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Kapitel 6

 

Nicht darauf einlassen!

 

 

 

Die Stimmung auf dem Weg zurück zur U-Bahn-Station des Leicester Squares war eher eine unangenehme. Anna und Tom waren begeistert von dem Film gewesen und hätten am liebsten nur darüber gesprochen. Sie merkten jedoch beide, dass irgendetwas ihrer brünetten Kollegin, die schon direkt am Anfang des Filmes plötzlich ziemlich angespannt gewesen war, kräftig die Laune verdorben hatte. Anna wusste nur nicht genau, was der Auslöser dafür gewesen war, denn zumindest ihr Umfeld konnte es nicht gewesen sein. Immerhin hatten Anna und Tom sie während des Films in Ruhe gelassen und waren sichergegangen, dass sie den Sitz außen, neben einem freien Stuhl, hatte.

 

„Was ist los? Hat dir der Film nicht gefallen?“, fragte Anna vorsichtig, als Tom bereits ausgestiegen war. Sie wollte nicht, dass er sich noch schlechter fühlte, als er es sowieso schon tat. Eigentlich hatte er Bianca eine Freude machen wollen, aber das war ja anscheinend nach hinten losgegangen.

 

Bianca grummelte nur unverständlich und verdrehte die Augen. Dieser Film war alles andere als gut gewesen. Er war zu gut gewesen und deswegen mochte sie ihn nicht. Deswegen und weil ihr ein gewisser Mann, der in den letzten 1 ½ Stunden ständig in ungewöhnlicher Schärfe und Größe direkt vor ihrem Gesicht herumgelaufen war. Sie hatte seine Stimme wieder gehört und sie hatte direkt in seine Augen sehen können.

 

„Richard Armitage sieht ziemlich gut aus, oder? Genau dein Typ, oder?“, fragte Anna dann wieder, immerhin hoffte sie, irgendeine Reaktion zu dem Film aus ihrer Kollegin herauszulocken. Diese schnaubte jedoch nur wieder abfällig. „Was hast du gegen ihn?“

 

„Nichts Wirksames anscheinend“, murmelte Bianca in ihren nicht vorhandenen Bart. Nun war Anna doch ein wenig überrascht über die abwertende Haltung ihrer Kollegin. Sie wusste, dass Bianca, wenn es Männer anging, oftmals etwas harsch reagieren konnte, aber dieser Mann war nur ein Mann auf der Leinwand. Was machte es da schon aus, sich einzugestehen, dass er gut aussah? Dann sprach sie die brünette Grafik-Designerin lieber nicht mehr an. Immerhin wollte sie am Montag wieder normal mir ihr reden können und das war wahrscheinlich nicht möglich, wenn sie sie jetzt bis aufs Blut reizte.

 

„Tut mir übrigens leid, dass ich diesem Mann deine Nummer gegeben habe“, sagte sie noch kleinlaut, bevor sie an ihrer U-Bahn-Haltestelle ausstieg. Tief durchatmend winkte Bianca nur ab. Eigentlich war es ja gar nicht so schlimm gewesen. Sie hatte sich gut mit Richard unterhalten. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, ab dem er ihr verschwiegen hatte, dass er mit ihr schrieb, kurz bevor sie einen Film sehen würde, indem er eine der Hauptrollen spielte. Darauf war sie wirklich nicht vorbereitet gewesen!

 

Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie im Dunkeln tappen zu lassen? Wollte er ihre Fassade der starken, alleinstehenden Frau zunichtemachen? Wollte er, dass sie in aller Öffentlichkeit im Kino dahinschmolz, weil er auf dieser riesigen Leinwand so unglaublich gut aussah? Nein! Das war definitiv nicht sie, das war nicht die Bianca Lohmann, die sie sein wollte. Sie wollte keines dieser weiblichen Opfer sein, die auf einen Mann einfach nur wie eine Trophäe wirkten. Sie wollte eine Frau sein, die mit dem Mann auf einer Ebene stand, die sich ihm gegenüber behaupten konnte. Und dieses Bild konnte sie nicht aufrechterhalten, wenn sie vor einem dieser Gattung zerfloss wie Butter in der Sonne.

 

Entschlossen, es bis zum Ende des Wochenendes nicht mehr anzusehen, legte sie ihr Diensthandy in die kleine Schublade der Kommode in ihrem Flur, in der sie immer alles aufbewahrte, was sie so täglich für die Arbeit brauchte. Glücklicherweise hatte sie sich mit ihrem Chef darauf geeinigt, dass sie während des Wochenendes für die Firma nicht erreichbar war. Deswegen würde es kein großes Problem sein, das nervige Ding außer Sichtweite zu legen, denn sonst hätte sie vielleicht doch früher oder später eine Nachricht an diesen verdammten Schauspieler geschickt, der sie nun schon seit 3 Tagen nicht in Ruhe ließ. Und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden.  

