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Kapitel 15

 

Geplatztes Referendariat

 

 

 

Gespannt, aber auch gleichzeitig nervös, ging ich an diesem für diese Jahreszeit doch eher kühlen Montagmorgen aus dem Haus. Mein Mutter und Hirchop waren bereits vom Großmarkt zurückgekommen. Ich selbst war nicht mitgegangen und wusste auch, dass ich es die nächste Zeit nicht schaffen würde, denn mein erstes Praktikum, oder besser gesagt Referendariat stand an. Das erste Mal würde ich in einer Schule unterrichten, zumindest teilweise. Die nächsten 2 Monate würde ich an einer High School Geschichte unterrichten und es würde sicherlich nicht einfach werden. Ich war selbst noch nicht lange aus der High School raus und wusste noch genau wie die Teenager tickten.

 

„Ich bin mir sicher, du wirst einen wunderbaren Tag haben“, hatte Dominic gestern noch zu mir gesagt, bevor er wieder nach Hause gegangen war. Auch für ihn und die anderen hatte der Ernst des Lebens wieder begonnen. Ich war froh, dass sie momentan noch in Wellington waren. So konnte ich wenigstens nach der Uni oder vor der Arbeit am Set vorbeischauen und meine Freunde sehen. Der Film verlangte allen so viel ab, dass es für die meisten von ihnen unmöglich war, nach den Dreharbeiten noch irgendetwas anderes zu machen. Daher kam es oft vor,, dass auch Dominic und ich uns nur am Set oder an den drehfreien Sonntagen sehen konnten.

 

Zu meiner großen Scham musste ich jedoch eingestehen, dass ich ihn nicht mehr so sehr vermisste wie zu Beginn. Irgendetwas hatte sich verändert und das hatten wir beide schon bemerkt. Wir benutzten beide nur noch sehr selten die drei Worte, die man sich am Anfang einer Beziehung immer wieder gegenseitig ins Ohr säuselte. Und was unser Sexleben anging … na ja, das war auch eher mau. Wenn wir darüber sprachen, schoben wir es immer wieder auf den Film und mein Studium, aber wir beide wussten, dass es eigentlich nicht daran lag.

 

Es lag einfach daran, dass wir uns mittlerweile eher wie gute Freunde als wie ein Paar fühlten. Ich fühlte mich bei Dominic geborgen und sicher, aber da war kein Kribbeln mehr, wenn ich an ihn dachte. Da war nicht mehr die große, leidenschaftliche Vorfreude, wie ich sie vielleicht einmal gespürt hatte. Es war einfach weg. Und ich sah dieselbe Veränderung auch in ihm.

 

Den ganzen Weg zur Schule dachte ich darüber nach, grübelte, ob es vielleicht an mir lag. Hatten mich meine seltsamen Träume und die Freundschaft zu Orlando letzten Endes dazu gebracht, Dom nicht mehr als meinen Partner zu sehen? Das wollte ich nicht glauben. Außerdem würde Orlando in mittlerweile nur noch 2 Monaten heiraten.

 

Unser Essen war nun schon ganze 5 Monate her und zwischen uns hatte sich nichts geändert. Natürlich hatte Astrate immer mehr versucht, den Kontakt zu mir zu unterbinden. Doch da ich mittlerweile schon fast zur „Herr der Ringe“-Familie gehörte, blieb ein Kontakt nicht aus. Erst vor einigen Tagen war ich wieder auf eine gemeinsame Party zum 133. Drehtag gegangen und es war einfach wundervoll gewesen. Alle waren da gewesen und wir hatten so viel Spaß gehabt. Peter hatte jedem eine Weste kaufen und besticken lassen, auf dem der Ring und die 133 abgebildet waren. Selbst ich hatte eine bekommen.

 

Als ich protestiert hatte, ich gehöre nicht zum Cast, hatte er mich nur schelmisch angelächelt und dann zu Viggo gesehen. Ich wollte gar nicht erst wissen, was er im Schilde führte. Aber eines war sicher: ich würden nicht in diesem Film auftauchen, niemals! Aber ich musste schon zugeben, dass ich selbst daran schuld war, denn immerhin war ich ja wirklich oft am Set und ich hatte auch eine kleine, aber durchaus wichtige Aufgabe.

