top of page

Kapitel 4

 

Kleine Nachrichten

 

 

 

Der Weg zurück in ihre Wohnung war stressig und trostlos wie immer. Es war mittlerweile schon dunkel, immerhin war es wieder einmal Mittwoch und sie war mit den anderen Kollegen aus ihrer Etage wieder etwas essen gewesen. Es war ein schöner Abend gewesen, doch jetzt wo sie sich alleine in die Metro machte, um in ihr kleines Haus in South Hampstead zu kommen, das sie sich vor einigen Monaten geleistet hatte, fühlte sie sich wieder einsam. Eigentlich hatte sie nur mieten wollen, aber leider war es als alleinstehende Frau in England nicht gerade einfach ein Haus zu mieten, schon gar nicht in einem Wohngebiet wie diesem. Selbst noch für den Kauf eines Hauses hier hatte sie ihren schwulen Kollegen bitten müssen, sich als ihren Lebensgefährten auszugeben. Natürlich hatte er eine erstklassige Show abgezogen und Bianca hatte sogar das Gefühl gehabt, dass die Verkäuferin am liebsten den Mann gegen das Haus getauscht hätte. Wie es meistens so war, war Tom nämlich nicht nur unglaublich zuvorkommend, sondern sah auch noch umwerfend aus.

Aber so sehr sie sich dieses Haus auch gewünscht hatte, wenn sie nach Hause kam, fehlte immer etwas. Sie hatte es schon mit einer Katze versucht, Minka. Sie hatte sie damals aus einem Tierheim geholt und zu Beginn schienen sich die beiden auch einigermaßen zu verstehen, auch wenn Bianca sich niemals wirklich als Katzenmensch bezeichnet hätte. Aber eines Tages war Minka nicht mehr wieder gekommen, hatte sich eine andere Familie ausgesucht oder war angefahren worden, das konnte Bianca nicht sagen. Danach hatte sie es nicht nochmal mit einem Tier versucht. Für einen Hund hatte sie eindeutig zu wenig Zeit und wollte das arme Tier nicht ständig alleine zu Hause lassen.

So sehr sie es also zu ändern versuchte, ohne einen Mann, der dann auch gleich noch zustimmte in dieses Haus zu ziehen, würde es sich niemals vollkommen als  ihr Zuhause anfühlen, nicht mehr als alles, was sie vorher gehabt hatte. Mit ihrem letzten Partner hatte Bianca es sich nicht getraut in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Sie hatte etwas für ihn empfunden, keine Frage, aber sie hatte von Anfang an gemerkt, dass er nichts für immer sein würde. Er war ein Abschnitt in ihrem Leben, der ihr eine schwere Zeit, ihre Ankunft in England, sicherlich einfacher gemacht hatte, aber irgendwann war es gekommen, wie es kommen musste, und sie war wieder alleine gewesen.

Um ehrlich zu sein, war das eigentlich der Inhalt ihres Lebens gewesen, alleine sein. Ihre Eltern hatte sie nie kennengelernt, sie wusste nur, dass ihre Mutter sie wenigen Stunden nach der Geburt in eine Babyklappe gesteckt hatte. Wahrscheinlich war sie noch jung gewesen, zu verängstigt von dem Gedanken ein Kind großzuziehen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Bianca sich viele Gedanken über ihre leiblichen Eltern gemacht, hatte sich gefragt, warum man sie abgegeben hatte, aber mittlerweile war es ihr egal, oder zumindest wollte sie sich das selbst weismachen.

Immer, wenn sie alleine zu Hause saß, und deswegen verbrachte sie so wenig Zeit wie möglich alleine hier, kamen diese Gedanken wieder in ihr hoch und jedes Mal versuchte sie sie wieder zu bekämpfen. Manchmal gelang es ihr relativ gut, aber heute wollte es ihr nicht so recht gelingen. Als sie in den dunklen Flur eintrat und das Licht anmachte, war alles noch genauso, wie sie es am Morgen hinterlassen hatte. Antriebslos ließ sie ihre Tasche auf die kleine Kommode neben dem Eingang fallen, hing ihre Jacke auf, zog ihre Schuhe aus und ging direkt durch ins Wohnzimmer. Sie störte sich gar nicht daran, das große Licht anzuschalten, sie kannte den Weg zu ihrem Sofa schon gut genug, dass sie ihn auch im Dunklen finden würde.

