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Kapitel 12

 

Breakdown

 

 

 


„Du hast wohl vergessen zu erwähnen, dass du jemanden datest, was?“ Bianca starrte immer noch ziemlich verwirrt auf den Blumenstrauß direkt vor ihrer Nase. Er war groß und aufwendig und sicherlich nicht billig gewesen. Wer hatte ihr den bloß geschickt?

For the Lady of the Night. Hope to see you soon. , stand darauf geschrieben und damit konnte es nur einer der 4 Männer gewesen sein, der gestern zusammen mit ihr in diesem durchaus eindrucksvollen Restaurant gewesen war. Natürlich kam ihr als erster Richard in den Sinn, aber irgendwie glaubte sie nicht, dass er das getan hatte. Wenn er ihr Blumen schenken würde, dann vielleicht am Samstag, wenn sie sich trafen, aber nicht vorher.

„Oh, you got some flowers. Must have left some impression then”, kommentierte Brian verschmitzt grinsend, als er in das Büro kam und die beiden ziemlich sprachlosen Frauen sah.

„So you’re not the one who gave them?“, holte sich Bianca die Bestätigung ihrer Gedanken. Brian schüttelte nur den Kopf und Anna sah sie etwas überrascht an.

„No, definitly not. You looked great, Bee, but I’m happily married.“ Demonstrativ hielt Brian seine Hand mit den Ehering hoch und zeigte ihn den beiden Frauen. Anna sah ihn überrascht an und informierte sich, wann er denn geheiratet habe, immerhin habe davon niemand in der Firma etwas mitbekommen. Bianca hingegen setzt sich auf ihren Stuhl und betrachtete weiterhin den Blumenstrauß.

Ian war es sicherlich auch nicht gewesen. Er war zwar weder verheiratet noch in einer Beziehung, aber Bianca wusste, dass er einen ganz anderen Typ Frau attraktiv fand und der saß ihr zufällig direkt gegenüber. Es blieben also nur noch Richard und Mr. Krestham übrig und da sie bei ersterem nicht vermutete, dass er es gewesen war, musste es Krestham gewesen sein. Das machte die ganze Situation natürlich nicht einfacher, immerhin war er ein Kunde und den wollte man sicherlich nicht vergraulen. Aber sie würde auch sicherlich nicht vorspielen, Gefühle für jemanden zu haben, nur weil er ein Kunde war.

Daher ging sie sofort mit den Blumen zu Ian und erzählte ihm, was vorgefallen war. Er verstand ihre Lage, wusste aber ebenso wenig, was genau er seinem Kunden nun sagen sollte. Wenn diese Blumen tatsächlich von Krestham stammten, konnte er ihm schlecht sagen, dass er so etwas doch unterlassen sollte. Und wenn Biancas Vermutung falsch war und diese tatsächlich von Mr. Armitage stammten, würde Ian sich unheimlich blamieren, wenn er Mr. Krestham damit belästigte. „There’s no name attached to it. You simply don’t know, where they are from, and if one of them says a thing, you’ll politely say, that you are not allowed to get gifts from customers”, beschloss Ian und Bianca war damit einverstanden. Vielleicht würde diese Sache nicht mehr zur Sprache kommen und sie konnte dieser durchaus peinlichen Situation einfach aus dem Weg gehen.

Zurück in ihrem Büro machte sich Bianca dann ohne Umschweife wieder an ihr Projekt und begann damit, ihre Arbeit vom Vortag fortzusetzten. Einige Teilaspekte hatte sie bereits vollkommen aufgeschlüsselt, aber andere waren nicht so einfach, und nach einiger Zeit drohte sie sogar den Überblick zu verlieren. Mittlerweile waren auf dem ganzen Fußboden die Papiere mit ihren Skizzen verteilt, damit sie von ihrem Schreibtisch aus besser die Zusammenhänge erkennen konnte. Jeder, der an ihrem Büro vorbei ging, warf nur einen verwirrten Blick hinein und musste sicherlich denken, dass ihre sonst ziemlich kompetente Kollegin nun den Verstand verloren hatte.

