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Kapitel 2

 

Date oder nicht?

 

 

 

Der Teil nach der Pause ging so weiter wie der letzte aufgehört hatte, nervenaufreibend. So viele, wütende Männer auf nur wenigen Quadratmetern direkt vor der Nase zu haben war nichts, was man so einfach wegstecke, und nicht nur einmal sah Bianca ihre Freundin aus dem Augenwinkel zusammenzucken.

Als John Proctor dann in seiner Rage zu Marry Warren, seiner Magd, ging und sie nach vorne zu ihm ziehen wollte, geschah es. Bianca war so in die Szene vertieft gewesen und der wütende Mann bereits mit 3 großen Schritten direkt vor ihr, dass sie selbst es war, die ihre Beine nicht rechtzeitig unter ihren Stuhl ziehen konnte. Und so spürte sie für einen Moment einen drückenden Schmerz, als ihre Zehen für den Bruchteil einer Sekunde von geschätzten 80 Kilo auf den harten Fußboden gepresst wurden.

Der Schauspieler hatte es ohne Frage auch gemerkt, das sah sie seinem für einen winzigen Augenblick etwas entgleitenden Blick an, aber er fing sich direkt wieder, war wieder in seiner Rolle und fuhr mit seiner Tirade an die Männer des Gerichtes fort.

Jenny sagte nichts, aber auch sie hatte gesehen, was passiert war, und trotz ihres doch ziemlich aufgewühlten Zustandes, das konnte man ihr deutlich ansehen, musste sie ein leichtes Grinsen unterdrücken. Das war zwar nicht die Tuchfühlung gewesen, die sie sich gewünscht hatte, aber es war zumindest die Bestätigung, dass ihre Intuition sie nicht getäuscht hatte.

Das leichte Grinsen war jedoch ziemlich schnell wieder aus ihrem Gesicht gewichen, als auf einmal die Mädchen, die die viele Frauen immer wieder der Hexerei bezichtigt hatten, hineinkamen. Die Art, wie die jungen Schauspielerinnen darstellten, wie die Mädchen immer wieder von unsichtbaren Geistern angegriffen wurden, war unglaublich. Nicht eine von ihnen wirkte auch nur das kleinste Bisschen unglaubwürdig und wenn die Mädchen im echten Salem damals nur halb so überzeugend waren, musste jeder verstehen, wie diese abergläubigen Menschen damals auf dieses Spiel hineingefallen waren. Besonders der plötzliche Wandel der Marry Warren war überaus eindrucksvoll dargestellt.

„I say – I say, god is dead!“, rief John Proctor dann aus und sah beinahe aus wie in Trance. Während Bianca die Szene interessiert beobachtete, war Jenny kurz davor sich die Ohren zuzuhalten. Sie war normalerweise nicht sonderlich zart besaitet, aber die Atmosphäre in dem Theater und diese unglaublich raumgreifende Stimme ließen beinahe Angstschweiß auf ihrer Haut entstehen. „God damns our kind especially, and we will burn, we will burn together!” Proctor lehnte seinen Kopf so weit zurück, dass es beinahe so aussah, als müsse er jeden Moment nach hinten umkippen.

„Come to the stage door“, hörten Jenny und Bianca dann eine Stimme leise neben sich, während am anderen Ende Mr. Hale laut seinen Unmut über die ganze Situation bekundete. Im ersten Moment glaubte Bianca sich schon verhört zu haben, denn immerhin hatten die Lippen des Mannes sich kaum bewegt, aber er sah sie aus der Dunkelheit bittend an. Sicherlich wollte er sich dafür entschuldigen, dass er ihr auf den Fuß getreten war. Sie nickte also und John Proctor, als wäre er nie aus seiner Rolle gefallen, verhöhnte wieder das Gericht vor dem Ende des dritten Akts.

Um ehrlich zu sein, und es tat ihr irgendwie leid, bekam Bianca nur noch die Hälfte von dem mit, was im vierten Akt passierte. Immer wieder schwirrte ihr die Stimme des Schauspielers im Kopf herum, wie er sie bat, nach der Vorstellung zur Stage Door zu kommen, durch die er sicherlich das Gebäude verlassen würde. Sie wäre zwar sowieso dorthin gegangen, schon alleine um Hannah, die Schwester ihrer Kollegin, zu ihrem einzigartigen Auftritt - sie hatte sie unter den Mädchen entdeckt – zu gratulieren. Doch nun eine Einladung vom Hauptdarsteller zu haben, war doch etwas anderes, selbst wenn er sich nur entschuldigen wollte.

