, der immer noch aus dem Fenster starrend neben mir saß, hatte sie nicht bemerkt. Erst als sie vorsichtig ihre Hand auf seine Schulter legte, schreckte er hoch und stand auf.

 

„Wenn du wiederkommst, besuche ich dich mit meiner Tochter“, sagte er und ein Hoffnungsschimmer lag in seinen Augen. Ich nickte nur, denn meine Panik stieg wieder an. Was, wenn ich nicht wieder aufwachte? Aber darüber durfte ich gar nicht erst nachdenken. Ich musste wieder aufwachen, schon alleine damit Orlando, falls seiner Kleinen tatsächlich etwas passieren sollte, jemanden hatte, an den er sich stützen konnte.

 

Der Weg in den OP kam mir unheimlich lange vor. Vor allem aber war es unangenehm in einem Bett geschoben zu werden. Ich fühlte mich gefangen. Ich konnte nicht mehr entkommen, obwohl ich nicht gefesselt war. Die Krankenschwester, die mich abgeholt hatte, versuchte unaufhörlich mir Mut zuzusprechen und merkte nicht, dass ich so etwas von ihr nicht hören wollte. Wahrscheinlich erzählte sie das auch den Patienten, die nach der OP nicht mehr aufwachten.

 

„So, Sie müssen noch einen Moment warten, aber dann sind Sie dran“, sagte sie, als sie mich in einen engen Gang vor dem OP schob. Immer und immer wieder liefen Schwestern oder Ärzte an mir vorbei, oder bereits Operierte wurden mit ihren Betten an mir vorbei in den Aufwachraum geschoben.

 

Hier und da sah ich die Krankenschwestern miteinander quatschen und lachen. Wie konnte man hier nur lachen? Die Leute, die hier waren, waren krank. Jeder hatte etwas anderes und manche auch etwas Lebensbedrohliches. Es erinnerte mich wieder an die Krankenhausserien, in denen sich die Ärzte und OP-Schwestern selbst während der OP über irgendwelche privaten Dinge unterhielten, oder sich sogar stritten oder telefonierten. Wie konnte man sich da bitte schön auf den Patienten konzentrieren, der vor einem lag? Wie konnte man da bitte gewährleisten, dass alles ohne Probleme verlief?

 

Dann kam eine der Schwestern und setzte mir einen Zugang, wahrscheinlich für die Narkose, in meinen Handrücken. Dieses eine Mal war ich froh darüber, dass man die Adern in meinen Händen gut sehen konnte, denn vermutlich hätte die Schwester sonst noch eine Ewigkeit nach einer gesucht und diese dicke Nadel war alles andere als angenehm.

 

Und dann ging es in die Höhle des Löwen. Mein Bett wurde genau neben den OP-Tisch geschoben und dann bat mich der Arzt, der mir durch seinen Mundschutz und die Mütze auf seinem Kopf sehr unheimlich vorkam, mich auf den Tisch zu legen. Naja, legen war nicht der Richtige Ausdruck. Mein Bett war genauso hoch wie der OP-Tisch was bedeutete ich musste mich nur mit meinem Gesunden Bein von meinem Bett abstoßen, um so auf den Tisch zu kommen.

 

Ich sollte mich also selbst als Opferlamm darbieten, na wundervoll. Um ehrlich zu sein hatte ich gehofft, dass ich zu dem Zeitpunkt, in dem ich in den OP kam, schon tief schlafen würde. Aber wie so oft verlief mein Leben einfach nicht nach Plan.

 

„Okay, es könnte sein, dass Ihre Hand nun etwas kribbelt. Zählen Sie bitte langsam bis zehn“, hörte ich dann eine Männerstimme neben mir, als ich mich auf den Tisch gerobbt hatte. Er war, um ehrlich zu sein, weicher als ich gedacht hatte, aber weiter gingen meine Gedanken nicht mehr.

