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Kapitel 7

 

Fremde werden Vertraute, Vertraute werden Fremde

 

 

 

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich gebraucht hatte um das Quartier in dem ich mich befand in ein eigenes kleines Schlachtfeld zu verwandeln, aber ich hatte es eindeutig geschafft. Nichts stand mehr an dem Platz wo es hätte stehen sollen, zumindest nichts, was nicht befestigt worden war. Ich war froh, dass nach Teyla niemand mehr mein Quartier betreten hatte, denn wahrscheinlich hätte ich ihm oder ihr etwas an den Kopf geworfen. Der einzige bei dem ich das sehr gerne getan hätte, war mein Vater.

 

Wenn mein Vater für das hier alles verantwortlich war, wenn er wirklich die Wraith erst auf die Erde aufmerksam gemacht hatte, dann war er für den Tod von Milliarden verantwortlich. Mein Vater, der Mann dessen Blut auch in meinen Adern floss. Es machte mich krank zu wissen, dass ich in irgendeiner Weise mit so einem Menschen in Verbindung gebracht werden konnte. Wahrscheinlich hatte meine Mutter mir deswegen nie von ihm erzählt, hatte ihn verlassen weil sie mit der Schuld, einen solchen Mann zu lieben, nicht mehr leben konnte und wollte.

 

Wahrscheinlich wollte sie mit keinem dieser Leute mehr etwas zu tun haben, weil sie wusste welcher Gefahr sie die Menschen immer wieder aussetzten durch ihre Reisen. Aber das schlimme an der Sache war, dass ich nicht mehr genau wusste was meine Mutter gedacht hatte. So wie es mir schien war sie mit den Menschen hier befreundet gewesen und keiner von ihnen hatte angedeutet, dass meiner Mutter ihr Job nicht mehr gefallen hatte. Sie hatten alle gesagt sie sei nur gegangen, weil sie erfahren hatte, dass sie Schwanger sei. Wer war meine Mutter überhaupt gewesen? Erst jetzt wurde mir klar, dass ich sie vielleicht gar nicht richtig gekannt hatte.

 

Ich richtete einen Verstohlenen Blick auf die Registermappen die ich in meinem Wutanfall auf den Boden geschmissen hatte. Wenn das wirklich die Berichte meiner Mutter waren, dann würde ich vielleicht dort etwas mehr über die mir nun Fremd erscheinende Frau herausfinden. Immerhin war sie schon über 30 Jahre alt gewesen, als sie mich zur Welt gebracht hatte, sie war also länger diese Geologin Dr. Isabell Lindbruch gewesen als die normale Lehrerin Isabell Lindbruch.

 

Langsam stand ich auf, kniete mich auf den Boden und sammelte die Papiere wieder ein die aus den Mappen gefallen waren. Jetzt ärgerte ich mich, dass ich sie auf den Boden geschmissen hatte, denn die Seiten waren nun vollkommen unsortiert. Ich brauchte eine geschlagene halbe Stunde um alles wieder ordentlich zu sortieren und ich war froh, dass das Militär alles so genau benannte, so war es schneller gegangen, da auf jeder Seite das Datum des Einsatzes stand.

 

Doch leider waren diese Berichte weniger aussagekräftig. Sie machten mir nur klar, dass der Job als Lehrerin meine Mutter deutlich unterfordert haben musste. Unter diesen Berichten war auch ihre Personalakte, die ich wahrscheinlich nur haben durfte, weil sie tot war. Ich sah ihr Zeugnis, sie hatte ihr Studium in Hannover begonnen und war dann nach Oxford in England gegangen und hatte dort, der Ehrung zufolge, ihr Studium als eine der besten Abgeschlossen. Dann hatte sie einige Jahre für die Uni in Oxford gearbeitet und die Seismischen Aktivitäten des Yellowstone National Parks in den USA überwacht. Dadurch war dann die Air Force auf sie aufmerksam geworden und hatte sie abgeworben.

 

Ich war erstaunt und enttäuscht zugleich. Mir hatte meine Mutter immer erzählt sie habe in Heidelberg Geographie auf Lehramt studiert. Sie hatte mich also die ganze Zeit angelogen. Sie war sogar gestorben mit dieser Lüge und ich konnte sie nun nicht mehr fragen, warum sie gelogen hatte. Ich war wieder dieses kleine Kind das sie einmal angelogen hatte um zu vermeiden, dass sie böse auf mich war. Natürlich hatte sie herausgefunden dass ich gelogen hatte und sie war enttäuscht von mir gewesen. Hatte mir gesagt, dass man nicht lügen sollte. Dabei hatte sie es selbst getan. Sie hatte mich angelogen und ich hatte bis jetzt keine Möglichkeit gehabt dies herauszufinden. Doch das war noch nicht einmal das schlimmste. Auf dem Zeugnis von dem Gymnasium auf das sie in Deutschland gegangen war sah ich, dass ihr Mädchenname nie Lindbruch gewesen war, wie sie es mir gesagt hatte. Isabell Schulz, stand dort geschrieben und etwas weiter hinten fand ich eine Heiratsurkunde von Ralf und Isabell Lindbruch geb. Schulz. Meine Mutter war also sogar verheiratet gewesen bevor sie hier nach Atlantis gekommen war.