Und dennoch, selbst wenn sie sich nur halbherzig konzentrieren konnte, die Unterhaltung zwischen den beiden Eheleuten ließ Bianca beinahe die Tränen in die Augen treten. Nicht nur, weil von dieser Unterhaltung das Leben des Protagonisten abhing, sondern auch weil sie eine ähnliche Diskussion kannte. Die Diskussion über einen beinahe-Ehebruch und dessen Vergebung. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie als Teenager in ihrem Zimmer gesessen hatte, während sie ihre Eltern hatte streiten hören. Doch ihre Eltern hatten sich nicht vergeben können. Selbst wenn es manchmal so ausgesehen hatte, hatte ihre Mutter ihrem Vater nie mehr wieder vertrauen können.

Hier sah sie nun, wie es hätte ausgehen können, wie sie es sich vielleicht für ihre Eltern gewünscht hätte, einmal abgesehen von der Tatsache, dass beide sich in Lebensgefahr befanden. Wie sehr hätte sie sich gewünscht, dass beide ihre Fehler einsahen und sie sich gegenseitig verziehen hätten. Dass Proctor am Ende des Stückes doch stark blieb und selbst den Tod in Kauf nahm war nur der letzte Funke, den ihre Tränen zum Überlaufen brauchten. Doch das war nicht nur bei Bianca so.

Als das Licht heller wurde und die Schauspieler sich noch einmal verbeugten und beim Publikum bedankten, sah sie in einigen Gesichtern feuchte Augen. Es war erstaunlich, wie ein einzelnes Theaterstück jemanden so sehr mitnehmen konnte. Der Schauspieler des John Proctor war der letzte, der noch einen Moment länger auf der Bühne blieb und noch einmal eine laute Welle an Applaus bekam. Und zum ersten Mal an diesem Abend konnte Bianca ein leichtes Lächeln auf den Lippen des Mannes erkennen und es machte ihn direkt um einige Jahre jünger und attraktiver.

„Komm, wir müssen uns beeilen, wenn wir zur Stage Door wollen“, drängte Jenny dann, als der Hauptdarsteller mit einem letzten Blick auf Bianca verschwunden war. Bianca fühlte sich allerdings noch nicht wirklich in der Lage aufzustehen. Irgendwie fühlte sie sich vollkommen erschöpft, emotional überfordert. Nur der stetige Zug ihrer Freundin an ihrem Ärmel bewegte sie dann doch dazu, den Raum zu verlassen und sich in die lange Schlange zu stellen, die sich nun an der Garderobe gebildet hatte, damit jeder seine Jacken wieder abholen konnte.

„Ach, weißt du was, wir kommen nachher noch mal wieder. Sonst verpassen wir ihn noch“, sagte Jenny und klang dabei fast wie ein Teenager, der unbedingt sein Idol sehen wollte. Als Bianca sie dann etwas verständnislos ansah, beichtete ihre Freundin ihr, warum sie es so eilig hatte: „Ich habe Leon versprochen, ihm ein Autogramm von ihm zu holen, für seine Freundin.“

„Und warum interessiert die sich für ihn?“

„Ich weiß, du interessierst dich nicht dafür, aber der Mann hat zufällig in den meistbesuchten Blockbustern der letzten zwei Jahren eine Hauptrolle gehabt“, erklärte Jenny, doch anscheinend stand ihre Freundin, was so etwas anging, tatsächlich vollkommen auf dem Schlauch.

„Oh my god! We’re going to meet Richard!”, hörten sie dann schon die Fans rufen, als sie gerade um die Ecke des Gebäudes gegangen waren. „When he yelled it was so his Thorin voice.“ Eine Gruppe von Mittzwanzigern stand bereits vor der Tür, aus der sicherlich nachher ein Schauspieler nach dem anderen kommen würde. Anscheinend waren sie nur wegen diesem Schauspieler in das Stück gegangen und das irritierte sie so sehr, das Bianca am liebsten wieder umgedreht wäre und die ganze Sache einfach vergessen hätte. Aber da hatte sie die Rechnung nicht mit ihrer Freundin gemacht, die sie am Arm festhielt und sie, mit einem kleinen Blatt wedelnd daran erinnerte, dass sie noch ein Autogramm besorgen musste.

„Was meinen die damit, dass das seine Thorin-Stimme war?“, fragte Bianca daher, um sich etwas abzulenken.

