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Kapitel 35

 

Tria

 

 

 

„Aber wir können sie doch nicht einfach so alleine lassen!“, protestierte ich dann, als Philipp den Jumper aus dem Hangartor manövrierte.  John sagte irgendetwas zu mir, aber ich konnte ja nur ein undefinierbares Blubbern vernehmen, daher sah ich Torren fragend an. Ich sah, dass er seine Lippen bewegte und etwas belustigt guckte, seine Stimme in meinem Kopf war jedoch etwas einfühlsamer.

„Wir müssen. Keiner von ihnen kann mit Verstand die Stadt verteidigen, wenn sie Angst um uns haben müssen. Glaub mir, keiner von uns findet das gut, aber wir haben so schon genug Ärger.“  Ich blickte wieder nur auf den Boden. Wahrscheinlich hatte er ja Recht und wir waren wirklich besser weit weg von Atlantis, damit unsere Eltern ihre Aufgabe mit einem mehr oder weniger freien Kopf angehen konnten. Zumindest würden sie sich um uns keine Sorgen machen müssen. Philipp hatte die Tarnung bereits aktiviert und die Wraith würden zumindest uns nicht finden.

Als wir die Atmosphäre des Planeten verließen und in den Weltraum eintraten, konnten wir die Flotte der Allianz noch nicht sehen. Aber das war auch kein Wunder, es würde noch einige Tage dauern, bis sie wirklich in Reichweite des Planeten waren. Ich hoffte inständig, dass meinem Vater und den anderen bis dahin etwas einfiel, um sie daran zu hindern, auch diesen Planeten zu verwüsten.

Dann merkte ich, wie eine beruhigende Hand über meinen Rücken strich. Es war Kevin. Er hatte sich nun neben mich gesetzt. Er versuchte gar nicht erst, mit mir zu reden, sondern war direkt so geistesgegenwärtig, mein Tablet zu nehmen und es aufzuklappen.

„Ihnen wird schon nichts passieren“, schrieb mein Tablet, während Kevin zwar seine Lippen bewegte, ich aber wirklich gar nichts verstand. Wahrscheinlich flüsterte er nur. „Die haben schon Schlimmeres überstanden und überlebt.  In ein paar Tagen bekommen wir bestimmt die Nachricht, dass wir wieder nach Hause können.“

Ich sah ihn skeptisch an. Nicht nur, weil er in so einer Situation immer noch optimistisch war, sondern auch, weil es das erste Mal war, dass er von Atlantis als ‚Zuhause‘ sprach. Aber er hatte recht, Atlantis war mittlerweile unser Zuhause. Durch meine Entführung von Michael war es mir vielleicht nicht so aufgefallen, aber wir waren mittlerweile schon 2 ½ Monate auf Atlantis und es war auch klar, dass wir wohl nie wieder auf die Erde zurückkehren würden. Wir verließen also gerade ein zweites Mal unser Zuhause und wenn es wirklich stimmte, dann waren schon wieder diese Luzianer daran schuld.

Auf meine Frage, wo wir jetzt hinflogen, konnte mir keiner eine richtige Antwort geben. Alles was Philipp wohl wusste, war, dass er nicht wieder nach Atlantis steuern konnte, denn das hatten seine Mutter und McKay anscheinend blockiert. Wir konnten also nur hier drin sitzen und warten, bis wir an unserem Ziel ankamen, wo auch immer das sein würde. Mir tat nur die kleine Melena unendlich leid. Sie kannte hier gar keinen, war sie doch immer von allen isoliert worden. Sie war, wie ich mitbekommen hatte, gerade einmal ein Jahr alt, doch durch die Naniten in ihrem Blut sah sie allerdings aus, als sei sie schon mindestens 3 Jahre alt. Aber auch eine Dreijährige verstand sicher noch nichts von dem, was hier gerade passierte, sie konnte nur sehen, dass sie mit einer Horde anderer Kinder hier rein gesteckt und weggeschickt worden war.

