top of page

Kapitel 10

 

Vorbereitungen

 

 

 

 

Der Geräuschpegel auf dem Flughafen von L.A. war beinahe unerträglich, und das, obwohl es schon relativ spät am Abend war. Überall  drängten sich noch Leute durch die Hallen und Gänge des großen Gebäudes direkt an der Küste von Los Angeles. Von hier aus flogen die Langstreckenflieger, die ihre Passagiere erst hinter dem großen Teich wieder sicher auf die Erde bringen würden, die Flieger, die mit einem Mal gleich mehr als 300 Passagiere in ihrem Bauch transportieren konnten.


Richard hatte nicht schlecht gestaunt, als er auf seinem Ticket erkannt hatte, dass er den Weg zurück nach England in einem A380 zurücklegen würde, und dann auch noch in der First Class. Auf dem Hinweg war es noch eine 747 gewesen, die auch durchaus bequem war. Aber eine A380 war da sicherlich noch eine Steigerung, und er freute sich schon darauf.


Doch schon alleine der Service, der ihm am Flughafen zuteilwurde, war mehr als er bisher gewohnt gewesen war. Er war noch nicht ganz aus der Limousine ausgestiegen, die ihn hergebracht hatte, da wurde er auch schon von einer freundlichen Flughafenmitarbeiterin begrüßt und in einen separaten VIP-Bereich gebracht, vorbei an all dem Lärm, den Massen und wahrscheinlich auch vorbei an den Paparazzi, die wahrscheinlich täglich in diesem Flughafen campierten, um jeden Star abzulichten, der in die Stadt der Engel kam oder sie wieder verließ.


„I hope you had a nice stay here in L.A.“, fragte die junge Dame und Richard kam nicht umhin zu bemerken, dass sie ziemlich nervös zu sein schien. Es war schon ziemlich amüsant, wie ein oder zwei Filme das Verhalten anderer ihm gegenüber verändert hatten. Noch vor 4 Jahren wäre er wahrscheinlich noch mit der normalen Business Class geflogen und hätte sich wie alle andern Geschäftsleute durch die ganzen Massen der Passagiere schlagen müssen, und kaum einer hätte ihn wirklich gekannt.


Yes, thank you, but I’m glad to fly back, anyway.“ Die junge Frau nickte nur kurz und gab ihm dann einen Pager mit dem Hinweis, dass er nur drücken müsse, wenn er einen Wunsch hätte, und jemand würde unverzüglich zu ihm kommen. Dann verabschiedete sie sich von ihm und Richard hätte schwören können, dass sie am liebsten nach einem Autogramm gefragt hätte, aber wahrscheinlich war den Mitarbeitern des VIP-Service verboten worden, um so etwas zu bitten.

Hey there, I’ll be boarding the plane home soon. Wish you a wonderful day of work. ”, schrieb er Bianca noch, bevor er sein Handy ausschaltete. Er machte das lieber noch im Flughafen, als dass er es erst im Flugzeug selbst machte und vielleicht vergaß. In den nächsten 11 Stunden würde er sowieso nicht erreichbar sein und er hatte nichts auf seinem Telefon, das er wirklich während des Fluges gebraucht hätte.

Er freute sich wirklich auf zu Hause, und das lag nicht nur an der Tatsache, dass in England alles etwas anders ablief als in L.A. Beim Antritt seiner Reise hätte er sich das wahrscheinlich niemals eingestanden, aber er freute sich auf zu Hause, weil er in wenigen Tagen dort eine sehr hübsche Frau wiedertreffen würde, mit der er sich in den letzten Tagen wirklich blendend verstanden hatte. Und das, obwohl sie ein ganzer Ozean trennte. Er versprach sich nicht viel von ihrem gemeinsamen Date, wenn es einfach ein netter Abend sein würde, den er seit langem mal wieder mit jemandem verbrachte, der nichts mit seinem Business zu tun hatte, dann war es schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Und wenn sie tatsächlich so war, wie sie in den Nachrichten schien, dann würde auch nichts gegen ein weiteres Treffen sprechen.

Am Vormittag hatte er sich noch gewundert, als er ihren Namen auf dem Display seines klingelnden Handys gesehen hatte und sie ihn tatsächlich von sich aus anrief. Bisher hatte er immer die Initiative ergriffen und sie hatte nur darauf reagiert. Dass es dieses Mal anders war, hatte ihn sehr erfreut.