 

„Sebu-wej. Senan sebqut! Jetej Hemet nisut weret Naptera! Sebu-wej.“

 

Benommen öffnete ich meine Augen, doch es fiel mir so schwer, dass ich sie nur für wenige Sekunden aufhalten konnte. Es war nicht lange genug, dass sich mein Blickfeld hätte klären können. Alles befand sich hinter einem großen Schleier.

 

„Haben Sie Schmerzen?“

 

„Sebu-wej“, sagte ich wieder benommen und fragte mich, warum die Frau mich nicht verstehen wollte. Sprach ich so undeutlich?

 

„Haben Sie Schmerzen?“, fragte sie abermals, so als wäre ich diejenige, die sie nicht verstehen würde.

 

„Senan sebqut“, sagte ich, doch dann merkte ich, wie mich die Erschöpfung wieder übermannte.

 

Als ich wieder aufwachte, merkte ich, wie jemand meine Hand hielt. Erst erwartete ich Orlando zu sehen, doch es war Dominic. Zumindest nahm ich das aufgrund der etwas kleineren Statur und der helleren Haarfarbe, die ich gerade so erkennen konnte, an. Doch er war nicht alleine. Neben ihm standen auch noch andere Personen, die ich durch die Entfernung nicht so gut erkennen konnte.

 

Ich war tatsächlich wieder aufgewacht, auch wenn ich mich nicht gerade wach fühlte. Um ehrlich zu sein fühlte es sich an als hätte ich so viel getrunken wie noch nie. Das Problem bei der Sache war, dass mir auch genauso schwindelig und schlecht war. Ich versuchte mich aufzurichten, um in Richtung Toilette zu gehen. Doch bereits, als ich meine Arme auf das Bett stützte, merkte ich, dass der Weg viel zu lang war und übergab mich.

 

Zu meinem großen Glück hatte meine Mutter, die anscheinend neben Dom saß, meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet und hatte mir sofort einen dieser Nierenbehälter gegeben, in denen die Ärzte normalerweise ihre Instrumente legten, nachdem sie sie gebraucht hatten. Anscheinend hatte ich die Narkose tatsächlich nicht so gut vertragen. Aber ich war froh, dass ich nüchtern war. Denn so kam nur etwas Flüssigkeit hoch und das Bedürfnis zu Brechen war bald vergangen. Nur der Schwindel, der blieb und so war ich wenig zu gebrauchen.

 

Am nächsten Morgen wurden wir wieder gegen halb acht geweckt, doch dieses Mal würde auch ich etwas zu essen bekommen. Ob ich es wirklich wollte, war noch fraglich, denn ich traute meinem Magen noch nicht ganz. Der Schwindel war zwar zum größten Teil vergangen, aber wer wusste schon, was passieren würde, wenn ich den ersten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

 

„Du kannst froh sein, dass du nicht an der Nase operiert wurdest. Meine Mutter hat 2 Tage lang Blut gebrochen“, sagte meine Bettnachbarin während dem Frühstück und damit hatte ich gegessen. Halb dachte ich mir, dass es eine Taktik von ihr gewesen war, denn kaum hatte ich mein Essen nicht mehr angerührt, fragte sie mich, ob sie es haben könne, da sie ja so einen Hunger habe.

 

„Geht es Ihnen besser? Haben Sie Schmerzen?“, fragte mich dieselbe Schwerster, die mich auch gestern im Aufwachraum betreut hatte.

 

„Ja, im Bein, aber das habe ich Ihnen doch schon gestern gesagt“, sagte ich und fühlte mich ehrlich gesagt etwas verarscht von dieser Schwerster. Warum fragte sie mich das erst jetzt wieder, wenn sie es gestern nicht verstanden hatte?

 

„Ich weiß nicht, was sie gestern gesagt haben, aber Englisch war das sicherlich nicht“, sagte sie trotzig und ging hinaus, um mein Schmerzmittel zu holen, wie ich hoffte.