Ich entschied mich also, mich neben sie zu setzen. Es war nicht schlimm, dass ich sie nicht verstehen konnte, wahrscheinlich konnte sie sowieso noch nicht normal reden. Als sie mich mit ihren großen Augen ansah und ihre Lippen anfingen zu zittern, zog ich sie einfach auf meinen Schoß und beachtete nicht die erschrockenen Blicke der anderen.

„Sie ist ein kleines Kind, verdammt noch mal! Sie hat noch viel mehr Angst als wir!“, fauchte ich die anderen an, als sie immer noch nicht aufhörten, uns beide anzustarren. Sie warteten anscheinend darauf, dass irgendetwas passierte, aber das war nicht der Fall. Melena war ein ganz normales Kind, da war ich mir ganz sicher. Die Naniten in ihrem Blut waren zwar aktiv, aber sie waren nicht programmiert. Sie hatten keine Aufgabe und so konnten sie die Kleine auch nicht beeinflussen, zumindest hatte Jennifer mir das so erklärt, als wir uns einmal ein Blutbild von Melena zusammen angesehen hatten.

Außerdem hatten diese Naniten in dem Blut der Kleinen mein Leben gerettet, vielleicht wäre ich ohne sie an dieser Antiker-Seuche gestorben, wie so viele Antiker damals. Ich fragte mich, warum sie nicht auch auf die Idee gekommen waren, die Naniten als Heilung zu benutzen, aber andererseits hatten sich die Asuraner von ihren Meistern abgewandt und daher war es den Antikern wahrscheinlich unmöglich gewesen, so etwas zu versuchen. Melena war da etwas besonderes, ihr Vater war immerhin ein mehr oder wenige normaler Mensch.

Als die Kleine dann endlich eingeschlafen war und Joey mir ein kleines Kissen gab, auf dass ich Melenas Kopf legen konnte, ging ich nach vorne zu Simon und Philipp, die immer noch versuchten, die Kommandos ihrer Eltern zu deaktivieren. Sie sahen mich hilfesuchend an, doch ich war sicherlich auch nicht in der Lage, irgendetwas zu tun. Ich sah mir die Sache trotzdem einmal an, immerhin musste meine Verwandlung zu einem Antiker doch zu irgendetwas zu gebrauchen sein, aber leider wurde ich aus dem Ganzen genauso wenig schlau wie Philipp und Simon.

„Was hast du gemacht?“, hörte ich dann Torrens Stimme wieder, als ich wie gebannt auf den kleinen, jetzt wild blinkenden Bildschirm sah. Ich hatte gar nichts gemacht, da war ich mir ziemlich sicher. Und auf dem Bildschirm wurde angezeigt, dass ein anderes Schiff in unsere Scannerreichweite gekommen war. Ich fragte mich, ob Atlantis dieses Schiff auch gesehen hatte, aber wahrscheinlich waren sie zu sehr mit den Wraith beschäftigt, als dass sie dieses Schiff interessiert hätte, vor allem weil es keine Lebenszeichen an Bord gab.

Das war äußerst komisch, immerhin schien das Schiff eine geplante Route zu fliegen und nicht einfach nur im Raum zu treiben. Ohne mich mit den anderen großartig abzusprechen und über Simon hinweggreifend, gab ich einen Abfangkurs ein. Wir würden schon irgendwie an Bord kommen, und wenn das Schiff unbemannt war, ging davon auch keine Gefahr für uns aus. Im ersten Moment wollten mich Philipp und Simon aufhalten, aber Torren hielt sie davon ab.

„Das ist die Tria“, erklärte er nicht nur mir, sondern auch den anderen.  „Das ist eines der Kampfschiffe Aurora-Klasse der Antiker. Das Schiff, von dem Daniel uns schon berichtet hat“, sagte er und ich war wahrscheinlich nicht die Einzige, die sich wunderte, dass er anscheinend bei diesen endlosen Monologen des Wissenschaftlers tatsächlich zugehört hatte. Aber wenn er Recht hatte, und das wirklich ein Schiff der Antiker war, dann wäre es vielleicht von Vorteil, wenn wir es einnehmen würden. Andererseits musste es einen Grund geben, dass die Antiker es hier so zurückgelassen hatten.