„Na ja, er hat in der Verfilmung des Hobbits - ja, Fantasy, ich weiß – den Thorin Eichenschild gespielt. Warum sie so darauf beharren, dass das seine Thorin-Stimme war, kann ich dir auch nicht sagen. Ich hab den Film nur in der Synchronisation gesehen“, lenkte Jenny ein und zuckte mit den Schultern. Bianca verdrehte nur die Augen. Fantasy… was auch sonst? Wenn sie etwas nicht verstand, dann waren es Fantasy und Science Fiction. Nichts daran war real und diese absurden Geschichten, wie beliebt sie auch sein mochten, waren einfach nichts für sie. Da war ein waschechter Krimi oder ein Thriller schon eindeutig besser.

Als sich die Tür dann zum ersten Mal öffnete wollte die kleine Menschentraube, die sich mittlerweile schon gebildet hatte, schon losjubeln in Erwartung ihres großen Idols, hielten sich aber dann mit einigem Lob doch eher zurück, als eine junge Frau mit roten Haaren das Gebäude verließ und direkt auf Bianca zuging.

„Honey, you were fabulous!“, lobte Bianca die Rothaarige und umarmte sie, die verwunderten Blicke der anderen um sie herum ignorierend. „For a second I was really scared for you.“

„Thanks, I guess it’s a compliment.” Direkt schien die junge Frau, die sicherlich Hannah sein musste, einige Zentimeter gewachsen zu sein. „It’s not hard though, not when your acting around Richard“, bemerkte sie mit einem Augenzwinkern.

„I can imagine, he had quite the character in there”, antwortete Bianca mit einem Lächeln.

„He left an impressive footprint”, mischte sich nun Jenny ein und zwinkerte ihrer Freundin zu. Hannah begann auf einmal zu lachen.

„So it was you?“

„Yeah. You saw it?“ Doch die Engländerin winkte nur ab und griff auf einmal nach Biancas Arm, als sich die Tür zur Stage Door gerade wieder öffnete und die Schauspielerin der Goody Proctor heraustrat.

„Hannah? I thought you were gone already“, sagte Anna Madeley, die die Ehefrau von John Proctor gespielt hatte, überrascht. Doch sie bekam darauf keine Antwort mehr, denn die Tür hinter Hannah, die Bianca hinter sich her zog, hatte sich bereits wieder geschlossen.

„She was the one, Mr. Armitage stepped on”, kommentierte Jenny nur für die etwas irritiert dreinschauende Schauspielerin der Elizabeth Proctor, bevor die mit einem süffisanten Grinsen verschwand. Nun stand Jenny alleine hier vor der Tür und wusste nicht, was mit ihrer Freundin war. Und sie hatte auch keine Möglichkeit das herauszufinden, bis Bianca wieder aus dieser Tür herauskommen würde.

„Thorsten, ich bin es. Ihr braucht nicht auf mich warten. Bianca braucht, glaube ich, noch etwas. Es wird später“, sprach Jenny ihrem Mann auf die Mailbox, in der Hoffnung, er würde sie abhören, sobald er auf sein Handy sah. Wenn Bianca nun da drin war, würde sie auf ihre Freundin warten müssen. Und nicht nur das, sie hatte ja auch immer noch das Versprechen zu erfüllen, dass sie ihrem Sohn gegeben hatte, denn Richard Armitage war auf jeden Fall ebenfalls noch im Gebäude.

Im Inneren des Theater zog Hannah mit einem breiten Grinsen die brünette Wahlengländerin hinter sich her. Nachdem die Schauspieler am Ende des Auftritts hinter der Bühne verschwunden waren, hatten Hannah und ihre Kollegen sich immer wieder anhören müssen, wie unangenehm es Richard doch war, dass er einem Zuschauer auf die Füße getreten war. Und das auch noch in dem Akt, in dem er schwere Stiefel getragen hatte anstatt barfuß zu sein. Dass es auch noch die gleiche Frau war, die er während seines Spiels immer wieder angestarrt hatte, war eine Tatsache gewesen, die Hannah eher selbst bemerkt hatte, als dass er es wirklich gesagt hatte.

„What are you doing, Hannah? I’m definitely not supposed to be here”, zischte Bianca verwirrt, als manche Mitarbeiter hinter der Bühne sie seltsam beäugten. Doch Hannah ließ sich nicht beirren, sondern zog die Freundin ihrer Schwester einfach weiter mit sich, bis sie auf das Ende eines Gangs zugingen.

„I have to go now. I asked her to come to the stage door, to apologize”, hörte Bianca schließlich eine Stimme hinter der Tür, auf die sie gerade zusteuerten, und wie ein Anker bohrten sich ihre Füße in den Boden. Nein, sie würde sicherlich nicht da rein gehen.

