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Kapitel 7

 

Das einzige Recht

 

 

 

Das laute Klingeln des nostalgischen Wahlscheibentelefons dröhnte durch das ganze Haus. Es war ansonsten ziemlich ruhig dort und deswegen konnte man es in den leeren, um die späte Tageszeit schon dunklen Räumen noch besser hören als sonst. Doch selbst, wenn man das Telefon eigentlich wunderbar hören konnte und an dem Licht, das durch einen kleinen Schlitz unter der Küchentür eintrat, erkennen konnte, dass jemand zu Hause war, wurde das Klingeln nicht beantwortet.

Das lag jedoch weniger an der Ignoranz der sich in der Küche befindlichen Besitzerin des Hauses, sondern eher daran, dass sie mit Kopfhörern im Ohr in ihrer Küche stand und anscheinend ein kleines Essen für sich vorbereitete. Am Wochenende hatte sie die einzige Möglichkeit, für sie selbst zu kochen, und seitdem sie das nach der Scheidung ihrer Pflegeeltern eigentlich immer selbst getan hatte, bildete sie sich ein, ein kleines Talent dafür entwickelt zu haben.

Aber leider war es ziemlich mühsam und auch undankbar, nur für sich selbst zu kochen. Es schmeckte deswegen zwar nicht schlechter und sie gab sich deswegen auch nicht weniger Mühe, aber es war immer schöner zu sehen, dass es auch anderen schmeckte, dass sie anderen damit vielleicht ein Lächeln auf das Gesicht zaubern konnte. Deswegen hatte sie normalerweise am Wochenende auch meistens einen Gast bei sich zum Essen, aber nach den Ereignissen der letzten Woche und der Ahnung, dass sie sicherlich ausgefragt werden würde, was sie so gereizt hatte, hatte sie sich dazu entschieden, ausnahmsweise an diesem Wochenende alleine zu bleiben.

Bereits am Vortag, als sie nach ihrem Einkauf im örtlichen Supermarkt angefangen hatte zu kochen, war ihr aufgefallen, wie ungewohnt es doch war, tatsächlich nur für eine Person zu kochen, und sie hatte natürlich prompt viel zu viel gemacht. Den Rest hatte sie dann in kleine Tupperschüsseln verpackt und eingefroren, denn es konnte immer mal sein, dass sie etwas Schnelles brauchte, wenn sie unter der Woche mal spät nach Hause kam, und da waren diese eisernen Reserven nicht schlecht.

Nachdem sie am Vortag mit dem Kochen fertig geworden war, hatte sie sich dann mit ihrem Essen ins Wohnzimmer gesetzt und hatte den Fernseher eingeschalten. Erst dann war ihr wieder eingefallen, was für ein Film an diesem Wochenende auf ihrem eigentlichen Lieblingssender lief. Einen Moment lang hatte sie die Abneigung gegen diese Art Filme gepackt, im nächsten aber hatte schon die Neugierde gesiegt, denn sie hatte anscheinend genau im richtigen Moment eingeschaltet. Gerade als sie die Fernbedienung in der Hand gehalten hatte, um den Sender zu wechseln, erschien das Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm, der ihr, besonders seit ihrer exzessiven Google-Wut in der Badewanne, nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte.

Sie hatte einige Bilder von ihm in dieser Rolle, der Rolle eines Zwergenprinzen im Exil, gesehen, aber so, wie er in dieser Szene ausgesehen hatte, hatte sie ihn nicht gesehen, und das hatte sie gewissermaßen gefesselt. Am Ende des Films hatte sie sich dann eingestehen müssen, dass er zwar kein absolutes Highlight für sie war, aber dafür, dass sie Fantasy eigentlich gar nicht mochte, war es doch erträglich gewesen. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass sie sich jetzt doch etwas beeilte, weil sie wusste, dass in wenigen Minuten der zweite Teil starten würde. Und sie wollte doch herausfinden, ob Richard in diesem Teil genauso beeindruckend war wie im ersten.

