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Kapitel 10

 

Verzweiflung

 

 

 

Mit dem Gedanken, dass ich indirekt für den Tod meiner Mutter verantwortlich sein könnte, war es mir noch weniger möglich in irgendeiner Form die Ruhe zu finden, die mein Körper sicherlich brauchte. Ich konnte nichts anderes als vor dem kleinen Fenster in meinem Quartier zu stehen und die Lichtstreifen zu beobachten die immer wieder an ihm vorbeizogen. Ich fühlte mich leer, hatte das Gefühl nicht mehr ich selbst zu sein. Ich dachte daran, wie oft ich mir in den letzten Jahren gewünscht hatte jemand anders zu sein. Und jetzt genau in diesem Moment, wünschte ich mir es mehr als jemals zuvor. Ich wollte … ich wusste noch nicht einmal was ich wollte. Ich wollte einfach nur nicht mehr ich selbst sein.

 

Als wäre mein Quartier nicht schon genug verwüstet, packte mich auf einmal wieder eine unbeschreibliche Wut. Doch diesmal richtete sich diese Wut gegen mich selbst. Ich hatte meiner Mutter alles kaputt gemacht wofür sie ihr ganzes Leben gearbeitet hatte. Und nicht nur das. Ich war es, wegen der sie ihr Leben verloren hatte. Sie war tot, zusammen mit Milliarden von anderen Menschen und ich, ich saß hier auf diesem Schiff und wurde in Sicherheit gebracht. Ich war unverletzt davon gekommen.

 

„Hey, hey, hey!“ rief auf einmal eine Stimme und ich merkte wie mein Arm festgehalten wurde. Wie aus einer Trance erwacht sah ich auf einmal in die Augen meines Vaters. Er hielt immer noch meinen Arm und ich merkte auf einmal was ich in meiner Hand hielt und was ich damit getan hatte.

 

Ich entriss meinem Vater meinen Arm und ich sah das Blut an seinen Händen. Dann zeigte ich mit dem Messer, mit dem ich mich gerade offensichtlich selbst geritzt hatte, auf ihn. Er hob beschwichtigend die Hände, wusste anscheinend selbst nicht, zu was ich fähig war und in welcher Stimmung ich mich befand.

 

„Verschwinde!“, schrie ich ihn an und ich merkte wie meine Hand zitterte. Jetzt wo ich merkte, was ich getan hatte brannten meine Arme wie Feuer, aber es interessierte mich nicht. Dieser Schmerz war wahrscheinlich ein Bruchteil dessen was meine Mutter hatte erdulden müssen. Es war nur gerecht, dass ich zumindest einen Teil ihrer Schmerzen spürte. Dann sah ich wieder meinen Vater an. Er sah nicht ängstlich aus, sondern besorgt. Ich konnte es genau sehen, auch wenn ich es am liebsten nicht gesehen hätte.

 

„Ich werde gehen. Aber erst wenn du das Messer weg legst.“, sagte er ruhig. Es war das erste Mal, dass wir uns direkt in die Augen sahen, und ich stellte zu meiner großen Verwunderung fest, dass ich diese Augen kannte. Ich hatte sie schon so oft gesehen, dass es mir bisher nicht aufgefallen war. Aber jetzt sah ich deutlich, dass ich in mein eigenes Augenpaar sah.

 

„Nein, du gehst, sofort!“, sagte ich, aber meine Stimme zitterte. So viele Sachen gingen mir durch den Kopf, so vieles dass ich mich nicht auf eines davon konzentrieren konnte. „Ich möchte nichts mit dir zu tun haben!“, schrie ich noch mal. Er sah mich nur weiterhin an. Er blieb immer noch ruhig, wahrscheinlich hatte er Angst ich könnte mit dem Messer eine Dummheit begehen.