„You won’t need to. I found her“, zerbrach Hannah dann all ihre Hoffnungen, aus der Situation fliehen zu können. Wie auf Kommando ging die Tür vor ihnen auf und erlaubte Bianca einen Blick in den Raum dahinter. Eine Frau stand im Türrahmen und lächelte sie auffordernd an. Nur sehr zögerlich betrat Bianca schließlich den Raum, weil es garantiert dämlich ausgesehen hätte, wenn sie einfach weiter auf dem Gang stehen geblieben wäre.

Sobald Hannah und Bianca jedoch eingetreten waren, verschwand die Frau, die ihr die Tür geöffnet hatte, und Hannah erklärt der einzigen Person, die noch hier war: „Bianca is one of my sisters co-workers and I invited her here.“

Richard Armitage stand von seinem Stuhl auf, bis auf seine Füße bereits vollkommen bekleidet, ging auf Bianca zu und nahm ihre Hand in seine. „Then it’s trice a shame I stepped on you“, sagte er, bevor er einen leichten Kuss auf ihren Handrücken hauchte. „Firstly, because you are a member of the audience, secondly because you’re acquainted with one of my co-artists, and thirdly because you are a very beautiful woman.” Bianca konnte ihren Ohren nicht trauen, vor allem weil es sich nicht anhörte, als seien seine Worte nur so dahin gesagt.

„Will you accept having a drink with me, so I can properly apologize?“ Seine Frage kam so überraschend und die Hand, die ihre immer noch festhielt, irritierte sie so sehr, dass sie erst einen Schritt zurück tat und ablehnte. Auf den überraschten Blick der beiden Anwesenden und noch bevor es sich anhören könnte, als mache sie das nur, um den Schein zu wahren, antwortete sie dann jedoch: „No, I won’t. Because right now I’m a bit overwhelmed by that whole perfomance.“

„Then let me apologize another time.“ Jetzt war auch Bianca sich des Blickes bewusst, den der smarte Engländer ihr zuwarf, und der hatte nichts damit zu tun, dass er ihr auf den Fuß getreten war. Das war wahrscheinlich eher eine Ausrede, um einen Grund zu haben, mit ihr auszugehen, der nicht so verlangend wirkte.

Ihre plötzliche Röte, die ihr ins Gesicht stieg, war nicht gerade hilfreich dabei etwas zu sagen, das sich nicht direkt danach anhörte, dass sie heimlich davon geträumt hatte, diesen Mann einmal näher kennenzulernen. Nicht weil er ein Schauspieler war, sondern eher, weil er einfach genau der Typ Mann war, den sie attraktiv fand. Dann holte sie eine kleine Mappe aus ihrer Handtasche. Sie hatte einige Probleme, weil ihre Hände auf einmal etwas feucht und zittrig waren, aber sie schaffte es doch noch eine Visitenkarte herauszufischen und sie ihm zu geben.

„Thank you, Bianca“, sagte er und küsste nochmals ihre Hand. „Be sure to receive a call from me till Thursday.“ Sie nickte nur und ließ ihn dann wieder alleine, damit er sich in Ruhe anziehen konnte. Den Weg, den sie nun mit Hannah zurück ging, nahm sie kaum noch wahr. Sie war so vollkommen perplex wegen dem, was gerade passiert war, dass sie rein gar nichts mehr sagen konnte. Sie konnte sich noch nicht einmal von Hannah verabschieden, als diese sie wieder bei Jenny absetzte.

„Komm, wir gehen“, sagte sie dann doch irgendwann und zog die protestierende Jenny einfach hinter sich her. Erst als sie bereits in der Metro saßen, war sie wieder einigermaßen ansprechbar. Was Jenny natürlich sofort ausnutzte, um ihre Freundin wegen dem gebrochenen Versprechen anzufahren.

„Ich werde dir dein Autogramm besorgen, keine Angst“, sagte Bianca nur vor sich hin starrend. Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass sie gerade einem wildfremden Mann, Schauspieler oder nicht, ihre Nummer gegeben hatte. Als sie Jenny dann aber sagte, wie und wann sie vorhatte, das Autogramm von ihm zu bekommen, rastete ihre Freundin beinahe aus.

„Moment, willst du mir damit sagen, Richard Armitage, Thorin Eichenschild, hat dich gerade um ein Date gebeten?“ Wahrscheinlich konnte man das so zusammenfassen, aber es klang doch etwas plump, kannten sich die beiden doch eigentlich nicht wirklich.

„Nein, er will nur etwas mit mir Trinken gehen, um sich bei mir zu entschuldigen. Dafür, dass er mir auf die Füße getreten ist.“

„Ja klar“, zweifelte Jenny mit ungläubigem Blick. „Da hätten ein einfaches ‚Sorry‘ und ein Autogramm auch gereicht.“

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