Als die kleine Küchenuhr, die wie immer an ihrem rechtmäßigen Platz neben dem  Backofen stand, kurz klingelte und Bianca dann den alten Backofen und ihre durchaus überholungsbedürftige und laute Abzugshaube ausstellte, hörte sie gerade noch in letzter Sekunde, wie das Telefon aufhörte zu klingeln, aber leider war es da schon zu spät. Manchmal hatte ihre Liebe zur Nostalgie auch Nachteile, immerhin konnte sie auf einem originalen Wahlscheibentelefon nicht sehen, wer gerade versucht hatte sie anzurufen, aber eigentlich war ihr das auch egal. Wer auch immer es war, er oder sie würde sich schon noch einmal melden, wenn es wichtig war. Es war ja nicht so, als ob sie Familie hätte, die so spät anrufen konnte, weil jemandem etwas passiert war. Bei ihrem Glück war es nur wieder einer dieser Vertreter gewesen, die ihr irgendetwas hatten andrehen wollen.

Daher kümmerte sie sich auch nicht weiter darum und widmete sich lieber wieder ihrem Essen, das sie nun aus dem Backofen holte. Wenn es nach ihr ging, konnte sie sich nur von Ofenkartoffeln und der leckeren Kartoffelcreme ernähren, die es in ihrem Supermarkt des Vertrauens gab. Heute Morgen hatte sie beinahe eine Panikattacke bekommen, als sie die Packung mit dem Dip nicht an ihrer üblichen Stelle gefunden hatte. Die Dringlichkeit, mit der die schlanke Wahlengländerin das Regal der Kühltheke durchsucht hatte, hatte schon beinahe an einen Junkie erinnert, der seinen nächsten Tripp suchte. Erst als eine erstaunlich freundliche Verkäuferin ihr bei der Suche half und dann schließlich aus dem Lager noch eine letzte Packung holte, war Biancas Puls wieder langsam auf ein normales Level gesunken.Vorsichtig und bedacht darauf, sich nicht die Finger zu verbrennen, schälte sie die Kartoffeln aus der Alufolie und entleerte dann am Rand die zwei Tüten mit Kartoffelcreme.

Auf dem Weg in ihr Wohnzimmer, wo bereits der Fernseher lief und nur noch die Werbung sie vom zweiten Teil des gestern gesehenen Films trennte, holte die verantwortungsbewusste Grafik-Designerin ihr Diensthandy aus der Tasche. Vielleicht war das zuvor ja auch ihr Chef gewesen und er versuchte sie dringend zu erreichen. Vielleicht ging es um den großen Kunden, mit dem er hatte am Wochenende sprechen wollen. Vielleicht war der Vertrag ja zustande gekommen, und jetzt wollte er sie schon einmal auf einen sehr stressigen Montag vorbereiten.

Als sie ihr Handy jedoch einschaltete, wurde sie eines Besseren belehrt. Wer es gewesen war, der sie so spät am Abend angerufen hatte, konnte sie dort zwar nicht sehen, aber sie hatte kaum Empfang, da vibrierte ihr Telefon auch schon wild und benachrichtigte sie, dass sie insgesamt 10 ungelesene WhatsApp-Nachrichten erhalten hatte. Nachdem sie in ihrer Neugierde jedoch die Nachrichten von Tom, Anna und Jenny, die anscheinend versucht hatten, sie anzurufen, gelesen hatte, legte sie ihr Handy mit 3 weiteren ungelesenen Nachrichten zur Seite. Diese Nachrichten kamen alle von Richard und mit ihm wollte sie im Moment nicht schreiben.

Sie war immer noch etwas böse auf ihn, dass er ihr nicht gesagt hatte, dass er in dem Film, in dem sie vor zwei Tagen noch mit ihren Kollegen gewesen war, mitgespielt hatte. Andererseits hatte sie es selbst anscheinend übersehen, denn vorgestern, als sie in der Badewanne gegoogelt hatte, hatte sie immer und immer wieder davon gelesen.