Als sie sich darauf niedergelassen hatte, knipste sie die Stehlampe neben dem Sofa an und aktivierte auch gleichzeitig mit der Fernbedienung den Fernseher. Es war immer der gleiche Trott, waren immer die gleichen Bewegungen, die sie mittlerweile eher unbewusst als bewusst tat.  Sie schenkte noch nicht einmal dem Geschehen auf dem 40 Zoll Flachbildschirm ihre Aufmerksamkeit. Erst als ihr Telefon klingelte, schien sie etwas aus ihrer Trance gerissen zu werden und wunderte sich, dass es schon beinahe 22 Uhr war.

„Ja, ich weiß, ich bin ein schrecklicher Mensch“, sagte sie ins Telefon ohne wirklich darauf zu achten, was derjenige auf der anderen Seite der Leitung sagte. Sie kannte die Nummer ihrer alten Freundin schon auswendig und wer außer Jenny sollte schon aus Deutschland anrufen?

„Bianca Theresa Lohmann!“, drohte Jenny und Bianca wusste, dass ihre Freundin in Deutschland nun den Zeigefinger erhoben hatte, als würde sie gerade ihren Sohn wegen etwas ermahnen. Jenny hatte es schon immer geschafft sich so anzuhören, wie Bianca es von Müttern vermutete, doch es hatte deswegen nicht mehr genützt. „Warum musst du nur immer so unheimlich abweisend sein?“, fragte Jenny wieder als sie merkte, dass sie anscheinend reden konnte ohne unterbrochen zu werden. „Nicht jeder, der einen Termin verlegen muss, versetzt dich direkt.“

„Nicht jeder ist ein berühmter Schauspieler, der wahrscheinlich einfach nur um sein Image fürchtet.“

„Jetzt übertreib mal nicht! Glaubst du nicht, dass er schon öfters jemandem auf dem Fuß getreten ist? Oder meinst du echt, du bist die unrühmliche Ausnahme? Wahrscheinlich hat er sich bei denen einfach nur entschuldigt und gut war.“ Darauf wusste Bianca keine Antwort. Andererseits konnte sie aber auch nicht glauben, dass sie etwas Besonderes sein sollte, diejenige, die von Richard Armitage zu einem Date eingeladen wurde. Warum auch? Ja, sie wusste, dass sie nicht hässlich war, auch wenn sie wie jede Frau einige Zonen an sich hatte, die sie am liebsten verschwinden lassen würde. Aber sie sicher alles andere als ein Top-Model. Und suchten sich Schauspieler nicht oft Kolleginnen oder Top-Models aus?

„Ach, Quatsch!“, verwarf Jenny die Bedenken ihrer Freundin direkt. Sie hatte nicht jahrelang Psychologie studiert, um nicht zu merken, wenn ihre Freundin einmal wieder von ihren Ängsten verfolgt wurde.  Schon während ihrer Studienzeit hatte Jenny es immer geschafft, sich gut in die Gefühle ihrer Freundin hineinzuversetzen, obwohl sie als Kind ein vollkommen anderes Leben gehabt hatte. Jenny hatte oft gewusst, warum ihre Freundin die Dinge tat, die sie tat, hatte sie aber nur selten aufgehalten. Wenn sie ihre Freundin doch einmal versucht hatte zu analysieren, dann hatte das nur zu Streit geführt. Aber eher aus dem Grund, dass sie meistens den wunden Punkt getroffen hatte: Biancas Eltern.

Doch jetzt war dort angelangt, wo sie noch einmal nachhaken musste, und wenn sich ihre Freundin dann nur aus purem Trotz aus ihrem Schneckenhaus begeben würde. „Nur weil deine Mutter dich im Stich gelassen hat, heißt das nicht, dass alle Menschen so sind.“ Jenny wusste, dass sie das äußerst provokativ gesagt hatte, aber das war ja auch ihre Absicht gewesen.

„Das sagt ja auch niemand! Meine Güte Jenny, warum um alles in der Welt musst du immer wieder mit der Geschichte kommen?“, schrie Bianca beinahe in den Telefonhörer, legte dann auf und pfefferte ihr Telefon auf den Sessel schräg neben sich. Was bildete sich Jenny nur ein, sie mit irgendwelchen Verrückten über einen Kamm zu scheren, die zu ihr in die Praxis kamen? Sie war keine von ihnen und sicherlich würde sie auch nie in eine solche Praxis müssen.

