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Kapitel 52

 

Die Ruhe nach dem Sturm

 

 

 

 

 

 

„Maggie? Maggie!“ hörte ich ziemlich besorgtes Stimmengewirr von draußen. Als sich die Tür des Archivs öffnete, stach mir die gleißende Sonne förmlich ins Auge und ich kniff meine Augen reflexartig zu und hob die Hände zum Schutz davor. Es war einfach viel zu hell. Dann wurde ich mit Fragen überhäuft, von so vielen, dass ich nicht einmal die einzelnen Wörter zu den verschiedenen Fragen zuordnen konnte. Für mich war es einfach ein undefinierbares, aus vielen Stimmen bestehendes, Chaos.

 

Als ich dann abwehrend meine Hände nach vorne streckte, schienen sie jedoch zu merken, dass sie mir etwas Angst einjagten und ließen einen Moment von mir ab.

 

„Geht es dir gut?“, fragte dann Daniel alleine. Ich hatte meine Augen immer noch geschlossen, es brauchte etwas, bis sie sich wieder an das helle Tageslicht gewöhnten.

 

„Ich, ich denke schon“, antwortete ich zögerlich. „Es ist nur so hell hier“, sagte ich und daraufhin schien jemand die Tür des Archivs zumindest etwas zu schließen und ich konnte meine Augen ein wenig weiter öffnen. Ich sah Daniel, Chloe, Dr. Rush und Eli genau vor mir stehen und war froh, dass der Angriff anscheinend nicht so schlimm gewesen war, dass sie verletzt worden wären.

 

„Wo sind Philipp und Simon?“, fragte ich, doch bevor ich eine Antwort bekommen konnte fiel mir etwas für mich noch wichtigeres ein. „Torren, er hat das Shuttle entführt, wir müssen ihn aufhalten. Er will …“ Chloe unterbrach mich jedoch, indem sie sich ein bisschen zu mir herunter beugte, sie war nicht viel größer als ich und sicherlich war es nicht mehr nötig, sich mit mir auf eine Augenhöhe zu begeben, aber sie tat es dennoch und irgendwie wusste ich, dass das kein gutes Zeichen war.

 

„Torren befindet sich auf Atlantis“, sagte sie nur und ein unausgesprochenes ‚es geht ihm nicht gut‘ hing in der Luft. Erschrocken sah ich Daniel an. Was war passiert? War er tatsächlich auf dieses Schiff gegangen? Hatte er sich wieder in einen Wraith verwandelt? Ein anderer Strang meiner Gedanken war an die Aussage geheftet, dass er auf Atlantis war. Das musste bedeuten, dass Atlantis nicht zerstört worden war, dass die Chance groß war, dass mein Vater und auch alle anderen der Crew noch lebten. Wenn Atlantis auf Gan Eden gelandet war, würden wir einen neuen Anfang machen können, uns neue Leben aufbauen mit dem, was wir hier zur Verfügung hatten.

 

“Was ist passiert?“, fragte mich nun Dr. Rush und er schien sich verwundert in dem Archiv umzusehen. Ich hatte niemandem versprochen, den Mund zu halten über das, was ich gesehen hatte, und dennoch schwieg ich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es besser war, wenn niemand außer mir wusste, was Kabil wirklich war, wenn sie nichts von Tierra erfahren würden. Besonders Rush kam mir vor wie jemand, der direkt mit einzelnen Versuchen beginnen würde, sobald man ihm den Baum der Erkenntnis zeigte. Nun wusste ich auch, warum man ihn so nannte. Wenn man sich mit ihm in irgendeiner Weise verband, wenn man einen gewissen Teil von Tierra in sich hatte, dann besaß man alles Wissen über dieses Universum. Je mehr man von ihr nahm, desto größer wurde das eigene Wissen und desto schwächer wurde Tierra. Rush hätte sicherlich ohne Hemmungen jede einzelne Frucht hinunter geschlungen, nur um das Wissen zu erhalten, zumindest schätzte ich ihn so ein.