 

„Hier, das soll ich dir mitbringen.“, sagte er und gab mir das Schmerzmittel das die Krankenschwester ihm gegeben hatte. Mein Herz erstarrte bei dem Anblick, der sich mir nun bot. Orlando war in mein Zimmer gekommen, doch sein Blick war nicht glücklich wie der eines frisch gebackenen Vaters sein sollte. Irgendetwas war schief gelaufen, fürchterlich schief. Ich starrte ihn fragend an während er durch das Zimmer zu mir kam. Sofort nahm ich seine Hand in meine und ohne auch nur darauf zu achten, dass jemand anderes mit im Zimmer war, sank sein Kopf in meinen Schoß.

 

Ich war froh, dass meine Bettnachbarin wieder so feinfühlig war und aus dem Zimmer ging, denn Orlando ging es sehr schlecht. Noch schlechter als mir und das sollte bei den Schmerzen, die ich in meinem Bein hatte, schon etwas heißen.

 

Ich merkte, wie Orlandos Körper sich immer schneller hob und senkte und dann immer wieder aussetzte. Er weinte, er weinte tonlos und alles, was ich tun konnte, war, ihm beruhigend über den Rücken zu streichen. Ich wollte ihn nicht fragen, was geschehen war, wollte seinen Schmerz nicht noch vergrößern. Er sollte es sagen, wenn er sich dazu bereit fühlte.

 

Ab und zu formte er wütend eine Faust und schlug sie, geistesgegenwärtig genug, sie nicht auf mein Bein selbst sausen zu lassen, auf die Matratze neben meinem Bein. Natürlich schmerzte auch die Erschütterung, doch ich hielt es aus. Ich hielt es aus, weil ich seinen Schmerz, zumindest in gewisser Weise, teilen wollte. Wenn tatsächlich das geschehen war, was ich vermutete, dann zerbrach sein Herz gerade in tausend kleine Splitter, die sich dann auch noch wie Schottergeschosse in sein Fleisch bohrten.

 

Wir sprachen kein Wort, selbst als Orlando wieder ging. Ich wusste, er brauchte Zeit.

 

„Was ist mit ihm?“, wollte meine Bettnachbarin, deren Namen ich immer noch nicht kannte, wissen. Ich zuckte nur mit den Schultern, denn ich wollte nicht mit ihr reden. „Du meinst, er war jetzt 3 Stunden hier drin und ihr habt über nichts geredet?“, fragte sie ungläubig. Anscheinend war sie niemand, der über eine längere Zeit still sein konnte. Ich schüttelte nur den Kopf, legte mich hin und schloss meine Augen. Vielleicht gab sie Ruhe, wenn ich mich schlafend stellte.

 

„Der Typ gestern, das war dein Freund, oder?“, fragte sie weiter, doch ich reagierte nicht. Sie versuchte es noch zwei Mal bis sie endlich Ruhe gab. Ich war froh, als am Abend der Arzt herein kam und ihr die Entlassungspapiere gab. Sobald sie den Raum verlassen hatte war es augenblicklich ruhig gewesen und, auch wenn ich es bis jetzt noch nicht gebraucht hatte, hatte ich freie Gewalt über den kleinen Fernseher, der an der Decke angebracht war.

 

Ich zappte belanglos durch die Programme hielt hier und da bei einigen Serien oder Sitcoms an und merkte nicht wie schnell es draußen erst dämmerte und dann dunkel war.

 

Ich war froh. Ich wollte weder, dass ich durch meine Beziehung mit Dom in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geriet, noch wollte ich, dass Orlandos Unglück, was auch immer es beinhaltete, in der Presse breitgetreten wurde.