„We are the dwarves of Erebor“, tönte es dann auf einmal aus dem Fernseher und Bianca kam nicht umhin diese Stimme zu erkennen. Warum zum Teufel musste man es ihr immer so schwer machen? Warum traf sie eine Entscheidung, nur um dann immer wieder daran erinnert zu werden, dass ein Teil von ihr diese Entscheidung als falsch ansah? Am liebsten hätte sie sofort umgeschaltet, doch die Stimme, die sie vor einigen Stunden noch durch das Telefon auf der Arbeit gehört hatte, schien sie beinahe zu hypnotisieren. „We have come to reclaim our homeland“, sagte die bekannte Stimme dann und das dazugehörige Gesicht erschien plötzlich. Wenn man ihn so kannte, wie sie ihn gesehen hatte,- kurze Haare, gut getrimmter Vollbart - dann war der Anblick, der sich nun auf ihrem Flachbildschirm auftat, eindeutig gewöhnungsbedürftig. Das einzige, was der Mann auf diesem Bildschirm mit dem Mann, den sie gesehen hatte, gemeinsam hatte, waren die Augen und der getrimmte Vollbart, ansonsten schienen sie ihn irgendwie verändert zu haben. Man konnte ihn immer noch erkennen, aber er wirkte älter, stämmiger und bedrückter als sie sich erinnerte. Was sie seltsamerweise interessant an ihm fand. Seltsam, weil sie eigentlich noch nie auf so etwas gestanden hatte, waren seine langen gelockten Haare, die, ohne einen Scheitel zu bilden, an seinem Kopf herunterfielen.

Sie sah sich auch den Rest des Trailers an, der dafür warb, dass der erste und zweite Teil der Hobbit-Trilogie am Wochenende auf diesem Kanal zu sehen sein würde. Sie zuckte allerdings nur mit den Schultern. Sicherlich würde sie sich diese Fantasy-Filme nicht ansehen. Und das nicht nur, weil sie von dem Hauptdarsteller dieser Filme versetzt worden war, sondern auch, weil sie Fantasy ja sowieso nicht mochte.

Am nächsten Morgen waren die Gedanken und der Streit vom Vorabend beinahe vergessen, als Bianca sich im trüben, und für Mitte September eher ungewöhnlichen Nebel zur Metro durchkämpfte. South Hampstead war ruhig, aber je weiter man außerhalb Londons wohnte, desto mehr Leute machten sich genau zum selben Zeitpunkt auf den Weg zur Arbeit. Schon vor Jahren hatte Bianca es aufgegeben früher oder später zu gehen, es machte keinen wirklichen Unterschied, vor allem, weil sie ihre Arbeit trotzdem immer termingerecht abgeben konnte. Mike, ihr Boss, hatte sich noch nie beschwert, dass sie zu spät kam, weil er immer wusste, dass er sich im Ernstfall auf sie verlassen konnte, dass sie im Ernstfall selbst in der Firma übernachten würde, damit ein Projekt rechtzeitig das Haus verließ.

Deshalb wunderte sie sich umso mehr, als auf einmal ihr Diensthandy vibrierte und ihr über ihre Smart Watch,- ja zu ihrem großen Ärgernis besaß sie seit einigen Wochen so ein Ding - sie informierte, dass sie eine Nachricht bekommen hatte. Kaum saß sie sicher auf einem Sitz in der Metro, kramte sie dann also ihr neues Samsung Handy aus der Tasche und sah sich die Nachricht an. Doch was sie sehen konnte war alles andere als erfreulich. Es war eine WhatsApp-Nachricht von einer unbekannten Nummer.

„Hey Bianca, greetings from the sunny California“, stand dort unter einem Bild. Das Bild war ein Selfie anhand dessen sie erkennen konnte, von wem die Nachricht kam: Richard. Unverschämterweise sah er auf diesem Bild auch noch gut aus, wie er da vor dem scheinbar unendlichen Ozean am Strand stand und ihr fröhlich zuwinkte.

„You know that’s called stalking, do you? I should ignore you”, schrieb sie zurück, konnte aber nicht anders, als sich das Bild, das er geschickt hatte, noch einmal genauer anzusehen. Darauf war es unverkennbar Sonnenuntergang und die Sonne schien in ihrem kräftigsten Orange, was ihn leicht beschattete und seine Augen beinahe glitzern ließ. Ja, dieser Mann wusste, wie man sich in Szene setzte.

