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Kapitel 14

 

Gemeinsames Essen

 

 

 

„Ihr seid natürlich alle herzlich eingeladen.“ Kaum war ich in den Hörsaal getreten, wollte ich auch schon wieder nach draußen stürmen. Direkt an der Reihe, wo ich normalerweise saß, standen Astrate und ihre Freundinnen. Normalerweise hielten sie sich von unseren Plätzen fern, aber dieses Mal schienen sie extra dort zu stehen, damit ich auch ja mitbekam, worüber sie redeten.

 

Demonstrativ ging ich über die andere Seite in die Sitzreihe, um mich nicht an den Grazien vorbeischieben zu müssen. Die Kommentare konnte ich mir wirklich ersparen. Mir reichte es ganz und gar ihren Stimmen lauschen zu müssen, die nur so von aufgesetzter Freude schrien. Verkrampft versuchte ich mich in mein Buch zu vertiefen, aber immer und immer wieder riss mich ihr ohrenbetäubendes Schulmädchenkichern aus der Konzentration.

 

„Das Kleid lasse ich natürlich extra anfertigen.“

 

„Ja klar! Ein Hochzeitskleid von der Stange, hallo?“ Nun erstarrte ich. Hatte ich gerade Hochzeitskleid gehört? Mir lief umgehend ein eiskalter Schauer den Rücken herunter. Ich musste mich einfach verhört haben, das konnte nicht anders sein. Astrate konnte unmöglich von einem Hochzeitskleid gesprochen haben. Immerhin würde das ja mit Sicherheit heißen, sie und Orlando würden bald heiraten.

 

Dann bemerkte ich den, Ring der an ihrem Finger blitzte. Ich wunderte mich, dass er mir noch nicht vorher aufgefallen war, immerhin war Astrate äußerst darauf bedacht, ihn immer in meine Richtung zu halten.

 

Das war also der Weg gewesen, wie er Astrate davon überzeugen wollte, dass es nicht schlimm war, wenn er mit mir alleine ausging? Oder hatte sie ihn vor lauter Eifersucht dazu genötigt? Ich wusste es nicht, aber ich nahm mir vor, ihn nicht darauf anzusprechen, immerhin hätte Astrate dann mit ihrer Provokation gewonnen. Das einzige, das ich mich fragte, war, wann die Hochzeit stattfinden würde, denn ihren Babybauch konnte Astrate nun nicht mehr verbergen und ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass sie ein Umstandsmodenkleid tragen wollte.

 

„Meine Damen, nehmen Sie bitte Ihre Plätze ein.“ Ich war froh, dass unser Professor mich vor dieser weiteren Tortur bewahrte. Aber warum war es so eine Tortur für mich? Warum fühlte ich mich auf eine gewisse Weise besiegt? Ich hatte mich nie als eine Konkurrentin von Astrate gesehen. Ich war mit Orlando nur befreundet. Ich mochte Astrate wegen ihrer Art nicht. Nicht, weil sie mit Orlando zusammen war. Immerhin hatte ich sie schon nicht leiden können, bevor ich Orlando überhaupt zum ersten Mal gesehen hatte.

 

„Heute sprechen wir über einen ganz besonderen Tag. Wir gehen davon aus, dass es nach heutiger Zeitrechnung ungefähr der 21. November im Jahre 1259 vor Christus gewesen sein muss. Früher beschrieben die Ägypter diesen Tag als den 21. Tag des ersten Monats des Peret im 21 Jahr des Ramses.“ Wie immer kritzelte ich kurze Notizen auf eines meiner Blätter. Aus einem mir unerklärlichen Grund schrieb ich, vollkommen auf den Professor fixiert, der gerade noch einmal grob beschrieb, wie die Zeitrechnung der Ägypter von der Ernte abhing, „Frieden zwischen Ägyptern und Hethitern“ als Überschrift über die vom Professor genannten Daten.