„Der Hyperantrieb ist kaputt, sie kann nur mit 0,999-facher Lichtgeschwindigkeit fliegen“, fuhr Torren dann fort und ich merkte, wie es zumindest in Philipp und Simons Köpfen rauchte. „Und was sagt uns das, Einstein?“

„Naja, das sagt uns, dass sie langsamer als Lichtgeschwindigkeit fliegen kann. Das bedeutet allerdings auch, dass sie einer enormen Zeitdilatation ausgesetzt ist, wenn sie diese Geschwindigkeit aufnimmt. Eine Spanne von 10.000 Jahren käme der Besatzung vor wie nur 10 oder 15 Jahre“, antwortete Simon, der es mittlerweile schon gewohnt war, von allen nur noch Einstein genannt zu werden.

Torren fügte dann noch hinzu, dass es genau 12 Jahre für die Besatzung der Tria gewesen waren und dass die Daedalus diese zurück nach Atlantis  gebracht hatte, während das Schiff einfach zurückgelassen worden war. Helia, so hatte die Kommandantin Tria geheißen, hatte dann die Kontrolle über Atlantis übernommen, doch die Asuraner hatten die letzten überlebenden Antiker dann angegriffen und getötet. Warum allerdings nie mehr jemand nach der Tria gesehen hatte, wusste er auch nicht. Er nahm an, dass niemand so recht wusste, wie man den Antrieb wieder reparieren konnte, immerhin waren selbst die Antiker dazu nicht in der Lage gewesen.

„Vielleicht hatten sie bloß nur nicht das richtige Werkszeug dabei“, warf ich einfach in den Raum. „Naja, sie waren schon so lange von Atlantis und der Erde weggewesen, ihr Schiff war beschädigt worden. Woher sollten sie also die Mittel gehabt haben, um das Schiff zu reparieren? Ich bin mir sicher, mit den richtigen Werkzeugen könnte man das Schiff wieder in Schuss bringen.“ Wenn wir das hinbekommen würden, auch wenn es ziemlich abwegig und verrückt war, dann hatten wir vielleicht eine Chance, nach Atlantis zurück zu kehren, vielleicht hatte Atlantis dann sogar eine kleine Chance, dem Mutterschiff der Wraith nicht zum Opfer zu fallen.

Natürlich entgingen mir die skeptischen Blicke der anderen nicht. Wir hatten schon einmal Ärger bekommen, für etwas, das wir nicht hätten machen sollen. Wahrscheinlich hatten sie Angst, wieder Ärger zu bekommen. Aber um Ärger zu bekommen, musste Atlantis erst einmal gerettet werden und ich war mir beinahe sicher, dass das nicht einfach werden würde. „Torren, hilf mir bitte“, sagte ich in Gedanken und sah ihn an. Wenn das, was wir in diesem Hangar vor mehreren Stunden gemacht hatten, ihm irgendetwas bedeutete, falls ich ihm tatsächlich irgendetwas bedeutete, dann würde er mir jetzt helfen müssen.

„Ich habe deinem Vater versprochen, dich zu beschützen, Peaches“, dachte er zögernd und sah dabei nicht gerade glücklich aus. „Er hat gesagt, ich soll dich nicht in Gefahr bringen.“

„Und du bringst mich auch nicht in Gefahr, ich gehe selbst, ob du willst oder nicht. Wenn du mich beschützen willst, dann musst du mir schon folgen.“

„Maggie hat recht“, lenkte er dann doch ein, diesmal aber zu den anderen. „Ich will lieber Ärger von denen bekommen, als sie nie wieder zu sehen.“ Nun nickten auch die anderen, wahrscheinlich hatten sie es so noch gar nicht gesehen. Alle hatten so ein Vertrauen in die Besatzung von Atlantis, dass sie beinahe glaubten, sie seien unbesiegbar, aber das waren sie nicht. Sie waren genauso Menschen wie die Menschen auf der Erde es gewesen waren und die Wraith hatten diese zerquetscht wie ein Elefant eine Ameise.

