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Kapitel 49

 

Kabil

 

 

„Wo zum Teufel seid ihr?“, hörte ich die etwas gereizte Stimme von Daniel durch meinen Kommunikator und alleine die Gesichter von Philipp und Simon zeigten mir, dass auch sie angefunkt worden waren. „Was meint ihr eigentlich, was ihr da tut? Ich hatte eigentlich gedacht, dass euer letzter Versuch, uns mit einem Jumper zu helfen, euch etwas beigebracht hätte.“ Es war seltsam, wie sehr Daniel sich auf einmal wie ein Vater anhören konnte. „Du wirst den Jumper jetzt auf der Stelle landen, Maggie.“ Ich sah die anderen verwundert an, doch dann sah ich einen startenden Jumper, der in Richtung Weltall flog.

Ich wusste direkt, wer in diesem Jumper saß und am liebsten hätte ich irgendetwas danach geschmissen oder ihn direkt wieder runter geholt. Er war wirklich wahnsinnig! Wie konnte er auch nur einen Moment daran denken, selbst etwas ausrichten zu können, in einem Jumper?

„Du bist wahnsinnig!“, schrie ich dem Jumper so laut ich konnte hinterher. Ich wusste, Torren konnte mich nicht hören, wollte mich nicht hören, aber ich musste meiner Wut dennoch freien Lauf lassen. Ich hob sogar einen Stein vom Boden auf und schmiss ihn dem Jumper hinterher, der schon soweit weg war, dass ich ihn kaum noch sehen konnte. Nur noch ein kleiner schwarzer Punkt vor den Wolken.

Philipp und Simon sahen mich ziemlich verstört an, immerhin hatten sie ja keine Ahnung, warum ich auf einmal so ausrastete. Ich war wütend, war verzweifelt. Durch das, was wir zusammen erlebt hatten, hatte ich eine gewisse Ahnung, was er vorhatte und konnte einfach nicht glauben, dass er wirklich so etwas in Erwägung ziehen konnte. Wie konnte er nur sein eigenes Leben für etwas aufs Spiel setzen, was vielleicht auf eine andere Weise geregelt werden konnte?

Wie kam er auf die Idee, dass er einfach so mir nichts, dir nichts in ein Wraith-Schiff reinspazieren konnte? Natürlich, ich selbst hatte die ziemlich beeindruckende Transformation gesehen, die Torren durchlaufen hatte, als er in der Nähe der Wraith wütend geworden war, aber sicherlich reichte das nicht, um die Wraith davon zu überzeugen, dass er einer von ihnen war. Sicherlich würden sie ihn finden, bevor er auch nur irgendetwas tun konnte. Außerdem war das Wraith Mutterschiff, nach allem was ich wusste, unter schwerem Beschuss und wenn es so weiterging, würde es zerstört werden, egal ob Torren an Bord war oder nicht.

„Es ist Torren!“, schrie ich durch den Kommunikator und hoffte, dass die Leitung zu Daniel immer noch offen war. Sie war es und ich hörte Daniel am anderen Ende gewaltig fluchen. Dann hörte ich auf einmal Teyla im Hintergrund und mir war klar, Daniel hatte auch die Kommunikation zu Atlantis noch aufrecht gehalten. Alle wussten nun also, dass Torren in diesem Jumper war, vielleicht verhinderte das zumindest, dass er von freundlichem Feuer getroffen wurde und vielleicht würde irgendjemand ihn abfangen können.

„Und wo seid ihr?“, fragte Daniel dann und seine Stimme klang ziemlich besorgt. Ich wollte ihn im ersten Moment anlügen, wollte ihm sagen, dass wir auf dem Weg zu den Schutzräumen waren, aber ich ahnte schon, dass er ziemlich schnell herausfinden würde, dass das nicht stimmte, also sagte ich ihm einfach die Wahrheit. Zu meiner großen Überraschung wollte er uns jedoch nicht davon abhalten. Auch er sah darin die einzige Chance, vom Planeten aus helfen zu können. Wenn Kabil tatsächlich ein Antiker war und diesen Planeten beschützen wollte, dann würde er uns wohl oder übel helfen müssen.

„Seid vorsichtig“, sagte Daniel dann nur und die Kommunikation brach wieder ab.