 

 

Ich hatte gerade die Tontafel von Nibui entgegen genommen, die sie von einem der Schreiber abgeholt hatte, als ich plötzlich innehielt. Irgendetwas war seltsam. Aus irgendeinem mir unerklärlichen Grund hatte ich das Gefühl, vor wenigen Augenblicken noch an einem anderen Ort gewesen zu sein.

 

Da dies jedoch vollkommen unmöglich war schüttelte ich leicht meinen Kopf, um damit diese Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Es gab weitaus Wichtigeres zu tun, als über unbedeutende Gefühle nachzudenken. Vor wenigen Wochen hatte Ramses, nach Jahren der Drohgebärden zwischen Ägypten und den Hethitern, einen Friedensvertrag zwischen beiden Ländern abgeschlossen.

 

Nun mussten die Beziehungen gefestigt werden und dies war meist die Aufgabe der Frauen. Unsere freundschaftlichen Beziehungen waren ein Sinnbild für die unserer Länder. Wenn wir Freundschaft feierten, dann würden es auch Hatti und Ägypten feiern und somit würden beide Länder vor den Assyrern geschützt sein.

 

Vor einigen Tagen hatte ich bereits den Obersten Schreiber des Palastes damit beauftragt, einen Brief an Puduchepa, die Königin der Hethiter, zu verfassen.

 

„Sie soll sich meinem Interesse für sie gewiss sein. Fragt sie nach ihrem Befinden“, hatte ich dem Schreiber befohlen, während ich weiter, in meinen Gemächern auf und ab schreitend, über den Inhalt meines Briefes nachgedacht hatte.

 

„Redet sie mit ‚meine Schwester’ an. Das wir sie mir näher bringen. Und erwähnt unauffällig den Friedensvertrag. Und dann listet Ihr die Geschenke auf, die ich hier vorbereitet habe.“ Ich hatte auf eine Bank neben mir gezeigt, auf der meine Dienerinnen Schmuck und einige Kleidungsstücke fein säuberlich abgelegt hatten. „Der Bote soll achtsam mit diesen Geschenken umgehen, sie sind sehr wertvoll“, hatte ich ihn noch ermahnt, dann war er an die Arbeit gegangen.

 

Nun blickte ich auf genau dieses Schreiben und ich war begeistert. Der Schreiber hatte es wahrlich geschafft, ein Zauberwerk an Schrift zu verfassen. Ich war froh, dass ich in den letzten 21 Jahren, die ich nun bereits an Ramses Seite war, gelernt hatte, auch die Keilschrift zu lesen, sodass ich tatsächlich kontrollieren konnte, was die Schreiber mir vorlegten.

 

Jedoch war mir die Heilige, die Wahre, Schrift lieber. Keilschriften konnten durch einen einzigen Unfall vollkommen verändert werden, es musste nur ein Buchstabe verändert werden. Die Heilige Schrift war einmalig, unveränderbar. Man konnte sie nur gänzlich vernichten, aber nicht verändern. Jedes ihrer Zeichen hatte eine einmalige Bedeutung und wenn man sie las, wurde man von den Göttern durchflutet. Zu einigen Zeiten vermisste ich meine Jahre als Priesterin, als mir die Götter jeden Tag so nah waren, als wären es meine Eltern. In meiner jetzigen Position konnte ich ihre Anwesenheit nur noch bei bestimmen Anlässen und Ritualen verspüren und sie fehlten mir wie dem Land das Wasser in der Trockenzeit.

 

„Ich hoffe, es ist zu Eurer Zufriedenheit, Herrin“, sagte der Mann, den Blick nach unten gerichtet. Im ersten Moment war ich ihm fast etwas böse, dass er mich aus meinen Gedanken gerissen hatte, waren sie immerhin spiritueller Natur gewesen. Doch andererseits war diese Angelegenheit mehr als wichtig und dudelte keinen Aufschub.

 

Also richtete ich meinen Blick und meine Gedanken auf die Tafel vor mir.

