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Kapitel 9

 

The Big Project

 

 

 

„Weißt du, warum wir hier sind?” Bianca hatte die ganze Zeit aus dem Fenster auf die belebte Straße gesehen. Eigentlich hatte sie schon vor 30 Minuten Feierabend machen wollen, um noch vor dem großen Abendansturm in die Regent Street zu gehen. Sie hoffe, dort in einem der vielen Läden ihr Outfit für den kommenden Samstagabend zu finden. Doch leider hatte ihr Chef ihr einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Schon am Morgen war Tom, der Sekretär ihres Vorgesetzten, in ihr Büro gekommen und hatte sie gebeten, alle in ihrer Abteilung zu informieren, dass es am späten Nachmittag eine Besprechung mit allen Mitarbeitern aus der Grafik-Abteilung geben würde und dass es sehr wichtig wäre. Um was genau es ging, hatte man ihr jedoch auch nicht gesagt. Daher zuckte sie auf die Antwort ihrer jungen Kollegin nur mit den Schultern.

„Was machst du jetzt mit deinen Einkaufsplänen?“, fragte Anna dann, wahrscheinlich eher um die Zeit totzuschlagen, bis endlich die beiden Köpfe der Firma eintrafen.

„Mir wird nichts anders übrigbleiben, als es heute Abend oder Morgen zu machen. Je nachdem, was jetzt hier gleich abläuft.“

„I heard it’s about an assignment“, flüsterte eine junge blonde Kollegin aus der Text-Abteilung über den Tisch. Mittlerweile fehlten tatsächlich nur noch der CEO und dessen Assistenten, alle anderen Mitarbeiter, die zu diesem Treffen kommen sollten, waren bereits versammelt. Und es herrschte eine angeregte Debatte über das, was gleich hier besprochen werden sollte.

Das letzte Mal, als sich die ganze Grafik-Abteilung in diesem Versammlungsraum eingefunden hatte, war mitgeteilt worden, dass ein großer Kunde seinen Auftrag zurückgezogen hatte und alle Arbeit, die man bis dahin getan hatte, vernichtet werden musste. So etwas wollte wirklich keiner der Anwesenden auch nur im Entferntesten noch einmal machen müssen.

Doch bevor weiter spekuliert werden konnte, erschienen die noch fehlenden Personen endlich. „Okay, people. I know it’s late and we all want to get home in time, so let’s roll.” Ian Pearman war wirklich kein Mann langer Worte und das gefiel Bianca so an ihrem CEO. Sie hasste diese Geschäftsführer, die erst stundenlang um den heißen Brei herumredeten, bevor sie zum eigentlichen Punkt kamen. Ian war da schon immer anders gewesen. „Some of you might have realized, that I had some very important phonecalls the last days, and wasn’t really up for any daily work“, sagte er und viele, Bianca eingeschlossen, nickten nur. Bianca hatte am Vortag geschlagene 5 Stunden darauf gewartet, dass Ian einen Entwurf von ihr abnahm, der schon am nächten Tag bei der Druckerei hatte sein müssen. „I’m really sorry for this, but I tried to catch a really big fish.“

Es ging also tatsächlich um einen Auftrag. Und wenn Ian es schon einen großen Fang nannte, dann musste es tatsächlich groß sein, sehr groß. Den Kommentar eines Kollegen, Ian solle besser aufpassen, dass ihm die kleinen Fische nicht wegschwammen, wenn er nur nach den großen Ausschau hielt, überhörten alle demonstrativ. Eine Debatte darüber, wer hier welche Entscheidungen traf, war wirklich nicht das, was nun nötig war.

„The person, I was nicely chatting with the past days, was none other than Oliver Krestham from Warner Brothers.” Sofort hörte man einige aufgeregte Geräusche von den Mitarbeitern und der noch relativ junge Geschäftsführer ließ seine Hand durch seine kurzen, rotblonden Haare fahren. Er wartete einen Moment ab, bis sich das allgemeine Gemurmel wieder etwas gelegt hatte, dann fuhr er fort. „He told me, that the company they worked with before couldn’t do the job and asked me, if we were able to manage everything concerning the World Premiere of Peter Jacksons last Hobbit-Movie.” Und mit einem Mal war es für den Bruchteil einer Sekunde vollkommen still. Keine wagte es, auch nur zu atmen.

„You’re joking“, war der erste ungläubige Kommentar von einem der Anwesenden. Bianca hatte genau denselben Gedanken gehabt, hatte ihn nur nicht ausgesprochen, und sie sah auch in den Gesichtern der anderen, dass keiner diese Aussage wirklich ernst nahm. Außerdem waren sie eine Werbeagentur, kein Eventmanagement. Andererseits hatten sie schon öfters auch Events zu bestimmten Produkten planen müssen, es war also nicht gänzlich unmöglich.

