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Kapitel 23

 

Einsicht ist der erste Weg zur Besserung

 

 

 

 

Als mich die Computerstimme dann schon um 0700 aus dem Schlaf riss, fühlte ich mich mehr als müde. Ich wusste nicht, wann ich in der Nacht endlich eingeschlafen war, aber ich wusste, dass es ein Kampf gewesen war. Immer und immer wieder hatte ich darüber nachgedacht was ich in den letzten Wochen erlebt hatte und es war beinahe unglaublich.

 

Nach dem Tod meiner Mutter und den schrecklichen Ereignissen, die darauf gefolgt waren, hatte ich eigentlich gedacht, die Welt um mich herum müsste einfach aufhören, sich zu drehen. Alles war mir so unrealistisch vorgekommen wie in einem einzigen Traum.

 

Und dennoch war ich tatsächlich hier. In einer riesigen Stadt mitten auf einem schier endlosen Ozean. Doch das war noch nicht alles, dieser Ozean befand sich viel weiter weg von zu Hause als ein normaler Mensch vielleicht dachte, wenn er einfach hier aufwachte. Wir befanden uns mehrere Millionen Lichtjahre von unserer alten Heimat entfernt.

 

Ich fuhr mit meiner Hand kurz über die Lampe neben meinem Bett und sie erwachte zum Leben. Es war noch recht früh und draußen war die Sonne noch nicht aufgegangen. Ich rieb mir die letzten Überreste der schweren Nacht aus den Augen und stand langsam auf, um mich in mein Badezimmer zu begeben.

 

Es dauerte eine ganze halbe Stunde, bis ich wieder einigermaßen vorzeigbar aussah, auch wenn ich eigentlich nicht wirklich viel Wert darauf legte, wie ich aussah. Ich war noch nie eines von den Mädchen gewesen, die Stunden im Bad verbrachten, um dann später mit einer dicken Schicht Make-Up aus dem Haus zu gehen.

 

Andererseits hätte meine Mutter wahrscheinlich auch nicht zugelassen, dass ich so aus dem Haus gegangen wäre. Auch sie war eher schlicht und einfach und das obwohl sie, zumindest in meinen Augen, wunderhübsch gewesen war.

 

Ich hatte mich gerade vollständig angezogen und müde auf meinen Schreibtischstuhl gesetzt, als es plötzlich an meiner Tür klingelte. Wer um alles in der Welt störte mich schon so früh am Morgen? Ich war nicht gerade das, was man einen Morgen-Menschen nannte und ich konnte ziemlich ungenießbar werden, wenn ich müde war.

 

„Guten Morgen Magret, bereit für deinen ersten … Schultag?“ Mein Kopf sank augenblicklich nach unten. Wie konnte man nur um halb acht morgens schon so wach und fröhlich sein? Ich verstand es wirklich nicht, aber anscheinend hatte ich meine miese Laune morgens nicht von meinem Vater geerbt. Wahrscheinlich war meine Mutter der Morgenmuffel gewesen.

 

„Du hast ihn vielleicht nicht mitbekommen, aber mein erster Schultag war vor 10 Jahren …“, sagte ich missmutig und merkte auf Grund meiner schlechten Laune gar nicht, wie sich das Gesicht meines Vaters einen kurzen Moment verdüsterte.

 

Wir gingen also schweigend zur Kantine, um noch vernünftig zu frühstücken, bevor der ‚Schultag‘, wie die Erwachsenen unser besonderes Training nennen wollten, begann. Als ich mich an den Tisch zu Maddison, Sa’rayn und Joey setzte, sah ich in drei genauso müde Gesichter wie mein eigenes. Keiner von uns schien wirklich glücklich mit dem Gedanken zu sein, so früh aufzustehen und dann etwas ‚lernen‘ zu müssen. Selbst Sa’rayn, die laut Joey eigentlich einfacher mit der ganzen Sache umgehen sollte, war mehr als schlecht gelaunt und blaffte Torren regelrecht an, als der mit einem ziemlich blöden Kommentar über unsere Motivationslosigkeit an uns vorbei zum Tisch der Jungs ging.

 

Ich konnte nicht verhehlen, dass das meine eigene Laune etwas aufgebessert hatte, denn der dämliche Blick, als Sa’rayn ihn angeschrien hatte, den würde ich wahrscheinlich nie mehr vergessen. Vielleicht konnte sie mir beibringen, so einschüchternd zu sein, dass er mich auch in Ruhe lassen würde.

 

„Hey Peaches, pass auf, dass du den Jumper nachher nicht in die Luft sprengst“, rief er mir dann entgegen, als wir uns gerade alle fertig machten, um zu unseren ersten Trainingseinheiten zu gehen. Ich konnte nicht anders, als ihm einfach einen vernichtenden Blick entgegen zu werfen. Ich war nicht so schlagfertig wie Maddison oder so angriffslustig wie Sa’rayn.

