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Kapitel 28

 

Flucht

 

 

 

 

„Wo ist mein Vater?!“ Meine Stimme hatte sich mittlerweile beinahe in unhörbare Frequenzen hochgeschraubt, immerhin stand ich hier nun schon seit einer geschlagenen halben Stunde, ohne das mir auch nur ein einziger eine Auskunft geben wollte. Woolsey hatte sich schon vor einiger Zeit lieber in sein Büro zurückgezogen als sich mit mir auseinanderzusetzen und auch die anderen Mitarbeiter der Kommandozentrale schienen sich nicht mit einem Teenager herumschlagen zu wollen, sie ignorierten mich einfach.

Wahrscheinlich hofften sie, dass ich irgendwann müde werden würde und einfach abzog, aber das würde nicht passieren. Mein Vater war nun schon seit mehr als 24 Stunden verschwunden und ich hatte schon Geflüster gehört, dass sie auf einen Planeten geschickt worden waren, um gegen einige Wraith zu kämpfen. Nicht nur mein Vater war unterwegs, auch die O’Neills und Ronon waren seitdem verschwunden, und selbst wenn sie nicht in der Kantine gewesen war, war ich mir sicher, dass es kein Zufall war, dass ich auch noch nichts von Teyla gesehen hatte.

Letzte Nacht hatte Cassandra noch versucht, mich damit zu beruhigen, dass mein Vater auf einer Routinemission war und sicherlich am Morgen bereits wieder zurück sein würde, mittlerweile war es jedoch schon Mittag und er war immer noch nicht da! Was fiel ihm eigentlich ein, mich einfach so mir nichts dir nichts alleine zu lassen? Hatte er nicht gesagt, er würde mich nicht mehr alleine lassen? Hatte er nicht versprochen, dass er die Zeit, die wir verloren hatten, wieder aufholen würde? Er war ein Lügner!

Ich merkte gar nicht, wie die Lampe über mir explodierte, ich sah nur, wie die Funken nach unten sprühten und mich einer der Techniker mit auf den Boden riss. Doch ich wurde nur noch wütender. Mein Vater war nicht hier. Er ließ mich wieder alleine, obwohl ich gerade wirklich eine Schulter gebraucht hätte zum Anlehnen, einfach nur, weil ich mir solche Sorgen um ihn machte.

„Was ist hier los?“

Ich bemerkte die Stimme von Joeys Vater kaum, sonst hätte ich mich sicherlich gewundert, dass er nicht auch mit meinem Vater und den anderen unterwegs war, aber so fiel es mir nicht sonderlich auf. Ich starrte einfach nur auf den Bildschirm vor mir, auf dem wild Buchstaben und Zahlen in antikisch vor sich hin schwebten. Rodney musste mich nur ansehen, um zu verstehen, was los war und er packte mich an der Hand und zog mich hinter sich her.

„Kannst du das lassen?“, fragte er ziemlich gereizt und mit einem schmerzverzerrten Gesicht. Ich wusste wirklich nicht, was er meinte. „Diese Stromschläge. Ist nicht gerade angenehm.“

„Du könntest mich auch einfach loslassen, dann passiert es nicht“, entgegnete ich ihm trotzig, während er mich immer noch durch die Gänge zog, weg von der Kontrollzentrale. Dann blieb er stehen, warnte mich davor, abzuhauen und ließ mich tatsächlich los. Doch dann ging das große Donnerwetter los, und es war sicherlich nicht der beste Versuch, mich zu beruhigen.

„Weißt du eigentlich, was hätte passieren können, wenn du mit den Systemen von Atlantis rumspielst?“, blaffte er mich an und ich verschränkte trotzig meine Arme vor dem Körper. „Du hättest die Stadt versenken können, ohne Schilde! Oder – oder du hättest ‚aus Versehen‘ ein Signal an die Wraith schicken können, das sagt ‚Huhu hier sind wir!‘ Oder du hättest …“

Und dann musste er selbst spüren, wie schlecht mich seine Tirade beruhigte, denn genau über ihm explodierte wieder eine der Lampen und einige Splitter fielen auf ihn und verletzten ihn leicht. Er zeigte nur wütend auf mich und ging in Richtung Krankenstation. Ich lief ihm hinterher. Ich wollte ihn ja nicht absichtlich verletzen, aber ich war einfach so wütend. Eigentlich hatte ich meine Gefühle und damit auch einige meiner ‚Fähigkeiten‘ ziemlich gut unter Kontrolle, zumindest in normalen Situationen. Dies war jedoch keine normale Situation und deswegen war ich auch etwas ungehalten. Natürlich kamen sofort Jennifer und Cassandra zu mir gelaufen, als Rodney die Krankenstation erreicht und ihnen erzählt hatte, was passiert war. Sie nahmen mich erst einmal mit und brachten mich in einen abgeschotteten, technikfreien Raum, in dem ich nichts in die Luft jagen oder mich selbst verletzen konnte.