 

Die Leidenschaft, mit der jeder einzelne daran arbeitete, war einfach ansteckend und so hatte ich schon bald begonnen, hier und da mitzuhelfen. Peter hatte sich sogar darüber gefreut und auch die anderen waren froh, mich öfter am Set zu sehen. Immer wieder brachte ich neue Skripts von einem zum anderen und mittlerweile war ich von den Schauspielern scherzhaft „Die Botin des Grauens“ getauft worden. Denn immer, wenn ich kam, dann bedeutete das, dass sie neue Texte lernen mussten und das in kürzester Zeit. So war ich, ohne es zu wollen, doch ein richtiger Teil der Film-Familie geworden. Maria freute sich natürlich darüber, doch ich merkte, wie ich durch die Zeit, die ich am Set verbrachte, auch immer mehr meine anderen Freunde vernachlässigte. Rian, Ben und Will sah ich nur noch selten und auch Hirchop sah ich nur noch, während wir im Restaurant arbeiteten. Oder an unserem gewöhnlichen Bruder/Schwester-Tag.

 

Die einzige Person, bei der ich froh war, sie nun kaum noch zu sehen, war Astrate. Sie hatte ihr Studium wegen dem Kind an den Nagel gehängt und hatte die letzten Wochen eigentlich nur von Orlandos Gage gelebt. Natürlich fand ich das nicht sonderlich toll und es bestätigte meine Meinung über sie nur noch mehr, aber immerhin musste ich ihre Visage nicht mehr jeden Freitag im Ägyptologiekurs ertragen.

 

Und dann stand ich plötzlich und vollkommen unerwartet auch schon vor der Schule. Ich hatte den ganzen Weg über nicht wirklich wahrgenommen, wo ich lang gelaufen war, hatte aber trotzdem noch den Weg hierher gefunden. Anscheinend war ich doch mehr oder weniger Multitasking fähig.

 

Schüler waren weit und breit noch nicht zu sehen, was bei dieser Uhrzeit auch kein großes Wunder war. Die meisten kamen erst um 9 Uhr her und bis dahin war noch fast eine Stunde Zeit. Ich selbst hatte mich entschlossen, bereits früher hier zu sein, wusste ich doch von Gesprächen mit Maria und Rian, dass die Lehrer bereits um 8 Uhr alle im Lehrerzimmer warteten.

 

Die Schule war eine der moderneren, das sah man auf den ersten Blick. Das Gebäude war hell und freundlich und überall hingen irgendwelche Auszeichnungen. Erstaunt ging ich von einem Bild zum nächsten, stolperte über etwas und auf einmal landete ich auf dem Boden.

 

Ich schaffte es noch meine Hände schützend vor mich zu halten, bevor ich dann mit einem lauten Knall auf dem harten Steinboden aufprallte. Ich merkte sofort, wie mein Knöchel anfing zu schwellen und sah direkt daneben den Grund für mein Stolpern, ein anderes Paar Schuhe. Als ich nach oben sah, sah ich, wie ein Mann grimmig auf mich hinab sah und dann, ohne ein weiteres Wort oder mir zu helfen, verschwand.

 

„Kümmern Sie sich nicht um ihn, er ist immer so. Ich hoffe, Ihnen ist nichts passiert“, schnatterte eine kleine, zierliche, aber ältere Frau, als sie mit ihren etwas niedrigeren Stöckelschuhen auf mich zugelaufen kam. Sie musste wohl eine der Sekretariatsdamen sein.

 

„Sie müssen die neue Referendarin sein. Herzlich Willkommen auf der WHS, der Wellington High“, sagte sie schneller als ich die Worte, die sie sagte, in meinem Kopf ordnen konnte. Ihre Stimme und ihre Geschwindigkeit, um genau zu sein, eigentlich alles an ihr, erinnerte mich an eine Serie, die meine Mutter vor einigen Jahren sehr gern gesehen hatte. In der Serie ging es um vier ältere Damen, die zusammen lebten und ihr Rentnerdasein genossen. Leider fiel mir der Titel nicht mehr ein, aber ich war sicher, wenn ich meine Mutter darauf ansprechen würde, würde sie mir sofort alles darüber erzählen können.