 

„O-okay, ich werde jetzt gehen, aber Teyla ist hier, gibt ihr das Messer.“, sagte er und sah in den Korridor vor meinem Quartier. Dann erschien Teyla und ihre Augen waren weit aufgerissen, als sie sah was sich hier in meinem Quartier abspielte. Ich zeigte wieder mit dem Messer auf meinen Vater, der dann jedoch tatsächlich ging. Ich hörte noch wie er ihr zuflüsterte, dass er einen Arzt holen würde und dann war er verschwunden.

 

Ohne auch nur einen Funken von Angst, sogar mit einem sanften lächeln kam Teyla auf mich zu und nahm mir ohne viel Kraft aufzuwenden das Messer aus der Hand. Meine Wut richtete sich ja nicht gegen sie und ich wollte sicherlich nicht sie verletzten. Dann nahm sie mich auf einmal in den Arm und hielt mich einfach fest. Sie hielt mich wie meine Mutter es immer getan hatte, wenn ich Angst gehabt hatte.

 

„Ich bin schuld.“, jammerte ich beinahe als sie mir vorsichtig über die Haare strich. Es interessierte sie anscheinend nicht, dass ich ihre Kleider mit Blut verschmierte, denn die Wunden an meinen Armen waren noch nicht ganz getrocknet. Ich merkte wie sie bei jeder Berührung brannten, doch das interessierte mich weniger. Es war nichts gegen den Schmerz den meine Mutter gespürt haben musste, nichts gegen das was ich ihr indirekt angetan hatte. „Wäre ich nicht gewesen, würde sie noch leben. Sie würde immer noch das tun, was sie geliebt hat.“, sagte ich unter Schluchzern.

 

Dann lies Teyla ein bisschen lockerer, aber nur damit ich ihr direkt in die Augen sehen konnte. Und ich sah Mitleid in ihren Augen. Mitleid und Unverständnis. Aber bevor sie etwas zu mir sagen konnte kam auch schon ein Arzt ins Zimmer. Er staunte nicht schlecht als er meine vollkommen zerschnittenen Arme sah.

 

„Das ist wirklich kein Weg.“, sagte er und sah mich kopfschüttelnd an während er mir eine Salbe auf die Wunden strich. Sie roch gut, etwas nach Eukalyptus und ich merkte wie ich mich unweigerlich etwas beruhigte. Jeder Strich den er tat um die Salbe zu verteilen brannte höllisch auf meinen geschundenen Armen, aber ich wusste, dass ich es selbst Schuld war, deswegen versuchte ich mir nichts anmerkten zu lassen.

 

„Es wird nichts besser machen, wenn du dich selbst verletzt.“ Auch in seinen Augen sah ich Mitleid. Anscheinend ahnte er warum ich das getan hatte. Wahrscheinlich wusste auch er mehr über mich und meine Mutter als ich selbst. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass einfach jeder an Bord des Schiffes mehr über mich wusste als ich selbst. Ich fragte mich, ob ich vielleicht mein ganzes Leben lang ausspioniert worden war, ob es vielleicht eine dicke Akte über mich irgendwo gab die man nur aufschlagen musste, um einfach alles über mich zu wissen.

 

Und dann kam mir ein Gedanke der mir gar nicht gefiel. Ich dachte daran, dass Genral O’Neill Peter gegenüber erwähnt hatte, dass eine Cassandra wegen meiner Mutter und mir nach Deutschland gezogen war und sicherlich konnte es kein Zufall sein, dass Kevins Mutter ebenfalls Cassandra hieß. Wahrscheinlich war sie genau diese Cassandra. Der schlimme Gedanke war jedoch, ob Kevin vielleicht nur deswegen mit mir befreundet gewesen war, weil seine Eltern es von ihm verlangt hatten. Vielleicht hatte er mich gar nicht gemocht, vielleicht hätte er sich lieber von mir ferngehalten.

 

Es war seltsam das zu denken, aber in gewisser Weise hätte ich ihn verstehen können. Ich hätte auch nichts mit mir zu tun haben wollen, wenn ich gewusst hätte was wegen mir alles passiert war. Selbst seine Eltern hatten darunter leiden müssen, dass es mich gab, denn sie hatten sicherlich nicht aus den USA in ein kleines Dorf nach Deutschlang ziehen wollen, nicht wenn sie es nicht gemusst hätten.