„Hey Richard. So, are you packing already?“, hatte sie belustigt gefragt und er hatte nur geantwortet, dass er gar nicht so viel zum Packen dabei hatte. Dann hatten die beiden bestimmt eine halbe Stunde über Belanglosigkeiten wie das Wetter und Nachrichten aus aller Welt gesprochen, beinahe so als würden sie jeden Tag telefonieren. Es beeindruckte ihn, wie schnell er während der Gespräche mit ihr doch vergessen konnte, dass er ein Schauspieler war und sie eine Grafik-Designerin. Es kam ihm manchmal so vor, als wäre sein Beruf so normal wie jeder andere auch, und das fand er sehr erfrischend.

„You wrote, that you’re part of an important new project at work, congratulations to that.” Als er die Nachricht von ihr gelesen hatte, hatte er sich sehr für sie gefreut. Neue und wichtige Aufgaben bedeuteten immer einen weiteren Schritt in der Karriere. Und wer wollte schon ewig auf einer Stufe stehenbleiben? Und die Art, wie sie über ihre neue Aufgabe redete, auch wenn sie nicht wirklich sagen konnte, um was es genau ging, zeigte ihm, dass sie sehr dankbar für die Möglichkeit war, ihr Können unter Beweis zu stellen. Er konnte das nur zu gut verstehen.

Nachdem er als Jungspund mit dem Zirkus herumgereist war, hatte er auch jede Möglichkeit ergriffen, zeigen zu können, was in ihm steckte. Jede noch so kleine Rolle hatte er angenommen, manche sogar ohne dafür auch nur einen Penny zu sehen.  Nur seine eingefleischten Fans wussten wahrscheinlich, dass er sogar in der ersten Episode der Star Wars-Filme zu sehen gewesen war, als Pilot von Naboo. Es war sein erster richtiger Kinofilm gewesen, nachdem er die Schauspielschule verlassen hatte, und das überdimensionale Set eines Hollywood-Filmes hatte ihn schier überwältigt. Er war damals am Set von Naboo angekommen und hatte sich gefragt, warum es nur halb fertig aussah, warum einige Wände fehlten. Erst später hatte er begriffen, dass der Rest vermutlich am Computer animiert werden würde.

Doch das, was ihm von diesem Dreh am meisten im Kopf geblieben war, war die Tatsache gewesen, dass er damals immer wieder auf die noch relativ junge Keira Kneightley, damals auch noch keine weltbekannte Schauspielerin, getroffen war und sie kategorisch mit Natalie Portman verwechselt hatte. Erst nachdem er Fluch der Karibik gesehen hatte, konnte er die beiden Frauen endlich auseinanderhalten und er hatte es seitdem immer vermieden, Keira Kneightley auf Premieren über den Weg zu laufen, einfach weil es ihm immer noch peinlich war.

„Mr. Armitage, your plane will take off shortly. I will show you to your seat”, sagte dann eine freundliche Flugbegleiterin, die anscheinend etwas routinierter im Umgang mit bekannten Personen war. Der Sitz, zu dem er gebracht wurde, war durchaus erstaunlich. In der Tat war jeder Sitz durch mittelhohe Trennwände vom Nachbarn abgeschirmt. Die Sitze in der Mitte hatten anscheinend herunterfahrbare Trennwände, sodass man, wenn man wollte, mit seinem Nachbarn kommunizieren konnte. Der Fußraum war so komfortabel groß, dass selbst Richard mit seinen 1,89 m bequem sitzen konnte, und er war gespannt darauf, ob es auch noch so bequem war, wenn er irgendwann schlafen würde. Immerhin würde er die nächsten 11 Stunden in diesem Flieger verbringen.