 

Um sich etwas abzuregen, denn sie war eindeutig ziemlich aufgebracht, wich sie an diesem Abend etwas von ihrem eigentlichen Rhythmus ab und ging anstatt ins Wohnzimmer erst einmal in ihr Badezimmer. In der Zeit, in der sie nun hier wohnte, hatte sie noch nicht geschafft, etwas daran zu verändern. Und deswegen strahlten die Wände immer noch in dem ziemlich gewöhnungsbedürftigen Bahama-Beige, das man während der 70er bis 80er Jahren überall in Europa so sehr geliebt hatte.

 

Das einzige, was hier im Badezimmer nicht aus den 80er Jahren stammte, waren die sanitären Einrichtungen. Die hatte der Vorbesitzer kurz vor seinem Auszug neu machen lassen, weil er gefürchtet hatte, dass er sonst weniger für sein Haus bekommen würde. Normalerweise störte sie das spärliche Design ihres Badezimmers auch nicht, denn eigentlich verbrachte sie hier nur sehr wenig Zeit. Morgens und abends jeweils eine halbe bis eineinhalb Stunden.

 

Jetzt, wo sie sich jedoch langsam auszog und darauf wartete, dass die Wanne endlich mit Wasser und Badeschaum gefüllt war, hatte sie Zeit sich ihr Bad einmal mit Verstand anzusehen. Manche der Fliesen waren repariert worden, weil man anscheinend verschiedenste Möbel und Halterungen nicht in den Fugen, sondern in den Fliesen selbst befestigt hatte. Die Holzdecke war an den Seiten nicht versiegelt worden und manche von den Leisten waren gerissen. Auch die Silikonfugen an der Badewanne waren eindeutig überholungsbedürftig, denn sie hatten bereits kleine, feine Risse, durch die sich bestimmt schon der ein oder andere Tropfen Wasser in den Hohlraum zwischen Wanne und Außenkonstruktion geschlichen hatte.

 

Gegen den verzweifelten Seufzer, der aus ihrem Innersten kam, konnte sie nichts tun. Sie hatte im Moment keine Zeit und kein Geld, um Handwerker zu engagieren, sie sich um das Badezimmer kümmern würden. Sie konnte ja schlecht die Handwerker einfach so in ihr Haus lassen, ohne dass sie dabei war. Und eine Renovierung des Badezimmers - wenn man schon einmal dabei war, konnte man es auch direkt komplett machen lassen und auch die schrecklichen Fliesen rausreißen - würde wahrscheinlich mehrere Tage oder sogar Wochen in Anspruch nehmen, in denen sie es dann schon einmal nicht mehr benutzen konnte. Lange konnte sie allerdings nicht mehr damit warten, denn sie wollte lieber gar nicht wissen, was sich in den Jahren für Sachen unter der Holzdecke angesammelt hatten.

 

Als der Wasserstand in der Badewanne dann doch endlich die gewünschte Höhe erreicht hatte, streife die brünette Hausbesitzerin ihren kuscheligen Morgenmantel ab, der direkt zu Boden fiel, und stieg in das leicht dampfende Wasser. Sie wusste, dass es nicht gesund war, zu heiß zu baden, aber sie mochte es so. Sie hatte es lieber einige Grad zu warm als zu kalt, und das bedeutete, dass sie meistens einen kurzen Moment ein leichtes Kribbeln in allen Körperteilen spürte, bis sich ihre Haut an die Wärme gewöhnt hatte.

 

Als sie ihren Kopf entspannt auf das Badewannenkissen legte und noch ein Stück tiefer in das Wasser eintauchte, konnte sie sich der Gedanken, die ihr im Kopf herumging, nicht erwehren. Sie musste an all das denken, was in der letzten Woche passiert war. Und dazu gehörte unweigerlich auch ein ca. 1,90m großer, unerhört gutaussehender Brite, der sie seit beinahe 4 Tagen zu verfolgen schien. Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie früher nicht auf ihn geachtet hatte, aber auf einmal kam es ihr so vor, als würde er an jeder Ecke auf sie warten. War es nun ein Trailer für den Hobbit-Film, der im Fernsehen lief, das Plakat des Theaterstückes, das beinahe jede U-Bahn-Wand in London zierte, seine Nachrichten bei WhatsApp oder einfach die Erinnerung an ihn, die in ihrem Kopf herumspukte wie ein Poltergeist, der sie nicht in Ruhe ließ.