Sie ließen mich erst einmal einige Zeit alleine in dem Raum, wahrscheinlich damit ich mich abregen konnte. Ich nahm an, dass sie genauso wenig mit meiner … elektrisierenden Wut gerechnet hatten wie ich.  Das hatte ich auch in Rodneys Augen gesehen, als ich ihm den ersten unabsichtlichen Stromschlag verpasst hatte.

Konnten sie mich denn nicht verstehen? Begriffen sie nicht, dass ich mir Sorgen um meinen Vater machte? Er war mir nichts, dir nichts einfach verschwunden. Er war verschwunden und hatte mir nicht gesagt, wann er wiederkommen würde. War es nicht genug, dass ich vor einigen Wochen meine Mutter verloren hatte? Hatte ich nun meinen Vater kennengelernt, hatte mich ihm geöffnet, nur um wieder verlassen zu werden?

Was sollte ich tun, wenn er tatsächlich nicht mehr wiederkam? Was sollte ich dann noch hier auf Atlantis? Ich merkte, wie sich die Tränen ihren Weg nach draußen bahnten. Wenn meinem Vater irgendetwas zugestoßen war, dann war ich eine Waise.

Warum sagte man mir nicht, was los war?

Nach einiger Zeit, mittlerweile war meine Wut verraucht und ich weinte auch nicht mehr, öffnete sich die Tür wieder und Cassandra kam herein. Sie setzte sich neben mich und wir sagten eine Zeit lang erst einmal gar nichts. Sie wartete einfach darauf, dass ich redete.

„Ich hab Mom verloren. Ich kann nicht auch noch ihn verlieren“, sagte ich beinahe im Flüsterton und Cassandra legte einen Arm um meine Schulter. Es fühlte sich beinahe so an wie damals, als Mom mich in den Arm genommen hatte, aber sie war es nicht. Cassandra roch anders als Mom. „Was ist mit ihm? Warum ist er noch nicht zu Hause?“ fragte ich. Cassandra wollte schon mit der Floskel anfangen, dass er sicherlich bald wieder kommen würde, das wollte ich jedoch nicht mehr hören, ich konnte es nicht mehr hören.

„Das hast du gestern Abend schon gesagt!“ Ich merkte, wie meine Wut langsam wieder anstieg, aber ich war zu erschöpft, um wirklich die Kontrolle zu verlieren.

„Maggie, es tut mir wirklich leid.“

„Sei ehrlich. Ist er … ist er tot?“, fragte ich und in dem Moment war es mir egal, ob ich mich anhörte wie ein kleines Kind. Ich musste es einfach wissen. Cassandra legte mir eine Hand auf die Schulter und ich sah ihr an, dass sie am liebsten nicht ehrlich mit mir sein wollte.

„Wir wissen es nicht. Wir haben die Verbindung zu ihnen verloren.“

Ich starrte sie an. Sie sagte die Wahrheit, das war sicher, aber ich konnte es dennoch nicht glauben. Wie konnten sie die Verbindung zu einem Team verlieren? Und wieso taten sie nichts, um das zu beheben?

„Wieso mussten sie überhaupt gehen?“

„Die Wraith haben einen Planeten angegriffen, mit dem wir ein Bündnis abgeschlossen haben. Dein Vater und sein Team kennen diese Leute“, versuchte Cassandra, mir die Situation zu schildern und ich merkte, wie die Angst um das Leben meines Vaters sich immer mehr in mir ausbreitete. Er war also ausgezogen, um gegen die Wraith zu kämpfen. Was ich bisher von diesen Monstern mitbekommen hatte, war die Chance, dass ich meinen Vater heil wiedersehen würde beinahe gleich null.

„Komm, ich bringe dich in dein Quartier zurück, du solltest etwas schlafen.“

Ich wollte protestieren, doch Cassandra zog mich einfach auf die Beine und schob mich aus dem Raum heraus. In meinem Quartier angekommen, rief sie Kevin über den Kommunikator und bat ihn, ebenfalls in mein Quartier zu kommen.  Doch als er gerade in mein Quartier kommen wollte, ging plötzlich der Alarm los, anscheinend versuchte jemand, ungeplant Atlantis anzuwählen.

Die Hoffnung, dass es mein Vater sein könnte, fuhr wie ein Blitz in mich und ließ mich von dem Sofa hochschießen. Weder Cassandra noch Kevin hatten schnell genug reagieren können, um mich aufzuhalten, da war ich schon aus meinem Quartier in Richtung Ankunftssaal gestürmt. Es musste einfach mein Vater sein, er würde mich hier nicht alleine lassen, sicherlich nicht.