 

So spricht Nefertari, die Herrin des Landes Ägypten zu Puduchepa,

der Herrin des Landes Hatti:

 

Mir, deiner Schwester, geht es gut und meinem Lande geht es gut

und auch Dir, meiner Schwester, möge es gut gehen wie deinem Lande.

 

Ich habe nunmehr gehört, dass du, meine Schwester, mir geschrieben

hast, um dich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen, und dass du

mir schreibst wegen des Verhältnisses des guten Friedens und wegen

des Verhältnisses der guten Brüderschaft, in dem sich der König des

Landes Ägypten, mit dem Großkönig, dem König von Hatti, seinem

Bruder, befindet.

 

Der Sonnengott und der Wettergott werden dein Haupt erheben und der

Sonnengott wird den Frieden gedeihen lassen, und er wird die gute

Brüderschaft des Königs des Landes Ägypten, mit dem König des Landes

Hatti, seinem Bruder, auf ewig gewähren; Und auch ich bin in Frieden und

verbrüdert mit dir.

 

Nunmehr habe ich dir ein Begrüßungsgeschenk für dich übersandt und du,

meine Schwester, wirst dieses Geschenk durch die Hand des Königsboten

erhalten:

 

1 Kette für den Hals, sehr bunt, aus gutem Gold, aus 12 Strängen bestehend,

   deren Gewicht 88 Schekel beträgt.

1 buntes linnenes maklalu-Gewand aus Byssos,

1 bunte linnene Tunika aus Byssos,

5 bunte linnene Gewänder aus gutem, dünnem Faden,

5 bunte linnene Tuniken aus gutem, dünnen Faden.

 

 

„Hey, Te, er meint dich! Bist du eingeschlafen?“ Ruckartig hob ich meinen Kopf, als ich Wills Stimme neben mir hörte. Alle sahen mich erwartungsvoll an, als warteten sie auf irgendetwas. Einige von ihnen grinsten, andere schienen vollkommen erstaunt zu sein.

 

Ich merkte, wie sich die Adern unter der Haut meiner Wangen langsam mit heißem Blut füllten und mein Gesicht sicherlich in dem grellsten Rot erstrahlen ließ, das es bieten konnte. War ich tatsächlich während der Vorlesung eingeschlafen? Dabei war ich gar nicht müde gewesen und vor allem, was hatte der Professor mich gefragt?

 

Schnell warf ich einen Blick auf Wills Unterlagen. Er schrieb immer jede Kleinigkeit auf: Fragen der Studenten, Antworten des Professors, sogar das Tafelbild kopierte er auf sein kariertes Papier, als sei es selbst die Tafel. Natürlich hatte er auch die gerade gestellte Frage aufgeschrieben und es rettete, zumindest etwas, meine Ehre und mein Gesicht.

 

„Der Vertrag beinhaltete, neben großen Worten der Begrüßung und der Ehrerbietung, einen Nichtangriffspackt zwischen Hatti und Ägypten. Beide Länder wollten sich verbrüdern, um innere und äußere Feinde, die den Frieden beider Länder bedrohten, zu dezimieren und im Notfall zu vernichten. Ebenso erwirkten beide zum ersten Mal in der Weltgeschichte Amnestie für die bis dahin gefangenen Landsleute. Beiden Herrschern war es wichtig, ihr Land und ihre Leute zu schützen. Und der Vertrag dieser beiden großen Länder schreckte viele ab, zumindest für eine Längere Zeit, auch nur einen Fuß Richtung Ägypten oder Hatti zu bewegen.“ Als ich fertig war, sahen mich meine Mitschüler verblüfft an. Wieso, wusste ich nicht, aber es ließ mich wieder rot werden. War es doch nicht die Frage gewesen, die der Professor gestellt hatte? Hatte er irgendetwas anderes gefragt und ich hatte mich nun vollkommen blamiert?