„So, und was machen wir nun?“, fragte Philipp und sah mich abwartend an. Ich war die älteste von uns dreien und diejenige, die diesen Plan überhaupt gehabt hatte. Allerdings hatte ich da noch nicht geplant, dass ich Begleitung haben würde. Ich alleine hätte wahrscheinlich keinerlei Probleme gehabt, durch dieses Energiefeld zu laufen, nicht, wenn ich mich auf meine Fähigkeiten konzentrierte. Bei Simon und Philipp war das allerdings etwas anderes. Die beiden würden augenblicklich schwerste Verletzungen davontragen, wenn sie diesen Schild auch nur berührten, den Kabil heraufbeschworen hatte.

„Ihr bleibt hier“, sagte ich also. Es gab einfach keinen anderen Weg, und das mussten auch Philipp und Simon einsehen. Ich versprach ihnen, alles zu versuchen, damit auch sie mit Kabil sprechen konnten, doch um ehrlich zu sein, hatte ich keine große Hoffnung. Versuchen musste ich es dennoch. Ich atmete also noch einmal durch und konzentrierte mich auf die Energie, die in mir steckte, die ich mittlerweile die meiste Zeit zwar in mir spürte, aber immer unbenutzt in mir schweben ließ. Doch jetzt musste ich wieder nach ihr greifen und ich wusste, dass es wichtig war, dass ich sie auch festhalten und einsetzen konnte, sonst konnte der Schritt durch das Energiefeld vielleicht mein letzter sein und das war wirklich nicht das, was ich wollte.

„Ihr geht jetzt sofort zu den Schutzräumen, es könnte bald ungemütlich werden“, hörte ich Daniels Stimme noch im Kommunikator, bevor ich ihn in Philipps Hand legte. Ich konnte mich nicht konzentrieren, wenn Daniel andauernd sagte, was wir machen sollten.

„Pass auf dich auf“, sagten Philipp und Simon beinahe gleichzeitig und ich setzte mich langsam in Bewegung. Ich hoffte wirklich, dass meine Annahme, dass ich durch den Schild kam, richtig war, dass ich meine Fähigkeiten nicht überschätzte, aber es war vielleicht die einzige Möglichkeit. Kurz bevor ich durch das Schild trat, wies ich die beiden Jungs noch an, sich in Sicherheit zu bringen, falls es tatsächlich ungemütlich werden würde, denn wenn ich einmal da drin war, würde ich nur herauskommen, wenn ich mich mit Kabil geeinigt hatte, nicht vorher. Ich nickte den beiden noch mal zu und steckte dann meinen ersten Fuß durch den Energieschild. Ich merkte, wie meine Haut leicht prickelte, und es schien beinahe so, als würde meine Haut leicht blau glühen, genau wie der Schild an der Stelle, an der ich hindurchtrat.

Ich schloss meine Augen und machte den nächsten Schritt, den Schritt, mit dem ich komplett im Inneren des Schildes landen würde. Das Kribbeln wurde noch etwas schlimmer, etwa so, als ob hunderte Käfer über meinen kompletten Körper liefen und am liebsten hätte ich mich überall gekratzt und die Ursache für das Kribbeln davongejagt, aber da war ja nichts. Sobald ich vollkommen durch den Schild gekommen war, hörte das Kribbeln jedoch auf und auch meine Haut schimmerte nicht mehr, ich fühlte mich auf einmal nur ziemlich müde und schlapp. Wahrscheinlich war das Schild tatsächlich etwas stärker gewesen als erwartet. Es fühlte sich so an, als hätte ich gerade einen Marathon geschafft, ohne vorher auch nur ein einziges Mal trainiert zu haben. Mein Körper war vollkommen erschöpft, so erschöpft, dass mir schlecht wurde, aber ich hatte jetzt keine Zeit. mich anzustellen. Ich musste Kabil finden und ihn davon überzeugen, dass er uns hülfe.

Ich merkte allerdings schnell, dass das nicht gerade einfach werden würde. Kabil schien es nicht zu kümmern, dass jemand durch sein Schild gekommen war, oder er hatte es nicht bemerkt, was ich eher unwahrscheinlich fand. Vielleicht achtete er auch einfach nicht darauf, weil er davon ausging, dass jeder, der versuchte durch den Schild zu kommen, direkt zu Asche geröstet wurde. Immerhin konnte er ja nicht ahnen, dass jemand von den ‚einfältigen Menschen‘ tatsächlich ohne Schaden hindurch kommen würde.