 

„Danke, aber könnten Sie vielleicht einen Arzt rufen? Ich … ich kann nicht mehr aufstehen.“ Und das war noch nicht einmal übertrieben. Mein rechter Fuß hing einfach schlapp auf der Seite und er fühlte sich an, als würde er jeden Moment platzen. Der Schmerz aus meinem Fuß begann langsam durch meinen ganzen Körper zu wandern und ich merkte wie mein Knöchel pochte.

 

Zu meinem großen „Glück“ war es, bis der Arzt kam, bereits kurz vor 9 Uhr und die Schule füllte sich langsam mit Schülern, die mich alle verwirrt oder kichernd ansahen, wie ich dasaß. Einige waren so nett und fragten mich, ob sie mir helfen könnten, doch ich wusste, dass es sinnlos war.

 

„Ach du meine Güte, wie ist das denn passiert?“, hörte ich dann hinter mir eine dunkle Bassstimme. Der Mann hinter mir war bestimmt 2 Meter groß und aus meiner Position auf dem Boden wirkte er noch größer. Seine Haare und sein Schnurrbart waren schneeweiß, wie ich es noch nie gesehen hatte, und wäre sein Bart nicht kurz und zur Seite gehend gewesen, ich hätte gedacht, er hätte sich den Bart vom Weihnachtsmann ausgeliehen. Sonst ähnelte er Santa aber in keiner Weise. Santa war klein und dick, dieser Mann war riesig und schlank. Seine Stimme passte da schon besser. Von ihm hätte ich nur zu gerne einmal ein fröhliches „Hoh hoh hoh“ gehört.

 

„Ich hatte mir die Auszeichnungen angesehen und hatte dabei nicht darauf geachtet, wo ich hinlaufe“, sagte ich und ließ den Zwischenfall mit dem anderen Lehrer aus. Immerhin wollte ich es mir nicht schon direkt am Anfang mit irgendjemandem verderben. Dann begann der große Mann die Schüler, die mittlerweile eine Art Traube um mich gebildet hatten, in ihre Klassenräume zu schicken und ich war dankbar dafür. Ich wusste, wie grausam Kinder in der High School sein konnten und ich war froh für jedes Paar Augen, das mich nicht direkt als „die Frau, die auf dem Boden lag“ identifizieren konnte.

 

„Machen Sie sich keine Sorgen, der Arzt wird bald hier sein. Aber wenn ich eine ungeschulte Aussage machen dürfte? Ich fürchte, Sie haben sich das ein oder andere Band gerissen“, sagte er und ich schloss resignierend die Augen. Ein Bänderriss bedeutete, dass ich in der nächsten Zeit wohl eher kein Praktikum machen konnte, denn das Laufen war eher schwierig. Ich musste es wohl irgendwann nachholen, wenn ich wieder gesund war.

 

Der Arzt traf wenige Minuten später ein und bestätigte die Vermutung des Mannes, der sich bei mir noch als Mr. Hanton, der Direktor der Schule, vorstellte. Schon wieder ein Volltreffer. Warum musste so was gerade mir passieren? Warum meinte es diese verdammte Welt manchmal so schlecht mit mir? Natürlich brachten mich die Notärzte erst einmal ins Krankenhaus, um meinen Fuß richtig behandeln zu können. Als ich auf einer Trage in den Wagen gebracht wurde, konnte ich sehen, wie viele der Schüler gespannt aus den Fenstern der Klassenzimmer sahen, um zu erfahren, was nun wirklich passiert war.

 

Auf dem Weg zum Krankenhaus rief ich dann erst mal meine Mom und Dominic an, um ihnen Bescheid zu sagen. Meine Mom war natürlich total aufgelöst und machte sich sofort auf den Weg. Ich war noch nie in einem Krankenhaus gewesen und sie war anscheinend der Meinung, ich käme nicht allein klar. Dominic steckte gerade mitten in einer Szene, in der er auch noch die Hobbitfüße anhatte. Er konnte also auf keinen Fall kommen. Das bedeutete für mich, dass ich mit meiner sicherlich nun übervorsichtigen Mutter alleine sein würde. Sie würde mir sicherlich tausende Geschichten erzählen, was anderen schon passiert war mit einem Bänderriss und mir damit nur Angst machen. Natürlich war das nie ihre Intention. Sie wollte einem nur Beistehen und konnte dabei nicht aufhören, vor Nervosität vor sich hin zu plappern.