 

„Lass dich von dem Idioten nicht provozieren, Maggie, du wirst das schon hinbekommen“, ermutigte mich Joey und ich war erstaunt, wie erwachsen sie doch klang. Aber wahrscheinlich hatte das auch etwas damit zu tun, dass sie hier auf Atlantis nur unter Erwachsenen aufgewachsen war. Sicherlich hatte das für sie eine vollkommen andere Entwicklung bedeutet als für uns ‚normale‘ Kinder, die einen Kindergarten und eine Schule besucht hatten.

 

„Von dem? Sicher nicht“, versicherte ich ihr und stellte mein Tablett auf einem der Reinigungswagen ab. Dann kam auch schon Kevin auf mich zu. Ich wusste, dass wir beide gleich zusammen bei meinem Vater lernen würden, wie man die Antikertechnologie wirklich nutzte, aber nachdem, was gestern passiert war, war ich nicht wirklich erpicht darauf, es zu lernen, vor allem nicht, wenn mein bester Freund dabei war und ich ihn vielleicht unabsichtlich verletzten könnte.

 

Aber als ich dieses Argument gestern Abend in der Kelno’reem-Session mit Teal’c gebracht hatte, hatte dieser mir versichert, dass nichts passieren würde, solange ich nur ruhig blieb und mich nicht zu sehr aufregte. Ich war ein Teenager! Jeder Teenager neigte dazu, sich leicht aufzuregen, das nannte man Pubertät, aber wahrscheinlich hatten die Jaffa davon noch nie etwas gehört, zumindest nahm ich das an.

 

Dann kam Kevin auch schon zu mir. Wir würden zusammen die Flugstunden mit meinem Vater absolvieren und es war besser, als es alleine zu tun. Es würde diese unangenehme Stille vielleicht etwas unterbrechen, die manchmal zwischen mir und meinem Vater herrschte. Anscheinend hatte ich meinen Mangel an Kommunikationsfreude von ihm geerbt. Das war zumindest schon einmal ein Beweis, dass bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlich genauso vererbbar waren wie die äußerlichen Merkmale.

 

„Und bist du bereit?“, fragte er etwas vorsichtig. Anscheinend hatte er mitbekommen, was hier gerade zwischen Torren und Sa’rayn passiert war und er war etwas verunsichert, wie er uns gegenübertreten sollte. Ihm würde Sa’rayn jedoch nichts tun, dessen war ich mir sicher. Ich hatte ihr erzählt, dass ich Kevin schon sehr lange kannte, dass wir eigentlich zusammen aufgewachsen waren.

 

„Na ja … ich hoffe es“, murmelte ich. Ich wusste, mein Vater war der beste Lehrer, den man sich in Bezug auf die Anwendung der Antikertechnologie wünschen konnte, aber dennoch überlegte ich immer noch, nach einem anderen Lehrer zu fragen. War es in Schulen nicht normalerweise auch verboten, die Eltern als Lehrer zu haben, aus Angst man könnte dann bevorzugt oder benachteiligt werden?

 

Aber mir blieb wohl nichts anderes übrig. Meine Einstellung zu meinem Vater hatte sich in den letzten Tagen sehr geändert, woran Kevin nicht ganz unschuldig war. Die Freude darüber, dass er noch am Leben, dass er hier auf Atlantis war, hatte mir den Einstieg in diese neue Leben hier erleichtert, hatte mir eine Möglichkeit gegeben, neu anzufangen und dennoch meine Vergangenheit auf der Erde nicht zu vergessen.

 

Was mir jedoch am meisten geholfen hatte, war eine kleine Unterhaltung mit seiner Mutter, die mir die ganze Geschichte erzählt hatte, während wir in meinem Quartier gewesen waren. Sie hatte mir erzählt, dass mein Vater und sein Team, als sie vor vielen Jahren Atlantis das erste Mal betreten hatten, auf der Suche nach einer Energiequelle für Atlantis auf Athos, dem Planeten, von dem Teyla stammte, auf die Wraith getroffen waren. Die Wächter der Wraith hatten in der Nacht angegriffen und viele Athosianer entführt. Damals hatten die meisten Wraith noch geschlafen. Auch Teyla und einige seiner Männer waren gefangen worden.

 

Sein Vorgesetzter, Colonel Sumner wurde zu einer der Königinnen gebracht, weil sie die Menschen von der Erde nicht kannte und sie bei der Verteidigung der Athosianer einige Schiffe der Wraith hatten zerstören können. Für sie war Sumner etwas Neues und sie wollte ihn in gewisser Weise studieren. Sie saugte ihn langsam aus und er dachte an die Erde.