Sie wollte sich gerade ihre erste Gabel mit Ofenkartoffel in den Mund schieben, als auf einmal wieder das Telefon klingelte. Normalerweise mochte sie dieses beinahe schon nostalgische Klingeln des Telefons. Wenn es sie jedoch vom Essen abhielt, kam es ihr auf einmal furchtbar nervig vor. Eine schöne Melodie hätte man vielleicht noch ignorieren können, doch dieses penetrante Klingeln war nichts für schwache, hungrige Nerven.

„Ja, Bianca Lohmann“, nahm sie also doch noch ab und legte ihre Gabel wieder zurück auf den Teller. Als sie jedoch merkte, dass es nur wieder Jenny war, nahm sie ihre Gabel direkt wieder auf und schob sie sich in den Mund. Sollte Jenny sich doch damit abfinden, dass sie ihre Freundin nicht richtig verstehen würde. Immerhin war es ihre eigene Schuld, immer genau dann anzurufen, wenn Bianca gerade keine Zeit hatte oder etwas essen wollte.

„Und, wie sieht es an der Richard-Front aus?“, fragte Jenny und klang dabei etwas zu erfreut darüber, dass ihre Freundin anscheinend von selbst nicht auf das Thema zu sprechen kam. Meistens waren es nämlich die Themen, die ihre langjährige Freundin nicht von selbst anschneiden wollte, die am interessantesten waren. Richard Armitage war sicherlich eines davon und ihre weibliche Intuition, die sie eigentlich noch nie im Stich gelassen hatte, sagte ihr, dass irgendetwas vorging, das wahrscheinlich noch nicht mal die beiden Betroffenen wirklich zu erfassen vermochten.

„Bei dir klingt es beinahe, als wäre es eine Schlacht, die es zu gewinnen gilt“, bemerkte Bianca dann mit vollem Mund und etwas grimmig. Ja, man merkte eindeutig, dass ihre Freundin aus Schulzeiten mittlerweile eine lang praktizierende Psychotherapeutin war. Immerhin hatte nur sie das Talent, genau auf den Punkt zu stoßen, der etwas heikel war.

„Du kennst doch das alte Sprichwort: Im Krieg und der Liebe ist alles erlaubt! Wenn man die beiden schon so gleichsetzt - und glaub mir, nach 10 Jahren Ehe kann ich da ein Lied von singen -, kann man schon behaupten, dass die Liebe manchmal schlimmer ist als jede Schlacht, die da draußen geschlagen wird.“

„Und genau deswegen lasse ich mich nicht auf die Liebe ein“, argumentierte die mittlerweile etwas besser gelaunte Gesprächspartnerin immer noch mit vollem Mund.

Jenny konnte, geschätzte 500 km Luftlinie entfernt, nur grinsend mit dem Kopf schütteln. Um ihre Freundin zu durchschauen, brauchte sie kein Studium und auch nicht die langjährige Erfahrung mit schwierigen Patienten. Sie hatte Bianca schon in der Schule durchschauen können und daran hatte auch der Wohnortswechsel nichts geändert. „Lenk nicht von meiner Frage ab. Wie läuft es mit Richard? Hast du ihm verziehen, dass er das Date verschoben hat?“

„Das war kein – Ach, ist ja auch egal! Wir werden uns am 13. sehen, in einer Bar.“ Nun musste Jenny vorsichtig sein, und das wusste sie. Ihre Freundin hatte sich einen Schritt weit geöffnet, hatte wahrscheinlich eingesehen, dass es nichts brachte, mit ihr nicht darüber zu sprechen. Jenny durfte jedoch in dieser zerbrechlichen Phase des Gespräches nicht drängen, nicht provozieren, sonst machte Bianca sicherlich direkt wieder dicht. „Anna hat ihm meine Diensthandynummer gegeben und er schreibt mit immer wieder Nachrichten. Wäre er kein berühmter Schauspieler, ich würde ihn für einen verrückten Stalker halten“, bemerkte die Stimme am der anderen Seite der Leitung eher belustigt als beunruhigt.