 

“Ich habe Kabil überredet, uns zu helfen, das ist alles“, sagte ich daher ruhig und hoffentlich überzeugend. Doch die skeptischen Blicke der anderen nahmen mir diese Illusion direkt wieder. Sie besaßen nur genug Anstand, um nicht noch einmal nachzufragen. Fürs erste jedenfalls nicht. Ich wusste allerdings, dass die Fragen irgendwann kommen würden, und dann würde ich nicht ausweichen können. Ich konnte dann nur hoffen, dass die Fragen von Leuten kamen, denen ich hundertprozentig vertrauen konnte.

 

Ich hatte gefühlt, wie sowohl Kabil als auch Tierra unter der Situation litten und ich wollte nicht, dass die beiden noch mehr leiden mussten. Natürlich, in gewisser Form hatten sie sich dieses Leid selbst zuzuschreiben, aber irgendwie wollte ich nicht zulassen, dass sie dafür bezahlten.

 

„Wann wird Atlantis landen?“, fragte ich dann nach einem kurzen Moment der Stille. Dank der halb geschlossenen Tür konnte ich mich langsam an das Licht von draußen gewöhnen und mittlerweile fühlte ich mich imstande hinauszugehen.

 

„Sie befinden sich gerade im Landeanflug.“, antwortete Chloe mir und öffnete die Tür nach draußen wieder ganz. Es war noch etwas unangenehm, aber ich konnte die Augen offen halten. Ich konnte erkennen, dass das Energiefeld, das Kabil zum Schutz des Archivs beschworen hatte, verschwunden war und auch das leichte Summen in der Luft war verschwunden. Während wir zum Transporter gingen, der anscheinend wieder funktionierte, konnte ich weit über uns ausmachen, wie Atlantis in die Atmosphäre des Planeten eintrat. Es war seltsam, die Stadt von unten zu sehen, dieses eiskristallähnliche Gebilde, aber es tat unheimlich gut. Es bedeutete, dass wirklich alles in Ordnung war.

 

In den Straßen der Stadt konnte man vereinzelte Stellen sehen, an denen die Waffen der Wraith und der Luzianer eingeschlagen hatten, aber es waren alles Schäden, die behoben werden konnten. Außerdem waren kaum Zivilisten verletzt worden, da sie alle in Schutzräume gebracht worden waren. Während unserer kurzen Reise zurück zum Landungssee und dem dortigen Kontrollcenter erklärten mir die anderen dann, was passiert war.

 

Anscheinend waren sowohl Luzianer als auch Wraith mit Atlantis und den restlichen Schiffen aus der Milchstraße hier hergekommen. Man hatte es nicht verhindern können. Sofort nach Verlassen des Hyperraumes hatte dann der Kampf begonnen und zu Beginn hatten weder die Wraith noch die Luzianer gewusst, wo sie waren, oder was wir Menschen dort wollten. Erst durch meine Kontaktaufnahmen hatten sie bemerkt, dass irgendetwas auf dem Planeten verborgen war, etwas, für das es sich lohnte, zu kämpfen.

 

Die Securor und Atlantis blieben zusammen mit zwei weiteren Kriegsschiffen der Novaner im All, während einige der anderen Schiffe, auf denen sich noch Zivilisten befanden, die Oberfläche des Planeten ansteuerten. Zeitweise hatte es wohl ziemlich schlecht für alle ausgesehen. Atlantis hatte die meisten seiner Schilde einbüßen müssen und zwei Kriegsschiffe der Novaner waren sogar zerstört worden. Auch die Securor war kurz davor gewesen, kampfunfähig zu sein. Doch dann hatte sich plötzlich eines der Wraith-Schiffe gegen die anderen gewandt und nachdem die zerstört worden waren, vernichteten die Wraith auch die Luzianer, ein Schiff nach dem anderen, oder besser gesagt, sie ernteten die Luzianer.

 

Mir war sofort klar, dass der plötzliche Sinneswandel der Wraith wahrscheinlich auf Torren zurückzuführen war, und vielleicht auch auf Teyla, denn immerhin konnte auch sie in das Bewusstsein eines Wraith eindringen. Beide zusammen konnten schon den Kommandanten und die Königin ersetzen beziehungsweise beeinflussen und da die Krieger der Wraith nur auf die Kommandos dieser beiden hörten, war der Rest wahrscheinlich ziemlich einfach gewesen.