 

Doch zu meiner Großen Überraschung war meine Mutter nicht die erste, die mein Zimmer betrat. Das Erste, was ich sah, waren lange blonde Haare und ich vermutete zuerst Maria, aber ihre Haare waren nicht so hellblond. Und dann stand plötzlich Legolas vor mir, in kompletter Montur. Ich musste einen Moment lachen.

 

Natürlich hatte ich Orlando mittlerweile mehr als oft als Legolas gesehen, aber das war immer in Mitten dieser fantastischen Welt gewesen, die Peter versuchte aufzubauen. Hier im Krankenhaus wirkte sein Outfit eher deplatziert und seltsam. Meine Bettnachbarin hingegen starrte ihn nur mit großen Augen an.

 

Vor einigen Wochen waren die ersten Ausschnitte an die Öffentlichkeit gelangt und diese Frau konnte ihr Glück wahrscheinlich nicht fassen, Legolas hier direkt vor sich zu sehen.

 

„Sieh an, sieh an. Da lässt man dich einmal alleine, und schon passiert irgendwas“, sagte er gespielt streng.

 

„Tja, ich bin anscheinend doch nicht für die Schule gemacht“, sagte ich und lachte weiter. Irgendwie ließ mich Orlandos Anwesenheit meinen Schmerz nicht mehr als schlimm empfinden. Es war so, als teilte er die Schmerzen mit mir und deswegen spürte ich sie nur noch halb so stark. Natürlich war das nur Einbildung, aber es war eine gute Erklärung. Vor allem weil Orlando tatsächlich seinen rechten Fuß etwas weniger zu belasten schien als den anderen. Dann schnappte er sich einen Stuhl und setzte sich neben mich.

 

Und dann, glücklicherweise vor meiner Mutter, kam auch schon der Arzt herein. Seine Nachricht war aber nicht gerade so gut wie die Aussicht, dass meine Mutter es nicht mitbekommen würde.

 

„Ihr Sturz war äußerst ungünstig“, sagte er und hielt dann seine Akte hoch, auf der ein Bild von den Fußknochen und den umgebenen Bändern war. Dann zeigte er auf drei Stellen, die nebeneinander lagen, und erklärte mir, dass alle diese Stellen wohl gerissen waren. Normalerweise hätte man bei einem normalen Bänderriss nur eine Schiene darum gelegt und das Gelenk gestützt, aber bei gleich drei Bändern musste ich laut ihm wohl oder übel operiert werden.

 

Leichte Panik stieg in mir auf. Eine OP? Eine OP mit einer Narkose? Ich war noch nie operiert worden. Die einzige Betäubung, die ich kannte, war die beim Zahnarzt und die reichte mir schon vollkommen. Wenn der Zahnarzt sagte: „In 3 Stunden können sie wieder alles spüren.“, dann dauerte es bei mir meistens noch mal doppelt so lange und ich fühlte mich immer total komisch. Was sollte das dann erst bei einer Vollnarkose geben?

 

„Sie sind ihr Partner?“, fragte er Orlando und sah ihn von oben bis unten an.

 

„Nein, nein, er ist mein bester Freund. Und wundern sie sich nicht, er sieht nicht immer so aus“, fügte ich noch schnell hinzu, in der Angst, sie würden Orlando rausschmeißen, weil er nicht gerade so aussah, als würde er in ein Krankenhaus passen.

 

„Darf ich ein Autogramm von Ihnen haben?“, fragte dann eine der Schwestern verlegen. Anscheinend hatte sie Orlando direkt erkannt. Der Chefarzt sah die junge Frau erst strafend an, als Orlando dann aber ein kleines Blättchen und den Kugelschreiber, den ich zum Ausfüllen meiner Papiere benutzt hatte, nahm, wandte der Arzt sich wieder mir zu.

 

Er erklärte mir die Risiken einer Narkose, versicherte mir aber, dass der Eingriff notwendig war und sie ständig solche Operationen durchführten. Als er meine Angst bemerkte, versicherte er mir sogar, dass er selbst die OP durchführen würde. Das beruhigte mich wenigstens etwas. Was mich jedoch beunruhigte, war, dass die OP schon morgen sein sollte. Deswegen sollte ich direkt im Krankenhaus bleiben.