„Ich bin kein Mensch“, rief ich mir wieder ins Gedächtnis „Nicht mehr.“ Ich war hier, ich war durch diesen Schild gekommen, dann musste ich mich wohl auch damit abfinden, dass ich wirklich nicht wie die anderen war, dass ich anders war, was nicht bedeutete, dass ich ein Freak war. Das Wort Freak war mit negativen Bedeutungen verbunden. Ein Freak war anders als alle anderen, ein Außenseiter, der immer sein eigenes Ding machte. Es erinnerte an die Freakshows mit missgebildeten Menschen, die es vor fast 200 Jahren gegeben hatte. Ich war vielleicht auch ein „freak of nature“, eine Laune der Natur, aber ich fühlte mich nicht mehr als etwas Hässliches, etwas abstoßend Seltsames.

Egal was in den letzten Wochen passiert war, niemand von den Leuten um mich herum hatte mich auch nur einmal schlecht behandelt, mich als etwas anders behandelt, im Gegenteil, sie waren dankbar, dass ich ihnen die Möglichkeit auf eine neue Heimat, einen neuen Anfang gegeben hatte. Sie waren dankbar, dass sie durch mich hier auf Gan Eden leben konnten.

Gerade vor einer Woche noch hatte mich genau auf dieser Straße, auf dem Weg zum Archiv eine junge, schwangere Frau angesprochen. Ich war vollkommen erstaunt gewesen, als sie mich auf Deutsch angesprochen hatte, immerhin hatte ich nicht damit gerechnet. Sie erzählte mir, dass man sie und ihren Mann, zusammen mit einer kleinen Gruppe Touristen, aus dem Naturpark der Masai Mara gerettet hatte, nachdem die Wraith angegriffen hatten. Sie selbst kam ursprünglich aus Köln, wo ich früher auch schon einmal mit der Schule gewesen war.

Doch nun war diese Straße furchtbar, beinahe unheimlich ruhig. Es war, als verschluckte der Energieschild alle Geräusche, die von außen hätten eindringen können. Nur das Knirschen der kleinen Steine zwischen meinen Füßen und dem gepflasterten Boden störte die Stille, als ich immer näher zum Archiv kam. Es wunderte mich allerdings wirklich, dass ich immer noch nichts von Kabil bemerkte.  Ich konnte sogar ohne Probleme einfach in das Archiv gehen.

„Hallo?“, rief ich vorsichtig, doch nichts tat sich, niemand reagierte.

Dann durchflutete mich auf einmal etwas, das ich zuvor noch nie gespürt hatte. Es war, als käme es direkt aus meinem Inneren. Es war eine Ansammlung von Bildern und Emotionen, die sich von meinem Bauch in meinem ganzen Körper ausbreiteten. Ich merkte, wie meine Knie aufgrund der großen Explosion an Eindrücken nachgaben und ich auf den Boden sackte. Es war nicht schmerzhaft, eher so, als ob ich mich langsam hinlegte oder jemand mich auffing und vorsichtig auf den Boden legte. Er war auch nicht hart, es war, als läge ich auf einmal auf einer Wolke, als schwebte ich, auch wenn das nicht der Fall war. Ich schloss meine Augen als würde ich schlafen wollen, doch ich sah Bilder vor mir, Sterne überall. Ich befand mich mitten im Weltall, schwebte hindurch wie ein Fisch durch das Wasser.

Ich war nicht alleine, ein Bewusstsein war bei mir. Es sprach nicht, es war einfach nur präsent. Ich drehte meinen Kopf leicht und sah einen hellen Schimmer neben mir, beinahe wie das Leuchten eines Sternes, aber viel näher und nicht so heiß. Vertrauen und Verständnis durchfluteten mich und ich wusste, dass es von dem Schimmer kam. Doch auf einmal wurde das alles gestört. Etwas drang in den Raum ein, der mich geborgen fühlen ließ und nahm dieses Gefühl von mir. Es war ein Schiff, ein Raumschiff, aber es war schwer beschädigt. Ich spürte die Sorge und die gespannte Aufregung meiner Begleitung. Bilder von verwundeten Lebewesen durchfluteten mich und ich wusste, dass meine Begleitung sich Sorgen um diejenigen machte, die dieses Schiff flogen. Sie wollte helfen. Bilder von einem Planeten durchflogen mich, von einem Planeten, auf dem diese Lebewesen überleben konnten und ich wusste, sie bat mich, einen solchen zu errichten, einen Planeten.