Anna, der es, wenn sie es nur zugab, sogar ein bisschen gefiel wie ihre Kollegin sich gerade benahm, saß einfach nur an ihrem Schreibtisch und beobachtete Bianca dabei, wie sie beinahe durchdrehte. Eigentlich wollte sie ihrer Kollegin gerne helfen, doch sie wusste es besser. Wenn Bianca nicht von selbst kam, wollte Bianca auch keine Hilfe. Erst als die Pause kurz bevor stand, schien auch Bianca einzusehen, dass sie in diesem Tempo nicht weiterkam, und bat Anna, ihr nach der Pause unter die Arme zu greifen.

„Brian said, you actually met someone of the cast last night. Who was it?” Tom hatte sich zu den beiden Frauen gesetzt, sobald er sie an ihrem üblichen Tisch gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte er schon darauf gewartet, Bianca auszuquetschen, seitdem er von dem Essen am gestrigen Abend erfahren hatte. Biancas Tischnachbarin sah sie nur entgeistert an, wahrscheinlich weil ihre Kollegin es versäumt hatte, ihr von dem Essen zu erzählen, oder besser gesagt von der Tatsache, dass ein Schauspieler dabei gewesen war.

„I’m sure, if we were supposed to tell, Brian would have told you already“, sagte Bianca und hoffte, dass sich ihre Kollegen zumindest für einige Zeit damit abfinden würden. Leider taten sie das nicht und bohrten weiter. Es war natürlich noch weniger hilfreich, dass Brian plötzlich hinter Bianca aufgetaucht war und süffisant meinte: „I thought you’d like to tell them, seeing you two got along so nicely.“

Natürlich brachte das Anna nur noch mehr dazu nachzubohren und auch Tom ließ nun nicht mehr locker. Für sie war das Argument, dass dieser Schauspieler ja ein Kunde war und sie sich deswegen gut mit ihm verstehen musste, nicht gut genug. Sie waren der festen Überzeugung, dass Bianca sich in einen Star verliebt hatte.

„Oh, I bet it was Aidan Turner. He’s the cute one”, flötete Anna amüsiert, doch Tom neben ihr schüttelte nur den Kopf und murmelte etwas davon, dass dieser Turner viel zu jung sei. Der nächste Vorschlag von Anna war ein gewisser Dean O’Gorman, doch auch der war Tom zu jung. Als Brian dann den Tipp gab, dass der Mann tatsächlich etwas älter als Bianca war und oben drauf noch ein Engländer, stieß Anna einen ziemlich hohen Ton aus, der allen Anwesenden beinahe das Trommelfell platzen ließ.

„Are you saying, you actually met Richard Armitage?“ Annas Stimme war so hoch, dass Bianca sich wunderte, dass die Gläser nicht barsten.

„It’s no big deal, really. Everyone can. Just visit ‘The Crucible’ and there he is, standing right in front of you”, meinte Bianca etwas gereizt wegen der ziemlich dramatischen Ader ihrer Kollegin.

„But not everyone gets a hug and two kisses on the cheek.“ Brian bereute seinen Kommentar direkt. Nicht nur, weil die nun doch ziemlich wütende Bianca ihm mit ihren hochhackigen Schuhen mit voller Wucht auf die Füße trat, sondern auch, weil Anna von ihrem Sitz aufsprang und nun vollkommen hysterisch wurde. Ihre Tonlage war immer noch unverändert hoch, oder gar noch höher, wenn das überhaupt möglich war, und ihre Worte überschlugen sich, dass es nur noch ein undefinierbares Zusammensetzen von Buchstaben war.

Ab diesem Zeitpunkt war Bianca klar, dass der restliche Arbeitstag kein angenehmer mehr für sie sein würde. Entweder erzählte sie ihrer Kollegin im Büro einfach alles, was vorgefallen war – was er gesagt hatte, was sie gesagt hatte – oder, und das war beinahe verlockender, sie tat es nicht und Anna würde den ganzen Rest des Tages kein Wort mehr mit ihr sprechen. Brian schien jedoch den Schlamassel zu wittern, in den er seine Mitarbeiterin gebracht hatte, und versuchte die Sache dann doch etwas runterzuspielen. Aber so richtig wollte Anna sich nicht darauf einlassen. Tom hingegen nahm sich etwas zurück, aber wahrscheinlich eher, weil er merkte, wie abweisender Bianca wurde, je ausgelassener Anna wurde.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen ging Bianca dann einfach wieder zurück in ihr Büro und ließ die anderen drei in der Kantine zurück. Sie würde ihre Arbeit eher selbst machen, als Anna jedes kleinste Detail zu erzählen. So ein Typ Frau war sie nicht und würde sie auch niemals werden. Aber sie musste zugeben, dass der Gedanke daran, dass Richard sie tatsächlich auf die Wange geküsst hatte, ein kleines Kribbeln in ihrer Bauchgegend zur Folge hatte.