 

Dann stand plötzlich meine Zimmertüre offen und das Licht des Flures erhellte mein sonst dunkles Zimmer. Ich konnte nur die Silhouette der Person sehen, die dort in der Tür stand. Im ersten Moment dachte ich, einer meiner Träume sei gerade zur Wirklichkeit geworden. Oder zumindest, als stünde Ramses, der Ramses aus meinen Träumen, direkt vor mir. Dann aber belehrte ich mich eines Besseren: ich war wach, ich konnte nicht träumen und wie sollte eine Figur aus meinen Träumen schon in die Realität kommen? Es war absurd. Doch prompt wusste ich, wer dort tatsächlich in der Tür stand. Es war für meinen Kopf zu schnell gewesen, umzuschalten, als hatten diese vollkommen unterschiedlichen Personen etwas gemeinsam, etwas, das ich nicht sehen konnte. Etwas, das mein Unterbewusstsein und mein Herz mir sagten, mein Kopf aber nicht verstehen und verarbeiten konnte. Orlando und Ramses waren zwei verschiedene Personen und hatten einfach nichts miteinander gemeinsam. Ramses war in meinen Träumen und lebte in der Vergangenheit. Orlando, der nun in meiner Tür stand, war mehr als real und in der Gegenwart.

 

Als er näher kam konnte ich erkennen, dass irgendetwas in seinen Armen lag und um ehrlich zu sein wunderte ich mich. Wenn das Baby lebte, warum war Orlando dann so niedergeschlagen? War etwas mit Astrate passiert?

 

„Das ist Seth, mein Sohn“, sagte er leise, doch ich merkte an seiner Stimme, dass das nicht alles war. Also ließ ich ihn ausreden. „Seine Schwester, Isis, hatte sich vor ihn gelegt und wir hatten immer nur einen der beiden sehen können…“ Ich merkte, wie seine Stimme schwächer wurde. Aber in mir tat sich eine grausame Vorahnung auf, die ich um alles in der Welt nicht bestätigt wissen wollte.

 

„… es waren Zwillinge“, sagte er und legte mir den kleinen Seth auf den Arm. Er schlief in aller Ruhe weiter und machte keinen Mucks. Er war tatsächlich ein Abbild seines Vaters: die Augen, die Ohren und die Nase waren vollkommen gleich. Er war Orlando, nur mit einem äußerst ägyptischen Touch. Ich war mir sicher, dieser kleine Junge würde einmal der Schwarm einer ganzen Horde von Mädchen sein.

 

„Die Nabenschnur hat sich so stark um Isis’ Hals gelegt… Sie hat es nicht geschafft“, sagte er dann und sah starr auf den Boden. Ich konnte gar nicht erahnen, was das für ihn für ein Gefühl sein musste. Für einen kurzen Moment hatte er wahrscheinlich gedacht zwei Kinder zu haben und dann wurde ihm eines wieder entrissen, bevor er es richtig lieben konnte. Es war ein Teil von ihm gewesen und nun war es weg.

 

„Was… was sagt Astrate dazu?“, fragte ich vorsichtig. Auch, wenn ich sie nicht leiden konnte, sie tat mir in diesem Moment unendlich leid. Auch sie hatte ein Kind verloren. Ein Kind, das sie 9 Monate in sich getragen hatte, das sie in sich hatte wachsen spüren.

 

„Sie, sie lässt niemanden zu sich. Sie hat sich Seth noch nicht einmal angesehen“, sagte er und blickte auf seinen schlafenden Sohn in meinen Armen. Er war so wunderschön und ruhig. Und für Leute, die uns nicht kannten und nicht wussten, wie wir zueinander standen, konnte es wahrscheinlich gut so aussehen, als sei Seth Orlandos und mein Kind. Immerhin konnte er den ägyptischen Touch auch von mir bekommen haben.

 

„Er ist so wunderschön“, sagte Orlando als er eine der kleinen Hände seines Sohnes in die Hand nahm. Es war dunkel im Zimmer und dennoch spürte ich durch die Trauer über den Tod seiner kleinen Tochter die Liebe, die er für seinen Sohn empfand. Er würde ein wunderbarer Vater werden, da war ich mir absolut sicher. Und ich war mir sicher, dass Seth ein Leben haben würde, in dem ihm an nichts fehlen würde.

 

 

 

 

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