 

„Ich hoffe, ihr konntet die Luzianer irgendwie retten?“, fragte ich dann und erntete zumindest von Rush einen ziemlich geschockten Blick. Daniel und Chloe sahen mich verstehend an, anscheinend wollten auch sie nicht, dass irgendjemand sinnlos sterben musste, egal, ob es die Luzianer oder einer von uns war.

 

„Bevor das Wraith-Schiff sich selbst zerstört hat, konnte noch ein Shuttle starten. An Bord waren insgesamt 150 Menschen, einige Luzianer, andere wohl Gefangene der Luzianer“, erklärte Daniel, doch irgendwie sah er dabei schon beinahe gequält aus, so, als hielte er eine Information zurück, die er eigentlich unbedingt hätte sagen wollen. Aber ich beließ es erst einmal dabei, immerhin hatte er es für mich auch dabei belassen.

 

Im Kommandocenter warteten dann auch die anderen auf die Ankunft von Atlantis und wir waren alle froh, diesen hoffentlich letzten Angriff so gut überstanden zu haben. Nur Cassandra, Jennifer und Carolyn sahen etwas weniger entspannt aus, aber das lag wahrscheinlich eher daran, dass sie gleich einige weitere Patienten bekommen würden.

 

Gespannt sah ich aus dem Fenster und beobachtete, wie Atlantis immer weiter nach unten kam. Mittlerweile trennten die Stadt nur noch wenige Kilometer vom Boden und sie bedeckte jetzt schon von hier aus den kompletten Himmel. Hier, im Vergleich mit anderen Objekten wie Bäumen und Häusern sah die Stadt noch viel größer aus als im weiten Ozean, in dem sie bisher geschwommen hatte.

 

„Werden wir nun auf Atlantis leben oder wird Atlantis geräumt?“, fragte ich dann an Daniel gewandt und er sah mich etwas nachdenklich an. Er wusste es anscheinend selbst nicht. Aber seiner Meinung nach war es das Beste, wenn wir alle hier in der Stadt wohnten. Wenn wir neu beginnen wollten, war es gut, es auch wirklich und vollkommen zu tun, egal wie schwer es war.

 

„Atlantis bittet um Erlaubnis aufsetzten zu dürfen“, hörte ich dann die Stimme von Mr. Woolsey durch den Funk. Man hörte ihm seine Erleichterung und sein breites Grinsen förmlich an und auch ich konnte mich davon nicht freisprechen, als ich diese Erlaubnis erteilte und den Knopf drückte, der die Andockvorrichtung im See öffnete.

 

Kaum hatte ich den Knopf gedrückt, rannte ich auch schon zu dem Steg, der, wenn der Andockvorgang abgeschlossen war, die Verbindung zu Atlantis herstellen würde, die Techniker hatten wirklich alle Arbeit geleistet, um den Steg fertig zu bekommen. Ich konnte es nicht abwarten, meinen Vater und die anderen endlich wieder zu sehen. Außerdem wollte ich wissen, wie es Torren nach der ganzen Sache ging. Nachdem wir die Verbindung abgebrochen hatten, hatte ich sie nicht wieder herstellen können. Ich weigerte mich jedoch strikt zu glauben, dass es einen schlimmen Grund dafür geben könnte. Sicherlich war Torren nur erschöpft von seiner Verwandlung in einen Wraith und konnte deswegen den Kontakt zu mir nicht herstellen.

 

Es war ein ziemlich atemberaubendes Gefühl wie die Stadt direkt vor mir in den See eintauchte und es war mir egal, wenn ich dadurch ziemlich durchnässt wurde. Ich trat keinen Millimeter zurück. Auch einige andere waren mittlerweile zu mir gekommen und schienen zu warten.

 

„Ihr müsst jetzt erst einmal zur Seite gehen“, bat Cassandra uns dann jedoch. Anscheinend würden zuerst einige Verletzte nach draußen gebracht werden, damit sie in dem hier eingerichteten Krankenhaus richtig versorgt werden konnten. Ich war wirklich gespannt, was mein Vater und die anderen zu dieser Stadt sagen würden, was sie davon hielten, hier ein neues Leben zu beginnen.