Ich vernahm nur nebenbei, wie Cassandra und auch Kevin mir hinterher riefen, während sie versuchten, mich einzuholen. Ich war vielleicht nicht so groß wie andere, dafür aber schneller und wendiger. Ich konnte ganz einfach zwischen einigen Soldaten hindurch huschen, die auch zur Ankunftshalle, oder Torraum, wie sie es nannten, rannten.

Dort angekommen, war ich schockiert. Das Gate war bereits geöffnet und gerade war General O’Neill in einem hohen Bogen durch das Stargate geflogen. Im ersten Moment bewegte sie sich nicht und mir fiel direkt auf, dass ihre sonst langen blonden Haare ziemlich verrußt waren. Als sie sich dann doch mit Hilfe eines Airman umdrehte, sah ich die lange Platzwunde in ihrem Gesicht und einige ältere Wunden.

„Schließen Sie das Tor!“, rief sie angespannt nach oben und natürlich befolgte man ihren Befehl direkt. Leider bekam ich nicht mehr mit, denn dann hatten auch Cassandra und Kevin uns erreicht.

„Bringen Sie die beiden in mein Quartier. Stellen Sie sicher, dass sie es nicht wieder verlassen, bis ich komme.“

Jeder konnte hören, dass es bei diesem Befehl keinen Spielraum für Diskussionen gab, selbst ich. Nachdem Cassandra den Befehl gegeben hatte, verschaffte sie sich Durchgang durch die Reihen von Schaulustigen und half ihrer Patentante direkt, während Kevin und ich ohne viel Widerstand weggebracht wurden.

„Was meinst du, ist passiert?“, fragte Kevin mich, als wir bereits einige Zeit in seinem Zimmer gesessen hatten.  Natürlich hatten wir einmal versucht, nach draußen zu kommen, aber leider ohne Erfolg, der Wachmann, der uns her gebracht hatte, hatte direkt vor der Tür Stellung bezogen und dachte gar nicht daran, den Befehl von Kevins Mutter zu missachten.

„Ich habe keine Ahnung, gut kann es aber nicht sein.“

„Das denke ich auch.“ Kevin legte vorsichtig einen Arm um mich. Hätten wir nicht schon vor einigen Wochen geklärt, dass zwischen uns nur Freundschaft war, dann hätte ich es spätestens jetzt gemerkt. Bei einem Jungen, für den ich etwas empfand, hätte ich sicherlich Schmetterlinge im Bauch gehabt, wenn er mich umarmt hätte, bei Kevin war es aber beinahe so, als würde mich meine Mutter oder mein Vater umarmen. Es war vertraut.

Dann knirschte es plötzlich in unseren Ohren, oder zumindest vermutete ich an Kevins Gesichtsausdruck und seinem Griff zu seinem Ohr, dass auch sein Kommunikator aktiviert wurde. Erst nachdem wir ihn etwas lauter gestellt hatten, hörten wir eine leise Unterhaltung zwischen Sara, John und Torren. Auch sie wussten nicht, was los war, bis sich auf einmal Philipp einschaltete. Sicherlich war er gerade zu seiner Mutter gebracht worden.

„Phil, gibt es etwas Neues?“, fragte John und ich fragte mich, wo er war, dass er so leise flüstern musste.

„Na ja, es sind keine guten Nachrichten. Es war eine Falle. Dad und die anderen wurden gefangengenommen, Kasterly ist gefallen.“

Ich hielt einen Moment die Luft an. Ich kannte Kasterly nicht, doch die Tatsache, dass mein Vater an einem Ort gefangen war, wo jemand von ihnen umgebracht worden war, war genug, um zu wissen, dass es äußerst ernst war. „Mom konnte fliehen und Dad hat ihr über Funk befohlen, Verstärkung zu holen“, erklärte Philipp weiter und ich konnte beinahe sehen, wie alle angespannt zuhörten.

„Wer sind diese Verräter?“, fragte Torren, seine Stimme klang wütend. Seine Mutter war immerhin auch unter den Gefangenen.

„Ich habe keine Ahnung. Ich habe gehört, wie Mom etwas zu Jennifer gesagt hat, aber ich habs nicht richtig verstehen können. Aber sie ist sehr besorgt.“

„Am besten, wir treffen uns alle in der Kantine und reden da“, schlug Sara vor. Sie hasste diesen Knopf im Ohr, das wusste ich.

„Das geht nicht. Wir werden hier bewacht und können nicht raus“, sagte nun Kevin.

„Aber wir können rein“, war die letzte Antwort, die noch kam, bevor die Verbindung abbrach.

Noch nicht einmal fünf Minuten später hörten wir draußen Stimmen, die diskutierten. Eine davon war unverkennbar der junge Wachmann, der immer noch direkt vor unserer Tür stand. Als wir dann die Tür öffneten, standen Philipp, John, Madison, Sara und Torren vor unserer Tür und wurden anscheinend nicht zu uns gelassen.

