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Kapitel 40

 

Wissen ist Macht

 

Ich merkte, wie mir mittlerweile der Schweiß beinahe überall den Körper hinunter lief. In meinem Gesicht, auf meinem Rücken, einfach überall. Das lag nicht nur daran, dass es hier durch einige kleinere Explosionen ziemlich heiß geworden war, sondern auch an dem Problem, mit dem ich mich hier nun konfrontiert sah. Gerade eben hatte ich den Sublichtantrieb gestartet und wir hatten bis zu einer Geschwindigkeit von 0,999-facher Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Ich hatte meinen Finger extra auf der Konsole gelassen. Ich wollte nur den Bruchteil einer Sekunde auf dieser Geschwindigkeit bleiben und sie dann wieder drosseln, doch leider war genau das mein Problem. Es ließ sich nicht drosseln, zumindest im Moment nicht.

„Rush, was auch immer Sie mit dem Antrieb gemacht haben, schließen Sie es ab. Ihre Manipulation hindert uns daran, die Geschwindigkeit wieder zu drosseln!“ Sowohl Chloe als auch Eli sahen mich ziemlich geschockt an. Ich verstand sie. Sie hatten schon durch die Stasiskapseln einige Jahre verloren, und wenn wir den Antrieb nicht gestoppt bekamen, dann würden sie noch einmal wertvolle Jahre verlieren. Und das war nicht das einzige Problem. Alle anderen um uns herum würden diesen Zeitsprung nicht mitmachen. Wenn ich nun eine lange Zeit nichts mehr machen konnte, dann  … mein Kopf lief heiß, während ich versuchte mir auszurechnen, welche Auswirkungen es haben würde, wenn wir länger als die geplante Zeit auf dieser Geschwindigkeit blieben. Sicher, wir würden keine 12 Jahre brauchen, bis wir es gestoppt bekamen, aber selbst eine einzige Stunde, die wir so verbrachten, bedeuteten fast 35 Tage für alle anderen. In der Zeit konnten sie schon alle tot sein. Einmal ganz abgesehen davon, dass wir keine Ahnung hatten, wo wir dann auskommen würden.

Dann leuchtete das Abschaltzeichen wieder auf und ich drückte direkt darauf. Ich war schon immer dankbar für meine ziemlich guten Reflexe gewesen, aber nie so wie jetzt. Wenn wir Glück hatten, waren tatsächlich nur einige Sekunden vergangen und pro Sekunde verging ungefähr eine Viertelstunde. Als das Schiff dann endlich zum Stehen kam, hatte sich der Ausblick vollkommen verändert. Zu unserem Glück war das Wraith-Schiff verschwunden. Aber nicht nur das war verschwunden. Vor uns war ein vollkommen anderer Planet.

„Eli, kannst du sagen, wie viel Zeit vergangen ist?“, fragte ich etwas besorgt. Eigentlich kannte ich die Antwort schon, aber ich wollte es lieber noch einmal von jemand anderem hören. Es war hier nicht möglich, eine Zeit zu bestimmen, weil wir dieses System nicht kannten, weil wir nicht wussten, in welcher Geschwindigkeit die Objekte hier auseinander drifteten.

„Maggie, sieh mal hier, steht da das, was ich denke?“, fragte mich Eli und ich ging zu ihm an die kleinere Konsole. Eli konnte ein bisschen antikisch und schien auch die grundlegenden Sachen zu verstehen, aber das, was hier stand, war sicherlich zu komplex für ihn. Die Tria hatte den Planeten gescannt, sobald wir auf normale Geschwindigkeit abgebremst hatten und die Daten, die sie erhielt, waren unglaublich.

Er war dem Planeten auf dem Atlantis war ziemlich ähnlich, zumindest, was die Größe betraf. Er bestand zu 85 Prozent aus flüssigem reinen Wasser, das durch die beiden Monde ständig in Bewegung war. Das Klima war angenehm und die Zusammensetzung der Atmosphäre für einen Menschen geeignet, im Gegenteil, es war sogar etwas besser als auf der Erde, denn hier gab es keine Luftverpestung. „Können wir denn wenigstens sagen, wie weit entfernt wir uns von Atlantis befinden?“

„Einige tausend Lichtjahre“, sagte auf einmal Rush hinter uns. Wir alle drehten uns zu ihm um. Wir hatten ihn hier nicht erwartet und wir konnten und wollten auch nicht glauben, was er hier sagte. Wir waren eben noch mitten in einer Schlacht gewesen und hatten nur die Sublichtantriebe angeschmissen. Das süffisante Grinsen auf dem Gesicht des Mannes zeigte mir allerdings, dass er wieder einmal mehr wusste als wir, dass wieder etwas geschehen war, was ihn überaus glücklich stimmte.