Es war schon dunkel draußen, als Bianca an diesem Abend endlich ihren PC auf der Arbeit herunterfuhr und die letzten Papiere vom Boden aufhob. In den letzten Stunden hatte sie unaufhörlich an ihren Listen weitergearbeitet und hatte dennoch das Gefühl gehabt, nicht wirklich weitergekommen zu sein. Immer wieder waren ihr neue Probleme aufgefallen und es schien einfach keine perfekte Lösung dafür zu geben.

Als sie sich noch einmal in den Räumen ihrer Arbeitsstätte umsah, blickte sie nur noch vereinzelt in müde Gesichter hinter den Monitoren und alle sahen so gestresst aus, wie sie sich fühlte. Die meisten von ihnen versuchten noch schnell ihre aktuellen Projekte fertigzustellen, damit sie ohne Probleme an dem neuen Mammutprojekt arbeiten konnten. Andere waren stets länger vor Ort, um entweder Überstunden zu machen, oder weil sie morgens lieber länger schliefen.

Bevor Bianca jedoch ihren wohlverdienten Feierabend antreten konnte, legte sie Brian noch ihre Listen hin. Vielleicht würde ihm ja etwas einfallen, um diese schier undurchdringliche Mauer an Problemen zum Einreißen zu bringen. Normalerweise war die resolute Wahlengländerin nicht so unsicher, was ihre Arbeit anging, doch dies war etwas anderes. Noch nie hatte sie eine solche Verantwortung getragen und so eine große Aufgabe stemmen müssen. Natürlich war ihre Arbeit als Abteilungsleiterin der Grafik-Abteilung auch eine große Verantwortung, aber das war auch das, was sie gelernt hatte. Mit nichts kannte sie sich besser aus als mit grafischem Design. Dieses Projekt aber war eine ganz andere Sache. Hier hatte sie so anderen Kompetenzgebiete, dass sie einfach alles durcheinanderschmiss, was sie sich in den letzten Jahren, seitdem sie hier nach ihrem Studium eingestellt worden war, erarbeitet hatte. Alle Regeln, jede Organisation, alles war nun vollkommen egal, um nicht zu sagen: nutzlos. Ihr Studium war nutzlos, ihre Arbeit war nutzlos, sogar sie selbst war nutzlos.

Sie wusste nicht, ob es die Dunkelheit in diesem Gebäude war, die Tatsache, dass im Moment kaum jemand mehr hier war und es unheimlich Still war, oder ob sie tatsächlich maßlos überfordert war, aber in diesem einen Moment dachte sie, der Boden würde sich unter ihr auftun und sie verschlucken. Sie wusste auf einmal nicht mehr, was sie hier überhaupt tat, ob Ian und die anderen keinen Fehler gemacht hatten, ihr diese ganze Verantwortung zu geben.

Vollkommen in diesem Gefühl der Verzweiflung versunken merkte sie gar nicht, wie sie zurück in ihr Büro gestolpert war und nun an der Wand entlang zu Boden glitt, während sie ihr Gesicht in den Händen vergrub. Dieses Gefühl, einfach nichts erreicht zu haben, nichts jemals erreichen zu werden, hatte sie immer versucht zu bekämpfen, hatte sie kategorisch tief in sich begraben, seit sie damals alle Zelte in Deutschland abgebaut hatte und hier nach England gekommen war.

Nutzlosigkeit und Überforderung hatte sie eigentlich immer mit Deutschland verbunden und war deswegen dort weggezogen, in der Hoffnung, in einem neuen Land mit einer neuen Kultur würde sich das alles ändern. Aber, und eigentlich wusste sie das, konnte man vor sich selbst nicht weglaufen. Egal wie lange es dauerte, irgendwann holte man sich selbst wieder ein und stand vor denselben Problemen. Und im Moment schien es ihr so, als wäre ihr altes Ich gerade mit einem mächtigen Satz von einem kleinen Dorf in Deutschland mitten in die Hauptstadt Großbritanniens gesprungen. Sie war auf einmal wieder der Teenager, der direkt nach dem Abitur die Möglichkeit ergriffen hatte und ausgewandert war, weil es in ihrer Heimat für sie keine Perspektive zu geben schien. Verzweifelt schluchzte sie auf und spürte, wie ihr die Tränen kamen.

