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Kapitel 22

 

Kelno'reem

 

 

 

 

„Müssen diese ganzen Kerzen wirklich sein?“ Ich fühlte mich wie ein Elefant im Porzellanladen, und das in meinem eigenen Quartier. Ich hatte gewusst, das nach dem Abendessen noch ein spezielles Training auf mich wartete, aber damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Praktisch überall in meinem Quartier standen kleine oder große Kerzen, manche von ihnen sahen so aus, als seien sie schon ziemlich oft benutzt worden.

 

„Sie werden dir bei der Erfüllung deiner Aufgabe helfen“, sagte die stoische Stimme hinter mir. Ich verdrehte nur die Augen. Dieser Kerl war wirklich nicht gut, was soziale Kontakte anging, zumindest nicht mit Menschen.

 

„Aufgabe?“

 

„Ich werde dir beibringen, dich in den Zustand von Kelno’reem zu versetzen“, erklärte er und sein Tonfall änderte sich immer noch nicht. Er hatte immer den selben Bass-Tonfall, nie wich er auch nur einen Halbton davon ab und das machte mich schier wahnsinnig.

 

„Was ist Kelno’reem?“

 

„Für einen Jaffa ist Kelno’reem lebenswichtig. Durch ihn erlangt der Symbiont in seinem Inneren die Möglichkeit, seinen Wirt von allen Krankheiten zu heilen, die ihn befallen. Wie mir gesagt wurde, ist es der Meditation auf eurem Planeten ähnlich, jedoch geht Kelno’reem viel tiefer. Wenn er darin geübt ist, ist es einem Jaffa möglich, sein Herz beinahe zum Stillstand zu bringen, wobei diese Technik verboten ist.“

 

„Weil ihr sterben würdet?“, unterbrach ich ihn. Diese ganze Sache mit den Außerirdischen war wirklich ziemlich seltsam für mich und dennoch merkte ich, wie ich äußerst neugierig war. Ich wollte wissen, wie sehr sie sich von uns unterschieden, denn so wie ich den Eindruck gewonnen hatte, schienen sie, bis auf die Tätowierungen auf ihrer Stirn, ganz normale Menschen zu sein. Klar, Teal’c war ziemlich komisch, aber das konnte auch bei Menschen vorkommen.

 

„Nicht ausschließlich, MagretLindbruch. Es ist verboten, weil es eine sehr primitive Form der Kommunikation mit unseren Symbionten ermöglicht und da diese von vielen Jaffa als Götter angesehen werden und die Goa’uld nicht wollen, dass wir ihre Jungen beeinflussen, ist es streng verboten.“

 

„Du hast es schon einmal getan?“ Es war eher eine Feststellung als eine Tatsache, denn wenn es verboten war, warum wusste er dann so genau was passierte. Er nickte stumm und schien nicht wirklich weiter auf dieses Thema eingehen zu wollen. Vielleicht hatte er schlechte Erfahrungen damit gemacht und er hatte erkannt, warum es verboten war. Ich setzte mich also in den offenen, kerzenlosen Kreis direkt vor meinem Bett.

 

In alten Filmen oder auf Bildern von buddhistischen Mönchen hatte ich gesehen, wie sie sich hinsetzten, um sich in eine meditative Phase zu bringen. Ich setzte mich also in diesen seltsamen Schneidersitz und war erstaunt, dass es doch schwerer war als gedacht, beide Füße auf meine Beine zu legen. Immer wieder rutschte einer meiner Füße hinunter. So konnte ich sicher nicht in einen Zustand völliger Entspannung kommen. Ich musste mich sogar zusammenreißen, nicht zu lachen, während ich bemerkte, wie sehr ich doch in diesem Moment ein Klischee bediente.

 

„Muss ich wirklich so dasitzen?“, sagte ich beinahe verzweifelt, als ich es nach einer guten Viertelstunde immer noch nicht geschafft hatte, meine Beine zu sortieren. Ich war ziemlich frustriert. Wenn ich das schon nicht hinbekam, wie sollte ich dann in diesen Kelno’reem-Zustand kommen? Wie sollte ich einen Zustand völliger Entspannung erreichen, wenn ich mich buchstäblich selbst verknoten musste? Als Teal’c mir keine Antwort auf meine Frage gab und ich ihn auch nicht hatte nicken sehen, entschied ich mich einfach, dass es nicht so wichtig war, ob ich diesen speziellen Sitz einnahm oder auf einen normalen Schneidersitz umstieg. Den konnte ich weitaus besser.