Da wir ja nicht nach Atlantis zurück wollten, ließ der Jumper uns ohne Probleme an das Schiff heranfliegen und andocken. Das einzige Problem war nur, wie wir hineingelangen würden. Keiner von uns hatte auch nur die entfernteste Ahnung, wie dieses Schiff von innen aussah und wie man hineingelangen konnte, wenn die Shuttle-Hangars sich nicht öffneten. Wir hatten also direkt auf der Tria angedockt und John und Torren machten sich gerade bereit für einen kleinen Spaziergang.

„Ich komme mit“, forderte ich und die beiden Jungs sahen mich missbilligend an. Sicherlich wollten sie das alleine machen, aber von allen hier würde ich auf einem Antikerschiff wahrscheinlich am nützlichsten sein, das mussten auch sie einsehen. John trat also mehr oder weniger freiwillig seinen Raumanzug an mich ab und setzte sich wieder zu den anderen, die sich alle im Cockpit zusammengesetzt hatten, damit sie das Schott schließen und wir die Laderampe öffnen konnten, ohne sie dabei zu töten.

„Bleib immer hinter mir, Peaches.“

„Kannst du nicht mal damit aufhören? Ich heiße Maggie“, protestierte ich nun. Ich war der Meinung, nach diesem Kuss könnte ich darauf bestehen, dass er mich endlich bei meinem Namen nannte und nicht länger mit diesem dummen von ihm ausgedachten Namen. Doch er schüttelte nur grinsend den Kopf und behauptete, dass ich für ihn immer Peaches sein würde. Also trottete ich etwas beleidigt hinter ihm her. Es war gar nicht einfach, hier auf der Oberfläche des Schiffes zu gehen, während ein Magnetfeld in den Schuhen einen regelrecht an den Boden schweißte. Schon nach wenigen Schritten war ich so aus der Puste, als wenn ich hunderte von Metern gerannt wäre und auch meine Beine taten schon fürchterlich weh. Am liebsten hätte ich mich jetzt genau hier einfach nur hingesetzt und ausgeruht, auch wenn der Boden alles andere als gemütlich aussah. Gerade vor mir war eine gerade einmal mannsbreite Ausbuchtung in der Oberfläche des Schiffes und ... Ich stockte einen Moment. Eine mannsbreite Ausbuchtung. Vorsichtig und darauf bedacht, den Anzug nicht zu überdehnen, kniete ich mich leicht hin und betrachtete die Stelle genauer.

Neben diesem abgedichteten Loch gab es auch eine kleine Abdeckung, die man sicherlich irgendwie aufmachen konnte. Und tatsächlich, unter dieser Abdeckung, die nach leichtem Druck aufsprang, befand sich ein Drehmechanismus, der diese Ausbuchtung öffnete. Einen Moment lang strömte mir Luft entgegen und ich war mir sicher, hätte Torren mich in diesem Moment nicht zu sich und aus dem Luftstrom gezogen, ich wäre wahrscheinlich ins All geblasen worden. Der Druck war allerdings schnell weg und wir konnten hinein.

„Hier muss es irgendwo etwas geben, um das Loch zu schließen und die Schwerkraft wieder herzustellen“, sagte Torren und suchte den engen, zylinderförmigen Raum ab, in dem wir uns befanden. Wir waren uns so nahe, als würden wir uns umarmen und zumindest ich merkte, wie sich in mir das Verlangen aufbaute, genau da weiter zu machen, wo wir im Hangar heute Morgen unterbrochen worden waren. Ich wusste nicht, warum das so war, immerhin hatte ich Torren vor einigen Wochen noch überhaupt nicht ausstehen können. Aber wie so oft hatte ein gemeinsames, einschneidendes Erlebnis anscheinend alles verändert.

Zum Glück hielten uns aber unsere Anzüge von jeglichen Dummheiten, die wir sonst vielleicht getan hätten, ab. So konnten wir uns auf unsere Aufgabe konzentrieren und nachdem wir tatsächlich den Schalter zur Wiederherstellung der Schwerkraft gefunden hatten, machten wir uns auf den Weg, um den Shuttle-Hangar zu finden. So würden dann auch die anderen in das Schiff gelangen. Wenn wir es nicht schaffen würden, das Schiff zu reparieren, konnten wir immer noch wieder mit dem Jumper davonfliegen.

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