Nicht dass Richard Flugangst gehabt hätte, aber er war äußerst dankbar dafür, dass British Airways, im Gegensatz zu anderen Fluggesellschaften, bereits vor dem Start das Entertainment System freischaltete, damit er sich nicht allzu sehr auf den Star konzentrieren musste. Nicht wirklich überraschend, und es war ihm beinahe etwas unangenehm, waren auch die beiden Hobbit-Filme, die in der Mediathek vorhanden waren und kostenlos von jedem hier im Flugzeug gesehen werden konnten. Normalerweise scherte er sich nicht besonders darum, was in Flugzeugen für Programme gezeigt wurden, weil er meistens ein Skript für eine Rolle zu lesen hatte, zu der er auf dem Weg war. Dieses Mal war dies jedoch nicht so. Seinen Text aus „The Crucible“ kannte er immer noch zum größten Teil auswendig und die wenigen Löcher, die er hatte, würden sich sicherlich vor Ort bei den Proben wieder Füllen. Und die Dreharbeiten zur TV-Serie „Hannibal“ würden erst Ende des Jahres losgehen. Bei diesem Flug hatte er also genug Zeit alles das zu tun, was vielleicht 400 andere Passagiere auch tun würden.

Einige Längengrade und Zeitzonen weiter östlich klingelte gerade ein ziemlich penetranter Wecker, der anscheinend mit aller Gewalt versuchte, seine Besitzerin aus ihrem warmen, kuscheligen Bett zu bekommen. Er stand einige Meter vom Bett entfernt, gerade so, dass man aus dem Bett aufstehen musste, um ihn auszuschalten. Bianca war noch nie ein „fröhlicher Morgenmensch“ gewesen und das würde sich wahrscheinlich auch nie wieder ändern. Kleine Tricks, wie der weiter weg stehende Wecker, sollten sie davon abhalten, zu verschlafen. Aber mit der Zeit waren es immer mehr kleine Tücken gewesen, die sie in ihren Alltag hatte einbauen müssen.

Die Erste war ihr Handy gewesen, das sie zu einer Art Tageslichtlampe umfunktioniert hatte. Es lag direkt neben ihr und wurde mit jeder vergangenen Sekunde immer heller und heller, und der kleine Schrittzähler um ihr Handgelenk vibrierte in regelmäßigen Abständen. Der neuste Trick war ihre programmierbare Klimaanlage, die jeden Arbeitstag zur selben Zeit ansprang und das Schlafzimmer so lange herunter kühlte, bis es Bianca in ihrem Bett zu kalt wurde und sie aufstand.

Natürlich hatte dieses ganze Theater zur Folge, dass sie nicht besonders glücklich aus dem Bett aufstand und eine ganze Weile brauchte, bis ihre allmorgendliche schlechte Laune verflogen war. Daher mussten wahrscheinlich auch die meisten Leute in der U-Bahn sie für eine schreckliche Frau halten, denn sie lächelte nie und wenn sie einmal angesprochen wurde, waren ihre Antworten meist sehr einsilbig. Alles in allem war sie bis kurz vor Mittag kein einfacher Mensch und das wussten alle, die mit ihr zu tun hatten.

Als sie ihr Büro betrat, und das auch noch einige Minuten vor der normalen Zeit, staunte sie nicht schlecht, als auf ihrem Schreibtisch eine Kanne Kaffee und ein Teller mit zwei belegten Brötchen auf sie warteten. Doch natürlich wusste sie direkt, was das bedeutete. Anna, ihre schon ziemlich unruhige Kollegin, hatte ihr das alles hingestellt und wartete wahrscheinlich auf den Moment, in dem sie in Biancas Gesicht sehen konnte, dass sie nun bereit war, alle Fragen zu dem Meeting und dem sehr großen neuen Projekt zu beantworten.

Natürlich ließ sich Bianca durch so etwas nicht ködern und machte sich erst einmal daran, alle Projekte und die dafür noch zu erledigenden Arbeiten aufzulisten, die für ihre Abteilung noch anstanden. Immerhin durften diese aufgrund ihres neuen Projektes nicht einfach vergessen werden. Danach hatte sie ein etwas längeres Gespräch mit Brian, der mit ihr die einzelnen Arbeiten festlegte, die für das neue Projekt anfallen würden. Auch Erik kam bei ihr vorbei und setzte sie davon in Kenntnis, dass er sowohl Jeremy, Tanya als zeitweise auch Tom brauchen würde, um die Location zu planen. Tom konnte sie ihm jedoch nur kurz überlassen, da auch sie einige Arbeiten für ihn hatte.

