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Kapitel 8

 

Veränderungen

 

 

 

Ungeduldig klopften immer wieder Finger auf die furnierte Oberfläche des großzügigen Schreibtisches, von dem eigentlich unter den ganzen Blättern, Zeichnungen und Dokumenten kaum noch etwas zu sehen war. Der Laptop, der genau in der Mitte stand, war das einzige in dem kleinen Raum, das Licht spendete, und er erleuchtete auch seine Bedienerin, die ungeduldig darauf wartete, dass das Video-Portal endlich das Video fertig lud, das sie sich so gerne ansehen wollte.

Als es dann endlich begann, konnte sie das schmale Grinsen auf ihren Lippen nicht verbergen. Es war schon komisch, wie sie sich innerhalb einer Woche so sehr von einem Mann hatte beeinflussen oder bestimmen lassen. Sie hatte es eigentlich nicht gewollt, aber wenn sie wirklich darüber nachdachte, wartete sie mittlerweile immer darauf, dass Richard ihr entweder selbst schrieb, oder ihr auf ihre Nachrichten antwortete.

Und, und das hatte sie von sich selbst am wenigsten erwartete, sie glaubte mittlerweile tatsächlich, dass er sich am 13. September mit ihr treffen wollte, und freute sich sogar darauf.

„We are here to celebrate: The Hobbit: The Battle of the Five Armies!“, ertönte dann aus den Lautsprechern des Laptops, gefolgt vom Jubel einiger Menschen, die anscheinend live dabei gewesen waren. Dann folgte zur Einstimmung erst einmal der Trailer zu gerade genanntem Film und Bianca lehnte sich entspannt in ihren Chefsessel zurück, um sich dieses 28-minütige Video in Ruhe ansehen zu können. In der Tat war es eine Aufnahme eines der Interviews, für das Richard nach L.A. geflogen war.

Noch vor einigen Tagen hätte die junge Fantasygegnerin jeden ausgelacht, der behauptet hätte, dass sie sich jemals freuen würde, einen Trailer für einen Fantasyfilm ansehen zu können, aber jetzt gab es eine Ausnahme. Der Hobbit, oder besser gesagt der Zwergenkönig darin, hatte die davon überzeugt, dass nicht alle Fantasyfilme schlecht waren. Der Hobbit war keiner dieser Filme, in welchem man direkt sah, was darin alles Special Effects waren und was nicht. Hier war die Technik eher subtil eingesetzt worden, zumindest für die momentane Entwicklung in dieser Sparte.

Der Jubel der Anwesenden stieg noch mehr an, als der Moderator dann plötzlich die beiden Gäste, Richard und Lee Pace, auf die Bühne bat. Richard hatte ja gesagt, dass er das allererste Interview, oder das Q&A, was das hier ja eher war, mit einem seiner Kollegen zusammen hatte, und es war schön zu sehen, dass alles, was er ihr gesagt hatte, auch tatsächlich stimmte. Es beruhigte auch den Teil in ihr, der immer noch skeptisch war. Was sie allerdings verwunderte, war, dass sein Bart fehlte. Er hatte sich also tatsächlich glatt rasiert, wobei sie sich fragte, wie er das dann später wieder im Theater machen würde. Allerdings gab es da sicherlich Mittel und Wege.

Das Gelächter war verständlicherweise groß, als Richard gleich am Anfang zugab, bereits während des Drehs zu Der Herr der Ringe an einer Rolle interessiert gewesen zu sein, und zwar an der Rolle des Legolas. Bianca hatte zwar diese drei Filme noch nicht gesehen, aber durch den zweiten Hobbit-Film hatte sie Legolas bereits etwas kennenlernen können, und irgendwie bezweifelte sie, dass das wirklich eine Rolle gewesen wäre, die Richard damals hätte spielen können. Es war nicht als Beleidugung gemeint, aber er war einfach nicht der Typ, der einen Elben spielen konnte, das passte nicht zu ihm. Zumindest nicht nach dem, was sie von Elben bisher gesehen hatte.

Die Stimme von Richard zu hören, wie er im normalen Leben sprach, ließ sie leicht grinsen. Es erinnerte sie direkt an das einzige Treffen, was sie bis jetzt mit ihm hatte, direkt nach dem Theaterstück. Für sie war die Stimme eines Mannes genauso wichtig wie sein Aussehen, und bei Richard stimmte beides, selbst wenn der Bart fehlte.