 

Selbst im Kino, mal abgesehen von dem Film, in dem er unverschämterweise auf einmal mitten auf der Leinwand als beschäftigter, aber Liebevoller Familienvater zu sehen gewesen war, hatte sie ihm nicht aus dem Weg gehen können. Direkt am Eingang unten hatte dieser riesige Pappaufsteller gestanden, auf dem der Zwerg Thorin Eichenschild genauso groß war, wie der Mann Richard Armitage.

 

Es war beinahe so, als habe sich das ganze Universum gegen sie verschworen, als wollte irgendetwas nicht, dass sie sich gegen die Anziehung, die sie gegenüber diesem Mann eindeutig verspürte, wehrte. Auch wenn sie es Jenny gegenüber nicht offen eingestanden hatte, sie hatte sich durch den attraktiven Mann auf dem Poster angesprochen gefühlt und war dadurch erst auf die Idee gekommen, in dieses Theaterstück zu gehen. Als sie dann auch noch in einer Vorschau in einem Morgenprogramm gesehen hatte, wie er spielte und seinen Bariton gehört hatte, hatte sie nicht mehr länger gewartet, um Karten für dieses Stück zu besorgen.

 

„Verdammter Mistkerl“, zischte die immer noch nicht entspannte junge Frau und sank einmal mit ihrem ganzen Körper ins Wasser. Es war wirklich unglaublich, wie ein einziger Mann ihre Gedanken so auf sich lenken konnte, wie er sie davon abhalten konnte, sich zu entspannen, einfach nur, weil sie krampfhaft, und erfolglos, versuchte, nicht an ihn zu denken. „Ach, was soll‘s!“, rief sie, mehr zu sich selbst zu als irgendjemand anderem, – es war ja auch niemand außer ihr hier – und riss die Arme resignierend in die Luft, wobei sie Schaum und Wasser überall verteilte. Was brachte es schon, krampfhaft nicht an jemanden zu denken?

 

Also ließ sie den gesehenen Film noch einmal Revue passieren. Eigentlich war er gar nicht so schlecht gewesen, wie sie den anderen vielleicht hatte glauben machen wollen. Die Special Effects waren für einen „gewöhnlichen“ Katastrophen-Film a la Hollywood sehr gut durchdacht und eingesetzt gewesen und sie war positiv überrascht gewesen, dass zwischen dem von Richard gespielten Vater und der alleinerziehenden Wissenschaftlerin keine Romanze ausgebrochen war. Die Szenen zwischen dem Sohn und seiner Schulkollegin waren ihr da eindeutig lieber, und selbst da war es ungewöhnlich unschuldig geblieben.

 

Immer wieder blieb ihr inneres Auge jedoch am Richards Gesicht hängen. Seine markante Nase, die blauen Augen und der schmale Mund, der ohne den Vollbart zwar eindeutig besser zu sehen war, – und sicherlich bei näherem Kontakt weniger kratzte – aber mit dem gepflegten Vollbart hatte er eindeutig noch etwas besser ausgesehen.

 

Während sie noch einmal einen kleinen Fluch ausstieß, zog sie die kleine Brücke, die sie als Ablagefläche für ihre Badewanne benutzte, näher zu sich heran. Darauf waren neben ein paar Handtüchern, einem Duschschwamm und einer weichen Bürste auch noch ein Glas Sekt – für sie gehörte das einfach zum Erlebnis in der Badewanne dazu – und ihr Tablet. Nachdem sie sich gründlich die Hände abgetrocknet hatte, stellte sie ihr Tablet aufrecht auf die Ablage, damit sie es benutzen konnte, und öffnete ihren Internetbrowser.

 

In der Sekunde, in der sie den Namen des Mannes eingetippt und bestätigt hatte, bereute sie es auch direkt wieder. Über 9 Millionen Einträge hatte die Suchmaschine innerhalb kürzester Zeit gefunden, darunter Bilder, Videos, Interviews und andere Sachen. Und dann packte die junge Brünette die Neugierde und Surf-Wut, die sie immer packte, wenn sie etwas in der Suchmaschine eingegeben hatte. Sie klickte sich von einem Bild zum nächsten und merkte gar nicht, wie ihr Körper immer aufgeregter wurde.