 

Ich hatte meine Mutter also tatsächlich nicht gekannt. Ich fragte mich, ob es diesen Ralf Lindbruch immer noch gab, ob er erfahren hatte, dass meine Mutter gestorben war, ob er vielleicht sogar von mir wusste. Hatte meine Mutter ihren Mann betrogen während sie hier auf Atlantis gewesen war? Hatte sie sich einfach hier einen neuen Mann gesucht in der Hoffnung diesen Ralf vergessen zu können? War sie wirklich so eine Frau gewesen? Ich wusste es nicht mehr.

 

Wut stieg in mir auf, die Wut zu wissen, dass ich mein ganzes Leben lang angelogen worden war und das von dem Menschen dem ich bedingungslos vertraut hatte, dem Menschen von dem ich ausging er war immer ehrlich zu mir gewesen. Ich schmiss die restlichen Unterlagen wieder auf die Erde und dieses Mal bewusst. Ich wollte nichts mehr von diesen Sachen wissen, ich wollte nicht noch mehr erfahren über das ich belogen worden war. Ich schrie frustriert auf, lies die Wut durch dieses Ventil heraus, weil ich wusste dass ich sonst zu explodieren drohte.

 

„Ich hasse dich!“, schrie ich laut gegen die Decke und meinte damit meine Mutter. Nicht genug, dass sie mich hier alleine gelassen hatte, sie hatte mich nun auch noch verunsichert, mir die Sicherheit genommen, dass ich genau gewusst hatte wer sie war, was sie gemocht hatte und was nicht. Sie hatte mir die Erinnerung an sie zerstört, hatte mir die einzige Familie genommen die ich je gehabt hatte. Dann sank ich auf den Boden und lies die Tränen einfach laufen. Es interessierte mich noch nicht einmal, dass die Tür zu meinem Quartier sich auf einmal öffnete und sich jemand neben mich kniete. Es war mir sogar egal wer es war.

 

„Warum hat sie das getan?“, fragte ich schluchzend. Eigentlich hatte ich die Frage einfach gefragt, ohne jemanden damit zu adressieren, aber als mir plötzlich eine Stimme antwortete war ich froh eine Antwort zu bekommen.

 

„Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher sie wollte dir damit nicht schaden.“ Es war Daniel der neben mir kniete. Ich wischte mir mit meinem Ärmel die Tränen vom Gesicht, merkte aber direkt wie wieder neue Aufstiegen während ich ihn ansah.

 

„Ich kannte sie gar nicht. Ich weiß nicht wer sie war.“, sagte ich und mein Hals war so trocken das ich husten musste. Daniel half mir auf und gab mir ein Glas Wasser während ich mich auf mein Bett setzte und die Arme um meine Beine schlang.

 

„Doch, du kanntest sie. Du kanntest den Mensch, der sie für dich sein wollte.“, sagte er einfach und ich schnaubte. Was brachte es mir den Menschen zu kennen der sie hatte sein wollen? Das waren die letzten 16 Jahre ihres Lebens gewesen. Aber wer wusste schon, ob sie dieses Leben gemocht hatte? Wer wusste, ob ich nicht ein Unfall gewesen war und sie nur aus Pflichtbewusstsein zu dem geworden war was sie vorgegeben hatte zu sein. Vielleicht hatte ich ihren großen Traum zerstört, war schuld gewesen, dass sie nicht mehr das machen konnte was sie gewollt hatte. Diese Frage stellte ich Daniel jedoch nicht, denn bevor ich das tun konnte legte er seinen Arm um mich und zog mich zu sich. Es war ein komisches Gefühl, aber es tat gut. Schon oft hatte ich mir eine Schulter gewünscht an der ich mich ausheulen konnte. Als ich klein gewesen war hatte ich immer davon geträumt, dass in genau solchen Moment mein Vater kam, weil er gemerkt hatte dass ich traurig war und das er derjenige war der mich so in den Arm nahm.

 

„Haben Vala und du Kinder?“, fragte ich nach einiger Zeit in der ich einfach nur geweint hatte und er wie ein Vater einfach nur dagesessen und mir beruhigend über den Rücken gestrichen hatte. Dann schüttelte er nur den Kopf und sah etwas betroffen auf den Boden.

 

„Vala hat vor einigen Jahren eine Tochter bekommen. Sie war … ich weiß nicht wie ich dir das erklären soll. Sagen wir es war ähnlich wie bei Maria und Jesus. Sie wurde schwanger ohne die erforderlichen … du weißt schon.“

 

„Ohne Sex gehabt zu haben?“, fragte ich und ich musste kurz darüber lächeln, dass Daniel es offensichtlich unangenehm war über dieses Thema mit mir zu reden. Er nickte kurz, augenscheinlich erleichtert, dass ich das Wort in den Mund genommen hatte nicht er.