 

„Versprich mir, dass du das nicht noch einmal machst, in Ordnung?“, fragt mich Teyla die etwas besorgt zugesehen hatte wie der Arzt mein Arme verbunden hatte. Ich nickte zögerlich. Ich wusste, dass das der falsche Weg gewesen war und um ehrlich zu sein, ich konnte mich noch nicht mal an den Moment erinnern in dem ich nach dem Messer gegriffen hatte. Es war einfach auf einmal in meiner Hand gewesen.

 

„Was stimmt nicht mit mir?“, fragte ich Teyla dann kleinlaut. Ich hatte eigentlich nicht gewollt, dass jemand erfuhr, dass ich das Gespräch zwischen dem General und Peter gehört hatte, aber ich wollte einfach wissen was sie gemeint hatten. Ich wollte wissen, was so interessant an mir war, dass jemand meine Mutter umbrachte, nur um an mich zu kommen. Doch sie sah mich nur an und sagte mir, dass sie wahrscheinlich nicht die richtige sei, um mit mir darüber zu reden. Ich ahnte direkt wen sie meinte, doch mit ihm wollte ich immer noch als aller letztes sprechen, am liebsten überhaupt nicht.

 

„Dein Vater ist gar nicht so ein schlechter Mensch wie du denkst. Er hat zweifellos seine Fehler, aber die hat jeder Mensch. Nicht wahr?“ sagte sie und sah mir immer noch tief in die Augen. Anscheinend lag es ihr am Herzen, dass ich ihre Sicht der Dinge sah.

 

„Aber sein Fehler hat zum Tod von Milliarden von Menschen geführt.“, antwortete ich ihr und ich sah ihr direkt in die Augen, versuchte sie damit zu fragen wie sie einen Menschen wie meinen Vater noch unterstützen konnte. Warum sie nicht sehen konnte, was für ein Mann er war. Dann, obwohl sie eigentlich hatte gehen wollen, setzte sie sich auf den Boden und bat mich dasselbe zu tun.

 

„Glaub mir, egal was andere sagen mögen. Dein Vater hat sicherlich nichts damit zu tun, dass die Wraith die Erde angegriffen haben. Er hat versucht es zu verhindern, er versucht es schon seit Jahren.“

 

„Aber er hat sie doch erst auf uns Aufmerksam gemacht. Das hat zumindest O’Neills Frau gesagt.“, protestierte ich und wollte schon wieder aufstehen. Ich wollte wirklich nicht mehr hören was Teyla mir sagen wollte und dennoch, als sie meine Hände festhielt und mich wieder auf den Boden zog, gab ich nach.

 

„Er kannte die Wraith damals nicht. Er und seine Leute waren neu in unserer Galaxie. Sie hatten nur mitbekommen wie diese Monster hunderte von meinem Volk, mich eingeschlossen, entführt hatten. Wir hatten ihnen nichts getan und dein Vater hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Er beschloss also uns zu helfen und hätte damit beinahe mit seinem Leben bezahlt.“, ich verdrehte einmal meine Augen. War ja klar, dass nun eine Heldengeschichte aller erster Güte folgte. Was sollte es auch anderes sein? Ich wusste zwar nicht warum Teyla lügen sollte, doch ich glaubte ihr kein Wort dessen was sie mir erzählte. Vor allem als sie mir berichtete, dass mein Vater niemals die Erde aufs Spiel gesetzt hatte, sondern dass er seinen Vorgesetzten vor dem sicheren Tod durch eine Wraith-Königin hatte retten wollen. Wraith-Königinen hatten laut ihr die Fähigkeit Gedanken und Emotionen zu lesen und so hatte diese von der Erde erfahren. Angeblich hätte mein Vater ihr diese Information nicht freiwillig gegeben.