Es war schon lange her, seitdem ich das letzte Mal etwas hatte entstehen lassen, denn das Universum gefiel mir genau so wie es war und meiner Meinung nach erschufen die anderen von uns schon genug in der angenehmen Leere des Universums. Sicherlich waren auch diese Lebewesen ein Werk eines anderen und alleine deswegen wollte ich mich schon nicht darum kümmern. Wenn dieser andere sich nicht um seine Schöpfungen kümmern konnte, warum musste ich es dann tun?  

Doch ich wollte das Vertrauen und die Hoffnung, die von meiner Begleitung auf mich überkam, nicht schmälern, wollte diesen Wunsch nicht abschlagen, egal, wie anstrengend es für mich werden würde, egal, wie viel von mir selbst ich dafür aufgeben musste, einfach nur, damit ich fühlte, Glück fühlte.

Mein Körper, dessen Begrenzungen kaum zu spüren waren, erzitterte und kribbelte merklich und vor mir bildete sich langsam ein runder Ball, der nach und nach immer weiter anwuchs. Ich merkte die Aufmunterung, die Dankbarkeit, die auf mich einprasselte und der Ball aus einer undefinierbaren Masse wurde immer größer und größer. Dann, mit einem einzigen Gedanken entstanden Wasser und Land, Gebirge und Wälder auf dem Ball und man konnte ihn einen Planeten nennen. Er war viel größer als das Raumschiff, das mich dazu gebracht hatte und ich merkte, wie erschöpft ich war und wie wenig noch von mir übrig war. Ich schloss also die Augen und als ich sie wieder öffnete lag ich mitten auf einer großen Rasenfläche. Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, ich konnte auf einmal definieren, wo mein Körper begann und endete. Ich hatte Beine, Arme, einen Kopf.

Neben mir im Gras lag jemand, der genauso aussah wie ich, zumindest fast. Die Züge des Gesichtes waren deutlich weicher und ihre ganze Gestalt sah zerbrechlicher aus. Und auch wenn diese Gestalt neben mir so vollkommen fremd aussah, spürte ich das Bewusstsein meiner ewigen Begleitung.

„Was hast du gemacht?“ Auf einmal hatte ich eine Stimme, um das, was wir bisher mit Bildern und Emotionen ausgetauscht hatten, auszudrücken.

„Du hast dich verausgabt und ich dachte, vielleicht können wir einige Zeit so verbringen, bis du dich erholt hast“, sagte sie und ihre Stimme war so lieblich wie die Melodien, die das Universum immer wieder erschuf und die wir schon seit Anbeginn der Zeit bewunderten.


Dann merkte ich, wie die Emotionen aus meinem Körper verschwanden, wie ich wieder selbst die Kontrolle zu bekommen schien. Es fühlte sich an, als sei ich gerade in einem fremden Körper gewesen, als hätte ich Erinnerungen von jemandem geteilt, den ich nie kennengelernt hatte. Alles war so echt gewesen. Vielleicht lag es an meinem weiterentwickelten Gehirn, aber irgendwie wusste ich, was das bedeutete, was man mir hatte zeigen wollen und wer.

„Du hast das alles erschaffen, nicht wahr?“, fragte ich, ohne jemanden zu haben, den ich ansehen konnte. Wahrscheinlich hätte ich das nicht geglaubt, wenn ich nicht eben dieses Erlebnis gehabt hätte, aber anscheinend war Kabil doch kein Antiker. Er war ein anderes Wesen, ein Wesen, dass die Macht hatte, ganze Planeten zu erschaffen. Ich erhielt keine Antwort, aber ich wusste jetzt, dass er mich hören konnte.

 


                                                                             Fortsetzung folgt …

 

 

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