 

„Hab keine Angst, Teti, du hast ihn gehört. Das machen die ständig“, sagte Orlando, als der Arzt und seine Helferinnen das Zimmer verlassen hatten. Wieder einmal wusste er genau, was mit mir los war. Doch um ehrlich zu sein konnte das wahrscheinlich selbst ein Blinder erkennen. Immer und immer wieder spukte die Angst in meinem Kopf herum, ich könnte aus der Narkose nicht mehr aufwachen. Und was dann? Wenn ich tatsächlich nicht mehr aufwachte? Meine Eltern, meine Freunde, sie alle würden es nicht glauben können und ich würde sie nie wiedersehen. Mein Leben wäre dann einfach vorbei, ohne dass ich jedem Lebewohl hätte sagen können.

 

Die Panik in mir kam wieder zurück. Ich merkte, wie mein Puls anfing zu rasen, merkte, wie mein Atem sich beschleunigte, als wären gerade wilde Löwen hinter mir her. Meine Bewegungen wurden abgehackt und nervös. Meine Hände begannen zu zittern und sie waren eisig kalt. Dann griff Orlando nach ihnen. Seine Hand war so warm und so stark, dass sie meine wärmten und sie vom Zittern abhielten. Die andere Hand legte er beruhigend auf meine Stirn und ich legte mich flach auf das Bett. Ich merkte, wie ich mich langsam wieder beruhigte und versuchte tiefe und lange Atemzüge zu machen. Und dann, auf einmal, schlief ich ein.

 

 

Ich öffnete meine Augen und stand inmitten des Palastes. Wir waren gerade aus Byblos zurückgekehrt und hatten Tuja die Nachricht von unserem todgeborenen Kind übermittelt. Sie war in Tränen ausgebrochen und hatte mich so zärtlich umarmt, wie es noch nicht einmal meine Mutter je getan hatte. Sie zeigte echtes und wahrhaftiges Mitgefühl und es berührte mich so sehr, dass auch ich leicht zu weinen begann.

 

„Ich denke, es ist besser wenn du dich etwas ausruhst, Nefertari. Falls du nun tatsächlich wieder guter Hoffnung bist, dürfen wir nichts riskieren“, sagte Tuja und führte mich in meine Gemächer. Am anderen Ende der Halle sah ich Ramses mit Isisnofret, wie beide zusammen hinter einer Mauer verschwanden. Der Blick, mit dem sie mich ansah, war jedoch kaum zu beschreiben. Es war eine Mischung aus Freude, Kalkül und Hochmut.

 

Ich wusste genau, was sie tun würden, und einen Teil von mir schmerzte es zu wissen, dass Ramses eine andere Frau liebte. Doch ich wusste auch, dass es notwendig war. Wenn ich tatsächlich keine Kinder mehr empfangen konnte, dann musste er auf einem anderen Wege für Nachkommen sorgen. Vielleicht musste er mich sogar in den Rang einer Konkubine versetzten und Isisnofret zur Großen Königlichen Gemahlin machen. Das alles war für mich kein Problem. Es war nur ein Problem, mir seiner Liebe für mich nicht mehr gewiss zu sein.

 

Ich fühlte mich, nachdem ich mein Kind verloren hatte, nicht mehr als echte Frau. Ich hatte versagt. Und warum sollte der Pharao so jemanden wie mich noch lieben? Natürlich hatte er mir seine Zuversicht versichert, ich würde noch ein weiteres Kind empfangen. Ich jedoch glaubte nicht daran.

 

Wahrscheinlich war es tatsächlich falsch gewesen, mit ihm nach Memphis zu fliehen. Vielleicht war mein Platz wirklich im Tempel gewesen und dies war nun die Strafe der Götter für meine Anmaßung. Wie sollte ich den Göttern als Ritualmeisterin dienen können, wenn sie sich doch von mir abgewandt hatten?