Erst kurz vor der Mittagspause entschied sie sich ihrer jungen Kollegin gegenüber doch Gnade zu zeigen und sie endlich in das Gröbste einzuweihen. „Also, wir werden immer noch an den anderen Projekten arbeiten, immerhin warten die Kunden darauf. Aber, und diese Anweisung habe ich ausdrücklich von Ian erhalten: Keine Deadline ist wichtiger als diese! Was verschoben werden kann, soll verschoben werden. Poster, Banner, Zeitungsartikel, Social Media, das alles ist unser Aufgabengebiet.“ Wie die einzelnen Gebiete verteilt werden würden, wusste Bianca selbst noch nicht so genau. Jetzt, wo sie allerdings nicht mehr alleine mit ihrer Aufgabe war, schien sie ihr schon nicht mehr so unüberwindbar. Mit etwas Organisation und Geschick würde sie diese Aufgabe meistern und Ian zeigen, dass er sie richtig eingeschätzt hatte.

Auch in der Pause war in der Kantine das neue Projekt Gesprächsthema Nummer eins und wahrscheinlich gab es niemanden mehr, der nicht wusste, was für eine Chance das für die gesamte Firma bedeutete. Das erste Mal seit langem war beinahe die gesamte Firma in der Kantine erschienen und die Damen, die das Essen zubereiteten, waren ziemlich überfordert mit der Masse an Mittagessen, die sie auf einmal aufbringen mussten. Aber selbst sie schienen sich mit dieser Firma so sehr zu identifizieren, dass auch sie sich über diesen Auftrag freuten.

Eine halbe Stunde nach der Pause stand Brian dann wieder an ihrem Schreibtisch, doch für den Moment gab es nichts mehr, was zu besprechen gewesen wäre. Daher sah Bianca ihn erwartungsvoll an. Er winkte sie jedoch nur zu sich und bat sie, ihm zu folgen. Niemand der anderen Kollegen sollte mitbekommen, was er ihr nun sagte. Er informierte sie über ein Dinner, an dem sie beide, zusammen mit Ian und einigen Vertretern des Kunden, noch an diesem Abend teilnehmen würden. Den Tisch hatte Brian schon reserviert, für genau 7 pm.

Wieso er gerade Bianca noch dabei haben wollte, konnte sich die durchaus clevere Designerin denken. Sie war die einzige Frau in der Task-Force und es war immer von Vorteil, wenn bei so einem Dinner eine hübsche Frau anwesend war. Meist rissen sich alle dann etwas mehr am Riemen als sie es sonst getan hätten, und eine Frau lockerte das allgemeine Bild etwas auf. Außerdem war die Werbeagentur stolz darauf, dass sie Frauen und Männern in ihrem Unternehmen dieselbe Chance gaben, und das wollten sie natürlich auch nach außen hin kundtun.

„Where are we meeting?“, fragte Bianca nicht nur um zu wissen, wo sie sich später einfinden musste. Sie fragte es auch um herauszufinden, wie sie sich kleiden musste.

„Ian booked a table at Gordon Ramsay in Chelsea.“ Und mit diesem Worten waren Bianca einfach alle weiteren Fragen entfallen. Das Gordon Ramsay war ein Nobelrestaurant, in dem es Gourmet-Menüs mit mehreren Gängen gab. Schon immer hatte sie in so einem piekfeinen Restaurant essen wollen, aber abgesehen vom Geld war es immer an einer ganz speziellen Sache gescheitert: Ihrer Kontaktallergie mit Fischen und allem anderen, das aus dem Ozean stammte. Als Kind hatte sie die Fischkonserven mit der Tomatensoße geliebt und war auch für ihr Leben gerne Sushi essen gegangen. Seit ihrer Pubertät aber waren ihr diese Köstlichkeiten vom Speiseplan gestrichen worden.

Es hatte mit einfachen, juckenden roten Quaddeln am ganzen Körper begonnen und mittlerweile war es so weit ausgeartet, dass sie immer einen Epi-Pen dabei haben musste, für den Notfall. Sie traute sich noch nicht einmal in freie Gewässer, aus Angst, ein Fisch könne ihr zu nahe kommen. Natürlich informierte sie ihren Chef direkt darüber, der bei dem Restaurant anrief und eine kleine Menü-Änderung für Bianca erbat.

„You'll go now, you'll need to go shopping, I suppose?“, fragte Ian und direkt danach fiel ihm auf, wie unnötig diese Frage gewesen war. Natürlich würde seine Mitabrbeiterin früher Feierabend machen, damit sie shoppen gehen konnte, sie war immerhin eine Frau.

bottom of page