„Well, you obviously don’t“ , erwiderte er dann keine Minute später. Einen Moment lang überlegte Bianca, wie viel Zeitunterschied wohl zwischen L.A. und London war, doch eigentlich war es ihr auch egal. Er schien eindeutig im Moment wach zu sein. „Or you wouldn’t have read my message in the first place, not to mention answer it.“

Sie musste zugeben, dass diese Aussage einen gewissen Sinn hatte. Sie ignorierte ihn tatsächlich nicht, sie ging auf ihn ein, hatte sich sogar bei einem Lächeln erwischt, während sie sich das Bild angesehen hatte, das er verschickt hatte. Normalerweise, wenn sie jemanden ignorierte, und da hatte er noch einmal vollkommen Recht, las sie die Nachrichten erst gar nicht mehr und blockierte den Absender direkt, wie sie es schon bei diversen nervigen Spam-Nachrichten getan hatte, die sie bekam, weil das nun einmal ihr Diensthandy war. Seine Nachricht hatte sie jedoch direkt gelesen, als sie sie bekommen hatte, und er wusste wahrscheinlich auch, wie man sehen konnte, ob eine Nachricht gelesen wurde oder nicht.

„Where did you get my number anyway?“ Bianca war sich ziemlich sicher, dass ihre Handynummer nicht auf der Visitenkarte gestanden hatte, immerhin war es nicht gerade klug, jedem einfach ihre Diensthandynummer zu geben. Daraufhin folgten nur ein Fragezeichen und ein grinsender Emoticon. Sie reagierte nicht darauf, sondern verdrehte nur kurz seufzend ihre Augen. Irgendwie würde sie das schon herausfinden und um ehrlich zu sein gab es sowieso nur eine Möglichkeit.

„So you’re in California? What time is it now?“ Sie tippte auf einmal so schnell auf ihrem Handy herum, dass sie sich selbst darüber wunderte. Normalerweise brauchte sie immer länger für eine Nachricht, nicht nur weil sie mit ihrem neuen Handy noch recht unbeholfen war, sondern auch weil sie immer gut über das nachdachte, was sie schrieb.

„It’s 11:30 pm. Just arrived with the plane 3 hours ago. Jet-Lag will keep me up for the rest of the night I suppose”, erklärte er und Bianca schien im Kopf nachzurechnen, wie groß damit der Zeitunterschied zwischen den beiden Städten war, doch was machte das schon? Durch den Jet-Lag erwartete er nicht einzuschlafen und immerhin hatte er ihr zuerst geschrieben. Was sie jedoch wunderte, war, dass sie tatsächlich darauf einging, immerhin sollte sie ihn eigentlich ignorieren. Eigentlich wollte sie ihn auch ignorieren, aber irgendetwas ließ sie doch immer wieder auf ihr Handy sehen.

Nach einiger Zeit, in der sie erst einmal gar nichts bekam, wahrscheinlich weil sie im U-Bahn-Tunnel keinen Empfang mehr hatte, erreichte sie dann gleich ein ganzer Schwall von Nachrichten. Meistens eher Small-Talk. Er erzählte ihr, dass es auf dem Flug einige Turbulenzen gegeben hatte und dass L.A. wirklich nicht so toll war, wie manche sich das sicher vorstellten. Zum Schluss der Massennachricht hatte er dann noch einmal ein Bild geschickt, anscheinend nun aus seinem Hotelzimmer. Der Blick auf die Skyline von L.A. war wunderbar.

Bianca war sich immer noch nicht sicher, ob Richard ihr wirklich die Wahrheit gesagt hatte, immerhin konnten der Strand und die Skyline auch von einem anderen Ort sein. Andererseits, er hatte nie gesagt, wo das Interview stattfinden würde, und wenn er doch wirklich nichts mit ihr zu tun haben wollte und das Interview nur ein vorgeschobener Grund war, nicht mir ihr ausgehen zu müssen, warum hielt er dann so vehement den Kontakt?