„I swear to you, I’m 100% honest. Planning starts right away and I will call together a task force, that will coordinate the other departments”, bemerkte er noch, bevor das Kreischen und der Jubel zu laut wurde. Selbst die Leute, die den Hobbit nicht kannten, mussten wissen, dass das ein riesiger Auftrag war. Und wenn sie diesen Event tatsächlich gemanagt bekamen, würden sie vielleicht in Zukunft noch öfters mit solchen Aufträgen konfrontiert werden.

Bianca saß nur vollkommen erstaunt auf ihrem Platz. Sie konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich dieses Mega-Event planen sollten, dass sie tatsächlich so einen Auftrag erhalten hatten. Und sie war froh, dass sie sich vor einigen Tagen diese Filme doch noch angesehen hatte, denn so hatte sie wenigstens eine Ahnung, was auf sie zukam.

„Bee, you’re part of the task force“, sagte Ian ihr dann und sie sah ihn nur überrascht an. Sie war noch so erstaunt gewesen, dass sie gar nicht wirklich mitbekommen hatte, was er gesagt hatte. Er musste es erst noch einmal wiederholen, bis sie wirklich merkte, was er ihr sagte. Dass sie nun ein Teil des Teams sein sollte, das alles steuerte, war für sie, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, keine Überraschung. Sie wusste, dass sie gut war, und auch ihr gutgelaunter CEO wusste, dass Bianca die Kompetenz hatte, ihre Aufgabe ausgezeichnet zu erfüllen. „Task Force will meet here again in half an hour. The rest of you: have a nice day“, verabschiedete sich der smarte Geschäftsmann und hinterließ eine durchaus aufgescheuchte Bande von Mitarbeitern. Selbst das männliche Personal schienen vollkommen überrascht zu sein von der Nachricht, die sie gerade erhalten hatten, doch die Frauen waren vollkommen hysterisch.

Viele von ihnen hofften auf dieses Weise, irgendwie an der Premiere teilnehmen zu können, aber das würde sicherlich nicht gehen. Wenn sie alle gute Arbeit leisten würden, würde vielleicht Ian eingeladen werden zur Premiere, mehr aber nicht. Auch Anna war eine der Mitarbeiterinnen, die aufgrund der Tatsache, dass sie an etwas teilhaben durfte, das mit dem Film des bekannten Regisseurs zu tun hatte, eindeutig hysterisch. „Maybe, we’ll meet some actors. As soon as Lee Pace will set eyes on me, he will fall madly in love”, sagte sie besonders theatralisch.

„Sorry to bust your bubble, love, but he’s not playing for your team“, mischte sich Joe lachend ein und Anna verschränkte nur enttäuscht die Arme vor der Brust und murmelte etwas, das klang wie, warum immer alle attraktiven Männer verheiratet oder schwul waren. Bianca schüttelte nur den Kopf und verabschiedete sich von ihren Kollegen, die sich auf den Heimweg machten, während sie offensichtlich einige Überstunden einlegen würde.

Während Bianca und die anderen glücklichen Mitglieder der „Task-Force“ darauf warteten, dass die anderen Mitarbeiter endlich in den Feierabend verschwanden, kramte sie ihr Handy aus der Hosentasche. Sie merkte, wie die Aufregung über diese neue Erkenntnis langsam in ihr aufstieg und ihrer Hände nun etwas zu zittern anfingen. Dieser Auftrag konnte wirklich ein Durchbruch sein.

We just got a really good assignment. “  Bianca wusste noch nicht einmal, warum sie Richard umgehend Informierte, warum sie diese Freude mit ihm teilen wollte. Aber vielleicht lag es daran, dass diese Premiere nun etwas war, an dem beide beteiligt waren, für das beide arbeiten mussten.

That’s great. So you got a lot work to do, right? ”, schrieb Richard in der gewohnten Schnelligkeit zurück und wiedereinmal fragte Bianca sich, ob der smarte Brite tatsächlich nur auf sein Handy starrte.

Well, kinda. I’m part of the task-force for this project. It’s huge. ” Die Antwort von Richard konnte sie jedoch nicht mehr abwarten, denn dann kam auch schon ihr Boss wieder herein und gratulierte den Mitgliedern der Task-Force, darunter neben Bianca noch 3 weiteren Abteilungsleitern. Jeder von ihnen schien wie auf heißen Kohlen zu sitzen und wollte erfahren, was nun genau ihre Aufgabe war.