 

Tatsächlich kamen zu allererst einige Tragen mit Verletzten an uns vorbei. Einige davon kannte ich, hatte ich schon einige Male in der Kantine gesehen in der Zeit, in der ich auf Atlantis gelebt hatte. Manche waren schwerer verletzt als andere und ich erkannte, warum Cassandra, Carolyn und Jennifer so aufgeregt waren. Sie hatten wirklich eine Menge zu tun.

 

Ich sah, wie Rodney, Ronon, Colonel Mitchell, die O‘Neills und andere erleichtert ihre Familien begrüßten. Auch Teal’c und Rya’c waren wohlauf und nun wieder mit Sara vereint, aber mein Vater oder Teyla waren nirgendwo zu sehen. Sorge stieg unweigerlich in mir auf. Warum waren alle hier, selbst die Kranken waren herausgebracht worden, nur mein Vater, Teyla und Torren waren nicht hier.

 

„Maggie“, die Stimme von General O’Neill war sanft und vorsichtig, beinahe so, als würde ich jeden Moment zerbrechen können. Es erinnerte mich so sehr an die Art, wie mir die Polizisten gesagt hatten, dass meine Mutter tot war, dass die Erinnerungen daran mir unweigerlich die Tränen in die Augen trieben. „Ich bringe dich jetzt zu deinem Vater“, sagte sie und legte einen Arm um meine Schulter. Ich traute mich nicht, sie direkt anzusehen. Ich wollte einfach nicht diesen Blick sehen, der mir klar machen sollte, dass ich meinen Vater nun zum letzten Mal sehen würde. Es durfte einfach nicht sein. Ich hatte ihn doch gerade erst kennengelernt, da konnte das Universum ihn mir doch nicht einfach wieder wegnehmen.

 

Auf einmal erschien Atlantis mir so dunkel und leblos, ganz anders, als ich es in Erinnerung hatte und am liebsten wäre ich direkt wieder hinausgelaufen. Es war ein kindischer Gedanke, aber wenn ich nicht sah, was sie mir zeigen würde, vielleicht konnte ich dann immer hoffen, dass er irgendwo noch lebte, dass er irgendwann zu mir zurückkommen würde. Das war besser als das Wissen, ihn nie wieder sehen zu können.

 

Die Angst, ihn zu vergessen, zu vergessen, wie er aussah, wie seine Stimme klang war viel zu groß. Schon jetzt konnte ich nicht mehr genau sagen, welches Gesicht meiner Mutter mein liebstes gewesen war. Wie ihr Lachen genau geklungen hatte. Würde es mir bei meinem Vater genauso ergehen? Vielleicht noch schlimmer, weil ich ihn nicht so lange gekannt hatte wie sie?

 

„Maggie?“, hörte ich auf einmal Teylas Stimme, als wir in der Nähe der Krankenstation angekommen waren. Ihre Stimme hörte sich ziemlich schwach an und ihre Augen waren bedrohlich rot. Sie hatte geweint, das sah man deutlich. Sie hatte um meinen Vater geweint und nun sah sie mich mit diesem ‚Es tut mir leid‘-Blick an, da war ich mir sicher. Sie schloss mich direkt in ihre Arme, drückte mich so fest an sich, dass ich beinahe husten musste.

 

„Maggie!“ Ich merkte, wie mit dem nächsten Atemzug auf einmal alles von mir fiel, alle Angst, alle Sorge. Ich stand beinahe versteinert da, als auf einmal noch ein Paar Arme mich umschlungen. Der etwas strengere, männliche Duft, der auf einmal auf mich einströmte, interessierte mich nicht weiter, er war nicht wichtig. Im Gegenteil. Genauso wenig störten mich die leichten Stoppeln und die feuchte Wange, die sich gegen meine Stirn drückten. Und auf einmal konnte ich mich wieder bewegen. Teyla hatte mich mittlerweile losgelassen, wollte uns diesen Moment lassen und meine Arme schossen in Windeseile um die Hüfte meines Vaters. Die Tränen, die sich in meinen Augen gebildet hatten, waren nun Tränen der Erleichterung. Erleichterung darüber, dass ich meinen Vater wieder hatte, dass er mich nicht im Stich lassen würde, dass er für mich da sein würde.