„Und du antwortest ihm auch?“, hakte Jenny noch einmal nach. Sie kannte Bianca gut genug, um zu wissen, dass sie manchmal ziemlich dumme Sachen machte. Richard nicht zurückzuschreiben wäre eine davon gewesen, das zumindest traute sie ihrer Freundin durchaus zu. Die etwas längere Redepause hieß für sie jedoch nichts Gutes. Meistens resultierte so eine Stille bei einer Antwort daraus, dass man darüber nachdenken musste, was man sagte, dass man darüber nachdachte, was die andere Seite nun von einem erwartete, und man evaluierte, ob es mit den eigenen Vorstellungen der Antwort übereinstimmte.

Als dann doch ein eher schwaches „Ja“ kam, seufzte Jenny leicht und erntete dadurch einen fragenden Blick von ihrem Mann, der auf dem Sofa neben ihr saß und genüsslich sein Wochenendbier trank, bevor er am nächsten Tag nach einem kleinen Urlaub wieder arbeiten musste. „Aber?“

„Aber ich habe ihm schon seit Freitagabend nicht mehr geantwortet.“ Die Stimme der Grafik-Designerin war so dünn und leise gewesen bei der Aussage, dass Jenny nicht nur aus Überraschung darum bat, dass sie ihre Antwort noch einmal wiederholte. Das konnte doch nicht wahr sein! Warum um alles in der Welt machte es sich dieser engstirnige Single immer so vollkommen schwer? Warum musste sie jeden kleinen Fehler anderer immer wieder als Flucht vor dem nehmen, was ihr vielleicht endlich einmal Glück würde bringen können?

„Und warum nicht?“ Die Psychologin versuchte sich an ihre wichtigsten Regeln zu erinnern: 1. Ein Patient handelt so, wie er es tut, weil er ein Problem hat. 2. Dieses Problem ist zu beheben 3. Man schreit einen Patienten niemals an. Leider war es nicht so einfach, wenn man nicht mit einem Patienten, sondern mit einer Freundin sprach, und wenn diese Freundin einem nicht gegenübersaß, sondern so weit entfernt war.

„Weil er mir nicht gesagt hat, dass er in einem Film mitspielt, den ich mir am Freitag mit Anna und Tom angesehen habe!“ Für Bianca schien dieser Grund durchaus plausibel, immerhin hatte sie gestern, als sie sich den ersten Teil des Hobbits angesehen hatte, bemerkt, wie sie ziemlich rot geworden war, als sie ihn gesehen hatte und wie dämlich sie gegrinst haben musste. Wenn das während des Films passiert wäre, den sie mit ihren Kollegen gesehen hätte, dann wäre das wirklich nicht gut gewesen.

„Und was ist daran so dramatisch?“, fragte Jenny, doch sie bekam keine Antwort. Die sich auf dem Sofa befindende Brünette starrte nämlich gerade mit einem ziemlich dümmlichen Grinsen und leicht geröteten Wangen auf den Bildschirm, wo gerade zum erst Mal Thorin Eichenschild zu sehen gewesen war. Der zweite Teil des Hobbits hatte gerade angefangen und das auch noch mit ihm. „Hallo? Erde an Bianca!“ Jenny wusste wirklich nicht, was es bei dieser Frage so lange zu überlegen gab.

Anscheinend hatte sie ihre Freundin jedoch aus ihrer Trance geholt, denn sie hörte nur ein resigniertes Seufzen. „Genau das ist daran dramatisch. Da hat dieser Kerl doch tatsächlich die Frechheit, unverhofft auf der Leinwand zu erscheinen, und man muss aufpassen, dass man noch einen klaren Gedanken fassen kann, ohne direkt …“

„Wann hattest du das letzte Mal Sex?“, fragte Jenny ganz unverblümt und zwei Personen flog der Inhalt ihres Mundes in hohem Bogen aus dem Mund. Zum einen Jennys Mann, der genau neben ihr saß, aber das Gespräch nur von einer Seite mitbekam, und zum anderen einer ziemlich geschockten Freundin, die mit einer solchen Frage selbst von Jenny nicht gerechnet hatte.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht!“, zischte sie in den Hörer und wurde unweigerlich wieder rot. Sicherlich würde sie das ihrer Freundin nicht auf die Nase binden! Selbst wenn sie schon lange keinen Sex mehr gehabt hatte, was hatte das denn bitte damit zu tun? Nur weil sie seit einiger Zeit aufgehört hatte, sich mit langweiligen One-Night-Stands zu vergnügen, hieß das noch lange nicht, dass sie verzweifelt war. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendeine Frau den offensichtlichen Reizen dieses Mannes widerstehen konnte.