„I was offered the hands“, erklärte Richard auf die Frage eines Fans hin, welche Requisiten sie vom Set mit nach Hause genommen hatten, „and flatly refused. They were the bane of my life. Try going to the bathroom with a pair of big, prostetic hands on. It’s the most disappointing thing in life.” Auch bei Bianca, die anzügliche Witze normalerweise ziemlich schnell erkannte, dauerte es durch Richards ziemlich trockene Art, dies vorzutragen, etwas länger, bis der Witz seine volle Wirkung entfaltete und sie unweigerlich laut loslachte. Sie konnte sich tatsächlich gut vorstellen, wie frustrierend es für einen Mann sein musste, den einen Teil seines Körpers, bei dem Größe für Männer immer eine Rolle spielte, in überdimensionierten Händen zu sehen.

Und auf einmal kam sie nicht umhin wieder an das Foto zu denken, was sie vor einigen Tagen gesehen hatte. Das Foto, auf dem Richard in einer Speedo-Badehose in einem Schwimmbad stand und ein ziemlich gutes Bild abgab. Sie wurde bei dem Gedanken daran unweigerlich ein klein bisschen rot. Normalerweise war sie alles andere als prüde und hatte auch kein Problem damit, über Sex zu reden, aber irgendwie fühlte es sich für sie komisch an, sich solche Gedanken über Richard zu machen. Oft hatte sie schon darüber nachgedacht, wie es wohl mit dem einen oder anderen Schauspieler wäre, intim zu werden, aber keinen von denen hatte sie tatsächlich einmal getroffen. Und mit keinem von ihnen würde sie in genau 4 Tagen ausgehen.

Dieses Geheimnis hatte sie bisher vor ihrer neugierigen Kollegin verbergen können. Selbst als Richard am Tag zuvor einfach so mir nichts, dir nichts auf der Arbeit angerufen und beinahe eine volle Stunde mit ihr telefoniert hatte, hatte Bianca es geschafft, die Unterhaltung so allgemein zu halten, dass keiner außer ihr ahnen konnte, dass sie sich in Wahrheit mit einem waschechten Schauspieler unterhielt. Schon am Sonntag hatte Richard den Wunsch geäußert, noch einmal mit ihr zu telefonieren, doch da hatte sie noch abgelehnt, mit der Ausrede, sie müsse nun ins Bett. Am Montagmorgen um kurz nach 9 hatte sie diese Ausrede nicht gehabt, und abwimmeln hatte sie ihn auch nicht können, weil er nicht auf ihrem Telefon, sondern auf dem ihrer Kollegin angerufen und sich dann hatte durchstellen lassen.

Es war in der Tat schön gewesen, seine Stimme zu hören und zu wissen, dass er tatsächlich mit ihr sprach und sie nicht einfach nur, wie gerade eben, ein Interview mit ihm sah und er mit irgendjemand anderem redete. Sie bildete sich sogar ein, dass seine Stimme ihr gegenüber etwas weicher und offener klang als bei den Interviews. Sie hatten größtenteils über Belanglosigkeiten gesprochen, über das Wetter in L.A. und London, über die Arbeit, zumindest über ihre. Und Bianca hatte, natürlich ohne erkennen zu lassen, dass sie gerade wirklich mit ihm sprach, die Arbeit von Richard im Hobbit gelobt.

„So I did get you to watch that ‚awful fantasy‘?“, hatte er sie etwas schelmisch gefragt und sie hatte das dümmliche Grinsen auf seinen Lippen förmlich hören können.

„Well, it appears that one is not so bad at all, for a change.“ Daraufhin waren beide in ein kurzes Gelächter ausgebrochen, was Bianca aber mit einem Blick zu ihrer Kollegin, die sie erwartungsvoll ansah, direkt abbrach. Als der smarte Brite am anderen Ende des Höhrers dann genüsslich in das Mikrophon gegähnt hatte, hatte sie ihm noch geraten, besser ins Bett zu gehen, bevor er am nächsten Morgen noch bei einem seiner Termin einschlafe würde, und die beiden hatten sich verabschiedet.

„War das derselbe Richard, über den du dich letzte Woche so aufgeregt hast?“ Anna hatte den ganzen Arbeitstag nicht mehr aufgegeben und hatte sie so lange mit dieser Frage genervt, bis Bianca einfach ihre Sachen gepackt hatte und gegangen war. Natürlich war das nicht die „feine englische Art“ gewesen, aber immerhin war sie ja auch keine gebürtige Engländerin. Und auch heute Morgen hatte Anna, kaum da ihre immer zu spät kommende Kollegin das Büro betreten hatte, sie wieder mit Fragen bombardiert.