 

„Ja, danke. In dieser Zeit war sie in einer anderen Galaxie und die Ori, eine Abtrünnige Fraktion der Antiker, die die Herrschaft über das Universum anstrebten, waren für ihre Empfängnis verantwortlich. Aber sie haben irgendetwas mit ihr gemacht was verhinderte, dass Vala erneut ein Kind bekommen konnte. Wir haben es einige Male versucht, doch es hat nie geklappt.“ Ja, Daniel bereute es eindeutig keine Kinder zu haben und ich wollte erst gar nicht wissen wie seine Frau darüber dachte.

 

„Hat meine Mutter Kinder gewollt?“, fragte ich gerade heraus und Daniel sah mich einen Moment an. Er schien zu überlegen was er sagen sollte, vielleicht ob er überhaupt antworten sollte. Ich wusste, meine Hoffnung kein Unfall gewesen zu sein war durchaus sehr gering. Immerhin hätte mein Vater von mir gewusst, wäre ich geplant gewesen und dann wäre meine Mutter sicherlich nicht abgehauen.

 

„Ich denke ich bin nicht der richtige, um mit dir darüber zu reden.“, sagte Daniel dann und ich wusste genau wen er meinte, aber ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wollte ihn noch nicht einmal sehen.

 

„Bitte Daniel.“, flehte ich den Archäologen, so viel hatte ich mittlerweile über ihn herausgefunden, an. Leider war er gegen diese Art von Flehen resistent und ich ahnte, dass es etwas mit seiner doch sehr kindlichen Frau zu tun haben musste. Wahrscheinlich bettelte sie ihn in regelmäßigen Abständen wegen irgendetwas an. Er schüttelte nur noch einmal den Kopf und ging dann Richtung Tür.

 

„Ich weiß nicht, warum du nicht mit ihm reden willst, aber du solltest es wirklich tun.“, sagte Daniel noch während er in der Tür stand.

 

„Du willst wissen warum? Weil du in den letzten Minuten mehr wie ein Vater für mich warst als er es je gewesen ist.“, sagte ich und blickte auf meine Hände. Es war mir schon fast peinlich ihm das zu sagen, aber er hatte gefragt. Anstatt zu gehen, blieb er noch immer im Türrahmen stehen. Überlegte was er sagen sollte.

 

„Du solltest ihm einfach eine Chance geben. John ist vielleicht nicht der Beste im Umgang mit Kindern, aber er hat eine Chance verdient.“ Dann ging Daniel doch und lies mich nachdenklich in meinem Quartier zurück. Es hatte wirklich gut getan, dass er dort gewesen war, dass er mit mir geredet und mich getröstet hatte. Und ich fragte mich, ob er vielleicht Recht hatte. Vielleicht hatte mein Vater eine Chance verdient. Immerhin schien meine Mutter ihm wirklich nichts davon gesagt zu haben, dass es mich gab. Aber nach dem was er indirekt der Erde und damit den Menschen angetan hatte, wie konnte ich ihm da unter die Augen treten. Wie konnten es die anderen?

 

Ich entschied mich die Antwort auf diese Frage noch etwas aufzuschieben, denn mein Magen machte sich nun doch lautstark bemerkbar, auch wenn ich eigentlich keinen Appetit hatte. Also verließ ich mein Quartier, fragte die Wache die draußen stand, wo man hier etwas zu Essen bekam und ging in die Kantine.

 

Ich war erleichtert, als dort niemand zu sehen war den ich bereits kennen gelernt hatte. Weder mein Vater, noch einer seiner Freunde. Wahrscheinlich waren sie alle damit beschäftigt so viel wie möglich wieder in Ordnung zu bringen. Ich ging also mit einem kleinen Tablett zur Essensausgabe und lies mir eine kleine Portion Rührei mit Speck geben, mehr würde mein Magen sicherlich nicht vertragen. Es war relativ leer in der Kantine und die meisten Anwesenden sahen ziemlich angeschlagen aus. Verständlich, wahrscheinlich hatten sie alle Freunde und Familie verloren.

 

Wenn ich genauer darüber nachdachte, ging es ihnen ähnlich wie mir. Wahrscheinlich waren sie nun auch alleine, hatten keine Familie mehr die auf der Erde auf sie wartete. Ihre Mütter und Väter waren wahrscheinlich tot oder würden bald an der enormen Verstrahlung der Atmosphäre sterben. Ich fragte mich wie sie es ertrugen meinen Vater unter sich zu haben.

 

Ich aß mein Rührei und vergrub mich dann wieder in meinem Quartier und so hielt ich es auch den nächsten Tag und den Tag danach. Ich ging immer zu unterschiedlichen Zeiten und immer in der Hoffnung nicht auf meinen Vater treffen zu müssen. Und ich hatte Glück, wobei ich schon vermutete, dass Daniel ihm gesagt hatte er solle mich erst einmal in Ruhe lassen.

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