 

Lag ich nun doch einmal mit meinen Vermutungen falsch, die einfach in meinen Kopf schossen, wenn ich über eine Frage des Professors nachdachte? Als ich den Professor ansah, starrte auch er einen kurzen Moment mit offenem Mund in meine Richtung. Erst jetzt bemerkte ich, dass hinter ihm an der Tafel einige Zeichen der Keilschrift näher erklärt waren.

 

„Ich wollte eigentlich den Text mit Ihnen langsam erarbeiten,“ begann der Professor und ich sank etwas tiefer in den Stuhl. „Aber da Ihre Kommilitonin den Grundinhalt schon beschrieben hat, wird dies nun nicht mehr nötig sein.“ Jetzt war ich baff. Wieder einmal hatte ich einfach drauf los geplappert, ohne wirklich zu wissen, ob meine Antwort richtig war. Wieder einmal war sie mit einfach in den Kopf geschossen, als sei sie schon immer da gewesen, und die Frage hatte sie nur aus der hintersten Ecke meines Kopfes nach vorne geholt.

 

Warum wusste ich all diese Dinge? Ich hatte mir diese Frage schon oft gestellt, hatte schon oft darüber nachgedacht, warum dieses Wissen in mir schlummerte. Wahrscheinlich hatten mir meine Eltern als Kind Geschichten erzählt, Geschichten, die keine Märchen waren, sondern wahre Ereignisse der Weltgeschichte. Vielleicht hatte mein Unterbewusstsein das alles abgespeichert und konnte es nun wiedergeben. Aber was hatte es mit diesen Träumen auf sich? Waren sie auch nur ein Teil meiner Phantasie?

 

„Wer weiß, vielleicht hast du schon einmal gelebt“, bemerkte Orlando eher beiläufig, als wir am Abend dann endlich das gewonnene Essen wahrnahmen. Er hatte sich extra schick gemacht. Er trug eine dunkelblaue, fast schwarze Jeans, ein rotes Hemd und ein schwarzes Jackett darüber. Nur seine Haare konnte man nicht wirklich als schick bezeichnen, aber dagegen konnte er im Moment nichts unternehmen.

 

Auch ich hatte mich, bei der Aussicht darauf, in ein sehr feines Restaurant zu gehen, schick gemacht und trug ein halblanges, lustiger weise, rotes Kleid, dass es so aussah, als hätten Orlando und ich unsere Kleiderwahl für diesen Abend miteinander abgestimmt. Natürlich hatte Maria mir bei dieser Auswahl und auch beim Schminken geholfen.

 

Und jetzt saßen wir beide zusammen hier, im teuersten Restaurant in Wellington, und ich hatte ihm gerade von dem Vorkommnis in der Uni erzählt. Er hatte sich die ganze Geschichte sehr genau angehört und sein Gesichtsausdruck war immer interessiert gewesen, auch wenn ich manchmal Angst gehabt hatte, ihn mit dem Ganzen zu langweilen.

 

„Wer weiß schon, was alles möglich ist. Ich meine, die Hinduisten werden nicht ohne Grund an so etwas glauben. Und auch andere Religionen kennen zumindest den Grundstein einer Wiedergeburt, auch wenn sie überall anders interpretiert wird“, sagte er, als ich ihn fragend ansah. Ich war erstaunt, anscheinend hatte er sich mit diesem Thema bereits befasst. Glaubte er vielleicht an so etwas? Glaubte er vielleicht tatsächlich, dass die Seele eine niemals endende Reise durch die Zeit machte und immer wieder neu geboren wurde? Ich persönlich hielt es immer nur für eine Weise der Menschen, sich an der Hoffnung festzuklammern, dass nach dem Tod noch irgendetwas auf einen wartete.

 

Natürlich, auch ich wollte nicht, dass mein Leben, meine Gedanken, nach meinem Tod einfach aufhörten zu existieren und ein Teil von mir wollte das auch nicht glauben, aber der rationale, logische Teil in mir sagte mir, dass alles, was ich war, eines Tage aufhören würde. Immerhin konnte ich mich ja auch nicht an irgendeines meine eventuellen früheren Leben erinnern. Ich hatte nur meine Gedanken, meine Erinnerungen, alles andere war pure Fantasie, die in meinem Kopf verrückt spielte.