Mehrere tausend Kilometer entfernt legte sich ein ziemlich nachdenklicher Brite auf das mit Seidenlaken bezogene, geräumige King Size Bett seines auch sonst ziemlich luxuriös eingerichteten Hotelzimmers. Es hatte tatsächlich Vorteile, wenn man in einem Hollywoodstreifen zu sehen war. Aber das alles lenkte ihn nicht von seinem Handy ab. Eigentlich war er nicht besonders interessiert an diesen nervigen Dingern, denn meistens brachten sie ihm nichts als Ärger. Nun aber konnte er seinen Blick nicht mehr abwenden, wartete gespannt darauf, dass es wieder blinkte und ein kleiner Pop-Up auf seinem Bildschirm endlich anzeigte, dass er eine neue Nachricht bekommen hatte.

Er wusste selbst nicht, wie es alles begonnen hatte. Es war schon mehrmals passiert, dass er ausversehen jemandem während einer Vorstellung des Theaterstückes auf den Fuß getreten war. Er hatte sich auch immer dafür entschuldigt, aber noch nie hatte er eins seiner „Opfer“ auch zum Essen eingeladen.

Die junge Frau war ihm schon aufgefallen, als er das Theater das erste Mal an besagtem Abend betreten hatte. Da war sie noch mit ihrer Freundin vor dem Eingang gestanden. Was ihm so an ihr aufgefallen war, war ihr roter Mantel gewesen. Nicht, dass diese Farbe etwas bei ihm ausgelöst hatte, doch aus dem sonst eher eintönigen Grau-Schwarz der anderen Gäste hatte sie eindeutig herausgestochen. Dann im Saal selbst, während der Vorstellung, war ihm einige Male ihr gebannter Blick aufgefallen. Wie sehr sie doch anscheinend in der Geschichte drinsteckte, wie sehr sie mitfühlte, miterlebte. Es hatte ihm beinahe leidgetan, als er gesehen hatte, dass sie bei seinen Tiraden zusammengeschreckt war. Sie hatte kaum reagiert, als er ihr auf den Fuß getreten war, keinen Ton hatte sie von sich gegeben, sondern hatte nur weiter das Stück beobachtet.

Dann, als Hannah sie zu ihm in den Umkleide gebracht hatte und er sie das erste Mal richtig im Licht hatte sehen können, war er für einen Moment ziemlich sprachlos gewesen. Bei dem kurzen Blick im Foyer und dem dunklen, fahlen Licht des Saales hatte er sie nie wirklich erkennen können, nie komplett. Sie trug wieder diesen auffälligen roten Mantel und er stellte fest, dass er wirklich gut zu ihrem Typ passte. Er mochte Frauen mit braunen, langen Haaren und was ihn besonders fasziniert hatte waren ihre Augen gewesen. Selbst im hellen Licht des Raumes hatte er nicht genau definieren können, welche Augenfarbe sie nun hatte. Von Weitem hatte es erst ausgesehen als seien sie braun, dann grün und als er ihre Hand geschüttelt hatte, hätte er schwören können, der äußere Rand ihrer Augen sei beinahe bläulich, während sie innen grün war, und um die Iris ein dünner brauner Kranz verlief.

Wahrscheinlich war er so beeindruckt von ihr gewesen, dass sein Herz gesprochen hatte, bevor es mit seiner Vernunft hatte kommunizieren können. Er hatte sie einfach gefragt, ob er sich mit einem Drink bei ihr entschuldigen dürfte.

Schon auf der Fahrt nach Hause hatte er immer wieder mit ihrer Visitenkarte herumgespielt und mittlerweile war sie an den Ecken schon etwas ausgefranst. Als dann seine Managerin angerufen und ihn über das Interview und seine damit verbundene Reise nach L.A. informiert hatte, hatte er wirklich für den Bruchteil einer Sekunde darüber nachgedacht, das Interview einfach abzusagen. Es war ohnehin nicht gut, während eines Theaterengagements einfach zu gehen.

Schlussendlich hatte dann aber doch seine Vernunft gesiegt. Es stand nicht zur Debatte, dass er nicht zu dem Interview fuhr. Immerhin hatte er einen Vertrag unterschrieben, und der beinhaltete auch eine gewisse Anzahl an Interviews, falls angefragt. Etwas ins Wanken gekommen war diese Entscheidung jedoch am nächsten Tag, als er sich dann tatsächlich dazu durchgerungen hatte, die eigentlich unbekannte Frau anzurufen. Er hatte ihre Visitenkarte auf der Kommode am Eingang seiner Wohnung gesehen und hatte die Nummer in sein Telefon eingegeben, bevor er überhaupt gewusst hatte, was er tat.