„Meine Güte, warum machst du aus der ganzen Sache so ein Geheimnis? Dass du den Kerl magst, habe ich schon herausgefunden“, erklärte Anna und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich freue mich einfach nur, dass du wieder jemanden gefunden hast, der dich zum Lachen bringt. Und hoffentlich nicht nur das.“ Das anstößige Zwinkern entging der immer noch etwas müden und genervten Grafik-Designerin natürlich nicht und sie sah ihre Kollegin beinahe entsetzt an.

„Es ist sicherlich nicht das, was du denkst!“, zischte sie daher direkt und ignorierte zuerst den skeptischen Blick ihrer Kollegin. „Richard und ich sind nur Freunde!“ Und selbst das hörte sich noch ziemlich weit hergeholt an. „Wir haben uns ja noch nicht einmal getroffen. Außerdem geht dich das nichts an!“

„Ist ja gut!“ Und damit war das Thema erst einmal beendet gewesen, aber Bianca wusste, dass ihre neugierige Kollegin wahrscheinlich morgen wieder damit anfangen würde.

Auf dem Weg nach Hause hatte sie dann noch einige Male mit Richard geschrieben und beide waren sich einig gewesen, dass das gemeinsame Telefonat eine sehr gute, aber in Anwesenheit von Dritten weniger praktikable Idee gewesen war. Zumindest, wenn niemand wissen sollte, dass Bianca mit einem bekannten Schauspieler telefonierte. Richard hatte zwar nichts dagegen gehabt, wenn sie es jemandem gesagt hätte, aber Bianca gab zu bedenken, dass ihr wahrscheinlich ohnehin niemand glauben würde.

Das hatte dann auch Richard eingesehen, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, war es so auch erst einmal das Beste. Wer konnte schon wissen, was passieren würde, sobald andere davon erfuhren, dass eine Grafik-Designerin, die für eine der renommiertesten Werbeagenturen Londons arbeitete, es tatsächlich geschafft hatte, Richard Armitages Herz zu erobern. Wahrscheinlich würden die Klatschblätter sie nicht mehr in Ruhe lassen und sie hätte keine Privatsphäre mehr. Das wollte er der hübschen Frau sicherlich nicht antun. Es bedeutete ja noch nicht mal, dass sie selbst der Presse etwas sagte. Das hätte sie, wenn sie das gewollt hätte, schon längst getan. Es waren eher ihre Freunde und Kollegen, deren Reaktion man nicht vorausahnen konnte.

Seine Freunde waren da sicherlich die besseren Geheimniswahrer. Immerhin verstanden sie nur zu gut, was es bedeutete, kaum noch ein Privatleben zu haben. Die Jungs aus Neuseeland hatten damit eher weniger Probleme, aber Orlando, Lee und Luke hatten da schon ganz andere Erfahrungen gemacht. Erst gestern waren einige Bilder von Orlando mit seiner angeblich neuen Freundin in einem der unzähligen Klatschblätter aufgetaucht. Nach der Trennung von Miranda waren er und Richard sich auf einer Premiere über den Weg gelaufen und hatten einige Zeit miteinander geredet. Orlando war zwar ein beliebter und sehr attraktiver Filmstar, aber, und das wussten vielleicht die wenigsten, er hätte das alles für seine Familie aufgegeben. Leider war seine Frau nicht so ein Familienmensch gewesen und sie hatte mehr Wert auf die Karriere gelegt. Und damit hatte Orlando nicht leben können.

Letztendlich war die Scheidung zwar schwer gewesen, aber sie war wahrscheinlich für alle das Beste gewesen. Flynn lebte jetzt größtenteils bei seinem Vater, während seine Mutter immer noch für die Modeljobs durch die halbe Welt reiste. Doch das größte Problem war tatsächlich die ziemlich penetrante Yellow-Press, die einfach alles, was Miranda oder Orlando taten, breittraten, und das auch ohne Rücksicht auf den kleinen Flynn.