 

„Was hat er dir für die Geschichte versprochen?“ Ich sah Teylas irritierten Blick, als ich ihr diese Frage gestellt hatte. Sie hatte anscheinend keine Ahnung wovon ich sprach. Dann stand sie langsam wieder auf, während sie mir versicherte, dass diese Geschichte sicherlich nicht ausgedacht war. Sie schlug mir sogar vor die Missionsberichte des ersten Jahres auf Atlantis zu lesen und vielleicht auch andere danach zu fragen. Sie war sich sicher sie würden mir alle dieselbe Antwort geben.

 

„Warum hasst du deinen Vater so?“

 

„Weil er nie für mich da war. Weil er Mama im Stich gelassen hat. Und weil er ein schrecklicher Mensch sein muss.“ Es war einfach so aus mir heraus gesprudelt, obwohl ich den wahren Grund warum ich ihn hasste nie jemand hatte sagen wollen. Es war einfacher ihn für etwas zu hassen was offensichtlich war, was man niemandem groß erklären musste.

 

„Ein schrecklicher Mensch?“ Teyla hatte sich wieder zu mir umgedreht und sah mich wieder an. Ich wusste, ich hatte diese Worte gesagt und Teyla sah nicht so aus, als konnte ich sie anlügen oder der Frage irgendwie aus dem Weg gehen.

 

„Warum sonst hat meine Mutter ihm nichts von mir gesagt? Warum hätte sie mich vor ihm verstecken sollen? Sie hatte Angst dass er mir etwas antun könnte.“

 

„Deine Mutter hatte sicherlich Angst, und ich weiß nicht, warum sie mir nie etwas von dir erzählt hat. Ich wünschte sie hätte es getan. Aber glaub mir ich hätte dir nie schaden wollen.“ Ich drehte mich augenblicklich um, als ich bemerkte, dass mein Vater im Türrahmen stand. Ich wollte ihn nicht sehen. „Ich weiß, das ist für dich alles nicht einfach und du würdest mich am liebsten in den Wind blasen. Wahrscheinlich würde ich dasselbe tun wollen, in deiner Situation. Aber für mich ist das auch nicht einfach. Ich meine, hey, ich habe vor 4 Wochen erfahren, dass ich eine fast erwachsene Tochter habe. Ich! Eine Tochter! Verdammt, jeder der mich kennt, weiß, dass ich nicht allzu gut mit Kindern kann. Nicht das ich sie nicht mögen würde, aber ich bringe sie meistens zum Weinen. Ich weiß, du bist schon viel zu alt zum Weinen, aber ich bin mir sicher, dass ich das auch bei dir hinbekommen würde. Ich bin sicherlich ein schrecklicher Vater und das nicht nur weil ich nicht für dich da sein konnte als du klein warst. Oh mein Gott, ich klinge wie Rodney, ich plappere vor mich hin wie McKay!“

 

Teyla und ich sahen ihn einfach vollkommen perplex an. Er plapperte wirklich nur so vor sich hin und man hatte das Gefühl sein Mund arbeitete schneller als sein Gehirn das gesagte verarbeiten konnte. Dann schien er endlich etwas Luft zu holen und wahrscheinlich wartete er auf eine Antwort von mir, auf Worte die ihm etwas seiner Sicherheit mir gegenüber zurückgaben, aber von mir würde er nichts hören. Ich hatte kein Mitleid mit ihm, würde es wahrscheinlich nie haben.

 

„Hör zu. Ich kann dich verstehen, wirklich. Und du musst auch nicht mit mir reden. Du sollst nur wissen, dass ich mich, nach einem kurzen Schockmoment, gefreut habe zu wissen, dass ich eine Tochter habe. Und wenn du deine Meinung jemals ändern solltest, werde ich da sein.“, sagte er und verließ mein Quartier wieder. Ich sah ihm an, dass er etwas bedrückt war. Tat es ihm tatsächlich leid, dass er mein Leben verpasst hatte? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich tat es ihm nur leid, dass ich nun an seinem Saubermann Image rüttelte wenn ich nicht die ihn liebende Tochter spielte. 

 

 

 

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