 

So grübelnd lag ich betrübt in meinem Bett und einzelne Tränen flossen meine Wangen hinunter. Ab und zu hörte ich, wie Nibui in mein Zimmer trat, aber sie sprach mich nie an. Wahrscheinlich verstand sie meine Trauer und wollte mich nicht stören. Wenn ich an Nibui dachte, kamen mir umgehend die Bilder von dem Überfall in den Sinn und ich merkte, wie Angst meinen Körper durchzog wie ein dunkler Schatten, der sich auf alles legte, was mir zuvor noch Hoffnung gemacht hatte. Ich rollte meinen Körper immer mehr ein, wie einer dieser Langohrigel*, die man hier zu Lande ab und zu mal zusehen bekam. Ich wollte mich schützen, doch was nützte diese Schutzhaltung schon, wenn der Angriff aus dem Inneren kam? Was nützte es, sich gegen die äußere Welt abzuschotten, wenn einen die eigenen Erinnerungen angriffen?

 

„Nefertari, Nefertari.“ Seine Stimme drang durch die Dunkelheit meiner Gedanken wie die Sonne durch die dicken Regenwolken nach der Regenzeit. Die Strahlen seiner Stimme zerrissen die düsteren Erinnerungen förmlich und pflanzten mir das angenehme Bild seines Antlitzes vor mein geistiges Auge. Langsam merkte ich, wie mein Körper sich wieder öffnete und ich begann die äußere Welt wieder wahrzunehmen.

 

Jetzt bemerkte ich, dass er meine Hand hielt und seine Hand war angenehm warm. Doch noch wärmer als seine Hand war das Lächeln, das er mir entgegen brachte als ich endlich wieder meine Augen öffnete.

 

„Welcher Schrecken hat dich so befallen?“, fragte er mit einer leisen zärtlichen Stimme. Doch ich sah ihm an, dass er es bereits wusste. Er wusste immer, wie es um mich stand und er wusste immer, wie er mein Wohlbefinden bessern konnte.

 

„Ich werde diese Nacht bei dir bleiben, um dich in der einsamen Nacht vor deinen inneren Gegnern zu bewahren“, sagte er und erst jetzt merkte ich, dass es bereits spät geworden war. Der Himmel draußen war bereits von einem blutroten Sonnenuntergang beleuchtet und langsam erhellten sich die Öllampen in den Häusern der Stadt.

 

„Sag, sind die Geschehnisse von Byblos das Einzige, was dich bedrückt?“, fragte er dann am Abend, als er sich zu mir ins Bett legte. Ich schüttelte nur den Kopf. Was sollte ich schon sagen? Sollte ich ihm sagen, dass ich mich nicht mehr als Frau fühlte, dass ich Angst hatte, seine Liebe zu verlieren?

 

Erst jetzt erinnerte ich mich wieder an den Blick Isisnofrets, als sie mit Ramses zu ihrem Liebesspiel verschwunden war. Er jagte mir noch jetzt einen kalten, unguten Schauer über den Rücken. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der so berechnend ausgesehen hatte. Es kam mir fast so vor als hätte sie auf irgendeine Weise schon immer darauf hingearbeitet, so weit zu kommen. Ein Teil von mir, der Teil, in dem sich meine manchmal viel zu rege Phantasie verbarg, sagte mir, dass sie nur durch schlechte Taten soweit gekommen war und dass sie auch vor nichts zurückschrecken würde. Er sagte mir, dass ich mich, nun, da sie im Palast war, immer vor ihr in Acht nehmen musste.

 

„Ich weiß, es steht mir nicht zu, dich zu fragen, aber du willst sie tatsächlich ehelichen?“ Natürlich war der Akt bereits vollzogen, aber da er mich nicht gesehen hatte, wie ich sie beobachtet hatte, wollte ich von ihm hören, dass es tatsächlich bereits zu spät war. Bei der Frage hatte ich jedoch ein schlechtes Gewissen. Immerhin war ich es gewesen, die ihn zu Beginn dazu ermutigt hatte.

 

„Ich weiß, warum du das fragst, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Die Vereinigung hat stattgefunden und sie wird ein Kind von mir erwarten. Außerdem hat ihr Vater mir ihre Hand bereitwillig gegeben.“ Ja, auch dort war ich dabei gewesen. Jedes Mal hätte ich nur ein Wort zu Ramses sagen müssen, das wusste ich, und er hätte sie abgelehnt Ich sah ihm an, dass es ihn schmerzte zu sehen, dass er mich mit seiner Entscheidung vielleicht gekränkt hatte und am liebsten hätte ich alles zurückgenommen, was ich gesagt hatte. Doch das konnte ich nicht. Genauso wie ich mein ungutes Gefühl Isisnofret wegen nicht länger verbergen konnte.