 

„Ausgezeichnet, MagretLindbruch“, hörte ich dann nach einiger Zeit seine monotone Stimme. Es fühlte sich so an, als hätte ich schon eine Ewigkeit versucht, ruhig zu sitzen, nicht herumzuzappeln und ruhig zu sein, aber es fühlte sich nicht wirklich an wie meditieren. Mir war langweilig und immer wieder ging mir genau das durch den Kopf.

 

„Ach ja? Findest du?“, fragte ich den Jaffa skeptisch und sah ihn mit halb zusammen gekniffenen Augen an. In meinem Kopf war es nicht wirklich ruhiger geworden und ich kämpfte immer noch mit den Geschehnissen des Tages. „Ich fühle mich nicht besser.“

 

„Du befindest dich auch noch nicht im Zustand des Kelno’reem“, bemerkte er und am liebsten hätte ich meine Verzweiflung zum Ausdruck gebracht. Allerdings dachte ich mir, dass Teal’c sicherlich nicht begeistert davon sein würde, wenn ich hier einen kleinen Wut-Tanz aufführen würde.

 

„Und wie komme ich dahin?“ Ich war wirklich nicht in der Stimmung für Spielchen und auch nicht für irgendwelche Lektionen des Lebens. Ich wollte die Sache, dieses Magnetfeld oder was auch immer es war, in den Griff bekommen. Sicherlich wollte ich nicht noch einmal so eine Drohne auslösen. Vielleicht würden mein Vater und dieser ziemlich nervige Wissenschaftler das nächste Mal nicht hier sein, um Schlimmeres zu verhindern.

 

„Du musst dir das Innere deines Verstandes vorstellen. Konzentriere dich darauf“, sagte er und schien darauf zu warten, dass ich tat, was er sagte, aber wie sollte ich mir das Innere meines Verstandes vorstellen, wenn ich nicht wusste, wie es auszusehen hatte? War es ein Raum mit vielen offenen Türen, durch die ein stetiger Wind von Gedanken wehte, oder war es vielleicht einfach nur ein kleiner Ball mitten in meinem Gehirn? Und vor allem, wie sollte ich mich entspannen, wenn ich immer seine monotone Stimme im Kopf hatte? Das konnte wirklich nicht funktionieren, nicht so.

 

„Es funktioniert nicht“, sagte ich resignierend und stand auf, doch Teal‘c machte keine Anstalten, ebenfalls aufzustehen. Er blieb einfach auf meinem Stuhl sitzen und sah mich weiter an. Ich fragte mich, was er damit bezwecken wollte. Ich hatte wirklich keine Lust mehr, dieses Kelno’reem zu erreichen. Wenn wir jetzt aufhörten, würden wir ihm und mir sicherlich eine Menge Ärger und Enttäuschung ersparen. Aber anscheinend wollte er nicht aufstehen, oder vielleicht war er auch in diesen Kelno’reem-Zustand verfallen, wer konnte das schon wissen?

 

Als er jedoch eine seiner Augenbrauen hochzog, merkte ich, dass er nicht in Trance oder Meditation war. Mit einem tiefen Seufzen setzte ich mich also wieder hin, anscheinend war das Thema für ihn noch nicht beendet. Ich atmete tief ein und aus, doch ich merkte, dass ich mich nicht wirklich auf diese Sache einlassen konnte. Immer wieder musste ich ein Lachen zurückhalten, weil ich an diese wirklich urkomischen Sachen im Fernsehen denken musste. Erwachsene, die sich beim Yoga total verbogen und der Meinung waren, dass das die pure Entspannung sei, vollkommen asketische Mönche, wie sie in ihrem besonderen Meditationssitz auf dem Boden saßen und mit dem Mund ein leises, durch die Vereinigung ihrer Stimmen aber mehr als gut hörbares, ‚Ommmmm‘ herausbrachten. Das war so klischeehaft, so sehr das, was man von einer Meditation erwartete. Ich dachte einen Moment darüber nach, wie ich wohl aussehen würde in so einem Mönchskostüm, wenn ich versuchte zu meditieren, aber ich ließ es schnell wieder, denn dieser Gedanke brachte mich noch mehr zum Schmunzeln. Sicherlich wäre Teal’c nicht sehr begeistert, wenn ihm klar würde, dass ich einen Brauch seines Volkes für totalen Schwachsinn hielt.

 

„Kontrolliere deinen Atem, konzentriere dich nur auf deinen Verstand“, wiederholte er seine Worte von vorher. Ich holte tief Luft, reckte meinen Nacken noch mal und versuchte es dann noch einmal. Wahrscheinlich war mein Problem, dass ich nicht daran glaubte, dass ich mich nicht darauf einließ. So war es doch bei den meisten Sachen. Wenn man sich nicht darauf einließ, dann klappte es auch nicht.