„Was haben Sie gemacht, Rush?“ Ich war überrascht, wie bedrohlich Chloes Stimme sich auf einmal anhörte, beinahe so, als würde sie gleich ziemlich ausrasten, wenn er etwas Falsches sagte. Anscheinend merkte Rush das auch, denn für den Anflug einer Sekunde schien er wirklich etwas zögerlich.

„Ich konnte meine Konfigurationen am  Antrieb nicht mehr rückgängig machen, nicht in wenigen Sekunden“, sagte er und verschränkte selbstgefällig die Arme vor der Brust. „Ich habe nur verhindert, dass wir mehrere Jahre in der Zukunft landen.“ Doch Chloe kam ihm näher und ich hörte sie nur sagen, dass sie ihn, wenn er uns nicht auf der Stelle wieder zurück an den Ort brachte, an dem wir vor einigen Sekunden noch gewesen waren, eigenhändig aus der nächsten Luftschleuse schmeißen würde.

Diesmal war ich diejenige, die süffisant lächelte. „Ich kenne den schnellsten Weg dahin.“

Doch leider hielten Eli und die gerade eintreffenden anderen uns davon ab, mit Rush etwas Derartiges anzustellen. Also blieben wir bei unserer ursprünglichen Frage, wo wir uns befanden.

„Andromeda nehme ich an, zumindest wenn der Kurs beibehalten wurde.“ Ich weiß nicht, ob Rush eine körperliche Befriedigung in solchen Momenten verspürte, wenn er mehr wusste als alle anderen, aber er sah eindeutig danach aus. Eli, Chloe und ich sahen ihn nur vollkommen perplex an und auch Dr. Volker, Dr. Brody und Jamilia sahen nicht besser aus. In Astronomie, einem Wahlfach bei uns an der Schule, hatte ich schon oft von Andromeda, der hellsten Nachbargalaxie an unserem Sternenhimmel, gehört. Ich hatte sie sogar einmal selbst gesehen, als wir mit dem Astronomiekurs die Sternenwarte Hohe List in Schalkenmehren besucht hatten. Die irreguläre Pegasus-Zwerggalaxie, in  der sich Atlantis befand, war nur eine Satellitengalaxie von Andromeda, ihr kleiner, ständiger Begleiter.

„Was haben Sie gemacht, Rush?“, fragte nun auch Jamilia und auch ihre Stimme war ruhig, aber warnend. Für mich schien es so, dass diese Aktion für sie nicht das Schlimmste war, was dieser Kerl je gemacht hatte, sondern dass es das Fass für diesen Augenblick einfach zum Überlaufen brachte.

„Wie bereits gesagt, ich habe nur eine enorme Zeitreise verhindert. Hätte ich alle Konfigurationen wieder löschen oder abbauen müssen, wären wir wahrscheinlich tagelang in diesem Dilatationsfeld gefangen gewesen, was bedeutet hätte, dass alle, die uns lieb und teuer sind, schon ziemlich alt wären“, erklärte er und am liebsten hätte ich ihm in dieses selbstgefällig grinsende Gesicht geschlagen.

„Was haben Sie also gemacht?“, knurrte ich ziemlich ungeduldig. Ich war seiner langsam wirklich satt. Dieser Mann schien alles so zu machen, wie es ihm passte, wie er andere damit beeinflusste, war ihm ziemlich egal und es machte ihm auch noch Spaß, wenn andere wegen seiner Wünsche hintanstanden.

Er zuckte nur mit den Schultern, als wäre die Antwort so selbstverständlich wie die Frage nach der Uhrzeit. „Ich habe meine Arbeit beendet.“

„Und was war das?“

„Den Antrieb zu reparieren. Leider konnte ich nicht den eigentlichen Antrieb wiederherstellen, aber ich habe den Hyperantrieb der Tria mit einigen Komponenten des FTL-Antriebs der Destiny kombiniert.“ Ich wusste nicht so recht, was er mir damit sagen wollte, aber Eli bekam ziemlich große Augen und schien zu wissen, was er meinte. Anscheinend hatten er und Rush schon lange an derartigen Berechnungen gearbeitet, hatten aber nie einen richtigen Hyperantrieb gehabt, an dem sie es hätten ausprobieren können. Der Hyperantrieb der Tria war in der Tat schon repariert gewesen, als wir das Schiff verlassen hatten, aber Rush hatte das lieber noch für sich behalten.