„Hey, anybody here? Is everything alright?”, fragte eine ihr mittlerweile viel zu bekannte Stimme. Mit einem Mal hielt sie die Luft an. Sicherlich sollte er sie nicht so sehen. Keiner sollte sie so sehen. Wieso war er überhaupt hier und vor allem um diese Uhrzeit? Sie antwortete nicht, aber anscheinend hatte er sie aus irgendeinem Grund direkt erkannt. Sie erwartete schon, dass er das Licht im Büro anschaltete und sie damit bloßstellen würde, sie mit ihrem roten, miserablen Gesicht zu sehen, was sie wirklich nicht wollte.

Doch anstatt tatsächlich das Licht anzuschalten, kam er einfach mit ausgestreckten Händen in das Büro, wahrscheinlich um nicht direkt gegen etwas zu stoßen, weil seine Augen sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Bianca war aufgrund des Sauerstoffmangels und der Tatsache, dass er sie erkannt hatte, nicht mehr in der Lage, weiterhin die Luft anzuhalten. Geräuschvoll atmete sie ein. Dies gab ihm den akustischen Bezugspunkt, um sie zu finden.

Beinahe blind stolperte er in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte. Sie saß versteckt an der Wand hinter ihrem Schreibtisch, mit dem sein Knie in der Dunkelheit unangenehme und laute Bekanntschaft machte. Er fluchte einen Moment ziemlich unfein und setzte sich dann einfach ohne ein weiteres Wort neben sie, legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich heran. Er wusste noch nicht einmal, warum er das überhaupt tat, aber alleine die Vorstellung, irgendetwas konnte sie traurig gemacht haben, löste in ihm ein unangenehmes Ziehen aus, das seine Nerven anspannte. Eigentlich hatte er zusammen mit Oilver zu einem mehr oder weniger geheimen Meeting mit dem C.E.O. der Werbeagentur gehen müssen, aber als er an dieser Tür vorbeigegangen war und das leise, kaum hörbare Schluchzen gehört hatte, das aus dem dunklen Büro gedrungen war, hatte er einfach nicht weitergehen können.

Er hatte direkt gewusst, dass sie es sein musste. Irgendetwas an diesem Geräusch hatte ihn an sie erinnert, an die überspielte Traurigkeit, die er ohne Zweifel während des Meetings am Vorabend in ihren Augen gesehen hatte. Es war ihm schon bei ihrem ersten Treffen aufgefallen, aber er hatte es nie verstanden. Anscheinend steckte in dieser Frau mehr als das bloße Auge sah. Schon damals bei ihrem ersten Treffen im Theater hatte er sich gewünscht, diesen Schwermut aus ihren Augen vertreiben zu können. Vielleicht hatte er auch deswegen anfangs vorgeschlagen, mit ihr etwas trinken zu gehen, weil er hoffte, dass das ihre Traurigkeit nehmen würde. Vielleicht hatte er deswegen so ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber gehabt, als er ihr hatte absagen müssen.

Irgendetwas verbarg sie vor der ganzen, oberflächlichen Welt und in den ganzen Tagen in L.A. hatte er darüber nachgedacht, was das bloß sein konnte. Und gestern, als er sie so lange hatte beobachten können, hatte er sich in jedem einzelnen Moment gewünscht zu wissen, was es genau war, das sie bedrückte. Das Geheimnis zu kennen und ihr diese Bürde nehmen zu können. Und dann hatte er sie zum Abschied in den Arm genommen und sie auf die Wangen geküsst, und sie hatte ihn das erste Mal, seit er sie kannte, mit diesem einmaligen Lächeln angesehen. Das erste Mal war eine Art Hoffnung in ihre Augen getreten. Es hatte sogar ihn zum Lächeln gebracht, und das war der Moment gewesen, in dem er gewusst hatte, dass er, solange er konnte, dafür sorgen wollte, dass sie diesen Schimmer von Hoffnung in ihren Augen nicht mehr verlor.

Nicht, weil sie ihm leid tat, sondern weil er merkte, dass auch er einen gewissen Schwermut in sich trug, seitdem seine letzte Beziehung zerbrochen war. Und weil das Lächeln dieser Frau ihm seine eigene Traurigkeit nehmen konnte, wie er es bei ihr zu tun schien.

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