 

„Ich glaube nicht an so was, Orlando. Ich bin nicht religiös“, sagte ich, als ich bemerkte wie Orlando mich, eine Antwort erwartend, ansah. Seine Augen bohrten sich in den meinen fest wie Blutsauger, die gerade meine Gedankenwelt, meine Gefühle, aus mir heraussaugen wollten. Es war fast unheimlich, weil ich das Gefühl hatte, dass er Zugang zu meinem Innersten hatte. Vor allem war es unheimlich, weil es ein so vertrautes Gefühl war. So als wäre dieser Austausch eines der normalsten Dinge der Welt. Ich hatte das Gefühl, gestützt zu werden, das Gefühl, ich könnte mich eine Klippe hinunter Fallen lassen und doch nicht stürzen.

 

„Aber wer sagt dir, dass deine Träume nicht genau diese Erinnerungen sind? Vielleicht ist im Schlaf deine Seele so von den Fängen dieser Welt befreit, dass sie dir preisgeben kann, was du selbst für Geheimnisse in dir trägst.“ Er nahm für einen kurzen Moment meine Hand und ein Kribbeln durchfuhr meinen ganzen Körper. Schnell zog ich die Hand weg. In solch eine Richtung durfte dieser Abend auf keinen Fall laufen. Ich hatte Dominic und er hatte Astrate.

 

Auch er schien verwirrt über das zu sein, was gerade passiert war, und wir beide konzentrierten uns einige Zeit auf unsere Menukarten. Die Stille, die nun herrschte, war unangenehm, aber sie war notwendig. Wir beide mussten uns wieder fangen, denn wir beide wussten, dass wir uns nicht so gegenübertreten sollten. Wir waren Freunde und das wollten wir auch bleiben.

 

„Ich… ich wollte dich noch etwas fragen…“, stammelte Orlando etwas verlegen, als der Kellner die Bestellungen aufgenommen und uns die Karten weggenommen hatte. Jetzt, da wir nichts mehr hatten, hinter dem wir uns verstecken konnten, mussten wir also doch wieder ein Gesprächsthema finden und es war besser für uns beide, wenn es nicht über Gefühle oder um uns beide ging.

 

„Ich… ich wollte dich fragen, … ob du meine Trauzeugin werden würdest.“ Okay, jetzt war ich sprachlos. Die Geschwindigkeit, mit der meine Kinnlade gerade nach unten geklappt war, musste schon fast die Schallmauer durchbrochen haben, zumindest dröhnte mein Kopf gerade so, als habe er einen dumpfen Knall vernommen. Alles um mich herum schien sich zu drehen, als Orlando mich fragend ansah. Hatte er mich gerade ernsthaft das gefragt, was ich verstanden hatte?

 

Ein Teil von mir sagte mir, ich solle am besten direkt aufstehen und gehen. Dieser Teil von mir war, für den Rest von mir vollkommen unverständlich, zu Tode gekränkt. Okay, es war Astrate, die er heiraten würde, aber das musste er selbst wissen. Ich würde sicherlich nicht dazwischen funken und seine Freundschaft verlieren. Der andere Teil in mir fragte sich, ob er keine Freunde zu Hause hatte, keinen besten Freund, dem er so was schon vor Jahren versprochen hatte. Fragte sich, warum er gerade mich haben wollte.

 

Doch was sollte ich ihm antworten? Sollte ich ablehnen und ihm irgendeinen vorgetäuschten Grund nennen? Nein, so jemand war ich nicht. Die Wahrheit konnte ich ihm auch nicht sagen und daher blieb mir nur eine einzige Möglichkeit.

 

„Trauzeugin? Natürlich mach ich das, was denkst du denn?“ Ich versuchte krampfhaft zu lächeln, versuchte die gekränkte Seite in mir vollkommen zu unterdrücken.