„Wir hätten eh nicht in den Kampf eingreifen können, die Schilde waren beschädigt und die Waffensysteme waren offline.“

„Aber nur, weil wir sie für Ihre Arbeit abschalten mussten!“, zischte ich ihm entgegen, irgendwie fühlte ich mich nicht mehr wie ein Teenager, zumindest nicht im Moment, auch wenn die anderen mich sicher noch als einen sahen. Es konnte doch wirklich nicht sein, dass Rush mitten während eines riesigen Kampfes einfach eine seiner Theorien austestete und damit viele Leben riskierte.

„Die Tria hätte den Beschuss der Wraith nicht lange ausgehalten“, erwiderte er. „Und hier können wir die Systeme in Ruhe reparieren und dann vollkommen funktionstüchtig wieder zum Kampf springen.“

„Wenn es dann noch etwas gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt. Meine Güte Rush, interessiert Sie das Leben von Millionen von Menschen denn gar nicht?“, fragte ich ihn und ging einen Schritt auf ihn zu. Er war etwas größer als ich, aber das interessierte mich in diesem Moment nicht.

„Es interessiert mich eine Menge“, nun schien auch er etwas gereizt zu werden und sein Grinsen verschwand. Dann ging auch er einen Schritt auf mich zu und unsere Köpfe berührten sich fast. „Dieser Planet ist vielleicht die einzige Hoffnung. Für die Erde und für alle anderen.“  Die Adern an seiner Schläfe waren erschreckend dick geworden und sein Gesicht war ziemlich rot. Anscheinend machte es ihn wütend, wenn man ihm Sorglosigkeit vorwarf.

„Und das wussten Sie natürlich schon, als Sie den Antrieb verändert hatten.“ Ich hatte keine Angst vor ihm, wenn es hart auf hart kam, hatte ich immer noch einige Asse im Ärmel, die er nicht hatte und da war es egal, ob er größer und um einiges älter war als ich. Ich merkte nur, wie er seine Hände zu Fäusten ballte und irgendwie konnte ich mir nun ein leicht gehässiges Grinsen nicht verkneifen. Mein erster Eindruck von diesem Mann hatte mich eindeutig nicht getäuscht. Er war ein ‚Arschloch vor dem Herrn‘, wie wir in Deutschland sagten.

„Wir sollten uns jetzt lieber daran machen, die restlichen Systeme wieder online zu bringen und dann zurück fliegen“, schlug Chloe vor, die anscheinend Rush und mich davon abhalten wollte, uns gegenseitig die Köpfe abzureißen. Dann hörte ich Volker nur Brody zuflüstern, dass er sich nicht mit einer Antikerin anlegen würde, wenn er Rush wäre und da hatte er verdammt noch mal recht. Vielleicht war ich vor Michaels Entführung ein normaler Teenager gewesen. Ich konnte nicht sagen, ob die genetische Veränderung Schuld war, oder ob das, was ich in den letzten 4 Monaten alles erlebt hatte, jeden so verändert hätte, aber es war unumstößlich passiert. Ich war vielleicht noch immer nicht erwachsen, war immer noch in gewisser Weise ein Kind, aber ein Teil von mir war wahrscheinlich ziemlich nah am Erwachsensein.

Ich erinnerte mich noch daran, wie es für mich nichts Wichtigeres als meine Barbies gegeben hatte. Wie ich stundenlang damit hatte spielen und Liebesgeschichten hatte erfinden können. Jetzt stand ich auf der Brücke eines Antikerraumschiffes und wollte endlich wieder zurück zum Kampf fliegen, damit ich meine neue Heimat vor denen verteidigen konnte, die meine alte zerstört hatten.

„Während Sie das machen, werden Brody und ich das Stargate der Tria runter auf den Planeten bringen“, sagte Rush dann und verursachte damit wieder Verwunderung. Bisher hatte noch keiner davon gesprochen, dass es an Bord ein Stargate gab, geschweige denn wusste es jemand von uns. Nur Rush schien nun wieder im Vorteil zu sein. Doch bevor irgendjemand etwas anderes sagen konnte, war Rush schon verschwunden und Brody sah die anderen schulterzuckend an und lief Rush dann hinterher.

„Ein Wunder, dass er so lange überleben konnte“, knirschte ich ziemlich angespannt. Und die anderen nickten nur zustimmend. Dann machten wir uns allerdings an die Arbeit. Während also Chloe, Dr. Volker und Eli versuchten, alle Systeme wieder online zu bekommen, versuchte ich herauszufinden, wo genau wir uns befanden und was für einen Kurs ich berechnen musste, damit wir wieder dahin kamen, wo wir gewesen waren. Ich hatte jetzt schon Angst, dass wir zu spät kommen würden und niemand von denen, an die ich mich so sehr gewöhnt hatte, noch leben würden.

 

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