 

Mein Vater, der versucht hatte, Sumner zu befreien, war dann in ihre Fänge geraten und er hatte die Königin getötet, damit sie nicht noch mehr über die Erde herausfinden konnte. Leider hatte dies wohl zur Folge gehabt, dass die restlichen Wraith, die bis dahin noch in einer Art Winterschlaf gewesen waren, alle langsam aufwachten. Hunderte, Tausende erwachten in der ganzen Pegasus-Galaxie langsam und hatten schrecklichen Hunger.

 

Damit begann das Ausdünnen und viele Planeten erlebten die nächste Ernte, bevor sie sich erholt hatten. Jedoch hatte mir die Geschichte, die mir Kevins Mutter erzählt hatte, aufgezeigt, dass mein Vater wirklich alles andere als Schuld an dem ganzen Fiasko hatte. Er hatte versucht, die Sache aufzuhalten, hatte verhindern wollen, dass die Erde in die Fänge der Wraith gelangte und hatte seitdem jeden einzelnen Tag gegen diese Biester gekämpft, egal welche Folgen es vielleicht für ihn gehabt hatte.

 

Auf diesem Weg hatte er in den letzten Jahren viele Freunde verloren, Freunde, die für ihn zu einer Art Familie geworden waren, und er hatte seine eigene Familie in gewisser Weise verloren, weil meiner Mutter die Situation auf Atlantis, die Nähe zu den Wraith einfach zu gefährlich war, um dort ein Kind aufzuziehen, ein Kind, das wohlmöglich ganz anders war als alle anderen, zumindest innerlich.

 

Sie hatte laut Kevins Mutter noch während der Schwangerschaft, welche sie zur Sicherheit im SGC verbracht hatte, viel mir ihr darüber geredet, mit ihr jedes Untersuchungsergebnis bewertet und sprichwörtlich auf den Kopf gestellt. Meine Mutter hatte Angst gehabt, Angst, dass ich kein normales Kind sein würde, Angst, dass die kombinierten Gene meiner Eltern irgendetwas mit mir anstellen würden, das niemand vorhersehen konnte.

 

Erst als sie in den letzten Monaten der Schwangerschaft gewesen war, und alles so aussah, als würde ich ein ganz normales, gesundes Mädchen werden, hatte sie die Ruhe gefunden, die sie gebraucht hatte. Einen Monat vor der Geburt waren meine Mutter und Kevins Familie dann nach Deutschland ausgewandert und ich war dort geboren worden.

 

Meine Mutter hatte meinen Vater danach nicht kontaktiert, jedoch nicht, weil sie Angst hatte, dass er mir schaden würde, sondern aus Angst, er würde seine Aufgabe vernachlässigen, wenn er wüsste, dass auf der Erde Frau und Kind auf ihn warteten. Sie hatte gewusst, dass er einer der wenigen war, der vielleicht die Chance hatte, diesen ganzen Kampf gut enden zu lassen und sie stellte ihr und mein Wohl hinter das vieler.

 

Eigentlich war es ein guter Weg, so über sie zu denken, sie war selbstlos gewesen. Andererseits, als eine der Geschädigten, konnte ich einfach nicht verstehen, wie sie mir meinen Vater hatte vorenthalten können. Und dennoch, wenn ich an sie dachte, vermisste ich sie. Ich konnte nicht richtig beschreiben, wie es sich anfühlte, wie ein Loch, ein Loch, das sie gerissen hatte, als sie vor einigen Wochen, es kam mir beinahe wie eine Ewigkeit vor, in ihr Grab hinabgelassen worden war.

 

Aber vielleicht gab es eine Möglichkeit, dieses Loch zumindest zu verkleinern. Die Hoffnungslosigkeit, nun alleine auf der Welt zu sein, war unbegründet gewesen und als ich meine Mutter verloren hatte, hatte ich meinen Vater gefunden. Natürlich hätte ich sie lieber beide zusammen bei mir gehabt, aber das war anscheinend nicht der Weg gewesen, den man für mich vorgesehen hatte.

 

Und in dieser neuen Welt, in der alles so anders war als in der alten, musste man sich Konstanten aufbauen, Bezugspersonen, auf die man sich immer verlassen konnte. Nach allem, was ich gehört hatte, war mein Vater genau eine solche Person, und im Gegenzug zu allen anderen hatte ich einen großen Vorteil, der mich trotz meiner anfänglich abweisenden Art für ihn einnehmen würde: Ich war seine Tochter, ein Teil von ihm und der Frau, die er vor vielen Jahren einmal so sehr geliebt hatte, dass er alles für sie aufgegeben hätte, wenn sie ihn nur gelassen hätte.

 

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