 

„Aber, auch wenn ich nun deinen Respekt verliere, ich fürchte, sie führt irgendwas im Schilde.“ Bei diesen Worten sah Ramses mich verwundert an. Anscheinend wusste er nicht, wo ich diese Anschuldigung hernahm. Ich hatte bereits Angst, er würde mich nun tatsächlich abstoßen. Doch wenn es so war konnte ich ihm wenigstens alles sagen, was ich dachte.

 

„Sie interessiert nur ihr Ruf und du verhilfst ihr zu diesem Ansehen. Sie wird versuchen, sich zwischen uns zu stellen. Sie, sie wird mit dir prahlen und durch dich dahin gelangen, wo sie immer sein wollte: an der Spitze der Gesellschaft.“ Ich merkte, wie ich immer aufgeregter wurde und meine Stimme vor beginnender Wut zu zittern begann. Er sah mich einfach nur an und blickte mir tief in die Augen, als wollte er dort den Wahrheitsgehalt meine Aussagen sehen. Dann nahm er plötzlich meine Hand. Er musste gemerkt haben, dass ich innerlich kochte. Seine Berührung war weich und zärtlich und seine Hand immer noch so warm wie am frühen Abend, als er mich vor dem Schrecken meine Erinnerung gerettet hatte.

 

Und wieder hatte diese Berührung dieselbe Folge. Ich begann mich langsam zu beruhigen. Ich merkte, wie mein Körper sich Muskel für Muskel entspannte und ich wieder in meine Kissen zurück sank. Ein kurzes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sah, wie ich langsam ruhiger wurde.

 

Irgendetwas hatte er an sich, dass ich mich beruhigte sobald er es zu verlangen schien. Irgendetwas in mir wollte ihm immer genau das geben, was er brauchte. Erklären konnte ich es jedoch nicht.

 

„Ich verstehe deinen Groll, aber du musst dich nicht fürchten. Du bist meine engste Vertraute. Sie würde es nie schaffen, sich zwischen uns zu stellen. Glaub mir. Ich habe sie geehelicht, weil es meine Pflicht ist und weil sie mich anzieht, aber unser Band, unser Band bleibt bestehen“, sagte er und küsste mich zärtlich. Doch bei diesem Kuss sah ich in der Tür die schemenhafte Gestalt von Isisnofret

 

 

Ich schreckte auf. Es war stockdunkel und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Dann plötzlich wusste ich wieder, wo ich war: im Krankenhaus. Es waren wahrscheinlich nur noch wenige Stunden, bis ich unters Messer kam. Als ich vorsichtig meine kleine Nachttischlampe anmachte, sah ich auf dem Tisch neben meinem Krankenbett eine kleine Nachricht liegen.

 

„Wenn du mich brauchst, schreib mir eine SMS.“

 

Orlando hatte es unterzeichnet und daneben lag ein Handy. Ich lächelte kurz, er hatte wirklich an alles gedacht. Doch etwas verwirrte mich. Der Traum, den ich gerade gehabt hatte, oder zumindest der Schluss, war mir so fürchterlich bekannt vorgekommen. Doch nicht, als hätte ich ihn bereits einmal geträumt, nein. Solche Träume hatte ich nur einmal. Es war eher so, als hätte er etwas mit der Realität zu tun. Und dann fiel mir plötzlich das Gespräch kurz vor dem Ende des Essens mit Orlando wieder ein. Es war fast genauso verlaufen wie in meinem Traum. Und selbst die plötzliche Unterbrechung durch Astrate war darin vorgekommen. Dieses Gespräch war nun schon zu lange her, als dass mein Unterbewusstsein es noch hätte verarbeiten müssen und ich verstand nicht, warum es erst jetzt in meinen Träumen vorgekommen war. Irgendetwas lief eindeutig schief in meinem Kopf.

 

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* Langohrigel - Eine besondere Igelart die im Norden Afrikas vorkommt und deren Ohren zur Regulierung der Körpertemperatur besonders groß sind.

 

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