„Meine Mutter sagte, wir dürfen nicht raus. Davon, dass keiner rein darf, hat sie nichts gesagt“, sagte Kevin in gelassenem Ton zu dem Wachmann und winkte die anderen durch.

„Wehe, ihr macht irgendeinen Unsinn!“, rief er uns hinterher und ich war sicher, dass er noch „Ich kann Kinder nicht ausstehen“ hinterher geflüstert hatte.

Als sich die Tür hinter uns geschlossen hatte, setzten wir uns alle hin und Philipp begann noch einmal genau zu erzählen, was passiert war. Gestern Mittag war von einem Planeten ein  Notruf ausgegangen. Die Ulari waren vor den Wraith auf diesen Planeten geflüchtet und brauchten nun Unterstützung.

„Und dann wurden sie überwältigt und gefangen genommen, zumindest hat Mom das so  Jennifer und den anderen erklärt.“

„Wir werden sie retten!“, entschied Torren entschlossen und bevor irgendjemand etwas dagegen sagen, vielleicht einen Moment über eine andere Lösung nachdenken konnte, hatten auch schon Torren und Philipp zugestimmt. Selbst wenn noch keiner eine Ahnung hatte, wie sie auf diesen Planeten gelangen wollten, beschlossen die drei schon, was sie mitnehmen mussten und wer das Sagen haben würde. Nach einigen Minuten, in denen sich Torren und Sara anscheinend am liebsten gegenseitig den Kopf abgerissen hätten, wurde klar, dass sie zwar viele Ideen hatten zu kämpfen, aber keine wirklich sichere Lösung für einige Probleme parat hatten.

„Ich komme auch mit!“, warf ich dann ein und auf einmal waren alle still. Wahrscheinlich hatte keiner von ihnen damit gerechnet, immerhin hatte ich nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich lieber in Sicherheit war, als mich in Gefahr zu begeben.

„Ihr habt ja noch nicht mal einen Plan, hier raus zu kommen!“, fauchte ich Torren an, als er vorschlug, ich solle lieber meinen hübschen Hintern auf Atlantis lassen. „Mein Vater ist genauso in Schwierigkeiten wie deine Mutter, und ich werde nicht zulassen, dass ihr irgendetwas macht, was ihn gefährden könnte!“

„Und wie willst du hier rauskommen? Die Wache wird dich nicht einfach hier rausspazieren lassen!“, bemerkte John und verschränkte die Arme vor der Brust. Aber ich hatte schon eine Idee. Während die anderen sich gestritten hatten, hatte ich nämlich über genau dieses Problem nachgedacht. Und immer wenn ich nachdachte, ließ ich meinen Blick schweifen. Der war dann auf das Belüftungssystem gefallen und da ich doch ziemlich schlank war, nahm ich an, dass dies ein wunderbarer Weg war, um aus dem Quartier zu entkommen.

Madison bot sofort an, sich als schlafende Maggie auszugeben, auch wenn sie von unserer Idee nicht gerade begeistert war. Kaum war der Entschluss gefasst, und alle Beteiligten merkten, dass ich keine Widerrede duldete, was meine Beteiligung anging, half mir John auch schon mithilfe einer Räuberleiter nach oben. Ich nahm die Abdeckung der Lüftung ab und quetschte mich hindurch. So schlank ich war, es war dennoch ziemlich eng da drin.

Ich hörte noch durch den Schacht, wie Torren, Sara und John das Quartier verließen und Madison flüsternd ihren Cousin kontaktierte. Simon war zwar noch ziemlich jung, aber anscheinend hatte er die Intelligenz von seinen Eltern geerbt. Nicht ohne Grund hatten wir ihm mittlerweile den Spitznamen Einstein gegeben. Er sollte uns dabei helfen, unsere Lebenszeichen zu maskieren, damit die, die danach suchten, sie nicht finden würden, zumindest nicht, solange wir noch auf Atlantis waren.

„Du musst mir den Weg zum Hangar sagen“, bat ich ihn, doch er war anscheinend noch mit der Maskierung beschäftigt. Ich hatte mir mittlerweile jedoch einen Weg einfallen lassen, um von hier weg zu kommen. Von einem Gespräch zwischen Beckett und Jennifer wusste ich, dass es nicht all zu weit von diesem Planeten entfernt einen weiteren gab, in dessen Orbit sich ein Stargate befand. Von dort aus konnten wir ohne Behinderung entkommen. Sicher, man würde versuchen, uns zu verfolgen, doch wenn sie bemerkten, was wir vorhatten, würde es schon zu spät sein und mit Simons Hilfe würden auch die Sicherheitskontrollen für uns arbeiten anstatt gegen uns.

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