Das Vibrieren seines Smartphones riss ihn aus diesen Überlegungen und er wunderte sich wieder einmal, wie ihn seine Gedanken doch abdriften lassen konnten, wenn er sich nur einmal in ihnen verlor. Er rechnete schon fest damit, dass es eine Nachricht von Bianca war, die sein Handy zum Vibrieren gebracht hatte, aber diesen Gedanken schob er beiseite, als er sah, dass das Benachrichtigungslämpchen nicht weiß, sondern gelb blinkte. Gelb bedeutete meistens, dass er eine E-Mail bekommen hatte.



„Hi Richard,

after our really nice talk I thought I should write you something a bit longer, than just a short message over WhatsApp. So I guessed I’d finally answer to that Mail you wrote me more than a week ago.

Yes, I pulled the plug of my office phone. I have to admit, that this day wasn’t one of my best and I kind of lost it. In fact it was pretty hard to believe, that you would in fact want to go to a bar with someone you don’t know. And when you called, I guess my thoughts fulfilled themselves and that’s why I got so upset. Of course I guessed you would have forgotten all about me, till you arrive in L.A., but apparently that didn’t happen. To be honest, I didn’t know much about you and I thought you were that typical good looking Hollywood actor: Arrogant, completely in love with yourself, and only nice to your fans when there were others around.

But don’t worry, I know better now. To be honest I did a little research about you the last few days and watched some interviews. I even saw snippets from the making off the Hobbit and I came to the conclusion, that you’re all but that kind of actor that I just described. Sometimes you even seem to be a little shy, which I find quite amusing. And I really like that dry humor of yours, it really makes me laugh a lot.

So, as you might already have guessed, you finally got me to look forward to our meeting in 4 days. Have a pleasant flight home. Oh, and I would really appreciate to hear from you after you landed safely.

Bianca.”



Die Hände der brünetten Wahlengländerin zitterten leicht, nachdem sie auf Absenden gedrückt hatte. Immerhin war diese E-Mail nicht die gewöhnliche Nachricht an einen Star. Aber was war in dieser Hinsicht schon normal? Was sicherlich nicht normal war, war, dass sie immer noch nicht darüber nachgedacht hatte, was sie zu diesem Date eigentlich anziehen sollte. Normalerweise hatte sie immer ein Outfit für ein Date parat liegen, aber in diesem Fall war das doch etwas anderes. Sie konnte zu diesem Treffen nicht das anziehen, was sie sonst immer anzog. Immerhin hatte sie sich noch nie mit jemandem wie Richard getroffen, und damit meinte sie nicht seinen Beruf. Die Männer, die sie sonst kennengelernt hatte, hatten nicht einmal ansatzweise so viel Stil gehabt, wie dieser englische Gentleman.

Die meisten Begegnungen mit den Herren der Schöpfung waren für sie eher enttäuschend gewesen, da sie nie wirklich das gewesen waren, was sie von ihnen erwartet hatte. Paul war, zumindest eine Zeit lang, eine rühmliche Ausnahme gewesen, aber auch er hatte sich mit der Zeit zu etwas entwickelt, mit dem sie einfach nicht hatte leben können.

Seitdem hatte sie zwar auch nicht direkt enthaltsam gelebt, aber sie hatte sich nicht mehr auf besonders tiefschürfende Beziehungen eingelassen. Die meisten waren schon nach einigen Wochen wieder aus ihrem Gedächtnis verschwunden und sie hätte sie wahrscheinlich noch nicht einmal auf der Straße erkannt, wenn sie ihr über den Weg gelaufen wären. Wahrscheinlich wäre sie dann diejenige gewesen, die angestrengt über den Namen des Mannes hätte nachdenken müssen. Doch oft hatten die Männer ebenfalls kein Interesse an etwas Ernstem gehabt und so war die Sache mehr oder weniger geklärt. Man sprach sich nicht an, selbst wenn man sich erkannte.

Aber dieses Date war etwas anders. Es war ja noch nicht mal ein richtiges Date, immerhin würde sie ja keine Beziehung mit diesem Mann eingehen, zumindest traute sie sich nicht, über so etwas nachzudenken. Es war eher die harmlose Art von Treffen, bei dem man einfach nur zusammensaß und sich unterhielt, ohne irgendeinen Hintergedanken. Außerdem traf sie sich mit diesem attraktiven Schauspieler nicht in irgendeiner Kneipe, sondern in einer ziemlich edlen Bar, in der sie lieber nicht in ihren normalen Jeans rumlaufen wollte. Daher würde sie am nächsten Tag wohl etwas später nach Hause kommen und nach der Arbeit erst einmal durch die verschiedenen Läden in London laufen, um das passende Outfit zu finden.

 

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