„As you can imagine, we have a lot to do“, leitete der gutaussehende CEO die Besprechung ein und zur großen Überraschung aller Anwesenden teilte er kleine Packete aus. „Those packages contain a personalized iPad, fitted with everything you'll need for the job, that is expected of you.“ Die Augen aller Anwesenden wurden noch größer. Mit einem iPad hatte hier wirklich niemand gerechnet. Als Ian dann auch noch ankündigte, dass dieses Tablet in den Privatbesitz eines jeden Mitarbeiters in der Task-Force übergehen würden, sobald das Project erfolgreich abgeschlossen war, waren alle vollkommen aus dem Häuschen. Diese Tablets waren immerhin nicht gerade billig.

Als die überaus überraschte Abteilungsleiterin des Grafic-Design Depatments ihr Paket geöffnet hatte und das Gerät zum Leben erwachte, staunte sie nicht schlecht. Einige hochmoderne, auf Tablets zugeschnittene Grafik-Apps waren direkt auf den ersten Blick zu sehen, und von manchen hatte sie nur in Ankündigungen gehört. Doch im Gegensatz zu dem Tablet von ihrem Nachbarn hatte sie auch einen speziellen Kalender und Apps zu den einzelnen sozialen Netzwerken installiert. Brian, ein Kollege aus der Planungsabteilung, hatte hingegen einige Layout-Programme und ein ziemlich prall gefülltes Adressbuch auf dem Tablet.

„Brian, you’re the Headset of it all. Beside your normal job, you'll be keeping track on deadlines for every work that has to be done. If anything is behind schedule, you've got the authority to act in any way to get back in track.“ Was bedeutete, dass Brian die Arbeit von allen überwachen würde. Bianca hatte damit kein Problem. Die Tatsache, dass sie nun anscheinend nicht nur die Verantwortung für ihre eigene, kleine Abteilung hatte, war genug, um ihre Nervosität zu steigern.

„Erik, you'll be responsible for the location. Big screens, lights, speakers, barriers for the fans, everything. You’ll be free to choose anyone for your team.“ Der Angesprochene nickte nur stolz, denn auch diese Aufgabe war mit einer großen Verantwortung verbunden. Immerhin war es die Location, die die ganze Welt später sehen würde.

“Bee, posters and banners are all yours, but you'll also be our connection to social media, and most importantly you'll be in charge of the press. Photos, conference, and so on. You'll talk to the agencies and the press.“ Unfähig, wirklich ein Wort herauszubringen, nickte auch Bianca nur. Ihre Aufgabe war doch nicht so verantwortungslos, wie sie sich zuerst vielleicht erhofft hatte. Und was noch viel schlimmer war, war die Tatsache, dass sie, entgegen ihrer ersten Überlegungen, sehr wahrscheinlich wohl auf der Premiere dabei sein musste, genauso wie alle anderen Abwesenden.

Sie war so in ihre eigenen Gefährten danken vertieft, dass sie schon gar nicht mehr mitbekam, welche Aufgaben ihr letzter Kollege übertragen bekam. Verzeifelt überlegte sie schon, was alles noch in ihr Gebiet fiel und wie sie das alles unter den ihr unterstellten Mitarbeitern würde aufteilen können. Sicher war schon einmal, dass sie für dieses Projekt einige ihrer Kollegen von anderen Projekten würde abziehen müssen. Auch sie selbst würde wahrscheinlich keine Zeit mehr für die anderen noch laufenden Arbeiten haben.

Auf dem Weg von der Arbeit nach Hause - heute hatte sie wirklich keine Zeit und Nerven zum Shoppen - machte sie sich mit ihrem neuen Tablet vertraut. Sie war froh, dass sie bereits vor einem Jahr von einem mit ANDROID betriebenen Smartphone auf ein iPhone umgestiegen war, denn so war die Bedienung dieses iPads so viel einfacher. Der Kalender war, wie sie schnell feststellte, mit dem von Brian verknüpft, sodass sie jede Deadline, die eingetragen war, sehen konnte. So würde Brian dann auch alle Termine überwachen können, die sie für Interviews oder spezielle Shootings eintrug.

Was jedoch noch hilfreicher war, war die App, mit der man gezielt Aufgaben verteilen konnte, mit Namen und Bezeichnug. Jeder einzelnen Unterteilung konnte sie einen Kontakt und eine Deadline zuteilen, während Brian dann die Gesamtzeit würde festlegen können. Das erste Datum stand bereits fest: December 12th 2014 – PREMIERE

Bis dahin waren es noch knapp 3 1/2 Monate und die sonst so einfallsreiche Grafik-Designerin wusste das erste Mal in ihrem Job nicht, wo sie beginnen sollte.

 

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