„Du solltest ihm wirklich antworten“, schloss Jenny nach geschlagenen 1 ½ Stunden das durch den laufenden Hobbit-Film eher stockende Gespräch ab. Immer, zumindest nahm sie das an, wenn Thorin Eichenschild alias Richard Armitage auf dem Bildschirm erschienen war, hatte ihre Freundin auf der anderen Seite nämlich in ihrer Antwort oder Frage innegehalten, um anscheinend genau zu sehen, was er da tat. „Du hast ihn lange genug bestraft.“

„Ich weiß“, sah Bianca dann doch gähnend ein. Es war wirklich noch nicht so spät wie sonst, aber ein so langes Gespräch mit Jenny war immer anstrengend. Und wenn sie sich dann noch gleichzeitig auf den Film konzentrieren wollte, der gerade lief, verlangte ihr das ein großes Maß an Energie ab, die nun durch einen guten Schlaf wieder aufgefüllt werden wollte. Allerdings sah es noch nicht so aus, als sei der Film schon beendet. „Ich bin müde, ich leg jetzt auf.“

„Mach das, gute Nacht“, verabschiedete sich Jenny daher, selbst etwas zu müde, um noch viel mehr zu sagen. Immerhin war es bei ihr in Deutschland schon eine Stunde später als in London und auch sie musste morgen wieder arbeiten und sich mit einigen schwierigen Fällen auseinandersetzen.

Bianca legte den Hörer auf die Gabel und rieb sich ihr ziemlich warmes Ohr. Das war einer der Nachteile, wenn sie mit Jenny telefonierte. Es war selten ein kurzes Gespräch. Meistens brauchten sie noch länger zum Auflegen, aber wahrscheinlich war Jenny aufgefallen, dass heute Abend kein vernünftiges Gespräch mit Bianca mehr zu führen war. Und daran war ein gewisser Zwergenprinz wahrscheinlich nicht ganz unschuldig.

Dem Rat ihrer Freundin folgend nahm sie also endlich ihr Diensthandy in die Hand - mittlerweile hatten wahrscheinlich auch Tom und Anna wieder geschrieben - und öffnete den Chat mit Richard. Direkt sprangen ihr die drei Nachrichten entgegen, die er anscheinend gestern geschrieben hatte, in der Hoffnung, dass sich ihr Gemüt beruhigt hatte.

How dare you hold back that information“, schrieb Bianca in dem Wissen zurück, dass der smarte Brite wahrscheinlich gerade nicht auf sein Handy sah, sondern eher mit etwas anderem beschäftigt war, immerhin war es in L.A. mittlerweile Mittag.

Da hatte sie allerdings ganz und gar nicht Recht. Der Schauspieler saß alleine in einem kleinen Café und las gerade die Times, als sein Handy vibrierte und ein kleines Pfeifen von sich gab. Vorsichtig faltete er die Zeitung zusammen und griff nach seinem Smartphone. Schon als er auf dem Sperrbildschirm sah, dass es tatsächlich Bianca gewesen war, die ihm endlich geantwortet hatte, hoben sich seine Mundwinkel etwas an.

Auch wenn er die ziemlich temperamentvolle Frau noch nicht so lange kannte und er größtenteils nur über Kurznachrichten mit ihr kommuniziert hatte, meinte er sie schon gut genug zu kennen, um zu wissen, dass sie einerseits ziemlich wütend auf ihn war. Andererseits hatte er aber auch geahnt, dass sie ihm antworten würde. Wenn sie wirklich kein Interesse gehabt hätte, mit ihm zu sprechen, dann hätte sie schon von Anfang an auf seine Nachrichten nicht reagiert und ihn einfach blockiert. Aber das hatte sie nicht getan und er war froh darüber. Er wusste noch nicht einmal genau wieso, aber mit jedem Tag, der in L.A. verging und ihn näher an sein kommendes Date brachte, war er besser gelaunt.