 

„Wann wollt ihr denn heiraten?“, fragte ich und innerlich schmiss der gekränkte Teil von mir gerade mir allem möglichem Inventar nach Orlando und vor allem nach dem Teil von mir, der Ja gesagt hatte. Es polterte förmlich in der Hinterkammer meines Kopfes und ich musste mich wirklich zusammen reißen, dass nicht zumindest ein Teil dessen, was gerade in mir vorging, nach draußen brach.

 

„Wenn das Kind da ist. Astrate meinte, es könnte vorher zu stressig werden und sie will das Kind keinen unnötigen Risiken aussetzen.“ Okay, wieder änderte sich die Situation in meinem Kopf. Die wütende Teti in mir begann laut herum zu brüllen, schrie Orlando ins Gesicht, dass Astrate sich kein bisschen um das Kind kümmerte, sondern nur um ihr Aussehen.

 

Am liebsten hätte sie Orlandos Kopf genommen und ihm die Vernunft, die in ihr steckte, in ihn hinein geprügelt. Ich aber versuchte ruhig zu bleiben und nickte nur still, denn wenn ich nun auch nur den Mund öffnen würde, dann drang die wütende Teti nach draußen und aus mir würde ein großes, hässliches grünes Monster werden, das alles kurz und klein hauen würde. Zumindest fühlte es sich so an. Ich war Dr. Banner und in mir ruhte der Hulk und das war alles andere als übertrieben.

 

„Wann bist du eigentlich fertig mit deinem Hauptstudium?“, fragte er dann, als wir die Vorspeise gegessen hatten. Ich hatte mich mittlerweile auch wieder einigermaßen beruhigt, daher konnte ich wieder normal mit ihm sprechen, ohne Angst haben zu müssen, dass mir etwas rausrutschte, das ich später bereuen würde.

 

„Das dauert noch ewig, zumindest kommt es mir so vor. Ich meine, ich hab ja erst 2 Semester hinter mir… 6 sind es insgesamt. Das heißt, es kommen noch 2 lange Jahre, in denen ich aber auch Praktika machen muss.“ Wieder einmal schien Orlando sehr interessiert an dem, was ich sagte, und das zeigte mir, dass er ein wahrer Freund war. Andere schalteten schnell ab, wenn man ihnen etwas erzählte, das sie eigentlich nur aus reiner Höflichkeit gefragt hatten. Meine Familie, Maria, Orlando und Dominic waren die einzigen, bei denen das mir gegenüber nicht der Fall war. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, so tolle Menschen um mich zu haben. Und auch die anderen kurzen oder langen Bekanntschaften waren besser, als manche es sich erhofften.

 

Ich war durch Zufall in eine Welt gestolpert, die mir ein Leben eröffnete, wie es manche nie führen würden. Aber wie eigentlich immer gab es in einer wunderbaren Welt auch Fehler und einer davon war Astrate. Sie störte dieses wunderbare Weltbild und es fühlte sich komischerweise an, als habe sie das schon immer getan. So, als würde sie mich in irgendeiner Weise verfolgen, die ich nicht verstehen konnte. Und wenn sie nun Orlando heiraten würde, dann würde sie tatsächlich immer da sein und ein kleiner Teil in mir, der Teil, den ich zu unterdrücken versuchte, sagte mir, dass sie meinem Glück im Wege stand. Doch das wollte ich nicht hören.

 

Aber dennoch, ich wusste, was Astrate für ein Typ Mensch war und ich wusste auch, dass es ihr nicht wirklich um Orlando ging, sondern nur um die Aussicht, sie könnte durch ihn Ruhm erlangen. Und war es nicht, als seine Freundin, meine Pflicht, ihm die Wahrheit zu sagen? Ihn von Dummheiten abzuhalten? Und Astrate zu heiraten war eine Dummheit, egal, welche Teti gerade die Oberhand in mir hatte.