 

Als wir uns voneinander trennten, konnte ich auch in seinen Augen das Glück sehen, das er empfand, dass er froh war, mich wieder zu sehen. Der Kuss, den er mir auf die Stirn drückte, war stürmisch, aber nicht minder bedeutend. Er freute sich, dass mir nichts passiert war, dass ihm nichts passiert war und sicherlich hatte auch er mittlerweile begriffen, dass wir nun wirklich ein neues, gemeinsames Leben beginnen konnten. Ein Leben, in dem weder er noch ich alleine waren.

 

„Maggie“, unterbrach dann General O’Neill mit einer Träne im Auge. „Ich glaube, dein Vater möchte dir noch jemanden vorstellen“, fuhr sie fort und mein Vater sah sie dankbar nickend an. Anscheinend hatte er nicht gewusst, wie er darauf eingehen sollte und ich sah ihn etwas verwirrt an. Die Freude, die auf einmal aus seinen Augen strahlte, war unbeschreiblich. Er legte einen Arm um meine Schulter und drückte mich langsam in die Richtung, aus der er gekommen war. Hinter mir konnte ich Teyla leise schluchzen hören.

 

„Was ist mit Torren?“, fragte ich meinen Vater dann, als wir alleine in dem kleinen, kurzen Gang waren, der uns zum Isolationsraum bringen würde.

 

„Wir werden später zu ihm gehen“, sagte mein Vater nur und die Art, wie er das sagte, bestätigte mich zumindest in dem Glauben, dass Torren noch lebte und es beruhigte mich ein wenig. Doch warum war es so wichtig, mir erst jemanden vorzustellen? Dann blieb er an einer Tür stehen. „Wir wissen nicht genau, wie es passiert ist, aber kurz nach der Schlacht gab es einen Alarm für ein ansteigendes Energielevel in diesem Isolationsraum, die Kameras waren überlastet und konnten nichts aufzeichnen“, erklärte mein Vater, bevor er die Tür öffnete.

 

„Sie hat ziemlich eindringlich nach dir verlangt.“ Die Worte drangen gar nicht mehr komplett zu mir durch, nachdem sich die Tür geöffnet hatte. Es war beinahe, als hätte man mir einen Eimer mit Eiswasser direkt über den Kopf geschüttet. Alle Gedanken, alle Emotionen waren einfach plötzlich verschwunden. Ich war auf einmal vollkommen leer. So leer, dass anscheinend auch nichts mehr meine Muskeln kontrollierte, denn meine Beine gaben unter mir nach. Nur die schnelle Reaktion meines Vaters bewahrte mich davor, mit voller Wucht auf dem Boden aufzuprallen.

 

Ungläubig schüttelte ich meinen Kopf, das musste ein Traum sein, oder ein posttraumatisches Erlebnis, eine Halluzination. Vielleicht war Dad doch gestorben und ich wollte mir deswegen das einbilden, was ich vor mir sah, vielleicht war ich in Wirklichkeit schon in Teylas Armen umgekippt, als sie mich weinend umarmt hatte. Vielleicht hatte ich da abgeschaltet, um nicht mitzubekommen, was sie mir eigentlich hatte sagen wollen. Was auch immer es war, das hier konnte nicht wahr sein.

 

Ich merkte, wie mein ganzer Körper zitterte, wie die Tränen in meinen Augen brannten und meine Sicht trübten. Daher sah ich auch nur in Umrissen die Frau mit den braunen Haaren, die nun ebenfalls auf dem Boden kniete, sich aber nicht traute, mich anzufassen. Auch sie weinte, das konnte ich deutlich hören. Unsere Schluchzer vereinten sich und schienen einfach alles zu übertönen, was es sonst noch gab.