Das Interview, wegen dem er eigentlich hergekommen war, war bestens vorbei und auch die meisten anderen Veranstaltungen, zu denen er laut seiner Agentin hatte erscheinen sollen, waren fast abgehandelt. Er hatte sogar einen Vertag für einen längeren Auftritt in der beliebten US-Serie „Hannibal“ unterschrieben. Alles in allem war dieser Tripp nach L.A. also gar nicht mal so schlecht gewesen.  

Nach einem kurzen „I’m sorry“ seinerseits bekam er eine ziemlich eindeutig Antwort, denn das „bebother and confusticate you“ konnte nur bedeuten, dass sich seine Gesprächspartnerin anscheinend doch noch dazu durchgerungen hatte, einen ganz bestimmten Film zu sehen.

Der Gedanke, dass er der Grund sein könnte, warum sie nun doch einen Fantasyfilm ansah, zauberte ihm ein kleines Lächeln aufs Gesicht und schmeichelte ihm mehr als es Worte vielleicht vermocht hätten. Und um ehrlich zu sein verwunderte ihn das doch etwas. Mit seinen 43 Jahren hätte man meinen sollen, dass er diese ganze Sache etwas gelassener nahm, als er es vielleicht als Teenager genommen hätte, aber gerade jetzt merkte er, wie dieses seltsame Gefühl in ihm aufstieg.

Er fühlte sich wie damals in Budapest. Er war gerade erst in der Stadt an der Donau angekommen und hatte über diesen seltsamen Mann am Flughafen den Job bei dem kleinen Wanderzirkus bekommen, als er sie gesehen hatte. Nur für einen kleinen Moment hatte er sie gesehen, doch das hatte gereicht. Sie, das war Nadjeschka gewesen, die Tochter des Tiertrainers. Sie war selbst kein großer Teil der Zirkusfamilie gewesen, sie war einfach nur das Mädchen gewesen, das die Tiere versorgte. Sie kam aus Ungarn und da Richard selbst kein einziges Wort ungarisch sprach und sie durch ihr Leben im Zirkus kaum Englisch verstand, hatten die beiden nie oft miteinander geredet, oder besser gesagt sie hatten sich nie wirklich verständigen können.

Und dennoch hatten die beiden sich gegenseitig fasziniert, und wann immer dieses einmalig starke, aber dennoch schüchterne Mädchen ihn angelacht hatte, war sein Herz in die Höhe geflogen. Er war damals nicht älter als 18 gewesen, sie wahrscheinlich noch ein bisschen jünger, aber deswegen war es nicht minder intensiv gewesen. Sie war seine erste Liebe gewesen und es hatte ihm damals ein Teil seines Herzens gekostet, sie nach 6 Wochen zurücklassen zu müssen. Sie dort bei diesem Zirkus zu lassen, während er wieder in eine bessere Welt ging.

You have no right to look so handsome when I’m mad at you!“, riss ihn die nächste Nachricht wieder aus seinen Gedanken, ließ sein momentanes Hochgefühl jedoch nur noch etwas mehr ansteigen. Anscheinend hatte nicht nur sie bei ihm einen Eindruck hinterlassen. Und sofort fiel ihm eine passende, wenn auch ziemlich freche Antwort zur Erwiderung ein. Die Versuchung, ihr diese Worte zu schreiben, war einfach viel zu groß, und immerhin wusste er ja, dass sie den ersten Film gesehen hatte. Vielleicht hatte sie dann auch den Zweiten bereits gesehen. Andererseits hatte er eine Vorahnung, dass seine Antwort bei der immer noch wütenden jungen Frau vielleicht auch genau das Gegenteil von dem auslösen könnte, was er bezwecken wollen.

Er musste ein amüsiertes Glucksen unterdrücken, als er die Nachricht doch eintippte und schließlich den Senden-Button berührte. Er konnte dieser Verlockung einfach nicht widerstehen. Außerdem bestand ein gewisser Reiz in dem Wissen, dass er ihr Temperament herausforderte, indem er schrieb: „I  have the only right.“

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