 

„Ich weiß, es steht mir nicht zu, dich zu fragen, aber du willst sie tatsächlich heiraten?“, fragte ich dann während dem Nachtisch, nachdem sich in meinem Kopf ein sehr energischer Kampf zwischen dem Hulk und meiner Vernunft zugetragen hatte. Ich spürte Orlandos Augen auf den meinen und sah, dass er über seine Antwort nachdachte.

 

„Ich weiß, warum du das fragst, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Sie erwartet ein Kind von mir. Früher wäre das schon der Beweis einer vollzogenen Hochzeit gewesen. Ihr Vater hat mir ihre Hand bereitwillig gegeben“, sagte er und was er sagte, kam mir einen Moment lang komisch vor. Wen interessierte es heute schon, ob ein Vater seinem zukünftigen Schwiegersohn seine Tochter „übergab“?

 

„Aber, auch wenn ich nun deinen Respekt verliere, ich fürchte, sie führt irgendwas im Schilde.“ Nun hatte ich einmal angefangen, dann konnte ich auch mit Pauken und Trompeten untergehen. Wenn das schon die letzten Worte sein würde, die ich mit Orlando sprach, dann sollte er wenigstens erfahren, was ich von Astrate hielt.

 

„Sie interessiert nur ihr Ruf und du verhilfst ihr zu diesem Ansehen. Sie wird versuchen, sich zwischen uns zu stellen.“ Ich stockte einen Moment. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Orlando schien das aber nicht wirklich zu überraschen, denn er sah mich immer noch geduldig an. Er wollte, dass ich mir den Frust von der Seele redete, egal, ob es gegen ihn oder seine neue Verlobte ging.

 

„Sie, sie prahlt immer mit dir und behauptet, du würdest sie schon dahin bringen, wo sie sein will.“ Dann nahm er plötzlich meine Hand. Er musste gemerkt haben, dass ich mich innerlich wieder zu einem Hulk verwandelte und wollte mich beruhigen. Eigentlich hätte ich die Hand wieder wegziehen sollen, aber dieses Mal blieb meine Hand genau an der Stelle, wo sie war.

 

Er sah mir tief in die Augen und ein kurzes Lächeln umspielte seine Lippen; ein Lächeln, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte; ein Lächeln, das in mir Gefühle auslöste, die nicht hätten da sein sollen. Eben noch war ich das große, grüne Scheusal gewesen, das vor lauter Wut am liebsten alles in Reichweite abgerissen hätte. Und nun, nun war ich, wenn überhaupt, eine harmlose, schnurrende Hauskatze, die sogar ihre Krallen langsam einfuhr.

 

Irgendetwas hatte er an sich, dass ich mich beruhigte, sobald er es zu verlangen schien. Irgendetwas in mir wollte ihm immer genau das geben, was er gerade brauchte. Erklären konnte ich es jedoch nicht.

 

„Ich verstehe deinen Groll, aber du musst dich nicht fürchten. Du bist meine Freundin, meine engste Vertraute, sie würde es nie schaffen, sich zwischen uns zu stellen. Glaub mir. Ich werde sie heiraten, weil es meine Pflicht ist und weil ich sie liebe, aber unser Band, unser Band bleibt bestehen“, sagte er und küsste meine Hand

 

Nun war ich noch nicht einmal mehr die Katze. Ich war eine Kerze aus Wachs und ich schmolz regelrecht dahin. Aber irgendwie hatte ich auch gewusst, dass er das sagen würde. Ich hatte es beinahe erwartet. Und genau wie ich das erwartet hatte, erwartete ich auch, dass bald die Person auf den Plan gerufen wurde, über die wir gerade diskutiert hatten.

 

Und tatsächlich: wir waren gerade in den letzten Zügen, da klingelte plötzlich Orlandos Handy. Natürlich war es Astrate. Ihr ging es angeblich nicht so gut und bat Orlando, sofort wieder nach Hause zu kommen. Somit war unser Abend dann beendet und ich hoffte, dass Orlando mir diese Tirade auf seine zukünftige Frau nicht übel nahm.

 

 

 

 

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