 

„Mama?“, fragte ich schluchzend und damit brach das Eis. Die Frau mir gegenüber rutschte noch einen Meter näher an mich und ihre Arme umschlossen mich auf einmal. Plötzlich war ich gefüllt mit Emotionen, so voll, dass es sich beinahe anfühlte, als würde ich jeden Moment explodieren. Mein Weinkrampf wurde nur noch lauter, noch eindringlicher, während der andere leiser und ruhiger wurde. Der andere Körper, der so sehr an meinen gepresst war, hörte auf zu zittern und der Atem wurde ruhiger, während ich nur noch mehr hochfuhr.

 

„Shshsh“, hörte ich in meinem Ohr und es hörte sich für mich an wie die schönste Melodie, die ich jemals gehört hatte. Wie etwas, das niemals aufhören sollte. Sie war hier, ich konnte sie berühren und ich dankte meinem Kopf für diese wunderbare Einbildung. Ich wusste, sie würde bald wieder vorbei sein und ich wäre alleine, aber diesen einen Moment, diesen besonderen Moment wollte ich bis in die Ewigkeit hinauszögern.

 

Dann merkte ich auf einmal einen leichten Schmerz an meinem Arm. „Au!“, rief ich beinahe entsetzt, doch dann liefen die Tränen nur noch mehr. Es hatte weh getan! Mein Vater hatte mich gekniffen und es hatte wehgetan!

 

„Wie … wie ist das möglich?“, fragte ich immer noch schluchzend. Ich kümmerte mich gar nicht darum, dass die Tränen es mir immer noch beinahe unmöglich machten, richtig zu sehen.

 

„Ich weiß es nicht“, antwortete nun die süße Stimme, die ich schon beinahe vergessen hatte. „Ich erinnere mich an diesen Schmerz, diesen unheimlichen Schmerz. Alles war schwarz, es hat sich angefühlt wie eine Ewigkeit“, erzählte sie, ließ mich dabei aber nicht los, weder sie noch ich konnten das in dem Moment. Dann wischte sie mir mit einer Hand die Tränen aus dem Gesicht und ich wusch sie mir mit meinem Ärmel aus den Augen.

 

Jetzt konnte ich sie wieder komplett sehen und es gab keinen Zweifel mehr. Vor mir saß tatsächlich meine Mutter. Genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Dann auf einmal erschien Kabil neben uns. Mein Vater wollte schon aufspringen und seine Waffe erheben, aber ich konnte ihn davon abhalten.

 

„Du hast mir geholfen, mein Glück zu retten. Nun sind wir quitt“, sagte er nur und verschwand wieder und irgendwie wusste ich, dass wir ihn nie wieder sehen würden. Irgendetwas sagte mir, dass er Tierra nun in Sicherheit bringen würde, um dann für immer an ihrer Seite sein zu können.

 

„Ich bin so stolz auf dich“, sagte meine Mutter und umarmte mich. Dann standen wir langsam wieder auf. Meine Beine ähnelten zwar immer noch eher einem Brei als zwei aus Knochen bestehenden Körperteilen, aber sie hielten mein Gewicht wenigstens wieder aus.

 

„Mama, ich möchte dir jemanden vorstellen“, sagte ich dann mit immer noch zitternder Stimme. Ich hatte immer noch Angst, dass das alles nur ein Traum war, dass sie jeden Augenblick wieder verschwinden konnte, wenn ich sie nur los ließ. Daher griff ich ihre Hand so fest wie ich nur konnte, als wir wieder zurück zu den anderen gingen. Was mir jedoch auffiel, war die Distanz, die mein Vater zu meiner Mutter wahrte. Er freute sich, sie zu sehen, das hatte ich ihm deutlich angesehen, aber warum dann der Abstand?

 

„Teyla, bring die beiden doch zu Torren, okay? Ich werde schon einmal nach draußen gehen“, sagte mein Vater und seine Stimme klang nun eher neutral, als wäre rein gar nichts passiert in den letzten Minuten. Teyla legte ihm eine Hand auf die Schulter und nickte, bevor sie meine Mutter einmal herzlich umarmte. Es war seltsam, meine Mutter nun hier zu sehen, so vertraut mit Teyla, die sie, zumindest dem Leben zufolge, das wir geführt hatten, gar nicht kennen sollte.