 

Wenn sie sich die einzelnen Bilder des Mannes ansah, mit dem sie über Tag so viel geschrieben hatte, dann kam sie nicht umhin zu bemerken, dass er, als sie ihn das eine Mal wirklich vor sich gesehen hatte, einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Gedankenverloren hob sie einen Moment ihren Fuß und begutachtete die Stelle, auf die er getreten war. In der Tat hatte er auch dort, in Form eines immer dunkler werdenden Fleckes, einen Eindruck bei ihr hinterlassen. Aber das brachte sie nicht etwa dazu, an den Schmerz zu denken, sondern es brachte sie eher zum Lächeln.

 

Das Ganze war schon eine ziemlich verrückte Geschichte. Ein gutaussehender, attraktiver britischer Schauspieler trat einer einfachen Grafik-Designerin auf die Füße, lud sie zum Essen ein und die beiden verliebten sich unsterblich ineinander… Moment! Letzteres war sicherlich nicht passiert! Und sie war sich auch ziemlich sicher, dass das nicht passieren würde. Immerhin lebte sie ja in der realen und nicht in einer Traumwelt. Und außerdem wollte sie so einen Mann wie ihn gar nicht. Bestimmt war er ein hoffnungsloser Playboy. Und ganz sicher konnte er an einem einzigen Tag mehrere Frauen haben, wenn er denn nur wollte.

 

Doch all diese Gedanken waren wie weggeblasen, als Bianca auf einer Internet-Seite dann ein Bild von Richard sah, dass, wie sie sich denken konnte, bereits alle gesehen hatten, die nach ihm schmachteten, und sie konnte sogar verstehen, warum. Wahrscheinlich war das eines der am meist angeklickten Bilder des smarten Briten mit dem wunderschönen Bariton. Anscheinend war es aus einem Film oder einer Serie abfotographiert worden und schon ziemlich alt, aber auf einmal wurde Bianca das Badewasser beinahe zu heiß, zumindest fing sie plötzlich ziemlich an zu schwitzen.

 

Was aber noch schlimmer war, war die Tatsache, dass sie merkte, wie sich immer mehr ein ziemlich bescheuertes Grinsen auf ihrem Gesicht breitmachte. Der Ausdruck, den sie immer an sich selbst bemerkte, wenn sie einen attraktiven Mann fast nackt sah. Und, oh ja, auf diesem Bild war Richard Armitage so gut wie nackt. Das einzige, was er noch trug, war eine blaue Speedo-Badehose, die an gewissen Stellen mehr zeigte, als dass sie wirklich etwas verdeckte.

 

Es gab Männer, und dazu gehörten sie meisten dieses Geschlechts, die wirklich Abstand von einer engen Badehose nehmen und lieber auf die Short-Variante umsteigen sollten. Richard aber war definitiv keiner von diesen Männern. Ihm hätte sie eindeutig die Shorts vom Leib… Nein, so durfte sie erst gar nicht denken! Nicht über den Mann, der ihr erst auf den Fuß getreten war, sich dann mit einem Date bei ihr hatte entschuldigen wollte, es dann aber wegen wichtiger Termine abgesagt hatte, und sie dann mit Nachrichten belästigte, es aber nicht für nötig hielt, sie über seine Rolle in dem Film zu informieren, in den sie mit Freunden ging. Nein, sie durfte sich bei ihm wirklich nicht vorstellen, ihm irgendetwas vom Leib zu reißen, vor allem nicht mit diesem Bild vor der Nase.

 

Sie durfte sich erst gar keine Gedanken darüber machen, wie es sich wohl anfühlen würde, ihm erst diesen beigen Filzmantel, den er getragen hatte, als sie ihn nach dem Stück kennengelernt hatte, von den Schultern zu schieben, bevor sie sich langsam an seinem blaugrauen Buttonup-Shirt zu schaffen machen würde. Sicherlich wäre der Anblick seines nackten Oberkörpers zu viel für sie gewesen und sie hätte sich nur noch Gedanken darüber gemacht, wie sie, auf die schnellste und eleganteste Weise, seine Hose loswerden würde.

 

Wenn sie dann gerade in diesem Schwimmbad waren, noch schlimmer. Ein nackter Mann und ein leeres, eventuell nur spärlich beleuchtetes Schwimmbad lösten in der alleinstehenden Frau Gedanken aus, die sie in Verbindung mit Richard wirklich nicht hätte haben sollen. Und so sank sie nur noch tiefer ins Wasser und verschwand nun vollkommen in ihren Gedanken.

 

 

 

 

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