 

Ich schloss also meine Augen und erinnerte mich an das autogene Training, das einer unserer Lehrer in der Schule ab und zu mit uns gemacht hatte, bevor er mit seinem Unterricht angefangen hatte. Er hatte uns immer gebeten, uns genau darauf zu konzentrieren, wie jeder Atemzug in unsere Lungen strömte, ihn zu kontrollieren, indem wir gleichmäßige, tiefe Atemzüge machten. Danach hatte er angefangen, uns von einem Strand, einem Wald oder sonst einem ruhigen Ort zu erzählen, an dem wir uns befanden.

 

Einmal war ich dabei sogar eingeschlafen, was natürlich den Spott meiner Klassenkameraden auf mich gezogen hatte, denn wie zu erwarten, war ich erwischt worden. Aber ich war an diesem Tag wirklich müde gewesen und meine Ausrede für den Lehrer war gewesen, dass ich so entspannt gewesen war, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie ich eingeschlafen war. Ich hatte sogar von dem Wald geträumt, von dem er damals geredet hatte.

 

Vielleicht war ich ja gar nicht wirklich eingeschlafen, vielleicht war das ja dieses Kelno’reem gewesen, immerhin hatte Teal’c eben irgendetwas von einem Wachtraum gesprochen. Vielleicht musste ich mich nur daran erinnern, wie ich es damals geschafft hatte, aber wie sollte ich das tun? Wie sollte man sich an Details eines Vorganges erinnern, wenn man noch nicht einmal wusste, dass er passiert war?

 

Wer konnte schon wirklich hundertprozentig sagen, wann genau er einschlief. Man konnte nur ungefähr sagen wann, aber sich wirklich daran erinnern, dass oder wie man eingeschlafen war, kann man nur selten bis gar nicht. Um ehrlich zu sein, hatte ich auch schon oft versucht, diese Frage zu beantworten oder zumindest die, ob ich mich im Schlaf viel bewegte. Ich hatte versucht, mich jeden Morgen daran zu erinnern, in welcher Lage ich eingeschlafen war, aber wirklich sicher konnte ich mir nie sein, weil ich den genauen Zeitpunkt nie festhalten konnte.

 

Wie sollte ich also genau sagen, wie ich damals in diese Trance gefallen war? Wie sollte ich es wieder hervorrufen? Wahrscheinlich war es ein hoffnungsloses Unterfangen. Aber was ich wusste war, dass ich damals auf meine Atmung geachtet hatte, das ich genau gespürt hatte, wie die Luft meine Lungen durchflutete. Wenn ich an diesen Punkt kam, dann war es vielleicht schon ein Fortschritt.

 

Ich richtete mich also wieder etwas auf, und begann langsam und gleichmäßig zu atmen. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, versuchte, es so natürlich wie möglich kommen zu lassen und ich war erstaunt, dass ich, zumindest für mein Verständnis, gleichmäßig atmete. Aber ich fand nicht in diesen von Teal’c so gewollten Zustand des Kelno’reem.

 

„Ich denke, es ist an der Zeit, dass du zu Bett gehst, MagretLindbruch. Wir werden übermorgen mit dieser Übung fortfahren. Wenn dein Körper erschöpft ist, findet dein Geist vielleicht eher die Möglichkeit zur Entspannung“, sagte er in seinem stoischen Ton, aber irgendwie ließ es mich ein schlechtes Gewissen haben. Für ihn war diese Sache wirklich wichtig, das sah man ihm trotz seiner seltsamen Art an. Wenn es ihm nicht wichtig gewesen wäre, hätte er sich wahrscheinlich auch nicht die Mühe mit den ganzen Kerzen gemacht, welche er jetzt vorsichtig auspustete und einsammelte.

 

„Es tut mir leid Teal’c, aber nach allem, was heute passiert ist … ist es einfach schwer, sich auf irgendetwas lange zu konzentrieren.“

 

„Keine Angst, MagretLindbruch. Mit der Zeit wirst du lernen, Kelno’reem zu schätzen“, entgegnete er, verbeugte sich leicht und verließ dann mein Quartier.

 

Obwohl wir alles andere als laut gewesen waren, kam mir mein Quartier auf einmal fürchterlich still vor, so leer und kalt. Vielleicht hatte ich es doch in mir, die Möglichkeit dieses Kelno’reem zu machen. Aber wie alles würde es sicherlich Zeit brauchen, immerhin lernte man eine Kampfsportart auch nicht in der ersten Stunde.

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