 

„Er hat großen Mist gebaut oder?“, fragte ich Teyla, als wir zum zweiten Isolationsraum gingen und Teyla nickte nur. Sie sah nicht gerade glücklich darüber aus, was ihr Sohn gemacht hatte und ich konnte sie verstehen. Wenn ich so darüber nachdachte, was er alles riskiert hatte, hätte ich ihn am liebsten selbst windelweich geprügelt, und ich war nicht seine Mutter.

 

„Torren ist Teylas Sohn“, informierte ich meine Mutter. Sie konnte es ja gar nicht wissen, immerhin war Torren erst geboren worden, als meine Mutter schon mit mir in Deutschland gewesen war.

 

„Wirklich? Du hast einen Sohn? Das ist ja wunderbar!“, freute sich meine Mutter und drückte mich wieder fester an sich.

 

„Wenn wir nicht aufpassen, wird er wohl irgendwann dein Schwiegersohn sein“, scherzte Teyla eher halbherzig und meine Mutter sah mich direkt an. Ich wurde unweigerlich rot aufgrund Teylas Aussage. Torren und ich hatten einige Zeit miteinander verbracht, hatten uns auch einige Male geküsst, aber deswegen direkt von Heirat zu sprechen? War das nicht etwas übertrieben? Aber wahrscheinlich waren Erwachsene so und Teyla schien auch eher davon ablenken zu wollen, dass Torren anscheinend nicht gesund war. Anstelle zur Tür des Isolationsraumes, wie wir es bei meiner Mutter getan hatten, gingen wir nämlich nach oben auf die Galerie, von der aus man die Isolationsräume sicher beobachten konnte.

 

Meine Mutter erschrak augenblicklich und auch ich zuckte leicht. Auf der Liege im Isolationsraum lag Torren, doch er ähnelte mehr dem Wraith-Torren aus meinem Traum als dem Torren, dem ich vertraute.

 

„Carson hat vor einigen Stunden mit der Therapie begonnen und wir hoffen, dass er in wenigen Tagen wieder normal ist. Aber wir konnten ihm aufgrund seiner Verletzungen nicht die volle Dosis geben“, erklärte Teyla dann, damit zumindest ich es verstand. Ich hingegen erklärte meiner Mutter dann, was es mit Torren und seinen Verwandlungen auf sich hatte, woraufhin ich auch erwähnte, dass auch ich besondere Fähigkeiten hatte.

 

„Das hatte ich immer befürchtet“, sagte meine Mutter nachdenklich. „Das war ein Grund, warum ich Atlantis verlassen habe. Ich wollte dir ein normales Leben geben“, sagte sie ruhig und nachdenklich. Ich drückte dankbar ihre Hand. Ich wusste, was sie damit sagen wollte und es war nicht nötig, dass sie es wirklich aussprach. Ich war einfach nur froh, dass sie hier war.

 

„Es ist okay, Mama.“, sagte ich und versuchte, sie aufmunternd anzulächeln, immerhin war es wirklich okay, zumindest jetzt, wo ich damit klar kam. „Es ist ein Teil von mir und es fühlt sich gut an“, erklärte ich ihr weiter und auf einmal merkte ich, was das bedeutete. Diese Fähigkeiten waren ein Teil von mir, die Veränderungen, die ich durchgemacht hatte, waren ein Teil von mir. Ein Teil von mir, der immer mit diesem Planeten verbunden gewesen war. Sie hatten ihren Ursprung hier in den Früchten von Tierras Baum.

 

Vielleicht war genau das der Grund, warum ich mich hier mehr zu Hause fühlte als auf der Erde, warum ich endlich das Gefühl hatte, irgendwo hinzugehören. Vielleicht hatte Kabil ja recht. Der Teil in mir, der auch ein Teil von Tierra war, hatte mich hierhin gebracht, hatte mich diesen Planeten, meine Heimat finden lassen. Ich hatte das Vermächtnis der Antiker wieder zu ihrem Ursprung gebracht und hatte damit nicht nur ein Leben gerettet.

 

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