Und jetzt, jetzt war er hier in L.A., lag auf seinem Hotelbett und dachte schon wieder über sie nach. Er fragte sich, ob sie nicht antwortete, weil sie ihn nun doch ignorierte, oder welchen anderen Grund sie haben könnte.

Wie konnte er nur so vollkommen untypisch für sich reagieren? Oder war es nur untypisch für das, was er sonst der Öffentlichkeit zeigen wollte, und eigentlich war das hier sein wahres Ich? War das, was die Öffentlichkeit über ihn dachte,- der konservative, smarte Brite - nur das, was er nach der Trennung von Annabel sein wollte? Nur selten ließ er in Gesellschaft anderer den humorvollen und sogar etwas schüchternen Mann heraus, als den ihn vielleicht nur seine engsten Freunde kannten.

Die Trennung von Annabel, die er wirklich sehr geliebt hatte, hatte ihm noch lange zu schaffen gemacht. Vor allem, weil sie in der britischen Presse breitgetreten worden war. Eine lange Zeit war er immer und immer wieder darauf angesprochen worden, weil immer noch eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden bestanden hatte, die es bis heute noch gab. Sobald die beiden irgendwo zusammen gesehen worden waren, hatte es wieder neue Gerüchte gegeben, und das war der Punkt gewesen, an dem er gemerkt hatte, dass das Privatleben das Wichtigste war, was man in so einem Leben, wie er es führte, haben konnte. Sein Privatleben musste man schützen, und das mit allem, was man hatte.

Damals hatte er sich geschworen, dass er niemals wieder so zum Futter der Presse werden würde. Und dennoch konnte es im schlimmsten Fall wieder darauf hinauslaufen.

„So, when’s your 1st interview?“ Das Handy hatte kaum aufgeleuchtet, da hatte Richard die Nachricht auch schon gesehen. Sie war von Bianca. Sofort schienen alle Zweifel, die er gerade gehabt hatte, in den Hintergrund zu rücken. Er hatte sie gesehen, in ihrem roten Mantel, und seitdem ging ihm dieses Bild nicht mehr aus den Kopf.

„Well, I have to be at the Apple Store at around 5 pm, for a short Q&A with Lee, and then we’ll have some time to eat something and then we’ll be off to Letterman, I think.” Er wusste nicht, warum er ihr tatsächlich seinen Terminplan offenlegte, aber es fühlte sich nicht so seltsam an, wie es vielleicht hätte sein sollen. Auch ihre Frage hatte sich für ihn nicht seltsam angefühlt. Er hatte sich eher gefreut, dass sie sich dafür interessierte, wie sein Tag aussehen würde. „What are your plans?“ , fragte er dann im Gegenzug, überlegte aber erst noch eine Sekunde, bevor er es abschickte. Diese Unterhaltung war ziemlich schnell vertraut geworden.

„Ah, whatever“ , winkte er nur ab und drückte dann auf den kleinen Papierflieger neben seiner eingegebenen Nachricht. Er war sonst immer vernünftig und was er tat, war immer gut überlegt. Aber heute, heute fühlte er sich nicht mehr danach, viel über das nachzudenken, was er tat, oder was andere von seinen Handlungen denken würden.

Er wurde belohnt, und zwar mit einer weiteren Nachricht von Bianca. „Going 2 work right now. Nothing special after that.“ Da er sah, dass sie noch weiterschrieb, wartete er jedoch erst einmal auf die zweite Nachricht. „I’ll not be able to write till after work, so you better try to sleep.” Er musste schmunzeln aufgrund ihrer Nachricht. Es war äußerst nett von ihr ihn darüber zu informieren, dass sie nun erst einmal nicht mehr antworten würde. Und dass sie ihm auch noch sagte, er solle besser schlafen, war auch ein so vertrauter Tipp, dass ein Außenstehender sicherlich denken konnte, dass die beiden sich schon lange kannten.

„Thanks for the tip. Don’t let others bother you“ , war das Letzte, was er antwortete, bevor er sich tatsächlich dazu entschied, sein Telefon beiseite zu legen. Er wusste selbst, dass es das Beste war, wenn er nun versuchte zu schlafen. So wäre der Jet-Lag schneller überstanden und er wollte wirklich am nächsten Tag nicht aussehen, als sei er vollkommen fertig.

bottom of page